(Erläuterungen zur Ehrenmalkampagne aus dem DFG-VK-Landesverband Berlin-Brandenburg)
Unser Aufruf, Feste zu feiern, wie sie fallen, dürfte geeignet sein, vielerorts Empörung hervorzurufen. Schon unser vor vielen Jahren aufgelegtes Plakat, das einen Sarg mit einem „gefallenen“ Bundeswehrsoldaten unter dem Titel „Schritt zur Abrüstung“ zeigte, rief wütendes Geheule von der Jungen Freiheit bis hin zum Bundeswehrverband hervor. Wenn die Freundinnen und Freunde des deutschen Militarismus sich in ihrer Ehre verletzt fühlen, sind wir schon auf dem richtigen Weg. Wir wollen im Folgenden einige Gründe dafür auflisten, warum wir glauben, dass unsere Ehrenmalkampagne (die eigentlich eine Kampagne zur Ent-Ehrung des deutschen Militärs ist) eine richtige und notwendige Ergänzung zu anderen antimilitaristischen Aktionsformen ist. Damit richten wir uns vor allem an jene, die im Prinzip mit unseren Anliegen sympathisieren, die von uns gewählte Form aber (noch) für zu drastisch halten.
1) Das Ehrenmal ist kein Ort der Trauer, sondern der Legitimation des Krieges
So wie das Ehrenmal konzipiert ist, ist es eindeutig: Es geht nicht darum, einen Ort für trauernde Angehörige zu schaffen, sondern der Opfer fordernden Kriegspolitik der Bundesregierung eine weihevolle Legitimation zu verschaffen. Das drückt sich unter anderem darin aus, dass alle, die hineingehen, den Spruch „Den Toten unserer Bundeswehr. Für Frieden, Recht und Freiheit“ passieren müssen. Wir bezweifeln, dass tatsächlich alle „Hinterbliebenen“ der Meinung sind, ihre Brüder/Töchter/Ehemänner seien für solch noble Zwecke gestorben. Aber sie können das Ehrenmal nicht betreten, ohne für diese Propagandalüge vereinnahmt zu werden. Bundespräsident Horst Köhler hat bei der Einweihung gesagt, dieses Bauwerk sei ein „Appell dazu, nichts zu verschweigen oder schönzureden, was mit dem Dienst und mit dem Opfer der Frauen und Männer zu tun hat, an die hier erinnert wird.“ Und dann wiederholte er doch all die Propagandafloskeln, die das gemeine Volk glauben machen sollen, warum die Bundeswehr weltweit Kriege führt: „für unser aller Sicherheit und für unsere Werte“, zum Schutz vor „Risiken und Bedrohungen“, gegen „humanitäre Katastrophen“, für „Recht und Freiheit“, für „Menschenrechte“, für „Hilfe, Schutz und Wiederaufbau“. Amen. Die Stellen im „Weißbuch der Bundeswehr“, der amtlichen Militärdoktrin, an denen klipp und klar davon die Rede ist, dass die Bundeswehr für wirtschaftliche Interessen eingesetzt werden soll, ließ der Präsident aus. Der neue Verteidigungsminister Guttenberg führte diese Politik konsequent weiter, als er am Volkstrauertag 2009 am Ehrenmal erklärte, warum „wir“ die Toten nicht vergessen dürften: „Sie mahnen uns Lebende, dass Sicherheit und Freiheit nicht selbstverständlich sind, dass Sicherheit und Freiheit ein zerbrechliches Gut sind und dass es unseres Einsatzes bedarf, um sie zu verteidigen. Und daran, dass dies, wenn es darauf ankommt, auch diesen besonderen, ganzen Einsatz erfordern kann.“
Damit wird von staatsoffizieller Seite bestätigt, worum es beim Ehrenmal geht: Den Tod von Soldaten für ein „Weiter so“ zu instrumentalisieren, für die Fortsetzung der verlustreichen Kriegführung die Reklametrommel zu rühren. Der Toten der Bundeswehr wird nicht mit dem Ziel gedacht, den Krieg zu beenden und die Soldaten aus dem Ausland abzuziehen, sondern mit dem Ziel, eben diese Kriegspolitik als richtig und alternativlos zu verkaufen. Der Tod des Soldaten wird zum Aufruf für noch mehr Tote. Alle, die uns „menschenverachtend“ finden, sollten darüber mal nachdenken. Deswegen ist das Ehrenmal der richtige Ort für antimilitaristischen Protest!
