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Zivilcourage

28.05.2025

5 Fragen an Wolfram Wette – 80 Jahre Ende des Faschismus

Frage 1: 80 Jahre Ende des Faschismus in Deutschland – es gibt kaum noch Zeitzeug*innen und die AfD und andere rechte Kräfte arbeiten an Geschichtsklitterung: Wie halten wir die Lehren aus der NS-Zeit im Gedächtnis der Menschen?

Unsere Erinnerungskultur ist ein zerbrechliches Gebilde. Das Nicht-Wissen und das Vergessen nehmen zu. Nach einer Umfrage der Jewish Claims Conference wissen etwa 40 Prozent der 18- bis 24-Jährigen in Deutschland nicht, dass in der Zeit des Nationalsozialismus sechs Millionen Jüdinnen und Juden ermordet wurden. Zwölf Prozent der Jugendlichen erklärten, vom Holocaust noch nie gehört zu haben. Noch größer dürfte das Nichtwissen über den deutschen Angriffskrieg auf die Sowjetunion vom 22. Juni 1941 sein, dem 27 Millionen Menschen dieses Landes zum Opfer fielen. Das sind alarmierende Vorgänge, die in ihren Wirkungen weit in das Feld der Politik hineinreichen, auch in die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Jahrzehntelang haben uns die traditionsreichen Parolen „Nie wieder Krieg!“ und „Nie wieder Faschismus!“ eine wegweisende Orientierung gegeben. Jetzt können wir nicht mehr sicher sein, in welchem Umfang sie noch wirksam sind.

Das entstandene Vakuum wird von den Rechtsextremen seit mehr als einem Jahrzehnt für ihre eigenen Zwecke genutzt. Sie reden von einem schädlichen „Schuldkult“, dem sich die Deutschen verschrieben hätten; sie versuchen, die Nazi-Zeit zu einem „Vogelschiss in der 1000-jährigen deutschen Geschichte“ kleinzureden; sie werben mit antidemokratischen, nationalistischen, völkischen und fremdenfeindlichen Parolen. Es droht eine schleichende Normalisierung rechtsextremistischen Denkens in größeren Teilen der Gesellschaft unseres Landes. Jahrzehntelang galt die Einsicht, dass unsere Republik als Antiprogramm, als Gegenstück zur Nazi-Barbarei konzipiert wurde und auch mit Leben erfüllt werden konnte. Wir fühlten uns gestützt durch den demokratischen Rechtsstaat und das Friedensgebot unserer Verfassung. Anders als in „Weimar“ wurde dieser politische Rahmen in der Bundesrepublik über viele Jahrzehnte hinweg allseits akzeptiert. Nun müssen wir uns fragen, in welchem Ausmaß diese Errungenschaften inzwischen brüchig geworden sind.

Wie konnte es dazu kommen? Wie nehmen wir heute die Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 und die Befreiung von der terroristischen Nazi-Diktatur wahr? Drei Generationen sind seitdem nachgewachsen. Aus den individuellen Erinnerungen der Kriegsgeneration ist das erlernte – oder eben nicht erlernte – Wissen der Enkel- und Urenkelgeneration geworden. Die Konturen des Zivilisationsbruchs der Nazi- und Kriegszeit sind blasser geworden.

Die niederländische Geschichte mit den Fluten und den Deichen kann uns helfen, die sich wandelnde Geschichte von „Vergangenheitsbewältigung“ und „Erinnerung“ besser zu verstehen – zugleich auch die möglichen Folgen der heute drohenden Gefahren der Vergessens und Beschönigens. Eine wissenschaftliche Untersuchung zu den Flutkatastrophen in Holland, die das Land im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verwüstet haben, führte zu der folgenden Erkenntnis: Die schwersten Deichbrüche geschahen immer wieder in einem Abstand von ungefähr 100 Jahren. „Nach jeder Katastrophe hat die zu dieser Zeit lebende Generation, die den Dammbruch erlebt hat, mit aller Kraft an der Wiederherstellung und Pflege der Deiche gearbeitet. Die nächste Generation hat sich noch gut um den Schutz vor den Fluten gekümmert, weil sie dies von den Alten so gelernt hatte. Aber schon die dritte Generation, die die Katastrophe nicht mehr aus eigenem Erleben kannte, hat sich kaum noch um den Erhalt der Deiche gekümmert. Es war doch alles in Ordnung, es war doch schon lange nichts mehr passiert, die Sicherheit war doch selbstverständlich. Und so wurden die ersten Risse in den Dämmen von vielen nicht ernst genommen. Man wurde oft erst dann wieder aktiv, wenn es schon zu spät war.“

Ähnlich scheint sich die politische Lage in unserem Land zu entwickeln: „Die Dämme bekommen schon wieder an vielen Stellen Risse. Teils aus Unkenntnis, teils aus grober Missachtung unseres historischen Erbes, teils aus gewissenlosem politischem Kalkül und einer erschreckenden Verrohung des Denkens und Handelns in Teilen der Gesellschaft.“ In dieser Lage braucht es natürlich eine verstärkte historisch-politische Bildung, um den nachgewachsenen Generationen die grundlegenden „Nie wieder!“-Lehren zu erklären und sie mit Leben zu erfüllen.

Frage 2: Wie war es um die DFG während der NS-Zeit bestellt?

Der erste deutsche Nationalstaat entstand 1871 durch Krieg und er ging 1945 im Kriege unter. In diesem Zusammenhang betrachtet, war die Weimarer Republik eine „Zwischenkriegszeit“, in welcher der  gesellschaftliche und politische Militarismus, der für diesen Staat charakteristisch war, fortwirkte.

In den ersten Jahren nach dem Weltkrieg 1914-18 dominierte in der deutschen Gesellschaft eine tief empfundene Friedenssehnsucht. Hunderttausende brachten sie auf den großen „Nie wieder Krieg“-Demonstrationen zum Ausdruck. Aber schon Ende der 1920er-Jahre erhoben die alten nationalistischen und kriegerischen Kräfte wieder ihr Haupt. Der organisierte Pazifismus in Deutschland geriet in die Isolation. Interne Richtungskämpfe behinderten die DFG-Spitze unter Fritz Küster und Generalmajor a. D. Paul Freiherr von Schoenaich in ihrem Kampf gegen den drohenden Faschismus mit dem geschichtsträchtigen Slogan „Hakenkreuz und Stahlhelm sind Deutschlands Untergang!“ sowie gegen den von ihr vorausgesagten Zweiten Weltkrieg. Entscheidend war jedoch der politische Rechtsruck der Gesellschaft. Die nationalistischen politischen Parteien und Verbände erhielten verstärkt Zuspruch. Im Gegenzug gerieten die Anhänger der Demokratie und der Verständigungspolitik mit den Siegermächten des Weltkrieges ins Hintertreffen. Einige erkannten die Gefahr und warnten auf ihren Plakaten mit der Parole „Hitler bedeutet Krieg!“.

Die Pazifisten standen schon lange vor der Machtübernahme der Nazis 1933 auf der Abschussliste der Militärs und Nationalisten. Viele von ihnen erkannten die Gefahr für ihr eigenes Leben und flohen ins Ausland. Unter ihnen waren der weltbekannte Physiker und Nobelpreisträger Albert Einstein und der pazifistische Publizist Kurt Tucholsky. Andere tauchten unter und mieden die Öffentlichkeit. Carl von Ossietzky blieb im Lande, wurde verhaftet und ins Konzentrationslager verschleppt. Der profundeste Kritiker des preußisch-deutschen Militarismus, Friedrich Wilhelm Foerster, hatte Deutschland bereits 1922 Hals über Kopf verlassen, weil ihm das Schicksal Erzbergers und Rathenaus drohte.

Die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG) als mitgliederstärkste Organisation der damaligen Friedensbewegung wurde schon bald nach der Machtübernahme durch die Nazis zerschlagen. Diese gingen dabei so vor, dass sie bereits am 3. März 1933 das Mitgliederorgan der DFG, die Zeitschrift „Das Andere Deutschland“ (AD), „im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ verboten. Am 4. März drang ein großes Polizeiaufgebot in das Büro der DFG und die Redaktionsräume des AD ein und beschlagnahmte sämtliche Akten. Der Herausgeber, Fritz Küster, wurde verhaftet und fünfeinhalb Jahre lang in verschiedenen Konzentrationslagern gefangen gehalten. Schoenaich wurde ebenfalls verhaftet, später aber wieder freigelassen. Damit war die DFG ihres Kommunikationsorgans und ihrer führenden Köpfe beraubt und die Organisation de facto zerstört. Auf lokaler Ebene konnten sich noch einige Ortsgruppen halten und im Geheimen den Zusammenhalt pflegen. Eine Struktur auf höherer Ebene existierte jedoch nicht mehr.

