»Winter Soldier 2008«: US-Soldaten schildern auf Antikriegskonferenz in Washington Erlebnisse von ihren Einsätzen im Irak und in Afghanistan. Übertragung weltweit von Dago Langhans
In den USA melden sich in diesen Tagen Soldaten öffentlich zu Wort, die im Laufe ihrer Einsätze in Afghanistan und im Irak zu Gegnern von Krieg und Besatzung wurden. Auf der Anhörung »Winter Soldier« wollen etwa 250 Veteranen vom heutigen Donnerstag bis Sonntag in Washington D. C. detailliert über ihre Fronterlebnisse berichten. Angeregt durch die erfolgreiche »Winter Soldier Investigation« 1971 von amerikanischen Soldaten, die in Vietnam im Einsatz waren, haben Beteiligte der aktuellen US-Kriege am Hindukusch und im Zweistromland die Neuauflage vorbereitet. Zu den Veranstaltern gehören die »Iraq Veterans Against The War«. Die Organisation ehemaliger US-Soldaten hatte angesichts wachsenden Zuspruchs am Rande der Irak-Konferenz in Berlin am vergangenen Wochenende eine deutsche Sektion gegründet.
Im Vergleich zur damaligen Veranstaltung besitzt die Antikriegsbewegung heute vollkommen neue Wirkungsmöglichkeiten. Während Anfang der 70er Jahre die filmische Dokumentation des Soldatenwiderstandes gegen den Vietnamkrieg mühsam per vervielfältigter Kopie von Ort zu Ort gebracht werden mußte, kann die Veranstaltung 2008 in Echtzeit global verfolgt werden. Die einst vom Pentagon in Auftrag gegebene Internettechnologie bietet inzwischen die Möglichkeit, die Konferenz per Livestream und Radioübertragung zu verfolgen. In über 450 Gemeinden in Nordamerika wird »Winter Soldier« öffentlich ausgestrahlt. In Deutschland beteiligt sich das Kino Babylon in Berlin-Mitte an der Öffentlichkeitskampagne der US-Veteranen.
Lange Tradition
Der Veranstaltungstitel »Winter Soldier« geht auf einen der wichtigsten Propagandisten der US-Unabhängigkeitsbewegung gegen die Briten, Thomas Paine, zurück. Der hatte 1776 in prekärer militärischer Lage auf Anregung George Washingtons zur Ermutigung des antibritischen Widerstandes die Zeilen verfaßt: »Jetzt ist die Zeit, in der sich Männer erweisen. Der Sommersoldat und der Sonnenscheinpatriot werden sich in dieser Krise vor dem Dienst am Vaterland drücken; aber nur wer jetzt durchhält, verdient den Dank von Mann und Frau …«
Wie 1971 ihre Vorgänger aus dem Vietnamkrieg begreifen immer mehr der US-Soldaten, die in den neokonservativen globalen »Antiterrorkriegen« eingesetzt werden, ihren Status als den des »Wintersoldaten«, der entgegen vorherrschender Propaganda Rückgrat zeigt und sich der Wahrheit verpflichtet fühlt. Reihenweise gehen den Militärplanern im US-Verteidigungsministerium die Soldaten von der Fahne. Beratungsstellen für Kriegsdienstverweigerer arbeiten ähnlich intensiv wie die offiziellen Rekrutierungsstellen der US-Army, um den Bedarf zu decken. Der Besatzungsarmee von Präsident George W. Bush gehen offensichtlich die Soldaten aus. Immer weniger sind gewillt, dem zweiten oder dritten per Anordnung verlängerten Marschbefehl ins Kriegsgebiet nachzukommen.
Aus der Pfalz in den Krieg
Ende März soll ein neues Kontingent von 3800 US-Militärangehörigen aus Baumholder in Rheinland-Pfalz zur Verstärkung in den Irak verschickt werden. Die militärnahe US-Tageszeitung Stars & Stripes berichtete Ende Februar über den Fall des Schützen Benjamin Stewart aus dem bayrischen Garnisonsstandort Vilseck, der sich geweigert hatte, erneut ins besetzte Zweistromland zu gehen. Obwohl der US-Soldat erklärte, kein Pazifist oder Kriegsgegner zu sein, sondern einfach nur keine Menschen mehr töten zu wollen, wurde er zu sechs Monaten Militärgefängnis und unehrenhafter Entlassung aus den Streitkräften verurteilt. Laut Stars & Stripes betonte Stewart in seinem Gerichtsprozeß: »Ich habe mit angesehen, wie eine Mutter und ihr Kind im Kreuzfeuer getötet wurden. Ich habe gesehen, wie Kindern bei der Explosion einer Autobombe die Gliedmaßen abgerissen wurden …«
Kriegserlebnisse dieser Art sind das Thema der heute beginnenden Winter-Soldier-Konferenz. Der mobilisierende Effekt in Deutschland wird nicht unmittelbar in die Forderung des Vietnam-Kongresses des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes vor 40 Jahren in Berlin umschlagen: »In westeuropäischen Ländern mit amerikanischen Truppenstützpunkten werden so wie in den USA selbst Aufklärungsaktionen unter den GIs durchgeführt mit dem Ziel, die Wehrkraft der US-Armee zu zersetzen und die Soldaten von der Notwendigkeit des Widerstandes, der Sabotage und der Desertion zu überzeugen«. Unterstützung erfahren GIs, die ihrer Armee den Rücken kehren wollen, von Friedensaktivisten hierzulande allemal (siehe unten).