2) Rituale ernst nehmen!
Das Ehrenmal der Bundeswehr ist ein Ort, an dem militärischer Totenkult zelebriert wird. Nun wirken militärische Rituale auf viele Zivilistinnen und Zivilisten skurril: Als alberne Form einer anachronistischen Brauchtumspflege. Diese – äußerst verständliche – Verachtung wird allerdings dem Umstand nicht gerecht, dass diese Rituale durchaus wirkmächtig sind. Auch das Ehrenmal der Bundeswehr dient, in dieser Hinsicht vergleichbar mit Gelöbnissen, Großen Zapfenstreichen und dergleichen, sowohl der Selbstvergewisserung des Militärs als auch seiner Außenwirkung. Um die Moral der Soldaten aufrecht zu erhalten, benötigen die Soldaten Anerkennung von Seiten des Staates, aber auch der ganzen Gesellschaft. Denn „ohne eine öffentliche Ehrung und ein öffentliches Bekenntnis würden die Sinnhaftigkeit und damit auch die Akzeptanz solcher Missionen … in Frage gestellt“, begründete ein Militärpsychologe die Notwendigkeit des Ehrenmals (ddp-Meldung vom 2. 1. 2006). Ohne Ehrenmal „drohen die Motivationen der Soldaten, aber auch der Zusammenhang zwischen Bundeswehr und Bevölkerung verloren zu gehen.“ Der letzte Satz illustriert, wie eng die interne Funktion (Binnen-Bindung, Motivation, Korpsgeist) und die externe Funktion (Zusammenhang von Militär und Bevölkerung) zusammenhängen. Die „externe“ Funktion von Militärritualen lässt sich als symbolisches Besetzen von Räumen beschreiben: Das Militär beansprucht seinen Platz inmitten der zivilen Gesellschaft. Dass es diesen Platz nicht selbstverständlich hat, sondern immer wieder aufs Neue um ihn kämpfen muss, ist eine Schwäche des Militärs und ein Punktvorteil für die antimilitaristische Opposition.
Zusammengefasst: Militärrituale dienen dazu, das Militär „selbstverständlich“, anerkannt und akzeptiert zu machen. So verstanden haben solche Rituale und Zeremonien eine kriegfördernde Wirkung. Deswegen müssen auch wir als AntimilitaristInnen sie ernst nehmen. Der Verselbstverständlichung des Militärs begegnen wir durch den Versuch, seine Rituale und kultische Stätten zu zersetzen.
3) Die Symbolik auf der symbolischen Ebene angreifen!
Die eben beschriebene Forderung nach Zersetzung militärischer Rituale versuchen wir umzusetzen, indem wir die Symbolik des militärischen Totenkultes direkt auf der symbolischen Ebene angreifen. Damit verlassen wir die rein argumentative Ebene, die gemeinhin als „akzeptabel“ angesehen wird, und wir beschränken uns auch nicht auf einen Betroffenheitston. Vielmehr wenden wir das militärische Ritual ins Lächerliche bzw. decken das Lächerlich-Groteske des militärischen Totenrituals auf, indem wir seine Monstrosität gleichsam seitenverkehrt widerspiegeln. Das Zentrum des militärischen Totenrituals ist der Tod des Soldaten selbst. Auf dieses Zentrum zielen wir durch die Wahl des „Tag Y“ und durch Form und Inhalt des Aufrufs.