Die von der NS-Regierung in Gang gesetzte Verfolgungswelle gegen ihre politischen Gegner richtete sich vor allem gegen die Pazifisten. Auf der ersten Ausbürgerungsliste des Deutschen Reiches vom 25. August 1933 war ein Drittel der Betroffenen Pazifisten. „Von nun an“, konstatiert der Historiker des Pazifismus in Deutschland, Karl Holl, „sollte sich die Geschichte der deutschen Friedensbewegung in lauter gefährdete Einzelschicksale auflösen.“

Frage 3: Wie steht es deiner Meinung nach 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges und des Nationalsozialismus mit dem Militarismus in Deutschland?

In den Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bildeten sich in den beiden deutschen Staaten Zug um Zug – mit etlichen Unterschieden – pazifizierte Gesellschaften heraus. Bei einem Großteil der Deutschen vollzog sich ein tiefgreifender Mentalitätswandel. Die Menschen vermochten sich von ihrer militaristisch geprägten Vergangenheit zu lösen und nach und nach eine Zivilgesellschaft zu gestalten. Sie wollten Demokratie und Frieden. Auch lernten sie, dass es sich selbst auf engerem Raum ohne Krieg gut leben lässt. Nach dem Ende des Kalten Krieges 1989 erschien die Vorstellung, dass die deutsche Gesellschaft „kriegstüchtig“ sein müsse, als abwegig und aus der Zeit gefallen.

Anerkennend schrieb der amerikanische Historiker James Sheehan im Jahre 2008 über „Europas langen Weg zum Frieden“. Auf diesem Kontinent, besonders in Deutschland, habe sich nach 1945 der „Aufstieg des zivilen Staates“ vollzogen. Die militaristischen Tendenzen seien immer mehr zurückgedrängt worden zugunsten der wachsenden Mentalität der Friedfertigkeit. Diese Sicht wird von Analysen der deutschen Historischen Friedensforschung gestützt.

Zu berücksichtigen ist aber auch, dass die Bundesrepublik bis zur Wiedervereinigung Objekt der Politik war und keine eigenständige Außenpolitik unabhängig von den Supermächten betreiben konnte. Der Kriegsfaktor par excellence im 20. Jahrhundert war seit 1945 ausgeschaltet, was uns in erster Linie eine lange Friedenszeit garantiert hat. Kaum wieder zum Subjekt der Politik geworden, begann die deutsche Außenpolitik erneut auf machtpolitisch orientierten Pfaden zu wandeln, die inzwischen unter europäischem Vorzeichen auf ein neues weltpolitisches Engagement hinauslaufen.

Im Kontext des Ukrainekrieges erleben wir nun seit 2022 ein erschreckendes Wiederaufflammen militaristischer – genauer gesagt: bellizistischer – Denk- und Verhaltensweisen in unserem Land. Das ist einerseits eine Reaktion auf die Aggression Russlands, die nun schon über einen Zeitraum von über drei Jahre hinweg Tod und Zerstörung über die Ukraine gebracht hat. Andererseits erliegen immer mehr Menschen dem Stakkato der von den USA und der NATO gesteuerten Kriegspropaganda, die behauptet, der kriegerische Konfliktaustrag sei ohne Alternative. Dadurch verengte sich das Meinungsspektrum zunehmend. Die Debatten werden giftiger und unversöhnlicher. Inzwischen scheinen fast zwei Drittel der Deutschen den Regierungskurs zu unterstützen.

Das Kulturgut „deutsche Zivilgesellschaft“ steht also unter massivem Druck. Mit „Zeitenwende“ und „Kriegstüchtigkeit“ meinen die Protagonisten nicht nur das deutsche Militär, die Bundeswehr. Ihr Ziel lautet vielmehr, die gesamte Gesellschaft für „den Krieg“ zu ertüchtigen. Begründet wird alles mit der – durch nichts bewiesenen – Behauptung, Putin-Russland habe womöglich die Absicht, sich nach der Ukraine auch das Baltikum und dann andere europäische Länder einzuverleiben. Das ist plattes Feindbilddenken. Es speist sich aus einer Dämonisierung des Kremlchefs als Verkörperung des Bösen, nämlich angeblich immanenter russischer Aggressivität. Die genaue Analyse der längerfristigen Ursachen dieses Krieges könnte helfen, in die Realität zurückzufinden. „Kopfklärungen“ bieten beispielsweise die Autoren Patrik Baab, Jacques Baud, Gabriele Krone-Schmalz, Harald Kujat, John J. Mearsheimer, Emmanuel Todd und Günter Verheugen, um nur einige aus dem Lager der Minderheit zu nennen, die es wagte, sich gegen den Mainstream zu stellen.

Wir vernehmen die Rufe nach personeller Aufrüstung, nach Wiedereinführung der Wehrpflicht, nach Rüstungsforschung an unseren Universitäten und Hochschulen, nach ungebremstem Hochfahren der Waffenproduktion, nach Akzeptanz für eine neue, kriegerische Wirklichkeit. Im Jahr 2025 scheinen die Schleusen für eine unbegrenzte Finanzierung der Aufrüstung vollends geöffnet zu werden.

An Friedensinitiativen hat es die deutsche Regierung dagegen in vergangenen drei Jahren komplett fehlen lassen. Auch hat sie es widerspruchslos hingenommen, dass die führende Macht des Westens bereits im April 2022 Erfolg versprechende Friedensverhandlungen (Istanbul) zwischen Russland und der Ukraine zurückpfiff. Dabei beauftragt unser Grundgesetz doch die Regierung unseres Landes ausdrücklich, „in einem vereinigten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“.

Frage 4: Was können wir tun, um einem aufflammenden Militarismus und einer vorherrschenden gesellschaftlichen Kriegslogik Einhalt zu gebieten?

Manche befürchten, mit dem Schock, den der russische Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 in der deutschen Bevölkerung ausgelöst hat, sei schlagartig auch die richtungsweisende Parole „Nie wieder Krieg!“ komplett über Bord gegangen. Tatsächlich hat es infolge des Ukrainekrieges im Denken vieler unserer Landsleute so etwas wie eine „Zeitenwende“ gegeben. Zu den guten Nachrichten gehört allerdings, dass sich andere Menschen trotz des Schocks über das Zerbrechen der als sicher geglaubten europäischen Friedensordnung eine kriegskritische Haltung bewahrt haben. Das Drängen auf eine schleunige Kriegsbeendigung durch Verhandlungen als Alternative zu immer neuen, eskalierenden  Waffenlieferungen deutet jedenfalls in diese Richtung. In den beiden ersten Jahren dieses Krieges soll dies – manchen Umfragen zufolge – sogar eine Mehrheit der Bevölkerung gewesen sein. Können wir das als einen Hinweis darauf lesen, dass die Leitlinie „Nie wieder Krieg!“ für viele Menschen trotz der wieder aufgeflammten Kriegsbejahung ihre Gültigkeit nicht verloren hat? Kann man hoffen, dass sich beim anzustrebenden Wiederaufbau einer europäischen Friedensordnung wieder an die zivilisatorischen Errungenschaften aus der Zeit vor dem Ukrainekrieg anknüpfen lässt?

Erneut tut Aufklärung not: Wir können deutlich machen, dass es zu der drohenden Militarisierung und dauerhaften Verfeindung eine Alternative gibt, nämlich die Vision einer „gemeinsamen Sicherheit“, die in Europa schon einmal die Politik bestimmt hat. In der „Charta von Paris für ein neues Europa“ aus dem Jahre 1990 ist alles vorgedacht, was wir brauchen.

Auf dem Wege dorthin müssen wir Feindbilder abbauen helfen, die Akteure der anderen Seite entdämonisieren und über die längerfristigen Ursachen des Ukrainekrieges aufklären. Klaus von Dohnanyis Diktum ist in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung: „Putin ist der Aggressor, aber die Möglichkeit, den Krieg zu verhindern, lag beim Westen.“ Wir müssen selbst Friedensinitiativen ergreifen und andere unterstützen. Wir müssen für unsere grundlegenden Einsichten werben: Frieden ist möglich und machbar. Verhandeln statt schießen. Diplomatie verlangt Empathie, nicht Sympathie.

