Von Rüdiger Göbel
Während der Bundestag noch über eine personelle Ausweitung des Afghanistan-Mandats der Bundeswehr debattiert, werden am Hindukusch Fakten geschaffen. Nach junge Welt vorliegenden Informationen überschreitet die Bundeswehr in diesen Tagen bewußt die vom Parlament beschlossene Zahl der maximal in Afghanistan einzusetzenden Soldaten, und zwar deutlich. Laut Mandat des Bundestages dürfen derzeit maximal 3500 deutsche Soldaten gleichzeitig am Hindukusch stationiert sein. Wie junge Welt am Mittwoch erfuhr, sind in den kommenden sechs Wochen allerdings 3744 Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan im Einsatz. Die zuständigen Wehrexperten der im Bundestag vertretenen Parteien sind vom Verteidigungsministerium über den Rechtsbruch informiert worden, aber zum Schweigen verpflichtet.
Der Kölner Stadt-Anzeiger hatte am Dienstag berichtet, daß die Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD im Herbst die Obergrenze des Afghanistan-Mandats offiziell »auf knapp unter 4000 Soldaten anheben« wollen. Die Zahl 4000 solle aus »psychologischen Gründen« auf keinen Fall überschritten werden. Ausschlaggebend dafür sei unter anderem die mangelnde Akzeptanz des Afghanistan-Einsatzes in der Bevölkerung.
Die Besatzungstruppen in Afghanistan gaben am Mittwoch den Tod mehrerer Zivilisten bekannt. Bei Kämpfen zwischen NATO-Soldaten und Rebellen waren nach Armeeangaben am Vortag im Süden des Landes zwei Kinder und zwei Frauen getötet worden. NATO-Sprecher General Carlos Branco »bedauerte« ihren Tod, behauptete aber gleichzeitig, daß noch unklar sei, von wem die Afghanen erschossen wurden.
Bei einem Anschlag auf einen kanadischen NATO-Konvoi im Süden des Landes wurden am Mittwoch mindestens ein Zivilist getötet und zwei Menschen verletzt, darunter ein Soldat. Nach Agenturangaben bekannten sich die Taliban zu dem Anschlag. Mindestens zehn kanadische Soldaten seien dabei getötet worden, sagte ein Sprecher.
14.03.2008
Bundeswehr weist jW-Vorwürfe zurück
Berlin. Die Bundeswehr weist den Bericht von junge Welt teilweise zurück, wonach in Afghanistan derzeit 3744 deutsche Soldaten stationiert sind und damit das Parlamentsmandat für einen längeren Zeitraum verletzt wird (siehe jW vom 13. März). Richtig sei, daß die Obergrenze von 3500 deutschen Soldaten deutlich überschritten wird. Dies hänge allerdings mit einem Kontingentwechsel zusammen, erklärte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Berlin der Agentur ddp. Dies sei durch das Bundestagsmandat gedeckt. Das ist wiederum nur zum Teil richtig. Zwar gestattet das Mandat bei Truppenaustausch eine kurzzeitige Überschreitung der Obergrenze. Eine wochenlange Erhöhung der deutschen Verbandsstärke am Hindukusch läßt sich daraus aber nicht ableiten. Verteidigungspolitiker im Bundestag sprachen gegenüber jW am Donnerstag diesbezüglich von einer »extremen Grauzone«. (jW)http://www.jungewelt.de