Die Bundeswehr benutzt den Tod der Soldaten, um für noch mehr Soldatentode zu werben. In diesem Sinne begrüßt sie es, wenn Soldaten „in Ausübung ihrer Dienstpflichten ihr Leben verlieren“ – anstatt, was ja immerhin denkbar wäre, aus deren Tod die Konsequenz zu ziehen, auf Kriegseinsätze zu verzichten. DAS nennen wir eine menschenverachtende Politik! Mit dieser grotesken Logik konkurriert unsere Aktion, indem wir den Tod von Soldaten ebenfalls für begrüßenswert erklären: Als Anlass zur Party. Um das Unrühmliche, das wir im Soldatentod sehen, noch deutlicher zum Ausdruck zu bringen, verhöhnen wir im Aufruftext den Acht-Sekunden-Ruhm der LED-Leuchten. Diese Wirkung wird noch dadurch gesteigert, dass wir so tun, als richteten wir uns an die Soldaten selbst (die Form des Offenen Briefes). Dabei verlassen wir die üblichen Diskursebenen. Wir antworten auf den Habitus von „Betroffenheit“, Anerkennung und Ehrzuweisung, den die Bundeswehr am Ehrenmal inszeniert, nicht mit antimilitaristischer „Betroffenheit“, sondern wir vollziehen einen Bruch und drücken mit Freude und Partylaune nahezu das Gegenteil dessen aus, was die Bundeswehr umtreibt. Durch solche gewollten Widersprüche soll die militaristische Symbolik zumindest beeinträchtigt werden.
Fazit: Die Abscheulichkeit, den Tod eines Menschen zum Partyereignis zu machen, konterkariert, betont und überspitzt die Abscheulichkeit des offiziellen militärischen Rituals, das schlussendlich nichts anderes macht, als mit dem Tode eines Soldaten weiteres Töten zu legitimieren.
4) Ob wir uns tatsächlich über den Soldatentod freuen, ist egal.
Klar ist: Der Staats- und Militärapparat begrüßt die Bereitschaft der Soldaten, zu töten und zu sterben. „Fällt“ einer, spendieren sie vielleicht einen Staatsakt, eine Medaille und acht Sekunden Erleuchtung am Ehrenmal, aber nur mit dem Ziel, weiter Krieg zu führen und die nächsten Tode hervorzurufen. Viele werden sich fragen, ob wir unsere Aktion wirklich ernst meinen, genauer: Ob wir uns „wirklich“ freuen, wenn Soldaten sterben. Das darf sich jede/r selbst beantworten. Um unserer Einladung zur Party zu folgen, muss man sich jedenfalls nicht „wirklich“ freuen, es genügt, so zu tun als ob.
Damit korrespondieren wir mit dem offiziellen Ehrenmal und ermuntern dazu, an die Äußerungen der Staats- und Militärgarde die gleiche Art von Fragen zu stellen, wie sie höchstwahrscheinlich auch an uns gestellt werden: Nehmen die das denn selbst ernst, wenn sie von „Frieden, Recht und Freiheit“ sprechen? Ist das nicht blödes Politikergesülze? Oder vielleicht eine staatlich verordnete Satire? Muss man das nicht viel eher für schwarzen Humor, oder einfach nur für extrem schlechten Geschmack halten? Werden solche Fragen gestellt, ist das schon wieder ein kleiner antimilitaristischer Erfolg.