Vielleicht erleben wir eine neue Bewegung „von unten“, einen Aufstand der derzeit noch schweigenden Mehrheit in der Bevölkerung für eine Zukunft, die sich noch einmal von der Vision eines friedfertigen „Gemeinsamen Hauses Europa“ leiten lässt. Dabei müssen wir nicht alles neu erfinden. Wir können auf die Erfahrungen des sogenannten Helsinki-Prozesses zurückgreifen. Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) auf der Basis gegenseitiger Vertrauensbildung sind schon einmal erfolgreich praktiziert worden.

Frage 5: Mit deiner Erfahrung von mehreren Jahrzehnten als Historiker: Was kannst du den Friedensaktivist*innen heute mit auf den Weg geben?

Seit meinem Studium hat mich die Problematik von Krieg und Frieden beschäftigt. Besonders interessieren mich die beiden folgenden Fragen: Wie können wir die Ursachen von Kriegen erforschen – als notwendige Voraussetzung für eine Politik der Kriegsverhütung? Mit welchen Behauptungen haben die jeweils Regierenden die wahren Motive für ihre Kriegspolitik propagandistisch zu verschleiern versucht?

Nach und nach verstand ich, welch große Rolle in der Geschichte metaphysische Kriegserklärungen bei der Vertuschung banaler Realitäten spielten. Mir wurde klar: Krieg ist kein Naturereignis, er ist nicht „der Vater aller Dinge“, er ist nicht „gottgewollt“ und auch kein Gottesgericht. Hinter solchem Blendwerk wurden die realen Kriegsursachen im Nebel des Unfassbaren zum Verschwinden gebracht. Das Ziel war, Fatalismus zu produzieren.

Gegen Ende meines Studiums wurde der Sozialdemokrat Gustav W. Heinemann zum Bundespräsidenten gewählt. Seine erste Rede vor dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat in Bonn am 1. Juli 1969 ließ mich aufhorchen. Er sagte dort: „Ich sehe als erstes die Verpflichtung, dem Frieden zu dienen. Nicht der Krieg ist der Ernstfall, in dem der Mann sich zu bewähren habe, wie meine Generation in der kaiserlichen Zeit auf den Schulbänken lernte, sondern der Frieden ist der Ernstfall, in dem wir uns alle zu bewähren haben. Hinter dem Frieden gibt es keine Existenz mehr.“ Etwas später, bei der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung (DGFK), wandte er sich speziell an die Historikerinnen und Historiker: „Unendlicher Fleiß ist seit erdenklichen Zeiten von Geschichtsschreibern darauf verwandt worden, den Verlauf von Schlachten und Kriegen darzustellen. Auch den vordergründigen Ursachen von Kriegen wurde nachgespürt. Aber nur wenig Kraft, Energie und Mühe wurden in aller Regel darauf verwandt, sich darüber Gedanken zu machen, wie man sie hätte vermeiden können.“

Mit dem Projekt „Ernstfall Frieden“ waren für mich die Weichen für mein weiteres Berufsleben gestellt. Zur zentralen Frage wurde die nach einer Politik der Kriegsverhinderung, die sich aus einer Analyse der längerfristig wirkenden Kriegsursachen ergeben konnte. Als leichtfertig und wenig zielführend empfand ich manche Begriffe in den Debatten der Friedensforscher, etwa die Bezeichnung von Nicht-Krieg als „negativer Frieden“. Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass Frieden mehr sei als die Abwesenheit von Krieg. Aber das kostete einen Preis: Ungewollt wurde die zentrale politische Aufgabe der Kriegsverhinderung mit dem Begriff „negativ“ in Verbindung gebracht. Willy Brandt war da viel klarer, wenn er formulierte: „Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.“

Ohne Erforschung der tieferen Ursachen kommt man auch nicht an die Wurzeln des Ukrainekrieges heran. Sie werden bis heute durch Kriegspropaganda und Freund-Feind-Denken im Dunkeln gelassen. So wird es kaum gelingen, tragfähige und belastbare Wege aus dem Krieg zu finden.

Bei meiner Arbeit als Historiker und Friedensforscher war mir die Erkenntnis hilfreich, dass sich in der jüngeren Geschichte Deutschlands jeweils zwei Strömungen gegenüberstanden, eine militaristische und eine pazifistische. Das sind verallgemeinernde Sammelbegriffe für Kriegsbejahung und Militarismus einerseits und für Diplomatie, Verständigungspolitik und Frieden andererseits. Diese beiden Strömungen gibt es bis heute. Der zivilisatorische Fortschritt in Sachen Frieden, den sich die deutsche Gesellschaft seit 1945 erarbeitet hat, lässt sich – so bleibt zu hoffen – nur vorübergehend zurückdrehen. Wir haben es in der Hand, die richtige Seite zu stärken und sie mit unserem Sachverstand und Engagement zu unterstützen und voranzubringen.

Erschienen in der ZivilCourage Ausgabe 2/2025.

Die Fragen stellte Yannick Kiesel.

Kategorie: Zivilcourage

07.05.2025

Friedensfähig statt erstschlagfähig!

von Jürgen Wagner

Immer wenn im Westen von Fähigkeits- oder Raketenlücken gesprochen wird, ist allergrößte Vorsicht geboten. Nur allzu oft stellten sich Behauptungen über die Hochrüstung erklärter Gegner als glatte Lüge oder zumindest als grobe Übertreibungen heraus, um die eigenen Rüstungsbestrebungen zusätzlich zu befeuern. So auch im jüngsten Fall, der geplanten Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland, deren katastrophalen Folgen sich schon jetzt immer deutlicher abzeichnen. Umso wichtiger ist es, dass sich allmählich unter anderem mit der Kampagne „Friedensfähig statt erstschlagfähig!“ auch Widerstand dagegen formiert.

Fähigkeitslücke…

Auffällig ist zunächst, wie dünn die gerade einmal vier läppischen Sätze daherkommen, mit denen eine deutsch-amerikanische Erklärung vom 10. Juli 2024 das Vorhaben ankündigte, ab 2026 diverse US-Mittelstreckensysteme hierzulande für die „Abschreckung“ zu stationieren. Eine nicht viel ausführlichere Begründung lieferte Verteidigungsminister Boris Pistorius nahezu parallel dazu mit folgenden Worten ab: „Wir reden hier über eine durchaus ernst zu nehmende Fähigkeitslücke in Europa.“ (Spiegel Online, 11.07.2024)

Fast zehn Tage später schoben dann die Parlamentarischen Staatssekretäre Siemtje Möller (Verteidigung) und Tobias Lindner (Auswärtiges Amt) in einem Schreiben an den Außen- und Verteidigungsausschuss des Bundestages eine etwas ausführlichere Begründung nach: „Russland hat in den vergangenen Jahren massiv im Bereich weitreichender Raketen und Marschflugkörper aufgerüstet. […] Wir beobachten, dass Art und Umfang der massiven russischen Aufrüstung auch über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hinaus zur Aufstellung und Stärkung von gegen den Westen gerichteten Fähigkeiten und Kapazitäten genutzt werden.“ (Siemtje Möller/Tobias Lindner, Spiegel Online, 19.7.2024)

Viel kam danach nicht mehr, im Wesentlichen ist es bei dieser knappen Argumentation geblieben, die viele Expert*innen aus guten Gründen für wenig überzeugend halten. Die wohl lauteste kritische Stimme ist Oberst a.D. Wolfgang Richter, der als früherer Abteilungsleiter beim Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr wissen dürfte, von was er da spricht: „Generell sind die Luft- und Seestreitkräfte der NATO denen Russlands qualitativ und quantitativ deutlich überlegen. […] Die Behauptung einer so genannten Fähigkeitslücke als Begründung für eine Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen ist nicht nachvollziehbar.“ (Richter, Wolfgang: Stationierung von U.S. Mittelstreckenraketen in Deutschland. Konzeptioneller Hintergrund und Folgen für die europäische Sicherheit, FES-Studie, Juli 2024)

