Ein Beitrag von Christian Axnick in der Graswurzelrevolution zur aktuellen Werbestrategie der Bundeswehr
Sag, wo die Rekruten sind …
Die Klientel der traditionellen Friedensbewegung in der Bundesrepublik hat eine unglückliche Neigung dazu, über der Kritik an fremden Regierungen und dem Willen, im Namen des Friedens weltweit …
… gutes zu tun, die politischen Übel im eigenen Land zu übersehen.
Die allgemeine Wehrpflicht war nie Ziel einer umfassenden Kritik, ihre Abschaffung nie die einhellige Forderung der Friedensbewegung: „Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin“ war eine nette Parole, hinter der nichts steckte – der Versuch, die militärische Rekrutierung ernsthaft zu behindern, ist nie unternommen worden.
Das war ein Fehler, den man nicht wiederholen sollte.
Der Einfluss der Bundeswehr auf die Gesellschaft
Die Bundeswehr weitet ihren Einfluss auf die Gesellschaft aus, nicht spektakulär, aber effizient. Die skandalöse Mischform aus Freiwilligenarmee und Wehrpflicht, die sich die Bevölkerung klaglos gefallen lässt und die auch von den Restbeständen einer friedenspolitischen Opposition kaum in Frage gestellt wird, sorgt in Kombination mit den wirtschaftlichen Zwängen, welche die neoliberalen Reformen systematisch verschärft haben, zuverlässig dafür, dass der Zugriff der Bundeswehr auf ihr Rekrutierungspotential gesichert ist und bleibt.
Die „aktiv gestaltende deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik“, für deren „Werte, Ziele und Interessen“ die Bundeswehr eingesetzt wird1 , macht auch eine immer weitergehende Anpassung der Gesellschaft an militärische Erfordernisse nötig.
Damit, dass sich die männlichen Jugendlichen der Entwürdigung durch Erfassung und Musterung zu unterwerfen haben, ist es längst nicht mehr getan.
„KarriereTreff Bundeswehr“
„Rund 60 Prozent des jährlichen Ergänzungsbedarfs der Streitkräfte werden durch die externe Personalgewinnung gedeckt. Personalwerbliche Maßnahmen sollen dabei bundesweit Vorzüge und Stärken des Arbeitgebers Bundeswehr konkurrenzfähig darstellen.“[2] Diesem Zweck dient das Zentrale Messe- und Eventmarketing der Bundeswehr, das den Einsatz der Ausstellung KarriereTreff Bundeswehr steuert: drei Trucks, einer für Filmvorführungen geeignet, mehrere andere Fahrzeuge, Zelte und Stände. 2006 gab es 15 Einsätze des KarriereTreffs, bei denen auch militärisches Gerät und Waffen präsentiert worden sind; „in fünf Einsatzorten (wurden) die dortigen Schulen angeschrieben und auf das Informationsangebot hingewiesen.“[3]
Darüber hinaus stehen den vier Zentren für Nachwuchsgewinnung jeweils acht Messestände und weitere Infomobile und Trucks zur Verfügung.
Die Bundesregierung rechtfertigt den KarriereTreff damit, dass er „durch seine mobile, interaktive und dialogorientierte Ausgestaltung (…) ganz besonders geeignet“ wäre, „einen offenen, ehrlichen und kritischen Dialog in der Mitte der Gesellschaft zu führen.“[4]
„Personalgewinnung“
Einen Dialog, dessen Schwerpunkt die „Personalgewinnung“[5] ist; die entsprechenden Maßnahmen richten sich aus „am quantitativen und qualitativen Personalbedarf der Bundeswehr“, orientieren sich „an Erwartungen und Präferenzen der Zielgruppen“ und berücksichtigen „personalwerbliche Strategien der zivilen Mitbewerber“. Kurz: „Für die Sicherstellung der personellen Regeneration und damit Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr haben die mobilen Einsätze des ZeMEMBw daher eine hohe Bedeutung.“[6]
Offenheit, Ehrlichkeit und kritische Potenz dieses personalwerblich bedeutungsvollen Dialogs werden demonstriert, indem die Frage der Völkerrechtswidrigkeit des Krieges gegen Jugoslawien 1999 nur bewertet wird, „sofern durch die Zielgruppe thematisiert“; indem zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2005, das mit Blick auf den völkerrechtswidrigen Irak-Krieg auch Beihilfe als ein völkerrechtliches Delikt befindet, offen und ehrlich festgestellt wird: „Eine aktive Kommunikation erfolgt nicht“; und indem Völkerrechtsbrüche anderer NATO-Staaten „durch die Personalwerbung der Bundeswehr weder bewertet noch kommuniziert“ werden.[7]
Wenn die potentiellen Rekruten sich nicht ziemlich gut auskennen und in der Lage sind, von sich aus nach dem zu fragen, was die Bundeswehr nicht aktiv kommuniziert, werden sie wohl der Beteuerung glauben müssen, sie könnten „sich in unserem Rechtsstaat darauf verlassen, daß ihr Einsatz im Einklang mit Grundgesetz und Völkerrecht erfolgt.“[8]
Der gute Onkel
Ein Rechtsstaat ist tatsächlich nichts anderes als der Garant bestimmter nachprüfbarer und allgemein bindender juristischer Verfahrensweisen, die auch gegen Institutionen des Staates selber gebraucht werden können – hier erscheint er allerdings, unter offenbar personalwerblichen Gesichtspunkten, als der gute Onkel, der schon alles richtig machen wird, vertrauenswürdig an sich und ohne Prüfung.