5) Gegen die „heroische Gesellschaft“
Das Ehrenmal ist baulicher Ausdruck des staatlichen Bestrebens, dem Militarismus Ehrbezeugungen zukommen zu lassen. Nicht nur die Bundeswehr selbst, sondern die ganze Gesellschaft soll den Opfer-Tod von Soldaten für ehrenvoll erklären. So ist jedenfalls der Anspruch des Bauwerks. Im Moment ist die Bundeswehr davon noch weit entfernt. Die Klagen über das „freundliche Desinteresse“, das die Bevölkerung der Bundeswehr entgegenbringt, verdeutlichen: Die Gesellschaft kümmert sich nicht wirklich um die Truppe, sie lehnt sie zwar nicht unbedingt ab, will aber auch nicht sonderlich viel mit ihr zu tun haben. Stirbt ein Soldat in Afghanistan, erregt das zwar Interesse, aber eher in dem Sinne, dass jedes Mal wieder eine Debatte darüber losgeht, welchen Sinn der Krieg am Hindukusch haben soll. Diese Debatte ist zwar eher flüchtig, verdeutlicht aber: Der Tod von Soldaten wird nicht als heroisch empfunden wie in unseligen Vorzeiten, nicht als Opfer für eine richtige und notwendige Sache, schon gar nicht als nachahmenswert, sondern als unnötig und überflüssig. Noch mehr stört die Kriegsstrategen die Tatsache, dass sogar der Tod afghanischer Zivilistinnen und Zivilisten in der sonst so abgebrüht wirkenden deutschen Gesellschaft die Frage nach der Legitimation des Krieges provoziert.
In sozialwissenschaftlichem Vokabular ausgedrückt, „leidet“ der Militarismus an der „postheroischen Gesellschaft“. Das Kriegführen wird tendenziell als unnötige, eher schmutzige Angelegenheit derjenigen betrachtet, die es halt nun mal nicht lassen wollen. Die Gesellschaft steht nicht „wie ein Mann“ hinter der Truppe (und, wollen wir mal hinzufügen: Das ist gut so!). Die Militärs jammern natürlich darüber. Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr (SoWi) beklagt in seinem Jahresbericht 2008 eine „Casualty Shyness“ und meint damit eine gesunkene „Toleranzschwelle für die Opfer von militärischen Einsätzen“.
Aus Sicht der Kriegsbefürworter gilt es diesen Zustand unbedingt zu ändern. Herfried Münkler, Politikwissenschaftler und Militärberater (er sitzt u. a. im Beirat der Bundesakademie für Sicherheitspolitik und gab auch beim Ehrenmal wertvolle Tipps) lehrt: „Heroismus ist unverzichtbar.“ Im Interview mit dem Focus führte er schon im Jahr 2002 aus: „Der Held ist dann gefordert, wenn postheroische Gesellschaften in Stresssituationen geraten. (….) Die Gesellschaft belohnt diese Vorbilder, indem sie ihnen zuspricht, was mit Geld nicht zu haben ist – eben den Status eines Heroen. Dieser wird geehrt als einer, der für die Werte einer Gesellschaft bis zum Äußersten einsteht. Ihm wird für seine Tat eine Form der Unsterblichkeit zugebilligt, die darin besteht, daß die als Helden Ausgezeichneten öffentlich geehrt werden und ihrer feierlich gedacht wird.“
Schwer zu verkennen, dass genau diesem Ziel der Re-Heroisierung die Neueinführung des „Ehrenkreuzes für Tapferkeit“, genauso wie die Zelebrierung des Bundeswehrgelöbnisses am 20. Juli vor dem Reichstagsgebäude dient. Das Ehrenmal ist nur der jüngste Akt in diesem Stück. Aus antimilitaristischer Sicht muss diesem Bestreben entgegengewirkt werden – wenn die Militärs Ehre erheischen, gilt es gerade, sie zu ent-ehren. Dazu eignen sich symbolische, den Ehranspruch drastisch konterkarierende Aktionen am Ehrenmal selbst hervorragend: So wird ihr heiliger Boden entweiht und wirkungslos. Wo sich blutbesudelte Schweine tummeln, ist für den tötenden und getöteten Bundeswehrsoldaten kein ruhmvoller Platz mehr.