Stationierungsbefürworter wie der Wissenschaftler Jonas Schneider und Bundeswehr-Oberst Torben Arnold begründen in einem Papier für die regierungsberatende „Stiftung Wissenschaft und Politik“ ihre Position folgendermaßen: „Moskau verfügt über den Marschflugkörper SSC-8 (Zahl im hohen zweistelligen Bereich), der den INF-Vertrag 2019 zu Fall brachte, seit 2023 über die Raketen Zolfaghar aus Iran (rund 400 Stück) und KN-23 aus Nordkorea (etwa 50 Stück). Die seegestützten Hyperschall-Marschflugkörper Zirkon (Zahl im hohen zweistelligen Bereich) verschießt Russland seit 2024 auch von Land aus. Von seiner ballistischen Iskander-Version SS-26 müsste Moskau trotz ihres Einsatzes gegen die Ukraine noch deutlich über 100 Stück haben (Fachleute betrachten die SS-26 als Mittelstreckenwaffe.) Die Bilanz: Russland besitzt weit über 500 bodengestützte Mittelstreckenflugkörper, die Nato in Europa bislang keinen einzigen.“ (Jonas Schneider/Torben Arnold, SWP-Aktuell, Nr. 36/2024)

Selbst wenn man diese – womöglich deutlich zu hoch gegriffene – Zahl für bare Münze nehmen sollte, wird allerdings noch lange kein Rüstungsschuh daraus. Wolfgang Richter und andere weisen darauf hin, dass Russland zwar tatsächlich über deutlich mehr landgestützte Kurz- und womöglich auch Mittelstreckenwaffen verfügt als die NATO, dies aber durch deren Überlegenheit bei see- und luftgestützten Waffensystemen mehr als wettgemacht werde. So etwa auch Ulrich Kühn vom Forschungsbereich „Rüstungskontrolle und Neue Technologien“ am „Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik“ Hamburg: „Es stimmt, dass Europa bisher nicht über bodengestützte Abstandswaffen in diesem Spektrum verfügt. Allerdings verfügen Nato-Staaten über luft- und seegestützte Mittelstreckenraketen, weshalb keine generelle Fähigkeitslücke besteht.“ (Ulrich Kühn, ISFH, Neues Deutschland, 30.8.2024)

In der Berliner Zeitung (25.12.2024) unterlegte Wolfgang Richter sein Argument, es existiere keine Fähigkeitslücke, mit konkreten Zahlen: „Insgesamt sind die in Europa stationierten See- und Luftstreitkräfte der Nato mit 2200 Kampfflugzeugen und mehr als 3000 weitreichenden Marschflugkörpern den russischen (etwa 1200 Kampfflugzeuge) weit überlegen, sowohl qualitativ als auch quantitativ. Auch wird das Moskauer Raketenpotenzial, das Kiew jüngst mit 1800 bezifferte, trotz der hohen Produktionsraten durch den Ukrainekrieg stetig dezimiert.“

… oder Angriffswaffen?

Von einer russischen Überlegenheit kann also keine Rede sein, eine Fähigkeitslücke existiert nicht, es sei denn, man will unbedingt die speziellen Eigenschaften landgestützter Waffensysteme nutzen. See- und luftgestützte Waffen brauchen länger, um ihr Ziel zu erreichen, es bleibt Zeit für die Lagefeststellung und für einen etwaigen Gegenschlag, sie sind damit per se nur bedingt offensiv für Überraschungsangriffe auf strategische Ziele (Radaranlagen, Raketensilos, Kommandozentralen…) geeignet – ganz im Gegenteil zu den ultraschnellen und hochmobilen landgestützten Systemen, die nun in Deutschland stationiert werden sollen.

Und genau in dieser Eigenschaft erblicken Stationierungsbefürworter wie die bereits zitierten Jonas Schneider und Torben Arnold den „Wert“ dieser Waffen: „Marschflugkörper, die von Flugzeugen abgefeuert werden, müssen zuerst in die Luft gebracht werden, wodurch wertvolle Zeit verlorengeht. […] Verfügbare seegestützte Marschflugkörper haben entweder zu kurze Reich­weiten oder sind wegen ihrer eher geringen Geschwindigkeit zu lange unterwegs für zeitkritische Ziele im russischen Kernland. […] Nicht nur die LRHW [Hyperschallwaffe Dark Eagle], auch die SM 6-Version der Army fliegen mit über fünf­facher Schallgeschwindigkeit und sind im Zielanflug manövrierbar. Daher sind sie hocheffektiv gegen mobile Ziele und sehr schwer abzufangen, selbst für moderne Raketenabwehr. Die Dark Eagle ist mit bis zu 17-facher Schallgeschwindigkeit kaum zu stoppen. Mit dieser hohen Eindringfähigkeit sind beide Waffen ideal, um auch solche russischen Hochwertziele auszuschalten, die gezielt geschützt werden.“ (Jonas Schneider/Torben Arnold, SWP-Aktuell, Nr. 36/2024)

Noch deutlicher wurde ihre Kollegin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, Claudia Major, die in einem viel zitierten Beitrag  bereits im Sommer 2024 folgende Sätze zum Besten gab: „Die Tomahawks sollen bis zu 2500 Kilometer weit fliegen können, könnten also Ziele in Russland treffen. Und ja, genau darum geht es. […] So hart es klingt. Im Ernstfall müssen NATO-Staaten auch selbst angreifen können, zum Beispiel, um russische Raketenfähigkeiten zu vernichten, bevor diese NATO-Gebiet angreifen können, und um russische Militärziele zu zerstören, wie Kommandozentralen.“ (Claudia Major, Stiftung Wissenschaft und Politik, Handelsblatt, 19.07.2024)

Risiken und Nebenwirkungen

Die katastrophalen Folgen der Stationierungspläne sind schon heute offensichtlich. All das wäre unmöglich gewesen, hätten die USA nicht im Februar 2019 unter zumindest zweifelhaften Anschuldigungen den INF-Vertrag gekündigt, der u.a. Produktion, Besitz und Stationierung landgestützter Kurz- und Mittelstreckenwaffen mit Reichweiten zwischen 500km und 5.500km verbot. Auch der anschließende russische Vorschlag für ein beiderseitiges Moratorium wurde abgelehnt und umgehend schon lange ausgearbeitete US-Pläne zur Entwicklung neuer Waffensysteme aus der Schublade geholt.

Dennoch hielt sich Russland aus seiner Sicht lange an das Moratorium: Im Prinzip hatte sich dieses Moratorium aber mit dem mit einer russischen Mittelstreckenrakete („Oreshnik“) am 21. November 2024 erfolgten Angriff auf Ziele in der Ukraine erledigt – auch wenn Russland die Angriffe zynisch noch als „Live-Test“ bezeichnete. Gleichzeitig wurde die umfassende Produktion und gegebenenfalls Stationierung dieser und anderer Mittelstreckenwaffen angekündigt, sollte der Westen nicht von seinen Plänen abrücken. „Wir entwickeln Mittelstrecken- und Kurzstreckenraketen als Antwort auf die Pläne der Vereinigten Staaten, Mittelstrecken- und Kurzstreckenraketen in Europa und im asiatisch-pazifischen Raum zu produzieren und zu stationieren. […] Ich möchte Sie daran erinnern, dass Russland sich freiwillig und einseitig verpflichtet hat, keine Mittelstrecken- und Kurzstreckenraketen zu stationieren, solange amerikanische Waffen dieser Art in keiner Region der Welt auftauchen. […] Die Frage der weiteren Stationierung von Raketen mittlerer und kürzerer Reichweite wird von uns in Abhängigkeit von den Aktionen der Vereinigten Staaten und ihrer Satelliten entschieden werden.“ (Wladimir Putin, Rede, 21.11.2024)

So gefährlich diese Entwicklung ist, überraschen kann sie nicht, sie wurde von verschiedenen Seiten exakt so vorhergesagt (siehe IMI-Studie 2024/07). Genauso wurde früh davor gewarnt, Russland werde sich gezwungen sehen, etwaige Pläne zur Stationierung landgestützter Mittelstreckenwaffen mit einer Absenkung seiner nuklearen Einsatzschwelle zu kontern – und auch dies ist mit der neuen russischen Nukleardoktrin geschehen, die am 19. November 2024 in Kraft gesetzt wurde: „Diese Veränderung läuft auf eine erhebliche Absenkung der Schwelle für einen atomaren Ersteinsatz in einem bis dahin konventionellen Krieg und damit auf eine Erhöhung des Risikos einer unkontrollierbaren atomaren Eskalation hinaus.“ (Rainer Böhme und Wolfgang Schwarz, Das Blättchen, 2.12.2024)

Außerdem ist es plausibel, dass ein weiterer prognostizierter Kollateralschaden der Stationierungspläne eintreten wird: Im Februar 2026 läuft der letzte große russisch-amerikanische Rüstungskontrollvertrag („New Start“) aus. Er verpflichtet beide Seiten, Obergrenzen der strategischen Waffen mit interkontinentaler Reichweite einzuhalten, sowohl was die nuklearen Sprengköpfe (1.550) als auch die Trägersysteme (800) anbelangt. Bleibt es bei der Stationierungsentscheidung, dürften die ohnehin geringen Aussichten auf eine  Verlängerung gegen Null sinken. Die Kontrahenten haben tausende Sprengköpfe eingelagert, die binnen kurzer Zeit montiert werden könnten. Auch mit der Produktion neuer Sprengköpfe wäre zu rechnen – und ebenso damit, dass dann andere Atomwaffenstaaten ihre Arsenale ebenfalls noch weiter ausbauen würden.

