Rund 100 AktivistInnen der Anti-Atomwaffenbewegung aus ganz Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus trafen sich am 12. Mai in der Essener Volkshochschule, um die aktuellen Gefahren durch Atomwaffen zu diskutieren. Oberbürgermeister Paß, selbst Mitglied der atomwaffenkritischen Initiative der „Mayors for Peace“, begrüßte die TeilnehmerInnen in der Ruhrstadt. Paß stellte einen Zusammenhang her zwischen der Atomrüstung und der Gefährlichkeit der so genannten „friedvollen Nutzung der Kernenergie“. Er bezog sich in seinem Grußwort auch auf den Essener Altbundespräsidenten Heinemann und unterstützte dessen Worte: „Die Atombombe ist ein Verstoß gegen die abendländische Kultur.“
Zur Tagung eingeladen hatten die DFG-VK zusammen mit dem Essener Friedensforum, pax christi im Bistum Essen und der Ärzteorganisation IPPNW in Kooperation mit der Kampagne „atomwaffenfrei.jetzt“ und der Volkshochschule.
Im Auftaktplenum gaben die beiden ReferentInnen Giorgio Franceschini und Regina Hagen einen Überblick über die politische und technische Entwicklung im Bereich der Atomwaffen seit der NPT-Überprüfungskonferenz im Jahr 2010. In zwei aufeinanderfolgenden Blöcken wurden in parallelen Foren die aktuellen Probleme rund um die atomare Rüstung dargestellt und diskutiert. Das waren zum einen die brisante Situation im Nahen Osten mit den Hauptakteuren Israel und Iran und zum anderen die konfliktreiche Lage zwischen den Staaten Afghanistan, Pakistan und Indien. In einem zusätzlichen Forum wurde ein Bildungstool vorgestellt, mit dem vor allem junge Menschen über die Gefahren der Atomwaffen informiert werden sollen. Im zweiten Block wurde die bevorstehende Modernisierung der Atomwaffen vor allem der USA und deren mögliche Folgen analysiert. Das parallele Forum ging der Frage nach dem Zusammenhang zwischen der zivilen und militärischen Nutzung der Atomkraft nach.
Das Abschlussplenum zeigte mit Blick auf verschiedene Zielgruppen die Perspektiven für die weitere Arbeit der Anti-Atomwaffenbewegung auf.
Breites Themenspektrum
Im Forum „Konfliktfeld Naher Osten“ wurde der Frage nachgegangen, wie sich die arabische Revolten des letzten Jahres und eine Verlagerung des US-amerikanischen Interesses weg vom arabischen hin zum pazifischen Raum auf die Konflikte im Nahen Osten auswirken. Am Beispiel der Nato-Intervention in Libyen wurde die wachsende Bedeutung der Arabischen Liga unter der neuen Führung der Golfstaaten nachgezeichnet. Bezüglich des Konflikts zwischen Israel und Iran wurde die Gefahr eines Präventivkrieges durch Israel angesprochen. Gegen diese Pläne haben sich jedoch sowohl in Israel selbst, aber auch in den USA Politiker und Militärs gewandt, die vor den Folge eines offenen Krieges zurückschreckten. Als Perspektive zur Lösung dieser bedrohlichen Situation wurde die Solidarisierung mit den demokratischen Kräften in Israel wie auch dem Iran angesprochen. Auf der staatlichen Ebene gelte es, die bereits seit längerem diskutierte Einrichtung einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in der Region voranzutreiben.
Im Forum „Afghanistan-Pakistan-Indien“ wurde die Geschichte des indisch-pakistanischen Konfliktes nachgezeichnet. Der Konflikt führte zu aufeinanderfolgender atomarer Bewaffnung zunächst Indiens und dann Pakistans. Als wenig bekannter Aspekt wurde darauf hingewiesen, dass Indien schon in den späten 1970er Jahren Muhadschedin in Afghanistan unterstützte in der Hoffnung, so Pakistan indirekt Probleme zu bereiten. Auch heute verfolgten Pakistan und Indien in Afghanistan eigene Interessen und heizten so den Krieg in dem Land an. Widersprochen wurde der These, die in Pakistan lagernden Atomwaffen könnten in die Hände von Terroristen gelangen. Das Bewachungs- und Sicherheitssystem der pakistanischen Armee sei auf einem hohen Niveau.
