Wer Waffenlizenzen an Diktaturen liefert, fördert den Terror im eigenen Land, sagt der Buchautor Jürgen Grässlin. Er gilt als Deutschlands bekanntester Rüstungsgegner und ist unter anderem Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft sowie Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros. Im Interview mit dem Donau-Kurier Ingolstadt erklärt er unter anderem, warum aus seiner Sicht bewaffnete Drohnen den Terror in Deutschland befeuern.
Herr Grässlin, Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat sich für Kampfdrohnen ausgesprochen.
Jürgen Grässlin: Kampfdrohnen bedeuten eine völlige Enthemmung der Kriegsführung, da die Geschosse der Kampfdrohnen nicht von einem Piloten abgeschossen werden, sondern vom Arbeitsplatz eines Bundeswehroffiziers aus. Ein Hubschrauberpilot könnte bei Blickkontakt womöglich noch sehen, dass sich am Boden gar keine Terroreinheit, sondern ein Flüchtlingskonvoi befindet.
Von der Leyen argumentiert allerdings mit dem Schutz der eigenen Soldaten.
Grässlin: Studien aus den USA belegen, dass die Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung – von Militärs verharmlosend als „Kollateralschäden“ bezeichnet – durch Drohnen hoch sind. Kampfdrohnen sind selbst aus militärischer Sicht kontraproduktiv. Schließlich hat man festgestellt, dass die Mehrzahl der Menschen in Pakistan die USA seit deren Drohnenattacken als völkerrechtsverletzenden Staat ansehen – was juristisch stimmt. Hass gegen die US-Amerikaner ist in Drohneneinsatzgebieten weit verbreitet. Die Bundeswehr würde, genau wie die USA, in eine Eskalationsspirale der Gewalt hineingezogen, sodass im Gegenzug sogar Terroranschläge in der Bundesrepublik befürchtet werden müssen.
Auch in Deutschland sind Arbeitnehmer mit der Produktion und Entwicklung von Drohnen beschäftigt, beispielsweise bei Airbus in Manching.
Grässlin: In der Tat gibt es in Manching viele Rüstungsarbeitsplätze. Und zweifellos ist es bedauerlich, wenn Menschen arbeitslos werden. Ich warne allerdings seit Jahrzehnten davor, auf Waffenproduktion zu setzen, weil diese Industrie immensen Beschaffungswellen unterworfen ist. Für Manching lief es jetzt viele Jahre sehr gut, weil beispielsweise der Eurofighter an Staaten der Nato und an Österreich verkauft wurde, zurzeit selbst an die Militärs der Diktatur in Saudi-Arabien. Allerdings fehlen aus Unternehmenssicht neue Aufträge. Ich frage mich, weshalb man sich bei der Airbus-Geschäftsführung nicht schon viel früher Gedanken darüber gemacht hat, wie neue Arbeitsplätze im Zivilbereich geschaffen und damit langfristig gesichert werden können.
Wie sehr profitiert Deutschland insgesamt von der Rüstungsindustrie?
Grässlin: Bundesweit extrem wenig. Gerademal 80 000 Arbeitsplätze hängen direkt von der Rüstungsindustrie ab. Dagegen sind die Folgen deutscher Rüstungsexporte in den Empfängerländern desaströs: Oft werden Kriegswaffen an Bürgerkriegsländer oder gar an Krieg führende Staaten geliefert, hemmungslos auch an Diktaturen.
Welche Länder sind besonders kritisch?
Grässlin: Auch die Nato-Staaten sind für mich kritisch, weil sie ja etwa beim Afghanistan-Krieg beteiligt sind. Leider müssen Exporte in Nato-Staaten nur mitgeteilt und gar nicht genehmigt werden. Die Einzelausfuhrgenehmigungen haben 2013 einen neuerlichen Rekordwert von 5,8 Milliarden Euro erreicht; 62 Prozent gingen an äußerst bedenkliche Drittländer, allen voran an Algerien, Katar, Saudi-Arabien und Indonesien. Dort ist keine Sicherheit gewährleistet und Menschenrechte werden massiv verletzt. Derartige Waffentransfers sind Beihilfe zum Mord, im Fall von Gewehrexporten zum Massenmord.
Wie groß ist dort die Gefahr, dass die Waffen an Terrornetzwerke gelangen?
Grässlin: Die Bundeswehr wird in Afghanistan von Taliban mit in Deutschland entwickelten G 3-Gewehren beschossen. Diese stammen in der Regel aus der pakistanischen Lizenzfabrikation bei POF (Pakistan Ordnance Factories). Der Weg führt über den pakistanischen Geheimdienst, der über enge Kontakte zu den Taliban verfügt. 2008 erfolgte unter der Regierung Merkel/Steinmeier ? also einer christlich-sozialen Bundesregierung ? zudem die Vergabe von G 36-Sturmgewehren an das wahhabitische Herrscherhaus in Saudi-Arabien. Die G 36 von Heckler & Koch ist eine der tödlichsten Waffen auf dem Weltmarkt.
Was müsste sich ändern, um die Exporte zu senken?
Grässlin: Mehr als drei Viertel der Deutschen stimmen laut einer repräsentativen Umfrage für einen völligen Stopp des Waffenhandels. Dementsprechend müsste Artikel 26 (2) des Grundgesetzes um ein Rüstungsexportverbot ergänzt werden.
Das Gespräch führte Desirée Brenner.
Quelle: Ingolstadt: Rüstungsgegner Jürgen Grässlin über Exporte, Kampfdrohnen und Waffenlobbyhttp://www.drohnen-kampagne.de