Die DFG-VK Gruppe Frankfurt hat zur bevorstehenden Bundestagswahl Abgeordnete zur Podiumsdiskussion im Haus am Dom geladen. Atomwaffen abschaffen – aber wie?, darüber diskutierten die teilnehmenden Politiker*innen von CDU, SPD, Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gemeinsam mit unserem Bundessprecher Thomas C. Schwoerer.
Die ganze Veranstaltung gibt es als Video.
Die von unserem Bundessprecher Thomas C. Schwoerer formulierten Forderungen der Friedensbewegung an die nächste Bundesregierung gibt es im nachfolgenden Text.
Liebe Frau Abgeordnete Brugger, liebe Herren Abgeordnete, liebe Freund*innen,
zum Einstieg präsentiere ich Ihnen […] sieben Forderungen der Friedensbewegung an die nächste Bundesregierung. Ich lade Sie herzlich ein, zu den Argumenten Stellung zu nehmen und bei Ihren Koalitionsverhandlungen über die Umsetzung möglichst vieler Forderungen zu beraten.
Atomwaffen gefährden unsere Sicherheit
Die weltweit knapp 13.000 Atomsprengköpfe sind die gefährlichsten aller Massenvernichtungswaffen und können die Menschheit zigfach auslöschen. Jeder Einsatz hätte katastrophale und langanhaltende Folgen für Mensch und Klima etwa durch die Zerstörung der globalen Ozonschicht. Atomwaffen schaffen keine Sicherheit, sondern sind ein ständiges Risiko, wie sich an mehreren Beinahe-Katastrophen der Vergangenheit gezeigt hat. In Dutzenden Fällen entging die Menschheit nur durch reines Glück der nuklearen Katastrophe, beispielsweise auf dem Höhepunkt der Kubakrise 1962.
Der Atomwaffenverbotsvertrag
Seit dem 22. Januar ist der UN-Atomwaffenverbotsvertrag in Kraft, den 2/3 der UN-Staaten beschlossen haben, darunter Österreich und Irland. Er setzt eine völkerrechtliche Norm. Nichtunterzeichnerstaaten wie Deutschland geraten unter zunehmenden Erklärungsdruck, wieso sie internationale Normen unterlaufen. Die Einsicht hat sich völkerrechtlich durchgesetzt, dass nicht der Staat sicher ist, der eine Atombombe besitzt. Sicher sind wir vielmehr erst, wenn es keine Atomwaffen mehr gibt und sich die Vorstellung gemeinsamer Sicherheit statt gegenseitiger Zerstörung durchgesetzt hat. Der Vertrag untersagt allen beigetretenen Staaten die Entwicklung, Herstellung, Stationierung und den Einsatz von Atomwaffen und schreibt ihnen robuste Kontrollverfahren vor.
Bevölkerung unterstützt Verbot
Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung sind dafür, dass Deutschland diesem wegweisenden Vertrag beitritt. Unterstützt werden sie von zwei ehemaligen Nato-Generalsekretären, denen zufolge ein Verbot von Atomwaffen mit der NATO vereinbar ist. 56 ehemaligen Regierungschef*innen und Außen- sowie Militärminister*innen aus 20 NATO-Staaten, insbesondere aus Osteuropa. 714 Bürgermeister*innen für den Frieden, über 115 deutschen Städten, darunter alle 16 Landeshauptstädte, vier Bundesländern und 623 Abgeordneten aus dem Bundestag sowie Europa- und Landesparlamenten.
Schon heute verbieten die NATO-Staaten Spanien, Litauen, Norwegen, Dänemark und Island den Transit und die Stationierung von Atomwaffen.
Druck durch die Wirtschaft
Vier Argumente halte ich denen entgegen, die behaupten, dieser Vertrag ließe sich nicht auf die Atomwaffenbesitzerstaaten ausweiten: Wieso ist es dann gelungen, die vier internationalen Abkommen für ein Verbot von Chemie- und Biowaffen, Antipersonenminen sowie Streumunition gegen die Interessen ihrer Besitzer durchzusetzen? Eine Antwort darauf ist zweitens wirtschaftlicher Druck: Schon heute haben globale Banken – auch in Deutschland, gerade in der Finanzmetropole Frankfurt – ihre Richtlinien in Bezug auf Atomwaffen angepasst. Sie haben also beschlossen, keine Kredite an die Hersteller zu vergeben, und dabei explizit auf den Verbotsvertrag verwiesen. Das hat früher in vergleichbaren Fällen etwa in den USA dazu geführt, dass die Produktion von Antipersonenminen und Streumunition unrentabel wurde.
