Wie weiter mit der US-Militärbasis Diego Garcia im Indischen Ozean?
Von Gernot Lennert
Auf Diego Garcia, der Hauptinsel der Chagos-Inseln inmitten des Indischen Ozeans, unterhalten die USA einen ihrer wichtigsten Marine- und Luftwaffenstützpunkte weltweit. Von hier aus lassen sich die Seewege im Indischen Ozean kontrollieren, darunter auch die Ölrouten vom Persischen Golf nach Ostasien und nach Europa. Eine Schlüsselrolle spielte und spielt die Basis in den Kriegen gegen den Irak und im Afghanistankrieg.
Auf der Werft der Basis können US-Kriegsschiffe repariert werden, ohne ins Mittelmeer oder in den Pazifik fahren zu müssen. Das in Diego Garcia vorrätig gehaltene Militärmaterial von Munition über Ersatzteile bis zu Panzern ermöglicht es den USA, innerhalb kurzer Zeit überall in den Ländern rund um den Indischen Ozean zu intervenieren. Die Basis ist wichtig im weltweiten Satellitenspionage- und Telekommunikationsnetz der USA. Während Langstreckenbomber von Diego Garcia aus ihre tödliche Fracht leicht in die Länder des Nahen Ostens und Südasiens tragen können, ist die Basis umgekehrt kaum angreifbar, schon gar nicht durch Terroranschläge. Denn die Chagos-Inseln liegen geographisch isoliert und sind militärisches Sperrgebiet. Auf Diego Garcia leben nur 3?000 bis 5?000 US-amerikanische und einige wenige britische Militärangehörige und ihre meist philippinischen, aber auch mauritischen Zivilangestellten. Die anderen Inseln des Archipels sind unbewohnt. Die Abgeschiedenheit erleichtert es auch, illegale Gefangenenlager und CIA-Verhör- und Folterzentren zu unterhalten. Während sich die Weltöffentlichkeit früh über das rechtswidrige US-Gefangenenlager in Guantanamo Bay empörte, dauerte es noch bis 2008, bis die britische Regierung zugab, dass zwei illegale US-Gefangenentransporte auf den Inseln gelandet waren. Ein UN-Spezialberichterstatter hielt es für glaubwürdig, dass auf US-Schiffen rund um die Basis gefoltert wurde.
Aus Sicht der US-Regierung scheint alles bestens geregelt: Die Inseln sind britisch und damit Territorium eines verlässlichen Verbündeten, und es gibt keine ortsansässige Zivilbevölkerung zu berücksichtigen.
2014 müssten sich Großbritannien und die USA über eine Verlängerung des Pachtvertrags einigen, damit er 2016 nicht ausläuft. Beide Regierungen würden es gerne tun, doch die britische Herrschaft wird von Mauritius nicht anerkannt, und die für den Bau der Basis vertriebene Bevölkerung will sich mit ihrer Vertreibung nicht abfinden. Ende Januar 2013 entschied sich der Ständige Schiedshof in Den Haag, eine Klage von Mauritius zu behandeln. Vordergründig klagt Mauritius wegen eines von Großbritannien beschlossenen Meeresschutzgebiets rund um die Chagos-Inseln, letztendlich geht es um die Souveränität.
Die Vertreibung der Ilois
Dauerhaft besiedelt und kolonisiert wurden die Chagos-Inseln ab 1793 von Frankreich. Ebenso wie auf den Seychellen und Maskarenen holten französische Kolonisten zur Sklavenarbeit auf den Plantagen Menschen aus Ostafrika, Madagaskar und später aus Südostasien. Wie in den anderen Kolonien entwickelte sich auf den Chagos-Inseln eine überwiegend afrikanischstämmige kreolische Bevölkerung, die Ilois, und eine auf dem Französischen basierende Kreolsprache.
1814 musste Frankreich Mauritius zusammen mit den Chagos-Inseln an Großbritannien abtreten, das 150 Jahre lang den Indischen Ozean als Hegemonialmacht beherrschen sollte. Auf dem Höhepunkt der Entkolonialisierung in den 1960er Jahren beschloss das Vereinigte Königreich, fast alle Stützpunkte ?East of Suez? aufzugeben. Die USA übernahmen es, im Ost-West-Konflikt im Indischen Ozean für die westliche Seite militärisch präsent zu sein und verlangten dazu eine Militärbasis. Da zu erwarten war, dass die frisch entkolonisierten Staaten der Region wenig Neigung haben würden, westliche Militärbasen zu beherbergen, suchte man ein politisch unproblematisches Gebiet ohne potenziell störende Bevölkerung.