6) Das Ehrenmal als Ort des Patriotismus
Eng mit dem Anspruch der Re-Heroisierung verbunden ist die Forderung danach, die Bevölkerung solle endlich wieder ordentlich patriotisch gesonnen sein. Der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung forderte bei der Einweihung des Ehrenmals „nationalen Rang“ für dasselbe ein und erklärte: „Es ist daher unsere patriotische Pflicht, ihrer [der „gefallenen“ Soldaten] in Würde zu gedenken: jetzt und in der Zukunft.“ Auch hierin drückt sich der Wunsch nach einer geschlossenen Heimatfront aus. Die Regierung beansprucht, die ganze Gesellschaft zur Trauer um jene zu verpflichten, die bei ihrer mörderischen Tätigkeit gestorben sind. Mit welchem Recht? Der Versuch, uns in die „patriotische Pflicht“ zu nehmen, gestorbene Totschläger zu betrauern, ist eine Unverschämtheit, der am effektivsten am Ort des Ehrenmals selbst widersprochen werden kann: Dort können wir zeigen, dass wir alles andere als gewillt sind, das kriegführende Vaterland und seine willigen Helfer „in der Stunde der Gefahr“ zu unterstützen.
7) Das „Ehrenmal“ ist kein Ort privater Trauer, sondern politischer Inszenierung
Hin und wieder werden wir aufgefordert, wir sollten uns doch mal vorstellen, einer unserer Liebsten sei „gefallen“ – ob wir dann Aktionen wie die unsere nicht höchst schändlich fänden? Dazu ist zu sagen: Wir sabotieren nicht private Trauer. Wir machen keine Aktionen bei familiären Beerdigungszeremonien, sondern an einem staatlichen Denkmal. Und dessen Inhalt basiert, wie gezeigt, nicht auf privater, sondern auf staatlich inszenierter Trauer. Einer Trauer, deren Ziel nichts weiter ist, als den Tod eines Menschen zum Anlass zu nehmen, für noch mehr Tode zu sorgen. Zugleich legitimiert das Ehrenmal damit die weitere Tötung unschuldiger ZivilistInnen, die im Krieg als unvermeidlich betrachtet wird. Wir gehen davon aus, dass kaum Angehörige versucht sein werden, das Ehrenmal aufzusuchen. Tun sie es doch, verlassen sie damit ihren privaten Trauerrahmen und werden Teil einer staatlichen Inszenierung. Sie begeben sich mitten hinein in ein politisches Feld, und dann müssen sie damit rechnen, auch mit gegenläufigen politischen Ansichten konfrontiert zu werden.
8) Respekt für Menschen, die „das Letzte“ geben?
Wir wissen sehr gut, dass längst nicht jeder, der zur Bundeswehr geht, ein fanatischer Totschläger ist. Die Bundeswehr rekrutiert bevorzugt unter arbeitslosen Jugendlichen, die sonst keine Chance für sich auf dem Arbeitsmarkt sehen. Aber das ist noch lange kein Grund, für ihre Entscheidung, zur Bundeswehr zu gehen, Verständnis zu haben. Es ist auch kein Grund, anzuerkennen, dass sie dabei „ihr Letztes“, d. h. das Leben, verloren haben.
Wir würden ja nichts sagen, wenn Leute, denen schon wieder Hartz IV gekürzt wurde, bei Karstadt klauen oder einen Bankautomaten plündern – aber deswegen gleich bei einer Truppe anheuern, deren Ziel die weltweite Durchsetzung kapitalistischer Interessen und deren Mittel das Totschlagen ist? Deswegen wehrlose Menschen umbringen (wie es am Hindukusch alle Tage passiert)? Würden jene, die uns „Respekt“ vor Soldaten abverlangen, es denn auch „anerkennenswert“ finden, wenn jemand aus wirtschaftlicher Not heraus bei der Mafia anheuert oder auf eigene Faust loszieht und Raubmorde begeht?
