In diesem Jahr erinnern Antifaschisten nicht nur in diesem Land an den 80. Jahrestag der Zerschlagung der Nazibarbarei durch die militärischen Einheiten der Alliierten und der gesellschaftlichen Kräfte der Anti-Hitler-Koalition. Und so ist es auch verständlich, warum in einer Zeitschrift, die sich eigentlich an aktive Pazifisten wendet, ein solches – auch militärisches – Ereignis gefeiert werden kann. Denn tatsächlich gilt es an diesem Datum nicht nur an die militärische Befreiung zu erinnern, die das Ende des NS-Regimes bedeutet hat, sondern auch an diejenigen Frauen und Männer, die durch ihren persönlichen Einsatz selbst unter den Bedingungen der Verfolgung dazu beigetragen haben, dass die politische Befreiung möglich wurde und die Grundlagen gelegt wurden für einen antifaschistisch-demokratischen Neuanfang, der von dem Motto des Schwurs der überlebenden Häftlinge des KZ Buchenwald geleitet wurde: „Schaffung einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit“.
Wer waren die gesellschaftlichen Kräfte der Anti-Hitler-Koalition in Deutschland? Aus Frankreich, Italien und eigentlich allen vom deutschen Faschismus besetzten Ländern sind die Kräfte der Résistance oder Partisanenbewegungen bekannt, die – auch mit der Waffe in der Hand – sich für die Freiheit ihrer Heimat eingesetzt haben. Selbst in Deutschland gab es mutige Frauen und Männer, die – natürlich unter den Bedingungen der Konspiration – zu ihrer Überzeugung standen und dafür wirkten. Dass sie sich damit den Zielen des NS-Regimes entgegenstellten, war ihnen bewusst. Dazu gehörten nicht nur die Anhänger und Funktionäre der Arbeiterparteien, die schon vor 1933 den Vormarsch der NSDAP und ihrer Verbände bekämpft hatten. Sie waren die ersten Verfolgten, die den Massenverhaftungen ausgesetzt waren, deren Tätigkeit, Organisationen und Publikationen verboten wurden. Auch Menschen, deren religiöse Überzeugung in Widerspruch zu den Zielen der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung geriet, wurden so gezwungenermaßen Widerständler, selbst wenn sie dies gar nicht beabsichtigten. „Zeugen Jehovas“, deren grundsätzlich pazifistische Überzeugung dazu führte, dass junge Männer sich weigerten, Dienst in der Wehrmacht zu tun, wurden wegen Wehrkraftzersetzung verhaftet und teilweise sogar in ein Konzentrationslager verschleppt. Eines der bekannten Beispiele ist der Hamburger Jugendliche Helmuth Hübener, der im Oktober 1942 als jüngstes Opfer in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde.
All diejenigen, die bei Sabotage in der Rüstungsindustrie oder bei Propaganda gegen die faschistische Kriegspolitik von der Gestapo gefasst wurden, galten als Hochverräter – nicht wenige wurden während des Krieges zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Zum Widerstand gegen den Krieg gehörte auch die Solidarität mit den ausländischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern, die – anstelle der für den Kriegseinsatz mobilisierten deutschen Arbeitskräfte – die Kriegs- und Rüstungsproduktion am Laufen halten sollten. Diesen Menschen, die aus der Sicht der faschistischen Herrenmenschen und der Rüstungsunternehmer zu den Arbeitssklaven gehörten, solidarisch zu begegnen und ihnen – oftmals bescheidene – Hilfe zukommen zu lassen, war Teil des deutschen Widerstandes, der sich gegen den faschistischen Krieg richtete. Wie menschenverachtend die Kriegsideologie des NS-Regimes war, zeigte Heinrich Himmler, als er im Oktober 1943 bei einer SS-Gruppenführertagung über den Zwangsarbeitereinsatz sagte, es sei ihm egal, wenn bei dem Ausheben eines Panzergrabens 10 000 „Russenweiber“ krepierten, wichtig sei nur, der Panzergraben würde fertig. Später änderte sich ein solcher Raubbau an den Arbeitssklaven. Nun sollte mit der „Vernichtung durch Arbeit“ deren Arbeitskraft bis zum letzten Blutstropfen für den faschistischen Krieg mobilisiert werden.

Es ist bis heute erinnernswert, in welchem Umfang der antifaschistische Widerstand sich gegen die Verlängerung des Krieges und für die Rettung der Zivilisten einzusetzen versuchte. Und damit ist nicht das gescheiterte Attentat der Offiziere des 20. Juli 1944 gemeint, die „5 vor 12“ mit diesem Schritt die endgültige militärische Niederlage abwenden wollten. Wenn ihnen das gelungen wäre, wären in der Tat mehrere 100 000 Menschen gerettet worden, die in den letzten Monaten des Krieges durch Kriegseinwirkungen, durch Massenverbrechen des NS-Regimes noch ihr Leben verloren. Aus antifaschistischer Sicht bedeutender sind ganz sicher solche Aktionen wie das – ebenfalls gescheiterte – Attentat eines Georg Elser vom November 1939, der als Begründung für diese Aktion erklärte, er habe den Krieg verhindern wollen.
