Die rund 100 Delegierten des 23. Bundeskongresses der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), der vom 20. bis 22. Mai 2022 in Duisburg stattfand, fordern den sofortigen Stopp der völkerrechtswidrigen Angriffe Russlands auf die Ukraine: Wir protestieren gegen die imperialistische und militaristische Großmachtpolitik der russischen Regierung!
Nur ein Ende des Krieges kann verhindern, dass noch mehr Menschen Opfer von Kriegsgewalt werden. Die Waffen müssen schnellstmöglich schweigen.
Verhandlungen und zivile Hilfen
Auch die täglichen Kriegsfolgekosten für alle Volkswirtschaften und die Zerstörung der Infrastruktur in der Ukraine sind unerträglich, verursachen große Probleme und unsägliches Leid. Aktuell setzt die ukrainische Regierung auf die militärische Rückeroberung der russisch besetzten Gebiete. Ein solches Verharren in der Kriegslogik und ein drohender Abnutzungskrieg führen zu weiterem Tod und der Zerstörung ziviler Infrastruktur. Nach einer Rückeroberung könnte Cherson aussehen wie aktuell Mariupol. Wir fordern einen sofortigen Waffenstillstand.
Es braucht entsprechende diplomatische Initiativen und am Ende eine Verhandlungslösung. Nur durch Gespräche kann dieser Krieg beendet werden. Eine Schwächung Russlands auf Kosten der ukrainischen Zivilbevölkerung und der Soldat*innen erreichen zu wollen ist zynisch und gefährlich. Die „westlichen“ Staaten – auch gerade die USA – müssen ihre Verantwortung aus der Vorgeschichte des Krieges annehmen und ihren Beitrag zu Verhandlungen leisten.
Ebenso wie der ehemalige NATO-General Harald Kujat sehen auch wir in der Reaktivierung des NATO-Russland-Rates eine Möglichkeit, um in die Verhandlungen mit Russland zu kommen. Er bietet ein Forum dafür, sowohl das aktuelle Kriegsgeschehen als auch die damit verbundenen Sicherheitsinteressen der beteiligten Staaten zu thematisieren. Dabei darf nicht über die Ukraine hinweg agiert werden – sie muss in den sie betreffenden Fragen als gleichberechtigter Verhandlungspartner mit am Tisch sitzen.
Zusätzlich sind alle anderen nur denkbaren Orte und Formate für Verhandlungen zu nutzen, insbesondere die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Wir sind überzeugt, dass eine zukünftige europäische Friedensordnung nur mit Russland und nicht gegen Russland geschaffen werden kann.
Waffenlieferungen stoppen
Waffenlieferungen werden diesen Krieg nur verlängern. Wir sehen dabei das Dilemma: Die Menschen in der Ukraine werden von Russland angegriffen. Mit noch mehr Waffen können sie sich militärisch vermeintlich noch besser wehren, ohne jedoch eine nachhaltige Lösung erreichen zu können.
Die Probleme, die mit der Lieferung deutscher Waffen einhergehen, überwiegen: Menschen werden damit getötet, Deutschland kann im Konflikt nicht mehr vermitteln, sondern wird zunehmend selbst zur Kriegspartei, die Gefahr einer Ausweitung des Krieges wächst. Für die Zukunft droht eine vollkommen hemmungslose Aufrüstung und Waffenexportpolitik.
Zudem gibt es bei den Lieferungen zu viele von der Bundesregierung unbeantwortete Fragen, z.B. bis zu welchem Punkt die Waffen von der Ukraine genutzt werden dürfen oder was mit ihnen nach einem – hoffentlich schnellen – Kriegsende geschieht.
Nötige Maßnahmen
Auch wenn sie friedenspolitisch nicht unproblematisch sind, könnten Sanktionen – sowie das Angebot ihrer Rücknahme – ein Mittel sein, Russland zu weiteren Verhandlungen zu bewegen.
Wir dürfen Russlands Kriegskasse nicht weiter durch klimaschädliche fossile Energieimporte füllen. Damit die Auswirkungen der Klimakatastrophe begrenzt bleiben, müssen wir schnellstmöglich unabhängig von fossilen Energieträgern werden und dürfen uns nicht in die nächste Abhängigkeit von kriegführenden und menschenrechtsverletzenden Staaten begeben.
Auch die Ermittlungen bei Kriegsverbrechen müssen unterstützt werden – und Täter*innen vor Gericht gestellt werden. Der Internationale Strafgerichtshof muss endlich auch von Russland und den USA anerkannt und unterstützt sowie das Rom-Statut über die Einrichtung des IStGH von der Ukraine ratifiziert werden.
Humanitäre Hilfe für die Ukraine und weltweit für die indirekt betroffenen Länder, etwa durch vernichtete Getreideernte und blockierte Exporte, ist unverzichtbar. Das heißt, die Lieferung von Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten sowie die Unterstützung beim Wiederaufbau von Infrastruktur.
Die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine und ihre Unterstützung muss weiter sichergestellt werden. Insbesondere Frauen und Mädchen leiden derzeit massiv unter sexualisierter Kriegsgewalt. Sie sind Opfer von Vergewaltigung, sexueller Folter, Zwangsprostitution und anderen Formen sexueller Kriegsgewalt.