Im Internet:
Video der Iraq Veterans Against the War (IVAW) zur Wintersoldier Konferenz 2008:
Video zur Live-Übertragung im Berliner Babylon:
Live-Stream der Konferenz
(bild208) »Moralische Unterstützung ist wichtig«
US-Soldaten, die sich dem Krieg verweigern, brauchen Solidarität.
Ein Gespräch von Jan Schapira mit Rudi Friedrich (Geschäftsführer von Connection e.V.)
Wie ist die Stimmung bei den in Deutschland stationierten US-Soldaten fünf Jahre nach Beginn des Irak-Krieges?
Eine US-Militärstatistik weist aus, daß im vergangenen Jahr fast 5000 Soldaten desertiert sind. Es gibt zunehmend mehr Soldaten, die immer weniger mit dem Irak-Krieg einverstanden sind. Das Hearing »Winter Soldier« von »Iraq Veterans Against the War« deutet darauf hin. Zum anderen ist aus verschiedensten Standorten in Deutschland und Italien bekannt, daß sich Soldaten weigern, noch einmal in den Irak zu gehen. Wir wissen von vier US-Soldaten, die in diesem Jahr im zentralen Militärgefängnis in Mannheim inhaftiert waren beziehungsweise es noch sind.
Welche Hilfe können Sie den Soldaten bieten?
Connection e.V. ist Teil eines Verbundes verschiedener Gruppen, die US-Kriegsdienstverweigerer und Deserteure unterstützen. Zusammen mit dem Military Counseling Network in Bammental bieten wir Beratungen an. Im Einzelfall prüfen wir, welche Begründungen zur Ausmusterung anführbar sind. Dazu gehören Verletzungen oder psychische Folgen aufgrund des Einsatzes im Irak oder in Afghanistan.
Wir unterstützen die Soldaten zudem moralisch. Beispielsweise schicken wir den Gefangenen in Mannheim Solidaritätspostkarten. Das klingt harmlos, es ist aber wichtig, daß die Soldaten nicht das Gefühl haben, mit ihrer Entscheidung allein dazustehen. Agustín Aguayo, der wegen Desertion inhaftiert war, hat immer wieder versichert, wie außerordentlich wichtig ihm diese Unterstützung war. Er hat ungefähr 2000 Briefe und Postkarten bekommen. Gegenwärtig sitzt in Mannheim Jeffrey Gauntt ein. Auf unserer Internetseite Connection-eV.de kann man online eine Postkarte ausfüllen, die wir ihm dann schicken.
In der US-Armee verweigern pro Jahr etwa 100 Soldaten den Kriegsdienst, nur 50 werden anerkannt. Welchen Prozeß müssen diese Soldaten durchlaufen?
Die Begründung für die Kriegsdienstverweigerung ist der in Deutschland sehr ähnlich. Es wird eine grundsätzliche Gewissensentscheidung gegen jeden Krieg verlangt. Ein Soldat, der nicht mehr am Irak-Krieg teilnehmen will, weil er ihn für ungerecht hält, bekommt keine Anerkennung. Das ist ein entscheidendes Problem, weil es genau das Gefühl der meisten Soldaten ist, die sich verweigern. Das Verfahren zur Kriegsdienstverweigerung wird außerdem vom Militär selbst entschieden. Da es sehr lange dauert, verhindert ein Antrag auf Kriegsdienstverweigerung nicht, in den Irak oder nach Afghanistan verlegt zu werden.
Was kann die deutsche Friedensbewegung neben der Hilfe für die GIs sonst noch leisten?
Es ist Aufgabe der Friedensbewegung, auf die Bundesregierung einzuwirken, daß die Bundeswehr aus Afghanistan zurückgezogen wird. Dieser Druck ist längst nicht ausreichend. Die USA fordern weitere Unterstützung, das heißt Soldaten, damit sie ihre Truppen woanders einsetzen können.
Wie schätzen Sie die Entwicklung innerhalb der US-Armee ein?
Ich denke, daß der Widerstand zunehmen wird, weil es für die Soldaten sehr offenkundig ist, daß sie im Irak als Besatzer fungieren. Connection e.V. macht eine Lesereise mit dem US-Deserteur Joshua Key. Seine Botschaft ist zum einen: »Wir haben dort überhaupt nichts zu suchen.« Zum anderen warnt er davor, daß Soldaten durch den Einsatz selbst zerstört werden.
Lesung mit Joshua Key (»Ich bin ein Deserteur«) in München am Montag, 17. März, 20 Uhr im Club Voltaire, Fraunhofertheater (Fraunhoferstr. 9) und in Freiburg am Dienstag, 18. März, 19 Uhr im Café Velo (Wentzinger Str. 15)http://www.connection-ev.de