Tatsächlich war es eine durchgängige Haltung der antifaschistischen Kräfte, die schon vor 1933 in ihren politischen Parolen betonten: „Wer Hitler wählt, wählt Krieg!“ Und sie kämpften auf den verschiedenen Handlungsfeldern gegen die Kriegsvorbereitung, machten die Aufrüstung deutlich und behinderten die Kriegs- und Rüstungsproduktion. Sie bedurften nach der Befreiung am 8. Mai 1945 keiner „Umerziehung“ durch die Alliierten. Sie selbst hatten bereits in der Illegalität, im Exil, selbst in den Konzentrationslagern gemeinsam politische Programme formuliert, die nicht nur die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln beinhalteten, sondern auch – im Sinne der Vorstellungen der Alliierten, wie sie im Potsdamer Abkommen vom August 1945 formuliert wurden – eine Demilitarisierung des Landes bringen sollten. Dabei war klar, dass es nicht allein um die Ausschaltung der militärischen Einheiten von Wehrmacht und SS-Verbänden gehen durfte, sondern auch um die Überwindung der Militarisierung aller gesellschaftlichen und Lebensbereiche. Es musste die Militarisierung der Wirtschaft überwunden werden, indem nicht mehr Befehl und Gehorsam, nicht mehr die Ausrichtung der Produktion auf Kriegsbedarf stattfand. Das Bildungswesen und die Erziehung der jungen Menschen sollten sich an dem Friedensgebot, nicht an nationalistischen und militaristischen Propagandavorstellungen orientieren.
Wie weit diese Umorientierung gehen sollte, kann man an der Hessischen Landesverfassung ermessen, die als gemeinsames Ergebnis der Kräfte, die für einen antifaschistisch-demokratischen Neubeginn eintraten, anzusehen ist. Dort wurde bezogen auf die Friedensfrage in Artikel 69 festgelegt: „Hessen bekennt sich zu Frieden, Freiheit und Völkerverständigung. Der Krieg ist geächtet. Jede Handlung, die mit der Absicht vorgenommen wird, einen Krieg vorzubereiten, ist verfassungswidrig.“ Und als Erziehungsziel im Geschichtsunterricht heißt es in Artikel 56 wörtlich: „Dabei sind in den Vordergrund zu stellen die großen Wohltäter der Menschheit, die Entwicklung von Staat, Wirtschaft, Zivilisation und Kultur, nicht aber Feldherren, Kriege und Schlachten. Nicht zu dulden sind Auffassungen, welche die Grundlagen des demokratischen Staates gefährden.“
Natürlich dürfen wir uns keine Illusionen machen. Diese antifaschistischen Konsequenzen aus den Erfahrungen des faschistischen Krieges stehen zwar in der Verfassung, sie sind aber von der Verfassungswirklichkeit weit entfernt. Dieser Widerspruch zeigt Nachgeborenen, wie wichtig es ist, sich des Jahrestages der Befreiung von Faschismus und Krieg nicht nur mit „tiefer Betroffenheit“ und Kranzniederlegungen für damalige Opfer zu erinnern, sondern den 8. Mai 1945 zum Ausgangspunkt für heutige Politik zu nehmen, darüber nachzudenken, welche gesellschaftspolitischen Alternativen die Frauen und Männer des antifaschistischen Kampfes formulierten, die uns heute noch Orientierung geben können. Wer von „Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln“ spricht, muss vom Vormarsch der AfD auf Bundes- und Länderebene mehr als schockiert sein. Wenn wir heute gegen die extreme Rechte und ihre Machtansprüche aktiv werden, dann verteidigen wir damit die demokratischen und sozialen Freiheiten und Rechte, die in Konsequenz aus der militärischen Zerschlagung des Faschismus in Verfassungen und gesellschaftliche Normen gegossen wurden. Dabei ist es egal, ob die Angriffe von der AfD selber oder von Regierungsparteien unterschiedlicher Farbigkeit kommen, die glauben, den Stichworten der AfD folgend selber den Abbau von Grundrechten für Flüchtlinge und andere „Fremde“ betreiben zu müssen. So bleibt die Erinnerung an die Befreiung von Faschismus und Krieg in diesem „Jubiläumsjahr“ mehr als die Trauer um die Opfer, es ist eine Orientierung für die Weiterentwicklung unserer Demokratie.
Dr. Ulrich Schneider
Historiker & ehem. Bundessprecher der VVN-BdA
Erschienen in der ZivilCourage Ausgabe 2/2025