1965 wurden die Chagos-Inseln von der britischen Kolonie Mauritius sowie einige isoliert im Indischen Ozean liegende kleine Inseln von den ebenfalls britischen Seychellen abgetrennt, um daraus die neue Kolonie British Indian Ocean Territory (BIOT) zu schaffen. Die Firma, die auf den Chagos-Inseln Plantagen betrieb und alleiniger Grundbesitzer und Arbeitgeber war, stellte ihre Aktivitäten und die Versorgung mit Lebensmitteln ein. Offiziell wurde wider besseres Wissen behauptet, es gäbe keine einheimische Bevölkerung. Die etwa 2?000 auf den Inseln lebenden Menschen, auch diejenigen, deren Vorfahren dort seit Generationen gelebt hatten, wurden zu temporär anwesenden Arbeitskräften erklärt. 1967 bis 1973 wurden sie schrittweise unter menschenunwürdigen Bedingungen deportiert und im Hafen von Port Louis in Mauritius oder auf den Seychellen abgeladen. Inzwischen nicht mehr der Geheimhaltung unterliegende Akten von damals belegen, mit welch rassistischer Verachtung britische Beamte auf die Inselbevölkerung herabsahen. Britische Geldzahlungen an Mauritius verhinderten nicht, dass dort viele der Vertriebenen in Armut leben mussten.
Nachdem die für militärische Zwecke lästige Bevölkerung beseitigt worden war, wurde die Insel Diego Garcia für 50 Jahre, also bis 2016, an die USA verpachtet. Im Gegenzug erhielt Großbritannien Rabatt beim Kauf von Polaris-Raketen, was damals geheim gehalten wurde.
Streit um Souveränität und um Recht auf Rückkehr
Mauritius hat sich mit der Loslösung der Chagos-Inseln nicht abgefunden und beansprucht sie bis heute, gestützt auf die Resolution der Generalversammlung der UN von 1960, wonach im Prozess der Entkolonialisierung von Kolonien keine Gebiete abgetrennt werden sollen. Die britische Regierung erkennt den Anspruch von Mauritius nicht an, stellte aber im Lauf der Jahre mehrmals die Rückgliederung der Chagos-Inseln in Aussicht, sobald sie nicht mehr für Verteidigungszwecke benötigt würden. Einen Präzedenzfall dafür gibt es: Die Seychellen erhielten bei ihrer Unabhängigkeit 1976 die 1965 abgetrennten Inseln zurück. Seitdem besteht das British Indian Ocean Territory nur noch aus den Chagos-Inseln.
Die Ilois, die sich inzwischen bevorzugt auf Englisch Chagossians (frz. Chagossiens) nennen, fordern nach wie vor, in ihre Heimat zurückkehren zu dürfen. Dass ihre Vertreibung schäbig und moralisch nicht zu rechtfertigen gewesen sei, wird von britischen Politikern und Medien eingeräumt. Seit 2000 entschieden britische Gerichte mehrmals zugunsten des Rechts auf Rückkehr, was mehrmals wieder aufgehoben wurde, zuletzt 2008 von den Law Lords im Oberhaus. Die Chagos Refugee Group wandte sich daraufhin an den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof. Doch dieser erklärte sich im Dezember 2012 für unzuständig, weil mit der Annahme von Entschädigungszahlungen durch einen Teil der Vertriebenen die Angelegenheit schon innerhalb des britischen Rechtssystems geregelt worden sei.
Wikileaks entlarvt britische Umweltschutzrhetorik
Nach 2000 war diskutiert worden, einige Chagos-Inseln in gebührender Entfernung von der Militärbasis wieder für die Besiedlung zu öffnen. Doch 2010 erklärte Großbritannien mit Unterstützung angesehener Umweltschutzorganisationen das Seegebiet rund um die Chagos-Inseln mit Ausnahme von Diego Garcia selbst zum Meeresschutzgebiet, in dem auch Fischfang verboten ist. Dies wurde als weiteres Argument gegen das Rückkehrrecht angeführt, denn ohne Möglichkeit zum Fischfang wäre keine ökonomische Existenzgrundlage vorhanden. Von Wikileaks veröffentlichte Dokumente enthüllen, dass dies kein zufälliger Nebeneffekt war, sondern dass es bewusstes Kalkül war, mittels der Meeresschutzzone die Wiederansiedlung zu verhindern.