Kampagne formiert sich

Allein diese unvollständige Aufzählung einiger der katastrophalen Auswirkungen der Stationierungspläne sollte als Motivation ausreichen, sich gegen diese Waffensysteme zu engagieren.

Am 3. Oktober 2024 wurde hierfür der Berliner Appell „Gegen neue Mittelstreckenwaffen und für eine friedliche Welt“ bei der Friedensdemonstration in Berlin gestartet. Er wurde bislang von über 37.000 Menschen unterzeichnet (Stand: 10.2.2025). Im November 2024 wurde darüber hinaus die Kampagne „Friedensfähig statt erstschlagfähig!“ ins Leben gerufen, der sich mittlerweile über 50 zivilgesellschaftliche Gruppen angeschlossen haben. Auf friedensfaehig.de, der Internetseite der Kampagne, heißt es: „Ziel der Kampagne ‚Friedensfähig statt erstschlagfähig: Für ein Europa ohne Mittelstreckenwaffen!‘ ist es, möglichst breite und bundesweite Proteste gegen die geplante Stationierung landgestützter US-Marschflugkörper, Hyperschallwaffen und Raketen in Deutschland zu bündeln. Wir wollen über die Risiken und Gefahren der Stationierung aufklären und so die dringend nötige Debatte lostreten, vor der sich der Bundeskanzler seit der Ankündigung der Stationierung im Juli 2024 drückt.“

Damit dies gelingt und die Kampagne Fahrt aufnimmt, werden auch weitere Gruppen gesucht, die sich ihr anschließen. Eine Mehrheit der Bevölkerung spricht sich jetzt schon gegen die Stationierungspläne aus, es besteht also durchaus die Aussicht, zahlreiche Menschen hinter den Forderungen zu versammeln, die sich auf der Internetseite der Kampagne „Friedensfähig statt erstschlagfähig!“ finden lassen:

—  Stopp der geplanten Stationierung neuer US-Mittelstreckensysteme in Deutschland

—  Abbruch der Projekte zur Entwicklung eigener europäischer Hyperschallwaffen und Marschflugkörper, an denen Deutschland sich beteiligen will

—  Neue Initiativen für gemeinsame Sicherheit und Zusammenarbeit und die langfristige Vision einer neuen Friedensordnung in Europa

— Dialog statt Aufrüstung: Wiederaufnahme von Verhandlungen über Rüstungskontrolle und (nukleare) Abrüstung (z.B. für ein multilaterales Folgeabkommen zum INF-Vertrag)

Jürgen Wagner ist geschäftsführender Vorstand bei der Informationsstelle Militarisierung

Kategorie: Zivilcourage

17.04.2025

80 Jahre Befreiung von Faschismus und Krieg

In diesem Jahr erinnern Antifaschisten nicht nur in diesem Land an den 80. Jahrestag der Zerschlagung der Nazibarbarei durch die militärischen Einheiten der Alliierten und der gesellschaftlichen Kräfte der Anti-Hitler-Koalition. Und so ist es auch verständlich, warum in einer Zeitschrift, die sich eigentlich an aktive Pazifisten wendet, ein solches – auch militärisches – Ereignis gefeiert werden kann. Denn tatsächlich gilt es an diesem Datum nicht nur an die militärische Befreiung zu erinnern, die das Ende des NS-Regimes bedeutet hat, sondern auch an diejenigen Frauen und Männer, die durch ihren persönlichen Einsatz selbst unter den Bedingungen der Verfolgung dazu beigetragen haben, dass die politische Befreiung möglich wurde und die Grundlagen gelegt wurden für einen antifaschistisch-demokratischen Neuanfang, der von dem Motto des Schwurs der überlebenden Häftlinge des KZ Buchenwald geleitet wurde: „Schaffung einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit“.

Wer waren die gesellschaftlichen Kräfte der Anti-Hitler-Koalition in Deutschland? Aus Frankreich, Italien und eigentlich allen vom deutschen Faschismus besetzten Ländern sind die Kräfte der Résistance oder Partisanenbewegungen bekannt, die – auch mit der Waffe in der Hand – sich für die Freiheit ihrer Heimat eingesetzt haben. Selbst in Deutschland gab es mutige Frauen und Männer, die – natürlich unter den Bedingungen der Konspiration – zu ihrer Überzeugung standen und dafür wirkten. Dass sie sich damit den Zielen des NS-Regimes entgegenstellten, war ihnen bewusst. Dazu gehörten nicht nur die Anhänger und Funktionäre der Arbeiterparteien, die schon vor 1933 den Vormarsch der NSDAP und ihrer Verbände bekämpft hatten. Sie waren die ersten Verfolgten, die den Massenverhaftungen ausgesetzt waren, deren Tätigkeit, Organisationen und Publikationen verboten wurden. Auch Menschen, deren religiöse Überzeugung in Widerspruch zu den Zielen der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung geriet, wurden so gezwungenermaßen Widerständler, selbst wenn sie dies gar nicht beabsichtigten. „Zeugen Jehovas“, deren grundsätzlich pazifistische Überzeugung dazu führte, dass junge Männer sich weigerten, Dienst in der Wehrmacht zu tun, wurden wegen Wehrkraftzersetzung verhaftet und teilweise sogar in ein Konzentrationslager verschleppt. Eines der bekannten Beispiele ist der Hamburger Jugendliche Helmuth Hübener, der im Oktober 1942 als jüngstes Opfer in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde.

All diejenigen, die bei Sabotage in der Rüstungsindustrie oder bei Propaganda gegen die faschistische Kriegspolitik von der Gestapo gefasst wurden, galten als Hochverräter – nicht wenige wurden während des Krieges zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Zum Widerstand gegen den Krieg gehörte auch die Solidarität mit den ausländischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern, die – anstelle der für den Kriegseinsatz mobilisierten deutschen Arbeitskräfte – die Kriegs- und Rüstungsproduktion am Laufen halten sollten. Diesen Menschen, die aus der Sicht der faschistischen Herrenmenschen und der Rüstungsunternehmer zu den Arbeitssklaven gehörten, solidarisch zu begegnen und ihnen – oftmals bescheidene – Hilfe zukommen zu lassen, war Teil des deutschen Widerstandes, der sich gegen den faschistischen Krieg richtete. Wie menschenverachtend die Kriegsideologie des NS-Regimes war, zeigte Heinrich Himmler, als er im Oktober 1943 bei einer SS-Gruppenführertagung über den Zwangsarbeitereinsatz sagte, es sei ihm egal, wenn bei dem Ausheben eines Panzergrabens 10 000 „Russenweiber“ krepierten, wichtig sei nur, der Panzergraben würde fertig. Später änderte sich ein solcher Raubbau an den Arbeitssklaven. Nun sollte mit der „Vernichtung durch Arbeit“ deren Arbeitskraft bis zum letzten Blutstropfen für den faschistischen Krieg mobilisiert werden.

Es ist bis heute erinnernswert, in welchem Umfang der antifaschistische Widerstand sich gegen die Verlängerung des Krieges und für die Rettung der Zivilisten einzusetzen versuchte. Und damit ist nicht das gescheiterte Attentat der Offiziere des 20. Juli 1944 gemeint, die „5 vor 12“ mit diesem Schritt die endgültige militärische Niederlage abwenden wollten. Wenn ihnen das gelungen wäre, wären in der Tat mehrere 100 000 Menschen gerettet worden, die in den letzten Monaten des Krieges durch Kriegseinwirkungen, durch Massenverbrechen des NS-Regimes noch ihr Leben verloren. Aus antifaschistischer Sicht bedeutender sind ganz sicher solche Aktionen wie das – ebenfalls gescheiterte – Attentat eines Georg Elser vom November 1939, der als Begründung für diese Aktion erklärte, er habe den Krieg verhindern wollen.