Im Forum „Modernisierung der Atomwaffen“ wurde betont, dass alle neun Atomwaffenstaaten Modernisierungen ihrer Waffenarsenale vornähmen. Dabei komme den US-amerikanischen Programmen eine besondere Bedeutung zu, da diese in der Regel eine Vorreiterrolle spielen würden. In den USA seien seit Ende des Kalten Krieges zwar die Zahl der Atomwaffen und die Zahl der verschiedenen Typen deutlich zurückgegangen, trotzdem sei das Budget zum Unterhalt und der Weiterentwicklung dieser Waffen überproportional gestiegen. Seit dem Ende des Kalten Krieges sei in den USA kein neuer Atomsprengkopf mehr gebaut worden. Aus den militärischen Erfahrungen der Kriege der neunziger Jahre sei dann aber die Forderung nach einer bunkerbrechenden Atomwaffe mit wenig Kollateralschäden über die Jahre hin immer weiter getragen worden. Diese und andere Vorhaben seien immer wieder abgebrochen worden. Doch aktuell würden unter dem Deckmantel der Lebenszeitverlängerung bestehender Systeme Waffen so verändert, dass sie die lange geforderten Fähigkeiten bekämen. So entstünden quasi neue Atomwaffen. Als Beispiel wurde die B-61 genannt, die Atombombe, die auch in Deutschland stationiert ist. Auch die Trägersysteme seien seit den 1990er Jahren entscheidend verbessert worden. Dadurch seien heute die USA in der Situation, dass sie im Falle eines Krieges die Atomwaffenarsenale Chinas oder Russlands mit hoher Wahrscheinlichkeit zielsicher vernichten könnten. Dies führe bei diesen Ländern nun ebenfalls zu Bemühungen, ihre Arsenale zu verbessern.
Im Forum „Fukushima und Hiroshima“ wurde darauf verwiesen, das US-Präsident Truman bereits am Tag nach den ersten Atombombeabwürfen die zivile Nutzung der Atomkraft propagierte, wohl auch, um von den schrecklichen Folgen der Waffe abzulenken. Der Atomwaffensperrvertrag von 1970 habe dann erneut die Verbindung von militärischer und ziviler Nutzung betont, indem den auf Atomwaffen verzichtenden Staaten die zivile Nutzung ausdrücklich nahe gelegt wird. Als besonderer Skandal wurde eine Absprache zwischen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) beschrieben, die Veröffentlichungen der WHO über Strahlenschäden an die Zustimmung der IAEA bindet. Ein weiterer angesprochener Punkt war der Uran-Kreislauf, der ebenfalls für die Verbindung zwischen militärischer und ziviler Nutzung stehe. So könne die Technologie z.B. der Urananreicherungsanlage im nordrhein-westfälischen Gronau auch für die Produktion von waffenfähigem Uran genutzt werden. Auch die Abfallprodukte dieser Anreicherung, das abgereicherte Uran, könne für die Produktion von Uranmunition genutzt werden, deren Einsatz durch Nato-Staaten in Jugoslawien und im Irak langfristigen Gesundheitsschäden zur Folge habe.
Hauptgefahr für den Frieden
Vor dem Hintergrund der positiven Rückmeldungen aus dem Kreis der TeilnehmerInnen wie auch der Veranstalter, aber auch angesichts der nach wie vor hohen Relevanz des Themas wird über eine Folgeveranstaltung eventuell anlässlich der nächsten NPT-Überprüfungskonferenz 2015 nachgedacht.
Die Zielsetzung einer zwar regional ausgerichteten Veranstaltung, die aber auch über die Landesgrenzen hinaus auf Interesse stößt, ist erreicht worden. Auch das Konzept der Kooperation von lokalen/regionalen Trägern mit bundesweiten Organisationen aus der Kampagne „atomwaffenfrei.jetzt“ hat sich inhaltlich, aber auch auf der Arbeitsebene bewährt. Die Auswahl der Themen erwies sich als gelungen, da diese bis zum Veranstaltungstermin eher noch an Aktualität gewonnen haben.
Inhaltlich wurden aus der Tagung mehrere Aspekte mitgenommen. Es bleibt festzuhalten, dass die atomare Bedrohung nach wie vor eine der Hauptgefahren für den Weltfrieden ist. Diese Bedrohung ist in der öffentlichen Wahrnehmung jedoch leider seit den späten 1980er Jahren zunehmend in den Hintergrund getreten. Lediglich an aktuellen Brennpunkten wie dem Konflikt im Nahen Osten wird das Thema breiter diskutiert. Daher wurde in dem Abschlussplenum über Wege nachgedacht, durch die stärkere Nutzung der sozialen Medien vermehrt junge Menschen für das Thema zu sensibilisieren und so die Bewegung für die Abschaffung der Atomwaffen zu stärken. Unter dem Motto „Ausgebombt“ werden die Bürger aufgefordert, eine Postkarte mit einem Bombensymbol in ein friedliches Symbol umzuwandeln. Diese werden dann im Internet ausgestellt. Zum anderen will die Friedensbewegung stärker als bisher auch mit der Anti-Atomkraftbewegung zusammenarbeiten. Bis zu einem bestimmten Punkt der Urananreicherung ist der Weg zur Nutzung im Atomkraftwerk und der zur Atombombe der gleiche. Urananreicherung findet auch in Gronau bei uns in NRW statt.
Joachim Schramm ist Geschäftsführer des DFG-VK-Landesverbands Nordrhein-Westfalen.
https://zivilcourage.dfg-vk.de
für ZivilCourage 3/2012