Auch die Republik Mauritius sah sich in ihren Rechten beeinträchtigt, weil die Meeresschutzzone traditionell von mauritischen Fischern genutzte Fischgründe umfasst. Sie klagte unter Berufung auf die Bestimmungen des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen. Was als britischer Schachzug gegen die Rückkehr der Chagossians gedacht war, bringt nun Großbritannien in Erklärungsnot beim Ständigen Schiedshof in Den Haag.
Selbstbestimmungsrecht gegen Entkolonisierung?
In den 1960er Jahren vertrat die britische Regierung den Standpunkt, dass die ihr lästige Bevölkerung der Chagos-Inseln nach Mauritius oder auf die Seychellen gehöre und deshalb auch kein Recht auf die britische Staatsangehörigkeit habe.
Genau diejenigen, die Großbritannien früher loswerden wollte, werden heute umworben. 2002 gestand Großbritannien den im British Indian Ocean Territory Geborenen und ihren unmittelbaren Nachkommen die britische Überseestaatsbürgerschaft zu. Das gilt nicht nur für Chagossians in Großbritannien, sondern britische Pässe wurden auch in Mauritius an die ehemals Vertriebenen vergeben, die in Mauritius als mauritische Staatsangehörige gelten.
Was auf den ersten Blick menschenfreundlich aussieht, wird auch als neuer britischer Trick gesehen, um sich die Chagos-Inseln doch langfristig einzuverleiben. Denn eine Mehrheit der Chagossians könnte um der Vorteile der britischen Staatsbürgerschaft willen in einem etwaigen Referendum für den Verbleib der Inseln beim Vereinigten Königreich votieren, vor allem wenn Großbritannien die Wiederbesiedlung einiger Inseln erlauben sollte. Präzedenzfälle sind die Falklands und Gibraltar, wo die Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit britisch bleiben will, so dass Großbritannien Gebietsansprüche anderer Staaten mit dem Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht zurückweisen kann. Auf diese Idee hätte Großbritannien schon in den 1960er Jahren kommen können. Doch damals wurden dunkelhäutige Menschen im britischen Empire deutlich schlechter behandelt als die hellhäutige Bevölkerung auf den Falklands und in Gibraltar.
Proteste weltweit und in Mauritius
In seinem Anspruch auf die Chagos-Inseln hat Mauritius internationale Unterstützung gewinnen können, vor allem durch Afrikanische Union und die Bewegung der Blockfreien.
Menschenrechtsorganisationen wurden mobilisiert einerseits durch die Vertreibung der Bevölkerung, andererseits durch illegale Gefangenenlager und Folter in Diego Garcia. Für die Schließung der US-Militärbasis engagiert sich die Friedensbewegung weltweit, vor allem Organisationen und internationale Netzwerke, die sich gegen ausländische Militärstützpunkte engagieren, wie das International Network for the Abolition of Foreign Military Bases. Ein weiteres Konfliktfeld ist die Frage, ob der Vertrag von Pelindaba für eine Atomwaffenfreie Zone in Afrika die Chagos-Inseln einbezieht. Die afrikanischen Unterzeichnerstaaten betrachten die Inseln als Teil von Mauritius und deshalb die Präsenz US-amerikanischer Atomwaffen als Verletzung des Vertrags, Großbritannien und die USA sehen die Chagos-Inseln als außerhalb des Vertragsgebiets liegend.
Besonders aktiv gegen die US-Basis auf Diego Garcia sind in Mauritius Lalit (Kreolisch/Morisyen = Kampf), zunächst 1976 als Zeitschrift entstanden, seit 1981 politische Gruppe, später Partei, sowie das Diego Committee. Lalit steht mit der internationalen Friedensbewegung in Kontakt, darunter auch mit der War Resisters? International, der auch die DFG-VK angehört.
Lalit fordert:
– die Schließung der US-Militärbasis. ?Sie ist die Wurzel für all das Leiden und bliebt eine Gefahr für die Menschheit.?
– die Wiedervereinigung von Mauritius und damit vollständige Entkolonisierung,
– das Rückkehrrecht und Entschädigung für alle Chagossians
Lalit betont, dass die Interessen, die vom US-Militär geschützt werden, die der herrschenden Klassen sind. Lalit vergisst nicht zu fordern, dass nach Auflösung der Basis für die Zivilangestellten andere Arbeitsplätze gefunden werden und dass die Umweltschäden beseitigt werden müssen.