Tatsächlich war es eine durchgängige Haltung der antifaschistischen Kräfte, die schon vor 1933 in ihren politischen Parolen betonten: „Wer Hitler wählt, wählt Krieg!“ Und sie kämpften auf den verschiedenen Handlungsfeldern gegen die Kriegsvorbereitung, machten die Aufrüstung deutlich und behinderten die Kriegs- und Rüstungsproduktion. Sie bedurften nach der Befreiung am 8. Mai 1945 keiner „Umerziehung“ durch die Alliierten. Sie selbst hatten bereits in der Illegalität, im Exil, selbst in den Konzentrationslagern gemeinsam politische Programme formuliert, die nicht nur die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln beinhalteten, sondern auch – im Sinne der Vorstellungen der Alliierten, wie sie im Potsdamer Abkommen vom August 1945 formuliert wurden – eine Demilitarisierung des Landes bringen sollten. Dabei war klar, dass es nicht allein um die Ausschaltung der militärischen Einheiten von Wehrmacht und SS-Verbänden gehen durfte, sondern auch um die Überwindung der Militarisierung aller gesellschaftlichen und Lebensbereiche. Es musste die Militarisierung der Wirtschaft überwunden werden, indem nicht mehr Befehl und Gehorsam, nicht mehr die Ausrichtung der Produktion auf Kriegsbedarf stattfand. Das Bildungswesen und die Erziehung der jungen Menschen sollten sich an dem Friedensgebot, nicht an nationalistischen und militaristischen Propagandavorstellungen orientieren.

Wie weit diese Umorientierung gehen sollte, kann man an der Hessischen Landesverfassung ermessen, die als gemeinsames Ergebnis der Kräfte, die für einen antifaschistisch-demokratischen Neubeginn eintraten, anzusehen ist. Dort wurde bezogen auf die Friedensfrage in Artikel 69 festgelegt: „Hessen bekennt sich zu Frieden, Freiheit und Völkerverständigung. Der Krieg ist geächtet. Jede Handlung, die mit der Absicht vorgenommen wird, einen Krieg vorzubereiten, ist verfassungswidrig.“ Und als Erziehungsziel im Geschichtsunterricht heißt es in Artikel 56 wörtlich: „Dabei sind in den Vordergrund zu stellen die großen Wohltäter der Menschheit, die Entwicklung von Staat, Wirtschaft, Zivilisation und Kultur, nicht aber Feldherren, Kriege und Schlachten. Nicht zu dulden sind Auffassungen, welche die Grundlagen des demokratischen Staates gefährden.“

Natürlich dürfen wir uns keine Illusionen machen. Diese antifaschistischen Konsequenzen aus den Erfahrungen des faschistischen Krieges stehen zwar in der Verfassung, sie sind aber von der Verfassungswirklichkeit weit entfernt. Dieser Widerspruch zeigt Nachgeborenen, wie wichtig es ist, sich des Jahrestages der Befreiung von Faschismus und Krieg nicht nur mit „tiefer Betroffenheit“ und Kranzniederlegungen für damalige Opfer zu erinnern, sondern den 8. Mai 1945 zum Ausgangspunkt für heutige Politik zu nehmen, darüber nachzudenken, welche gesellschaftspolitischen Alternativen die Frauen und Männer des antifaschistischen Kampfes formulierten, die uns heute noch Orientierung geben können. Wer von „Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln“ spricht, muss vom Vormarsch der AfD auf Bundes- und Länderebene mehr als schockiert sein. Wenn wir heute gegen die extreme Rechte und ihre Machtansprüche aktiv werden, dann verteidigen wir damit die demokratischen und sozialen Freiheiten und Rechte, die in Konsequenz aus der militärischen Zerschlagung des Faschismus in Verfassungen und gesellschaftliche Normen gegossen wurden. Dabei ist es egal, ob die Angriffe von der AfD selber oder von Regierungsparteien unterschiedlicher Farbigkeit kommen, die glauben, den Stichworten der AfD folgend selber den Abbau von Grundrechten für Flüchtlinge und andere „Fremde“ betreiben zu müssen. So bleibt die Erinnerung an die Befreiung von Faschismus und Krieg in diesem „Jubiläumsjahr“ mehr als die Trauer um die Opfer, es ist eine Orientierung für die Weiterentwicklung unserer Demokratie. 

Dr. Ulrich Schneider
Historiker & ehem. Bundessprecher der VVN-BdA

Erschienen in der ZivilCourage Ausgabe 2/2025

Kategorie: Zivilcourage

24.03.2025

Krieg gegen die Erde: Militär und Klima

Die Diskussion um die Rolle des Militärs und dessen Beitrag zu globalen Emissionen ist ein oft übersehener, aber entscheidender Aspekt bei internationalen Klimakonferenzen wie der COP29, die dieses Jahr in Baku stattfand, übrigens zum dritten Mal in einem autokratischen Ölstaat. Gerade bei den bisherigen UN-Klimakonferenzen hat sich gezeigt, dass das Thema „Militäremissionen“ weitgehend ausgeblendet wird, obwohl es eine bedeutsame Rolle in der Klimakrise spielt. Dies führt zu einer teils gravierenden Verzerrung der Diskussion, da die Emissionen, die durch militärische Operationen, Rüstung und Logistik entstehen, beträchtlich sind.

Hintergrund: Militäremissionen und ihre Größenordnung

Weltweit gehört das Militär zu den größten institutionellen Verbrauchern fossiler Brennstoffe. Schätzungen zufolge wären die Streitkräfte der USA allein – wenn sie ein Land wären – der weltweit 47.-größte Emittent von Treibhausgasen. Neben den direkten Emissionen, die durch den Betrieb von Fahrzeugen, Flugzeugen und Schiffen entstehen, tragen auch die Produktion von Rüstungsgütern und die Logistik rund um militärische Einsätze erheblich zur globalen Kohlenstoffbilanz bei. Auch die Umweltauswirkungen durch militärische Übungen und Konflikte selbst, wie etwa durch verbrannte Landschaften, chemische Kontaminierung und die Zerstörung der Infrastruktur, sind in der Gesamtbetrachtung relevant.

Ausgrenzung des Militärs aus der Klimapolitik

Bei den internationalen Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen, wie den jährlichen COP-Treffen, sind Staaten nicht verpflichtet, Emissionen ihrer Streitkräfte offen zu legen. Dies ist ein Erbe des Kyoto-Protokolls, das 1997 geschlossen wurde und den Mitgliedsstaaten ausdrücklich erlaubte, militärische Emissionen auszuklammern. Diese Praxis wurde bis heute nicht revidiert, obwohl das Paris-Abkommen von 2015 theoretisch mehr Transparenz und einheitliche Berichterstattung für alle Sektoren fordert. Viele Länder, insbesondere die großen Militärnationen wie die USA, China und Russland, nehmen weiterhin von dieser Ausnahme Gebrauch.

Das Fehlen verpflichtender Emissionsberichte für das Militär führt dazu, dass die tatsächlich durch die Nationen verursachten Emissionen regelmäßig unterschätzt werden. In einem Zeitalter, in dem Transparenz und eine vollständige Emissionsbilanzierung für die Erreichung der Klimaziele entscheidend sind, stellt die Ausgrenzung des Militärs ein schwerwiegendes Hindernis dar. Für viele Umweltorganisationen und Wissenschaftler ist diese Lücke ein großes Problem, da die Dringlichkeit der Klimakrise verlangt, dass alle Emissionsquellen berücksichtigt und angegangen werden.

Gründe für die Ausgrenzung des Militärs

Die Hauptgründe, warum Militäremissionen aus den internationalen Klimagesprächen ausgeschlossen bleiben, liegen sowohl im Bereich der nationalen Sicherheit als auch im politischen Widerstand. Viele Regierungen argumentieren, dass die Offenlegung der militärischen Emissionen ihre strategischen Interessen gefährden könnte. Emissionsdaten könnten sensible Informationen über Truppenbewegungen, Ausrüstungen und Operationen verraten. Auch gibt es auf politischer Ebene großen Widerstand gegen zusätzliche Verpflichtungen für das Militär, da es sich um einen stark finanzierten und einflussreichen Sektor handelt, der oft eine Sonderstellung genießt.