Das Gerede vom „hohen“ Preis, den „gefallene“ Soldaten entrichtet haben, ist hohl. Denn auch dies gilt für Mafiaangehörige genauso wie für Raubmörder. Auch diese können mal auf ein Opfer treffen, das sich zu wehren weiß und den Spieß umdreht. Das wird dann ebenfalls ein „hoher Preis“ für den Aggressor. Ist Raubmord deswegen ein ehrenvolles Geschäft? Der grundsätzliche Unterschied zwischen kriminellen Vereinigungen und dem Militär ist schließlich nicht so groß. Beide betrachten Gewalt zur Durchsetzung ihrer Mittel für legitim. Das Militär hat dabei staatliche und, jedenfalls in Teilen, gesellschaftliche Rückendeckung, was auf die Mafia nicht – in diesem Maße – zutrifft. Es gibt deswegen keinen Grund, das Handeln von Soldaten für respektabel zu halten. Für schnöde Zwecke – im Großen: gewaltsame Durchsetzung des Kapitalismus, im Kleinen: Auslandsverwendungszuschlag von knapp 100 Euro täglich – sind sie bereit, andere Menschen umzubringen, die ihnen nichts getan haben. Und weil ihr Treiben nicht respektabel ist, gibt es auch keinen Grund, ihren Tod für diese Sache „anerkennenswert“ zu finden.
9) Nicht „Frieden, Recht und Freiheit“ stehen auf dem Programm der Bundeswehr,
sondern die weltweite Durchsetzung kapitalistischer Interessen
Das Weißbuch der Bundeswehr aus dem Jahr 2006 beschreibt die offizielle deutsche Militärdoktrin. Obwohl das Grundgesetz davon spricht, Streitkräfte könnten „zur Verteidigung“ aufgestellt werden, wird im Weißbuch zustimmend das Motto aus der Europäischen Sicherheitsstrategie zitiert: In Zukunft „wird die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen“. Dementsprechend fordert das Weißbuch die „strikt einsatzorientierte Ausrichtung der Bundeswehr“. Auslandseinsätze werden ausdrücklich als „strukturbestimmend“ für die Bundeswehr geschrieben, was unter anderem bedeutet, die Gliederung der Truppe, aber auch ihre Ausrüstung an die Fähigkeit zur weltweiten Kriegführung anzupassen: „Die Struktur der Bundeswehr wird konsequent auf Einsätze ausgerichtet.“ Das ist mit 35.000 Mann „Einsatzkräften“ für „robuste“ Operationen und 70.000 „Stabilisierungskräften“ für – ebenfalls kriegstüchtige – Besatzungstätigkeiten bereits umgesetzt. Neue Angriffswaffen wie der Eurofighter, Kampfhubschrauber, Kriegsschiffe, gepanzerte Fahrzeuge und Transportflugzeuge runden das Bild ab.
Deutschland wird auch präventiv „verteidigt“: „Sicherheitsvorsorge kann daher am wirksamsten durch Frühwarnung und präventives Handeln gewährleistet werden und muss dabei das gesamte sicherheitspolitische Instrumentarium einbeziehen“, heißt es im Weißbuch. Zum „gesamten“ Instrumentarium gehört selbstredend auch das Kriegführen, das also ganz offiziell auch präventiv stattfinden kann.