Versprechen zur Abrüstung einhalten
Drittens wird die internationale Kampagne des Friedensnobelpreisträgers ICAN zwar vorrangig vom Globalen Süden und der Zivilgesellschaft im Globalen Norden getragen. Diese zivilgesellschaftliche Bewegung hat aber die Mehrheiten der Bevölkerungen in Staaten der nuklearen Teilhabe hinter sich. Die Strategie der Kampagne besteht darin, diese Mehrheiten in Regierungshandlung und politische Praxis zu übertragen. Die Positionen der Atomwaffen befürwortenden Nationalstaaten vertreten nicht diese Bevölkerungsmehrheiten, sondern eine veraltete Logik von Massenvernichtung, und sie stehen nun auf der falschen Seite des internationalen Rechts und der Legitimität. Viertens müssen diese Staaten endlich ihrer 50 Jahre alten Pflicht aus dem Atomwaffensperrvertrag zur nuklearen Abrüstung nachkommen, auch um eine weitere Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern.
Deutschland muss Verbot zustimmen
Wir fordern deshalb die nächste Bundesregierung auf, dem Vertrag rasch beizutreten und als ersten Schritt teilzunehmen als Beobachterin an der im Januar nächsten Jahres stattfindenden ersten Überprüfungskonferenz zum UN-Atomwaffenverbotsvertrag. Die SPD fordert das zwar in ihrem Wahlprogramm, hat es aber versäumt, in der ablaufenden Legislaturperiode einen entsprechenden Antrag in den Bundestag einzubringen.
Bis zum Beitritt sollte Deutschland eine Vermittlerrolle einnehmen und Brücken bauen, also für eine positive Auseinandersetzung mit dem und gegen eine negative Haltung zum Verbotsvertrag werben.
Verrückte Phantasien eines atomaren Erstschlags sind offizielle Staatsdoktrin in den USA und Russland geworden. Wir fordern die nächste Bundesregierung zweitens auf, darauf hinzuwirken, dass alle Seiten, auch die NATO, auf den Ersteinsatz von Atomwaffen verzichten.
Abzug der Atomwaffen aus Deutschland
Der Bundestag hat schon 2010 beschlossen, den Abzug der amerikanischen Kernwaffen von deutschem Boden zu erwirken. Kanzlerin Merkel hat Außenminister Westerwelle aber daran gehindert, mit der US-Regierung darüber zu verhandeln. Wir fordern drittens den Abzug aller ca. 20 US-Atombomben aus Deutschland, also aus Büchel. Dieser Stationierungsort bietet einem Gegner ein leichtes Angriffsziel, wäre eine Zielscheibe und schadet somit unserem Land.
Kauf neuer Atombomber verhindern
Die deutschen Tornado-Kampfflugzeuge sind in die Jahre gekommen und werden in naher Zukunft ausgemustert. Ein Teil dieser Flugzeuge erfüllt derzeit Aufgaben in der technischen nuklearen Teilhabe, indem im Kriegsfall deutsche Bundeswehrpilot*innen die in Büchel gelagerten US-Atomwaffen abwerfen können. Das Militärministerium plant den Kauf von 30 F18-Flugzeugen des amerikanischen Herstellers Boeing als Ersatz für eben diesen Einsatz.
Mit dem Kauf der F-18 wäre die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland für weitere Jahrzehnte faktisch beschlossen. Mehrere Milliarden Euro wären gebunden, die für den Klimaschutz und zur Überwindung der Corona-Pandemie dringend benötigt werden. Jede einzelne F18 kostet so viel wie 2000 bis 3000 intensiv-medizinische Beatmungsgeräte, die weltweit dringend zum Schutz von Leben benötigt werden – ganz zu schweigen von dem enormen CO 2- Fußabdruck jedes Flugzeugs. Wir fordern deshalb viertens einen Stopp der Beschaffung neuer Atombomber für die Bundeswehr.
