Wir sind mitten in einem neuen Kalten Krieg, der schon jetzt jederzeit eskalieren kann. Die Doomsday-Clock steht auf zwei Minuten vor zwölf. Zwei Minuten! Zugleich gibt es keine Anzeichen einer politischen Annäherung, einer Bereitschaft zu einem konstruktiven Abrüstungsdialog.
Die USA und Russland beschuldigen sich seit Jahren gegenseitig, gegen den INF-Vertrag zu verstoßen. Nun haben sie ihn gekündigt. Wo sind die Entspannungspolitiker*innen, die die nächsten sechs Monate nutzen, um eine neue nukleare Aufrüstungswelle in Europa zu verhindern, und wo waren sie in den letzten Jahren? Seit Beginn der Krim-Krise konstruiert die Nato eine neue Konfrontationslinie, mit der sich die geostrategische Landnahme entlang der „Ostfront“ legitimieren lässt. Aber mit einem geladenen Gewehr in der Hand lässt sich schwer verhandeln.
Jetzt ist von der „zunehmenden Aggressivität“ Russlands und von „Abschreckung“ die Rede. Aber eigentlich dürfte Russland höchstens als einer der schwächeren wirtschaftlichen Konkurrenten durchgehen: Das Land ist ebenso abhängig von Nahrungsmittelimporten wie von Rohstoff-exporten, sein Bruttoinlandsprodukt liegt im weltweiten Vergleich auf Platz elf, knapp vor Südkorea – und das der USA ist zwölfmal so hoch. Russlands Militärhaushalt betrug 2017 ganze 66,3 Milliarden US-Dollar, das sind 7,4 Prozent der Nato-Rüstungsausgaben.
Im Baltikum und in Polen wird massiv aufgerüstet: Litauen und Lettland haben ihre Militärausgaben seit 2012 verdreifacht. Deutschland unterstützt diese Entwicklung militärisch, und mit der Nato-Propaganda wird das Feindbild Russland neu belebt. Ministerin von der Leyen nahm am Montag nach Trumps Ausstieg aus dem INF-Vertrag am Kommandowechsel der von der Bundeswehr geführten multinationalen Nato-Battlegroup in Litauen teil. Sie kündigte 110 Millionen Euro aus Deutschland an für die Modernisierung der militärischen Infrastruktur Litauens und versprach: „We will stay here with the Bundeswehr … as long as the security situation requires it.“
Man will diesen gefährlichen Konflikt nicht politisch lösen, man will ihn militärisch gewinnen: Rotierende Nato-Battle-Groups an der russischen Grenze, verstärkt durch US-amerikanische Atlantic-Resolve-Brigaden, ständige Manöver, die auf beiden Seiten Ost-West-Gefechte simulieren, Nato-Abfangjäger, die russische Kampfjets über Nord- und Ostsee bedrängen – und umgekehrt. Die Präsenz von US- und Nato-Kampfgruppen macht Osteuropa jetzt schon zu einem Pulverfass. Wer in diesem Szenario neue Atomraketen stationieren will, riskiert die Vernichtung dessen, was er zu verteidigen vorgibt.
Wir haben den INF-Vertrag in den 1980er Jahren mit unserem millionenfachen „Nein!“ erkämpft, und wir werden es wieder tun. Die politischen Sprengköpfe in den USA, in Europa und Russland haben nicht das Recht, die Zukunft der Menschheit zu riskieren! Abrüsten statt Aufrüsten! Atomwaffenverbot jetzt!
Kathrin Vogler
Kathrin Vogler ist seit Jahrzehnten DFG-VK-Mitglied und war lange hauptamtlich für den Landesverband NRW und den Bundesverband tätig. Seit 2009 ist sie für Die Linke Bundestagsabgeordnete und seit einem Jahr friedenspolitische Sprecherin ihrer Fraktion, für die sie außerdem Obfrau im Unterausschuss für Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln ist.
Dieseer Artikel ist eine Vorabveröffentlichung aus der ZivilCourage 1/2019.