Ein Plädoyer für die Beteiligung von DFG-VK-Aktiven an Anti-Atomkraft-Aktivitäten
Von Gottfried Müller (für ZivilCourage – Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus – 4/2010)
Immer wieder kritisieren (meist passive) DFG-VK-Mitglieder, dass sich unsere Friedensorganisation und ihre Aktiven bei Aktionen gegen die Nutzung von Atomkraft mit einsetzen. Es kam deshalb sogar schon zu Austritten. Ist die DFG-VK aber wirklich gut beraten, wenn sie das Thema Atomkraft ausklammert?
Ein Blick in das Programm, das auf dem Vereinigungskongress von DFG-IdK und VK im November 1974 in Bonn beschlossen und auf dem ersten Bundeskongress der DFG-VK im November 1976 in Bremen ergänzt wurde, zeigt, dass das Thema Atomkraft damals für die DFG-VK keine wichtige Rolle spielte, zumindest nicht eine für das Programm maßgebliche. Damals spielten im Programm unter dem Aspekt Abrüstung die Schaffung kernwaffenfreier und entmilitarisierter Zonen sowie das Verbot aller Atomwaffenversuche einschließlich der unterirdischen und die sofortige Vernichtung aller Atomwaffen und der umfassende Abbau der nuklearen Rüstungen eine Rolle.
Beim Bundeskongress im November 1980 in Witten wurde allerdings heftigst um eine gemeinsame Position zur so genannten friedlichen Nutzung der Atomenergie gerungen. Über jede Formulierung wurde lange diskutiert, bis am Ende das ins DFG-VK-Programm aufgenommen wurde:
„Auch die zivile Nutzung der Atomenergie lehnen wir ab. Die zivile Atomindustrie ist nicht nur immer mit einer militärischen Komponente verbunden, da sie die Grundstoffindustrie für die Atombombe ist, sie trägt auch über die Sicherheitsmaßnahmen im Zuge des Ausbaus atomarer Anlagen zur inneren Militarisierung unseres Landes bei. Hinzu kommt das in absehbarer Zeit nicht zu lösende Problem, den Atommüll über Jahrzehntausende und absolut sicher aus der Biosphäre fernzuhalten. Daher lehnt die DFG-VK die großtechnische Nutzung der Atomenergie und deren Erforschung ab. Die DFG-VK fordert die sofortige Stilllegung aller Atomenergieanlagen in der Bundesrepublik und sonstwo. Die DFG-VK arbeitet auf dieser Grundlage im Rahmen ihrer Möglichkeiten mit der Ökologiebewegung zusammen.“
Diese Position gefiel damals vielen DFG-VK-Mitgliedern nicht, besonders denen, die mit der so genannten friedlichen Nutzung der Atomenergie keine Bauchschmerzen hatten. Das war vor 30 Jahren. Heute sind die Probleme der Atomindustrie wie die fehlenden Endlagermöglichkeiten für hochradioaktiven Atommüll und das ständige Risiko von Atomunfällen wie in Tschernobyl nicht zu leugnen, auch wenn sie häufig verdrängt werden.
Aber sollte sich die DFG-VK als Friedensorganisation heute aus Aktivitäten gegen Atomkraftwerke heraushalten und sich ausschließlich mit antimilitaristischen Themen beschäftigen – oder können Erfahrungen aus der Friedensbewegung die Anti-AKW-Bewegung nicht auch beflügeln und umgekehrt?
Ich meine, dass Letzteres der Fall ist. So wurde Anfang dieses Jahres die Idee einer Menschenkette, mit der Ulli Thiel von der Karlsruher DFG-VK-Gruppe im Jahr 1983 eine gelungene verbindende Aktion gegen die Stationierung von Atomraketen in der Bundesrepublik initiiert hatte, von der Anti-Atomkraft-Bewegung aufgegriffen. Die Planer dieser 120 Kilometer langen Menschenkette zwischen den Atomkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel bezogen von Anfang an Erfahrungen von der Menschenkette zwischen Stuttgart und Neu-Ulm aus dem Jahr 1983 in ihre Vorbereitungen mit ein.
Am 24. April 2010 nahmen ca. 120.000 Atomkraftgegner an dieser Menschenkette teil, einer Idee aus der Friedensbewegung. An der Planung und Durchführung waren auch DFG-VK-Aktive beteiligt. In meinen Augen muss die Mitgliedschaft in einer Friedensorganisation nicht im Widerspruch zu Anti-Atomkraft-Aktivitäten stehen.
Wichtig scheinen mir jedoch folgende Aspekte zu sein: Aktive aus der DFG-VK bzw. der Friedensbewegung sollten immer wieder deutlich ansprechen, dass es bei der Atomenergie-Problematik in den Anfangsjahren um 1945 ausschließlich um die möglichst schnelle Herstellung von Atombomben ging und die Nutzung von Atomenergie für die Stromerzeugung anfangs eine völlig untergeordnete Rolle spielte.
Außerdem wird seit dem Golfkrieg 1991 in jedem Krieg, an dem die USA und Großbritannien beteiligt sind, DU-Munition eingesetzt. Diese Waffen sind Abfallprodukte aus der Herstellung von Brennstäben für zivile Atomkraftwerke und eigentlich Atommüll, der entsorgt und endgelagert werden muss. Stattdessen wird daraus Munition hergestellt, die bei ihrem Einsatz ganze Landstriche dauerhaft verseucht; letztlich ist die Herstellung von DU-Munition eine menschenverachtende Entsorgung von Atommüll.
Friedensbewegung und Anti-Atomkraft-Bewegung lassen sich deshalb überhaupt nicht trennen.
Gottfried Müller ist seit Jahrzehnten in der Kieler DFG-VK-Gruppe aktiv.
http://www.castor-schottern.org