Fehlende Diskussion bei der COP29

Auch auf der COP29 in Baku haben die Themen Militär und Krieg sowie deren klimapolitische Auswirkungen nur eine marginale Rolle gespielt, und zwar auf einer Nebenveranstaltung, bei der die Dekarbonisierungsansätze der slowenischen und norwegischen Streitkräfte vorgestellt wurden. Zwar gibt es Stimmen aus der Zivilgesellschaft, die auf die enormen Emissionen des Militärs hinweisen und eine stärkere Einbeziehung fordern, jedoch bleibt der politische Wille schwach. Die dominanten Diskussionen drehen sich vielmehr um „klassische“ Emittenten wie die Energieindustrie, Verkehr und Landwirtschaft, wohingegen das Militär als institutioneller Emittent eher verdrängt wird.

Kritische Stimmen und Forderungen

Zivilgesellschaftliche Organisationen und Umweltaktivisten drängen zunehmend darauf, dass die COP-Veranstaltungen den militärischen Sektor nicht länger außen vorlassen dürfen. Sie argumentieren, dass ohne die Einbeziehung aller Emissionsquellen, einschließlich der des Militärs, das Ziel, die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad bzw. 2 Grad Celsius zu begrenzen, schwerlich erreicht werden kann. Die Nicht-Berücksichtigung des Militärs stellt daher ein grundlegendes Problem dar und behindert den Fortschritt.

Vorschläge von verschiedenen Organisationen beinhalten die Schaffung internationaler Vereinbarungen zur Berichterstattung über Militäremissionen, die Entwicklung emissionsarmer Technologien für das Militär und die Erhöhung der Transparenz. Auch Friedens- und Konfliktforschung weisen auf die Synergieeffekte hin, die entstehen könnten, wenn internationale Friedenssicherung und Klimaschutz stärker zusammen gedacht würden – beispielsweise durch Demilitarisierungsinitiativen, die sowohl Emissionen reduzieren als auch die Spannungen zwischen Nationen verringern könnten.

Fazit: Die Dringlichkeit einer vollständigen Emissionsbilanz

Die Klimakrise verlangt die Berücksichtigung aller Sektoren, und das Auslassen des Militärs untergräbt dieses Ziel. Solange die Militäremissionen nicht verpflichtend offengelegt werden, bleibt ein bedeutender Emissionssektor ausgeklammert, was die gesamte Klimabilanz verfälscht und die Dringlichkeit der Maßnahmen mindert. Auf der COP29 wurde dieses Thema erneut vernachlässigt, doch wächst der Druck der Zivilgesellschaft, diesen Bereich in die globale Klimapolitik zu integrieren.

Die kommende Zeit wird zeigen, ob und wie Regierungen sich dazu bewegen lassen, die Rolle des Militärs in der Klimakrise stärker in den Fokus zu rücken und Verantwortung zu übernehmen. Ein entscheidender Schritt wäre, dass sich die Staaten zumindest dazu verpflichten, ihre Militäremissionen regelmäßig und transparent zu berichten. Dies könnte der erste Schritt sein, um auch diesen Sektor in den Kampf gegen den Klimawandel einzubeziehen und die Klimaziele wirklich umfassend anzugehen.

Autor: Yannick Kiesel

Erschienen in ZivilCourage Ausgabe 1/2025

Kategorie: Zivilcourage

25.02.2025

Wo Trumpismus auf EUropa schleichend wirkt

Es sind gerade die weniger schlagzeilenkräftigen Tendenzen, die einen Eindruck davon geben, welche Auswirkungen eine zweite Amtszeit von Donald Trump langfristig auf Friedensfragen auch in Europa haben wird.

An anderer Stelle ist schon viel Richtiges und Wichtiges zu den direkten friedenspolitischen Folgen von Trumps Wiederwahl geschrieben worden, dies muss nicht alles wiederholt werden. So hat beispielsweise Simon Bödecker für „Ohne Rüstung Leben“ die großen Linien skizziert, die sich aus dem „Masterplan“ des sogenannten „Project 2025“ ersehen lassen. Atomare Aufrüstung und Atompolitik bis hin zum Bruch des Teststopp-Vertrags oder gar des Nichtverbreitungsvertrags, massiver Fokus auf Systemkampf gegen China inklusive der fortschreitenden Militarisierung des Pazifiks, seine auf Druck beruhende Zwangspolitik der Militarisierung für Europa durch angedrohten Truppenabzug, die Konsequenzen seines absehbaren Isolationismus für den Multilateralismus und so weiter (siehe: Artikel von Ohne Rüstung Leben). Katastrophal allemal.

„Parasitärer Pazifismus“ als Kampfvokabel des post-hegemonialen Militarismus

Mir geht es aber um die anderen Folgen – die, die schleichend kommen werden und vor allem mit der hiesigen Politik zu tun haben und weniger mit Trump: die neuen Denkbarkeiten, die entfachte „strategische-Autonomie“-Debatte, die entfesselten Autoritären, die neu begründete Legitimität des Backlash.

Beispiel für die neuen Denkbarkeiten: Aus dem angedrohten Bruch der NATO entsteht in Europa eine „Panik“ in transatlantischen Sicherheitspolitik-Kreisen, den möglicherweise „fehlenden“ US-Support durch eigene Systeme ersetzen zu „müssen“. Das mag ein Anlass für die Mittelstreckenraketenstationierungsentscheidung gewesen sein. Es stachelt aber auch dazu an, dass lautstark aus einigen Think Tanks geunkt wird, „wir“ bauten unsere Sicherheit ohnehin nur auf einem „parasitären Pazifismus“ auf, einem eben, der sich nur so lange aufrechterhalten lasse, wie die USA die „harten Entscheidungen“ übernähmen.

Hier wird nun offen darüber spekuliert, eine transeuropäische Abschreckungs- und Militarisierungsunternehmung zu beginnen oder voranzutreiben. Die Projekte sind schon da: Raketenabwehrschirm, nukleare Teilhabe umorganisieren, strategische „Abschreckung“, Aufrüstung und Rüstungsindustrieförderung und so weiter. Alternativen einer „defensiven Verteidigung“, wenn schon keiner totalen Demilitarisierung, werden noch nicht mal von vermeintlich zentrisch-liberalen Kräften benannt.

Warum mich das so besorgt? Weil es über Trump hinausragt. Er wird nur vier Jahre haben, vielleicht auch nur 28 Monate, je nach Kräfteverhältnissen in den Parlamentskammern. Doch die Übernahme seiner Narrative oder der Angst, die er schürt, wird bleiben und Prozesse in Gang setzen oder beschleunigen, die uns weit über seine Amtszeit hinaus beschäftigen werden.

Trump ist ein Brandbeschleuniger der „Zeitenwende“, seine Amtszeit wird die Verfestigung und Vertiefung des europäischen Rüstungskomplexes vorantreiben, ganz aus „neu gedachten freien Stücken“ der hier politisch Verantwortlichen. Der Begründungsmythos dafür wird der „parasitäre Pazifismus“ sein, seine vorgebliche Katharsis die „Kriegstüchtigkeit“.

Strategische Autonomie und die gruselige EU-Kommission

Ganz ähnlich gelagert sind meine Sorgen vor dem hausgemachten Problem einer ultrakonservativen EU-Kommission, die das Kuscheln mit den Faschisten salonfähig gemacht hat. Darin steckt auch friedenspolitisch Bedenkliches: Die seit Jahren schwelende Debatte um eine „strategische Autonomie“ der EU, die bislang vor allem ein Jammern über das diplomatische Leichtgewicht EUropa umfasste, wird nun durchgehend militarisiert. Die Besetzung eines Kommissars für Rüstungspolitik mit aktivem Beschaffungsauftrag macht deutlich, wohin die Reise gehen soll: hin zu einer eigenständig hochgerüsteten EU, deren „Autonomie“ so verstanden wird, dass sie autonom nach Herzenslust intervenieren kann.

Was das alles mit Trump zu tun hat? Der Trump’sche Isolationismus („America First“) trifft in konservativen Kreisen in Europa, so meine Lesart, auf zweifache Zustimmung: indem er das unterschwellige Argument des – so das rechte Schlagwort dazu – „Ethnopluralismus“ bedient – alle kümmern sich um ihre eigenen Belange, die sie rassistisch konnotiert von „Anderen“ freihalten (der weiße Suprematismus in konservativem Gewand). Und indem er die Notwendigkeit für egoistische Abwehrpolitik nicht nur begründet („Europe First“), sondern gezielt militarisiert (siehe oben).