Ausführlich widmet sich das Weißbuch den wirtschaftlichen Zielen des Militärs: „Deutschland, dessen wirtschaftlicher Wohlstand vom Zugang zu Rohstoffen, Waren und Ideen abhängt, hat ein elementares Interesse an einem friedlichen Wettbewerb der Gedanken, an einem offenen Welthandelssystem und freien Transportwegen“. Deutschland sei „in hohem Maße von einer gesicherten Rohstoffzufuhr und sicheren Transportwegen in globalem Maßstab abhängig. […] Von strategischer Bedeutung für die Zukunft Deutschlands und Europas ist eine sichere, nachhaltige und wettbewerbsfähige Energieversorgung. […] Energiefragen werden künftig für die globale Sicherheit eine immer wichtigere Rolle spielen.“ Aus diesem Grund „muss die Sicherheit der Energieinfrastruktur gewährleistet werden.“
Um es zu betonen: Es handelt sich nicht um ein Manifest des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, sondern um eine Militärdoktrin! Das Weißbuch sagt durchaus auch die Wahrheit: Die Bundeswehr soll den Kapitalismus durchsetzen. Sie soll, notfalls mit Gewalt, den Zugang zu Rohstoffquellen sicherstellen. Sie soll die Transportwege freischießen. Sie soll armen, aber ressourcenreichen Ländern signalisieren: Wenn sie ihre Rohstoffe nicht zu dem Preis herausrücken, den ihnen der kapitalistische Weltmarkt diktiert, gilt dies als Beeinträchtigung des „freien Welthandels“ und führt zu militärischen „Verteidigungsschlägen“. Um als „glaubwürdige“ Kriegsmacht aufzutreten, werden rund um den Globus strategisch wichtige Positionen besetzt: In Zentralasien, am Horn von Afrika, im Mittelmeer, im Sudan….
10) Warum machen wir so ein Theater, anstatt Argumente zu liefern und Aufklärung
zu betreiben?
Falsche Frage: Wir machen beides.
Wir haben bereits ausgeführt, dass unsere Aktion nicht in Konkurrenz zu anderen antimilitaristischen Handlungen steht. Das Argumentieren bleibt im antimilitaristischen Diskurs unverzichtbar. Und es wird auch im Aufruf argumentiert, indem wir direkt darauf Bezug nehmen, dass Soldaten gerne mal größere Menschenansammlungen umbringen, dass sie keineswegs „für Frieden, Recht und Freiheit“ kämpfen, sondern für die weltweite Durchsetzung des Kapitalismus und die Eroberung geostrategischer Positionen. Worin sich unsere Aktion unterscheidet, ist lediglich, dass wir – bei dieser Aktion! – unseren Schwerpunkt nicht aufs Argumentieren und auch nicht auf die Äußerung alternativer Betroffenheit legen, sondern noch einen Schritt weiter gehen und die Soldaten der Lächerlichkeit und Verachtung preisgeben – um ihren Anspruch, Ruhm und Ehre zu erheischen, zu sabotieren.
Fazit: Wer ist hier menschenverachtend?
Unsere Aktion wirkt zweifellos schockierend. Doch wer uns vorwirft, den Soldatentod für unsere politischen Zwecke zu instrumentalisieren, möge bitte zweierlei zur Kenntnis nehmen:
Der Staat hat ein in Bronze gefasstes Instrumentalisieren des Soldatentodes geschaffen, mit dem Ziel, weitere Kriege zu rechtfertigen. Unser Ziel hingegen ist es, diese Strategie zu beeinträchtigen, um die deutsche Kriegspolitik zu beenden.
Die Bundeswehr soll, politisch unterstützt durch das Ehrenmal, auch in Zukunft verlustreiche Kriege führen können, bei denen einige wenige „eigene“ Soldaten und eine Menge unschuldiger ZivilistInnen umkommen. In Afghanistan werden praktisch jeden Tag unschuldige und wehrlose Menschen umgebracht, sei es unmittelbar durch Bundeswehrsoldaten oder durch sie unterstützt (beispielsweise durch die Zielzuweisung deutscher Tornado-Aufklärer). Während um die getöteten Bundeswehrsoldaten ein Riesenbrimborium gemacht wird, sind die Menschen, die von ihnen umgebracht wurden, in aller Regel nur eine Fußnote.
Unser Ziel ist es, das Töten durch und das Sterben von Soldaten zu verhindern. Unser Ruf ist nicht: „Weiter so! Noch mehr Kriege´!“, sondern: Schluss damit! Keine Kriege, keine Auslandseinsätze der Bundeswehr. Würde man das beherzigen, würden solche Ehrenmale überflüssig.
PS: Soldatinnen und Soldaten, die nicht „fallen“ wollen und nicht morden wollen, können verweigern. Dafür geben wir Tipps. http://www.afghanistankampagne.de