Deutschlands nukleare Teilhabe beenden
Ohne diesen Kauf würde sich Deutschland mittelfristig aus der technischen nuklearen Teilhabe verabschieden – sinnvoller wäre der Ausdruck nukleare Gefangenschaft. Die Befürworter der technischen nuklearen Teilhabe behaupten, dass Deutschland damit Einfluss auf die Nuklearstrategie der USA nehme. Sie können aber keinen Beleg aus der Vergangenheit dafür vorweisen. In Wirklichkeit gibt es keine Mitsprache von Nichtnuklearstaaten bei den Einsatzoptionen von Atommächten. Schon deshalb ist eine Beteiligung an Frankreichs Atombombe keine Alternative: Kein französischer Präsident wird die Verfügungsgewalt über den atomaren Schlüssel teilen.
Einsatz ‚kleiner‘ Atomwaffen
Hinzu kommt, dass George W. Bush eine Neuausrichtung von Nuklearwaffen als Mittel zur Kriegsführung initiiert hat. Und seit 2018 ist der frühzeitige Einsatz „kleiner“ Atomwaffen offizielle Doktrin der US-Regierung. Dahinter steht die Hoffnung, einen nuklearen Schlagabtausch auf eine Region zu begrenzen, in unserem Fall auf Europa. Amerika setzt auf atomare Optionen, die es selbst nicht in Mitleidenschaft ziehen würden. Mit kleineren Waffen, so die Theorie, wäre im Ernstfall nicht sofort der Einsatz großer strategischer, interkontinentaler Atomwaffen nötig, dem dann auch amerikanische Großstädte zum Opfer fallen könnten. Jeder US-Präsident würde kaum New York für Frankfurt opfern wollen.
Neues Luftkampfsystem verhindern
Fünftens fordern wir, das neue 100 Milliarden Euro teure Luftkampfsystem FCAS (Future Combat Air System) zu stoppen, das die in Büchel gelagerten US-Bomben tragen kann und ebenfalls die nukleare Abschreckung langfristig fortschreiben würde. FCAS soll eine Angriffswaffe sein, die durch Tarnkappentechnik Abwehrsysteme überwinden, weit in Feindesland eindringen und dort Ziele zerstören kann.
Der Verzicht auf Aufrüstungsprojekte wie FCAS und die F-18 würde unsere Sicherheit nicht verringern. Wir sollten allen Staaten vorschlagen, ebenfalls ein Moratorium zu verkünden und keine neuen Waffensysteme anzuschaffen.
Rüstungswettlauf stoppen
Die milliardenschwere Modernisierung der Atomwaffen führt zu neuen Rüstungswettläufen, die Deutschland und Europa konkret bedrohen. Stattdessen sind sechstens Abrüstung und Rüstungskontrolle alternativlos, zumal als essentielles Instrument der Deeskalation und des Aufbaus von Vertrauen. Die Bundesregierung setzt sich für Abrüstungsverhandlungen ein. Wir wollen aber endlich Ergebnisse dieses Engagements sehen.
Verhandlungen über Sicherheitsinteressen müssen im Rahmen der OSZE geführt werden, der Organisation für die Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, und Initiativen Deutschlands dort eingebracht werden.
Rüstungskontrolle verstärken
Russland und die USA haben leider den INF-Vertrag gekündigt, der 1987 die Abrüstung der atomaren Mittelstreckenraketen bewirkte. Wir fordern die Bundesregierung dazu auf, sich tatkräftig für eine Wiederbelebung dieses Vertrags einzusetzen. Denn diese Mittelstreckenraketen würden die Kriegsgefahr drastisch erhöhen: Sie lassen sich praktisch ohne Vorwarnzeit abfeuern und treffen binnen Minuten ihr Ziel – eine politische Reaktion ist kaum mehr möglich. Und sie sind an ihren Stationierungsorten Ziele eines gegnerischen Schlags. Beides gilt auch für konventionelle, also nicht-atomare Raketen, die heute ebenfalls eine große Zerstörungskraft haben. Zudem lassen sich atomare und konventionelle Geschosse beim Anflug nicht unterscheiden. Dennoch haben die USA angefangen, konventionelle Mittelstreckenraketen für den Einsatz in Europa herzustellen, und die NATO hat vor, diese in Europa zu stationieren. Die Bundesregierung muss sich dagegen stemmen und sich generell für den Abbau von konventionellen Streitkräften engagieren.
Teilnehmer*innen
Agnieszka Brugger
MdB Bündnis 90/Die Grünen
Tobias Pflüger
MdB Die Linke
Thomas C. Schwoerer
Bundessprecher DFG-VK