Sicherlich, Trump ist nicht ursächlich für diese Entwicklungen, diese liegen ganz klar hierzulande. Doch die Ankündigungen von Trump treiben diese Entwicklungen als Reaktion voran, sind Wasser auf die Mühlen der Konservativen. Die sogenannte „Mitte“ bewegt sich zunehmend nach Rechts. Es wird vor dem Hintergrund eines US-Präsidenten Trump selbst der Mitte zunehmend leichtfallen, die vorgeblichen Notwendigkeiten einer solchen „strategischen Militarisierung“ zu betonen. Dies zementiert eine friedenspolitisch hochgefährliche Entwicklung über Jahre.

Politischer Backlash turbogeladen

Nicht zuletzt bleibt die globale Attraktivität des Autoritären. Wohl kaum eine Figur steht so symbolisch für den öffentlich zelebrierten regressiven toxischen Maskulinismus wie Trump. Interessant finde ich, wie sowohl in den konservativen Stimmen der Bewunderung für Trump als auch in denen der konservativen Ablehnung seiner Politik oder seiner Person zunehmend autoritäre Narrative dominieren. Die einen, die ihm recht geben (und ihm gefallen wollen, Beispiel Orbán) und so ihren (gesellschafts-)politischen Backlash begründen. Die anderen, die in Abgrenzung zu Trump ihre „sittlichen“ Grenzen mit einem rassistisch untermalten Backlash markieren (von der CDU bis zur AfD).

Auch hier ist Trump keineswegs ursächlich – aber er liefert die Begründungsfolie für die scheinbare Notwendigkeit eines politischen Backlash. Stimmen, die eine selbstbewusst nichtautoritäre Gesellschaftspolitik suchen, werden von der Verlustangst derjenigen übertönt, die den Status quo sichern wollen, oder die einen noch viel regressiveren Status erschaffen wollen.

Trump lässt sich von hier aus nicht verhindern – die hier angesprochenen Herausforderungen, die sich einzuschleichen drohen und vor dem Hintergrund von „Trump 2.0“ verstärkt werden, allerdings schon. Innenpolitisch, außenpolitisch, EU-politisch – das nimmt uns in Verantwortung.

David Scheuing

Erschienen in der ZivilCourage 1/2025

Kategorie: Zivilcourage

17.02.2025

Neuer Einstieg in die Beratungsarbeit

„Kriegsdienstverweigerung ist die DNA der DFG-VK“

Der Satz in der Überschrift stammt von Klaus Stampfer, DFG-VK Augsburg und er trifft damit genau den Kern der DFG-VK Arbeit. Die Kernkompetenz der DFG-VK war jahrzehntelang die KDV-Beratung. Wir wurden als die Verweigerer-Organisation angesehen, die mit ihrem bundesweiten Beraternetz zig-tausende Kriegsdienstverweigerer beraten und zu deren Anerkennung verholfen hat. Spätestens mit der Aussetzung der Wehrpflicht war diese Arbeit überflüssig.

Seit dem 1. Juli 2011 ist die Wehrpflicht in Deutschland ausgesetzt und bis zum Ukraine-Krieg gab es jährlich 100 bis 150 Kriegsdienstverweigerer, Soldatinnen und Soldaten sowie Reservisten. Die KDV-Beratung der DFG-VK Gruppen kam zum Erliegen. Mit Beginn des Ukraine-Kriegs hat sich die Situation geändert. Die KDV-Zahlen steigen seitdem deutlich an, im Jahr 2024 sind es schon mehr als 2.000 KDV-Anträge.

JahrUngedienteSoldat*innenReservist*innenGesamt
20224502354381.123
20238351785961.609
Bis 31.8.241.268926932.053

Wenngleich die Zahlen im Vergleich zu Zeiten der Wehrpflicht deutlich niedriger sind, wenden sich viele Ratsuchende an die DFG-VK und bitten um Unterstützung bei der Antragstellung und dem Verfassen der Begründung. Als ehemalige Verweigerer-Organisation ist unsere Kompetenz gefragt.

Wer wendet sich an uns?

Menschen, die befürchten, dass Deutschland in den Ukraine-Krieg hineingezogen wird und sie als Soldat eingesetzt werden könnten. Das sind fast ausschließlich Männer und nur vereinzelt Frauen, die einen freiwilligen Wehrdienst leisten oder geleistet haben. Die größte Gruppe ist die der Ungedienten, die vorsorglich einen KDV-Antrag stellen wollen, obwohl sie derzeit keinen Dienst leisten müssen. Es folgen die Reservisten. Ihre Kriegsdienstverweigerung ist eine klare Antwort auf und deutliche Ablehnung der Pläne von Verteidigungsminister Pistorius, der Deutschland wieder ‚kriegstüchtig‘ machen möchte. Gerade den Reservist*innen soll nach Plänen des Ministeriums in den Kriegsplanungen eine bedeutende Rolle zugwiesen werden. Aktive Soldatinnen und Soldaten ist die kleinste Gruppe, hier stellen überwiegend Zeitsoldat*innen einen KDV-Antrag. Zudem erhalten wir viele Anfrage von besorgten Eltern, die um Rat für ihre Kinder erfragen. Oft haben die Väter selbst verweigert, kennen sich aber mit dem heutigen Verfahren nicht aus.

Während früher viele DFG-VK Gruppen vor Ort Beratung angeboten haben, sind die Strukturen heute weitestgehend weg. Das KDV-Beratungsnetz von früher gibt es nicht mehr und es müssen neue Strukturen aufgebaut werden. Früher waren unsere Beratungsadressen stadtbekannt und die jungen Menschen kamen in die Beratungsstellen der Ortsgruppen. Heute melden sich die Ratsuchenden telefonisch oder per Mail in der Bundesgeschäftsstelle oder bei den Landesverbänden. In Baden-Württemberg sind wir seit einiger Zeit dabei mit Schulungen Aktive für die KDV-Beratung zu qualifizieren. Wir haben dazu Konzepte erarbeitet, wie die einzelnen Gruppen zu beraten sind. Ungediente benötigen eine andere Beratung als Soldaten oder Reservisten.

In mehreren Tagesseminaren haben wir gruppenspezifisch Schulungen durchgeführt und anhand von Fallbespielen anonymisierte Begründungen analysiert und besprochen. Intensive persönliche Beratungen, vor allem von Reservisten, führen wir via Zoom durch. Wir bilden Berater*innen-Tandems, die mit Einverständnis des Ratsuchenden, KDV-Beratungen durchführen. Dadurch können Neueinsteiger*innen in die Beratungsarbeit langsam herangeführt werden. Wir schulen auch Frauen als KDV-Berater*innen. Sie können genauso kompetent beraten wie Männer. Das ist für manchen Antragsteller erst einmal ungewöhnlich, wird aber akzeptiert. Dadurch konnten wir unser Beratungsteam stetig erweitern und die Arbeit regional auf mehrere Schultern verteilen. Die Beratungskonzepte können von anderen Landesverbänden übernommen werden. Bei Interesse bitte melden.

Wir machen die Beratung kostenlos, aber immer mit der Erwartung verbunden, dass danach

– eine Spende eingeht
– die E-Mail -oder Postadresse bei der DFG-VK für weitere Informationen hinterlegt wird
– man selbst aktiv wird und in die Beratung einsteigt
– man Mitglied der DFG-VK wird.

Das Beratungskonzept wirkt. Es gehen Spenden ein, der Interessentenkreis erhöht sich und einige Ratsuchende sind DFG-VK Mitglied geworden.

Die DFG-VK muss sich auf eine mögliche Verweigerer-Welle vorbereiten. Die Pistorius-Pläne zur Zwangserfassung von jungen Männern und einem freiwilligen „Basiswehrdienst“ werden nach dem Ampel-Aus wohl zu den Akten gelegt. Unter einer CDU/CSU geführten Regierung droht eine Wiedereinführung der Wehrpflicht bis hin zu einer allgemeinen Dienstpflicht für Männer und Frauen. Letzteres verbietet noch das Grundgesetz, aber CDU und CSU sind dafür die Verfassung zu ändern und eine allgemeine Dienstpflicht für alle einzuführen. Dem gilt es energisch zu widerstehen. Wir rechnen mit einem weiteren Ansteigen der KDV-Anfragen und benötigen ein bundesweites Berater*innen-Netz mit dem die DFG-VK wieder als die Verweigerer-Organisation wahrgenommen wird. Die KDV-Beratung muss die DNA der DFG-VK bleiben.

Klaus Pfisterer
Landesvorsitzender DFG-VK Baden-Württemberg
Mail: pfisterer@dfg-vk.de

Erschienen in ZivilCourage 1/2025

Kategorie: Zivilcourage

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