Seit den 1960er Jahren ist es den USA immer wieder gelungen, Parteien, Politiker, Regierungen und den Privatsektor in Mauritius dazu zu bringen, sich in der Chagos-Frage zurückzuhalten, um im Gegenzug Handelsvorteile z.B. für die mauritischen Zucker- und Textilexporte sowie andere Vergünstigungen zu genießen. Jetzt, vor den Verhandlungen über die Chagos-Inseln, hat die US-Botschaft in Mauritius ihre finanzielle Hilfe für mauritische Nicht-Regierungsorganisationen erhöht. Lalit hat im September dazu aufgerufen, dieses ?schmutzige Geld? nicht anzunehmen. Bei der Konferenz der War Resisters? International im Juli in Kapstadt wird Diego Garcia ebenfalls Thema sein.
Lalit engagiert sich auch gegen die offizielle ethnoreligiöse Unterteilung der Bevölkerung in Mauritius. Ein Ausdruck davon ist, dass Parlamentskandidaten sich entweder als Hindus, Muslime, Chinesen oder General Population registrieren lassen müssen, damit später in einem komplizierten Verfahren Ausgleichssitze für unterrepräsentierte Bevölkerungskategorien vergeben werden können. Lalit wendet sich gegen die Politik der Spaltung der Bevölkerung und verweist auf das Unheil, das solche Kategorisierungen in Ländern wie Südafrika, Jugoslawien, Ruanda und Indien hervorgerufen haben.
Stattdessen kämpft Lalit für die höhere Wertschätzung des Kreolischen, der Alltagssprache, die fast alle in Mauritius ungeachtet ihrer Ethnizität verbindet. Lalit hat dazu beigetragen, dass seit 2012 die Volkssprachen Kreolisch und Bhojpuri in den Schulen zumindest berücksichtigt werden, und nicht nur die Hochsprachen Englisch und Französisch und so genannte Vorfahrensprachen wie Hindi, Urdu, Tamil und Chinesisch.
Neuregelung im Jahr 2014?
Seit Jahren wird diskutiert, einige Chagos-Inseln wiederzubesiedeln und für Ökotourismus zu öffnen. Nach Gesprächen mit dem britischen Premierminister Cameron 2012 erklärte der mauritische Premierminister Navinchandra Ramgoolam (Mauritius Labour Party/Parti Travailliste), dass man ein Fenster der Gelegenheit habe, den Streit so beizulegen, dass Mauritius die Souveränität über die Chagos-Inseln ausüben und die USA die Basis weiterhin für Verteidigungszwecke nutzen könnten. Schon früher hatten sich mauritische Politiker so geäußert.
Eine Rückgabe der Inseln an Mauritius oder ein ?Co-Management?, wie es Mauritius und Frankreich auf der Insel Tromelin praktizieren, wäre also nicht das Ende der Militärbasis. Mauritius würde sich die Verlängerung des Pachtvertrags gut bezahlen lassen. Dass Mauritius Standort eines internationalen Gerichts zur Verfolgung von Piraterie wird, könnte schon ein Teil der Einigung sein.
Man ist offenbar bestrebt, 2014 eine einvernehmliche Regelung zu finden, damit weder die 2015 anstehende Wahl in Mauritius noch der Commonwealth-Gipfel, der 2015 für Mauritius vorgesehen war, vom Chagos-Konflikt überschattet werden. Allerdings kann Mauritius 2015 nicht Gastgeber sein, weil Premierminister Ramgoolam zusammen mit den Regierungschefs von Kanada und Indien die Commonwealth-Konferenz im November 2013 in Sri Lanka boykottiert hat, um gegen die massiven Menschenrechtsverletzungen an der tamilischen Bevölkerung durch Regierung und Militär von Sri Lanka zu protestieren.
Es könnte also passieren, dass es 2014 zu einer Einigung kommt, die die Ansprüche von Mauritius befriedigt, aber nicht die Militärbasis Diego Garcia beseitigt. Für alle, die die Schließung des Kriegsstützpunkts erreichen wollen, sind die nächsten Monate entscheidend.
Gernot Lennert ist Geschäftsführer des hessischen DFG-VK-Landesverbands.
Der Beitrag ist der
http://www.zivilcourage.dfg-vk.de
Zivilcourage 1-2014 im Februar 2014
entnommen