Unterstützung von Kriegsverweigerer*innen
Zur Beendigung des Krieges rufen wir außerdem, gemäß unserer über 125-jährigen Tradition, alle Soldat*innen auf, die Waffen niederzulegen und den Kriegseinsatz zu verweigern. Von der Bundesregierung und der Europäischen Union fordern wir auch für diese Menschen eine unbürokratische Aufnahme, ein dauerhaftes Bleiberecht und Schutz. Wir stehen an der Seite russischer, belarussischer und ukrainischer Deserteur*innen und Kriegsdienstverweigerer*innen und fordern eine umgehende Änderung der restriktiven Anerkennungspraxis deutscher Behörden.
Zur Unterstützung russischer Kriegsdienstverweigerer*innen haben wir im Rahmen unseres Bundeskongresses 8.000 Euro Spenden an ein Projekt der finnischen Friedensorganisation Aseistakieltäytyjäliitto (AKL | deutsch: Vereinigte Kriegsdienstgegner*innen) und der russischen Organisation Движение сознательных отказчиков (MCO | deutsch: Bewegung der Kriegsdienstgegner*innen) weitergeleitet.
Unsere besondere Solidarität gilt denen, die sich mit politischen, zivilen und gewaltfreien Mitteln gegen den russischen Einmarsch verteidigen sowie den Menschen der ukrainischen und der russischen Antikriegsbewegung.
Geflüchtete schützen
Der Krieg in der Ukraine darf nicht dazu führen, dass andere Konflikte und bewaffnete Auseinandersetzungen auf der Welt unbeachtet bleiben. Unsere Forderung „Grenzen öffnen für Menschen, Grenzen schließen für Waffen“ gilt angesichts aktuell über 100 Millionen Geflüchteter weltweit umso dringlicher. Unabhängig von ihrer Herkunft, Religionszugehörigkeit, geschlechtlichen Identität und Sexualität müssen Menschen vor Krieg Schutz finden können.
Leider sieht die Realität anders aus. Tagtäglich kommen unzählige Menschen auf der Flucht vor Kriegen und bewaffneten Konflikten an den europäischen Außengrenzen ums Leben. Der Umgang mit Geflüchteten aus dem Irak, Jemen, aus Syrien oder Afghanistan sowie vielen afrikanischen Ländern in Deutschland und ganz Europa entlarvt den Rassismus, der noch immer tief in unserer Gesellschaft und Politik verankert ist.
Die illegalen Pushbacks durch die griechische und polnische Regierung und die Untätigkeit der Europäischen Union sowie die systematisch unterlassene Hilfeleistung Deutschlands und anderer EU-Staaten auf dem Mittelmeer sind nur zwei von vielen Beispielen dafür. Wir fordern Schutz und Sicherheit für alle Menschen!
Sicherheit statt Aufrüstung
Keine Sicherheit wird die von der Bundesregierung angestrebte Aufrüstung der Bundeswehr bringen. Im Juni 2022 soll im Bundestag eine Grundgesetzänderung verabschiedet werden, um die Bundeswehr mit einem sogenannten Sondervermögen von 100 Milliarden Euro ausstatten zu können. Damit will die Bundesregierung mittelfristig mehr als 2% des Bruttoinlandsprodukts für „Verteidigung“ ausgeben und so das entsprechende NATO-Ziel noch übertreffen. So steigt der Rüstungshaushalt auf über 70 Milliarden Euro pro Jahr. Dieses Paket macht Deutschland zum drittgrößten Hochrüster der Welt hinter den USA und China – und noch vor Russland.
Insbesondere die Beschaffung von F-35-Tarnkappenbombern zur Fortsetzung der nuklearen Teilhabe lehnen wir ab. Atomwaffen sind international geächtete Massenvernichtungswaffen, welche die gesamte Menschheit bedrohen. Deutschland darf sich nicht an einem weiteren atomaren Wettrüsten beteiligen, sondern muss sich für eine atomwaffenfreie Welt einsetzen – ein wichtiger Schritt dahin ist die Unterzeichnung des UN-Atomwaffenverbotsvertrags. Das geplante Aufrüstungsprogramm wird nicht zu mehr Frieden und Sicherheit für die Menschen führen.
Auch den Konflikt mit Russland wird es nicht lösen, sondern die Konfrontation mit Russland und China weiter verschärfen. Langfristige Strategien zur Krisen- und Konfliktprävention sowie Rüstungskontrolle drohen komplett aus dem Blick zu geraten. Diese Ausgaben stehen in Konkurrenz zum Budget für Soziales, Gesundheit und Bildung sowie zum notwendigen Erhalt von Infrastruktur und zu Investitionen zur Eindämmung der Klimakatastrophe. Die zivile Sicherheit wird außer Acht gelassen, was zu neuen Konflikten und Kriegen führen wird. Diese Politik steht im krassen Gegensatz zu der erklärten feministischen Außenpolitik.
Für eine friedliche Zukunft
Gemeinsam bekräftigen wir: „Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit.“ Das Töten und Sterben muss beendet werden. Militarismus, Bellizismus und Nationalismus muss Einhalt geboten werden. Die DFG-VK setzt sich dafür ein, dass eine neue Entspannungspolitik eingeleitet wird, die die Sicherheitsinteressen aller Staaten berücksichtigt. Sicherheit ist neu zu denken und in eine zivile Außenpolitik umzusetzen. Nur gemeinsam kann die Menschheit in Frieden überleben.
Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Duisburg am 22. Mai 2022
Weiterführende Links
Website des Carl-von-Ossietzky-Solidaritätsfonds Weiterleiten
Website des 23. Bundeskongresses der DFG-VK Weiterleiten