Die Reklame, die die Bundeswehr solcherart auf öffentlichen Veranstaltungen für sich macht, ist allerdings nur eine und nicht einmal die gefährlichste Form der Rekrutierung. Der Einsatz von Jugendoffizieren an Schulen dient offiziell nicht der Personalwerbung, die Trennung von Information und Rekrutierung werde „von den Schulbehörden erbeten und erwartet“. Inwieweit den Bitten und Erwartungen tatsächlich Rechnung getragen wird, ist eine andere Frage: „Prinzipiell ist die Zusammenarbeit mit der Wehrdienstberatung (…) ausgezeichnet. So werden gemeinsame Auftritte vor Schulklassen genauso geplant und durchgeführt wie Besuchsanfragen weitergeleitet werden …“[9]
Im Jahr 2005 erreichten die 100 haupt- und über 300 nebenamtlichen Jugendoffiziere bei fast 8.000 Einsätzen über 180.000 Menschen, davon mehr als 160.000 Schülerinnen und Schüler. Jugendoffiziere, die als Dialogpartner und Informationsvermittler auftreten, dürfen „in Kernfragen des militärischen Auftrages keine von den Vorgaben des Bundesministeriums für Verteidigung abweichenden Auffassungen“ vertreten.[10]
Wenn es also auch hier mit der Kritik nicht weit her sein dürfte, so sind Jugendoffiziere wenigstens insofern offen und ehrlich, als sie erkennbar als Militärangehörige auftreten.
Die Arbeitsgemeinschaft Jugend und Bildung ist kein Bestandteil des Militärs, sondern ein eingetragener Verein, der unter dem Titel „Frieden & Sicherheit“ ein „Informationsangebot für junge Leute von 15 bis 20 Jahren sowie für den Unterricht in der Sekundarstufe II und den oberen Klassen der Sekundarstufe I (Klassen 9/10)“ herausgibt. Er erhält nicht nur pädagogische, sondern auch fachliche Beratung, diese vom Verteidigungsministerium.[11]
Der Verein verschickt kostenlos fertige und unmittelbar verwendbare Unterrichtsmaterialien an Pädagogen. „Ein Klassiker ist die Hochglanzbroschüre ‘Frieden und Sicherheit’. Das Heft nimmt Lehrern alle Schritte der Unterrichtsplanung ab und ist didaktisch sehr professionell gemacht.“[12]
Möglicherweise haben die pädagogischen Berater auch andere Aufgaben, als bloß die fachlichen Vorgaben des Verteidigungsministeriums didaktisch aufzupeppen, obwohl das bei der Lektüre einiger Lernziele nicht unbedingt der erste Eindruck ist, der sich aufdrängt:
„Die Schülerinnen und Schüler sollen Elemente eines umfassenden Friedensbegriffs kennen und das Zusammenwirken von ökonomischen, sozialen und ökologischen Entwicklungen mit sicherheitspolitischen Aspekten erörtern, (…) am Beispiel aktueller Auslandseinsätze der Bundeswehr deren friedenssichernde Rolle beurteilen, (…) über das Verhältnis humanitärer/ziviler und militärischer Friedenssicherung und über das Zusammenwirken dieser Komponenten nachdenken, Aufgaben und verschiedene Arten von Einsätzen der Bundeswehr kennen (…)“[13]
„Die Bundeswehr braucht Dich!“
So umfassend, dass er ohne Militär nicht denkbar ist, ist zufällig auch der Friedensbegriff der Bundesregierung, die Rolle der Bundeswehr ist offen, ehrlich und kritisch zu beurteilen, aber selbstverständlich eine friedenssichernde; und Lehrer, die sich mit der Unterrichtsvorbereitung keine Arbeit machen wollen, bringen ihren Schülern folgendes bei:
„Deutsche Sicherheitspolitik ist umfassend angelegt. Sie ist präventiv (= vorbeugend) (…) Präventive Sicherheitspolitik umfaßt auch politische und diplomatische Initiativen sowie wirtschaftliche, humanitäre und soziale Einsätze. (…) Gleichzeitig muß jedoch auch die politische Bereitschaft und die Fähigkeit da sein, Freiheit und Menschenrechte notfalls auch mit militärischen Mitteln zu verteidigen. Dazu braucht Deutschland Soldaten.“[14]
Nun ist es endlich raus, und die Lehrer, die auf die fachliche Beratung des Verteidigungsministeriums vertrauen, dürfen das Bewusstsein haben, sich in vollständigem Einklang nicht nur mit der Regierung, sondern auch der Personalwerbung der Bundeswehr zu befinden, denn die Transferleistung von „Wir brauchen Soldaten“ zu „Die Bundeswehr braucht Dich!“ sollte zu erbringen sein.
Wer durch diese Schule, in der die Sprachregelungen der herrschenden Politik Unterrichtssprache und ihre Voraussetzungen Lernziele sind, gegangen ist, weiß nichts grundsätzliches mehr gegen das Militär einzuwenden und ist damit reif, „die subjektive Entscheidung“ zu treffen, „eine berufliche Karriere in der Bundeswehr anzustreben“, die „auf einer bewußten individuellen Bewertung des Angebotes im Vergleich zu Konkurrenzangeboten“ beruht.[15]
Dafür sind die Voraussetzungen um so besser, je schlechter es mit den Konkurrenzangeboten aussieht. Die neoliberale Wirtschaftspolitik der rot-grünen und rot-schwarzen Bundesregierungen hat den Preis der Ware Arbeit gedrückt; diejenigen, die nicht einmal mehr zu solch verschärften Bedingungen diese einzige Ware, die sie besitzen, auf dem freien Markt verkaufen können, werden durch den Abbau sozialstaatlicher Standards weiter in die Ecke gedrängt und diszipliniert. Besonders schwer betroffen sind Jugendliche, die schon bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz vom Absturz in die Arbeitslosigkeit bedroht sind: eine Zielgruppe der Bundeswehr-Personalwerbung, die sich eine solche Chance natürlich nicht entgehen lässt.
Seit Jahren kooperieren Bundeswehr und Arbeitsagenturen in verschiedenen Formen, z.B. mit dem Schaumburger Modell, mit dem die Bundeswehr ihre ohnehin laufenden Kooperation mit den Arbeitsagenturen zu verbessern versucht. „Dieses Modell bietet Jugendlichen ab 16 Jahren (…) einen Ausbildungsplatz in einem Wahlberuf bei partizipierenden Wirtschaftsunternehmen, die durch die Bundeswehr vermittelt werden. (…) Schließt der oder die Auszubildende die Lehre erfolgreich ab, so hat er seitens der Bundeswehr die Einstellungszusage zum Soldaten auf Zeit.“[16] Für dieses Outsourcing der Ausbildung zahlt die Bundeswehr dem Unternehmen monatlich 250 Euro.
Bundeswehrwerbung an Schulen und in Arbeitsagenturen
Die Bundeswehr setzt in ihrer Nachwuchswerbung immer stärker auf das Argument des sicheren Arbeitsplatzes und profitiert von der Jugendarbeitslosigkeit. Wer eine Ausbildung bei der Bundeswehr machen will, muss sich für mindestens acht Jahre und zur Teilnahme an Auslandseinsätzen verpflichten. Bundesweit führt die Bundeswehr Werbeveranstaltungen in Arbeitsagenturen oder Berufsinformationszentren durch, in manchen Agenturen befinden sich Außenstellen der Bundeswehr. Dabei wird gerade auf unter 25jährige Arbeitslose mit den Hartz-IV-Regelungen enormer Druck ausgeübt, jede Arbeitsgelegenheit anzunehmen. Über den ökonomischen Zwang hinaus sind mittlerweile in einigen Fällen jugendliche Hartz-IV-Empfänger zur Teilnahme an Werbeveranstaltungen der Bundeswehr verpflichtet worden.
Dass eine direkte Verpflichtung von Erwerbslosen zum Militär nicht machbar sein wird, liegt an der Möglichkeit, den Kriegsdienst aus Gewissensgründen zu verweigern. Daran zeigt sich auch, dass die Bundeswehr eben keine Firma wie jede andere ist, mit der Arbeitsagenturen zusammenarbeiten: die wesentliche Funktion des Militärs, die Androhung und Ausübung tödlicher Gewalt, verbietet die Auffassung, es handle sich bei Soldaten um ganz normale Berufstätige. Schon deshalb hat Bundeswehrwerbung an Schulen und in Arbeitsagenturen nichts zu suchen.
Widerstand
Erfreulich ist, dass sich Widerstand zu regen beginnt.
Die Teilnahme von Friedens- und Erwerbslosengruppen an Werbeveranstaltungen in Kölner, Berliner und Bielefelder Arbeitsagenturen hat dazu geführt, dass solche Veranstaltungen dort erst einmal ausgesetzt wurden. Ein vorläufiger Erfolg, wie aus einem Schreiben des Leiters der Kölner Arbeitsagentur hervorgeht: „Bis zur Klärung der Rahmenbedingungen zur Durchführung von zukünftigen Informationsveranstaltungen habe ich die Sprechstunden der Bundeswehr – ungeachtet meiner fachlichen Meinung zur Notwendigkeit einer qualifizierten Beratung auch in diesem Berufsfeld – derzeit ausgesetzt.“[17] Proteste gab es auch in Bautzen, Paderborn, Weimar und Görlitz.
Die Bundeswehr wird ihre Rekrutierung in Zukunft eher noch aggressiver betreiben, wenn sich die zur Zeit gute Bewerbungslage mit dem erwarteten Rückgang der Jahrgangsstärke bei den 18jährigen zwischen 2008 und 2013 verschlechtern wird.
Um so nötiger ist es, jetzt mit der Arbeit gegen die Militärwerbung zu beginnen. Die ersten Beispiele sind ermutigend, aber es sind auch Schwierigkeiten zu erwarten – gegen wirtschaftliche Zwänge mit politischen Argumenten aufzutreten, wird nicht leicht sein. Lernen lässt sich aus den Erfahrungen der Antirekrutierungsarbeit in den USA, und es bedeutet ein gewisses Handicap für die Bundeswehr, dass sie hier nicht allein agieren kann, sondern auf die Kooperationsbereitschaft von Kommunen, Schulen und Arbeitsagenturen angewiesen ist. Das sind auch die Stellen, an denen pazifistische Aktionen zur Desintegration von Militär und Gesellschaft ansetzen können.
Christian Axnick
1 Vgl. Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke zur Reklametätigkeit der Bundeswehr, Drucksache 16/4768, 21.3.2007, Vorbemerkung
2 ebd., Frage 9
3 ebd., Frage 11
4 ebd., Vorbemerkung
5 ebd., Frage 1
6 ebd., Frage 9
7 ebd., Frage 17
8 ebd., Vorbemerkung
9 Bundesministerium für Verteidigung, Bericht der Jugendoffiziere für das Jahr 2005, S. 9f.
10 vgl. Heiko Humburg, PR-Strategien der Bundeswehr in Zeiten von Jugendarbeitslosigkeit und „Hartz IV“,
11 , Impressum
12 Humburg, a.a.O.
13 , Didaktik und Methodik
14 , Nachdenken über Frieden – Warum wir Soldaten brauchen
15 Bundestagsdrucksache 16/4768, Frage 13
16 , Artikel: Ausbildung bei der Bundeswehr
17 Pressemitteilung der Initiative Bundeswehr Wegtreten vom 8.4.2007,
Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 327, Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, 37. Jahrgang, Januar 2008,http://www.graswurzel.net/325/bw.shtml