Für den „Tag der Deutschen Einheit“ ruft eine von zehn Einzelpersonen getragene Initiative unter dem Motto „Nein zu Krieg und Hochrüstung! Ja zu Frieden und internationaler Solidarität.“ zu einer Demonstration und Kundgebung in Berlin auf. Als Bundesverband der „Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen“ haben wir an der Organisation und dem Aufruf Kritik.
Bereits auf unserem letzten Bundesausschuss-Treffen am 6. Juli 2024 haben die rund 25 Delegierten unserer Landesverbände, Arbeitsgruppen und des Bundessprecher*innenkreises über die damals angekündigte Demonstration gestritten. Bereits 2023 hatte die Einzelpersonen-Initiative „Nie wieder Krieg – Die Waffen nieder“ eine Demonstration organisiert, an der es viel Kritik gab, weshalb wir als Verband nicht zur Teilnahme daran aufgerufen haben. Trotz unserer Skepsis waren wir für die neue Demonstrationsplanung offen: Die Aufrüstung in Europa schreitet gefährlich voran und die sicherheitspolitische Lage spitzt sich immer weiter zu. Allerdings zeigte sich schnell, dass eine inhaltliche Mitwirkung an der Demonstration nicht gewünscht war.
Undemokratische Organisation
Leider gab es seitens des Organisationskreises keine Möglichkeit für uns, an der Aufruf-Diskussion mitzuwirken. Aus eigener Erfahrung – etwa mit unserem „Stoppt das Töten in der Ukraine“-Bündnis – wissen wir, wie langwierig und schwierig solche Diskussionen unter Beteiligung vieler Organisationen sein können. Und manchmal findet man auch nicht zusammen (so haben sich etwa einige Gruppen aus dem „Stoppt das Töten in der Ukraine“-Bündnis herausgezogen, als dort eine klare Positionierung gegen Waffenlieferungen aber für zivile Hilfen für die Ukraine festgelegt wurde). Überhaupt die Möglichkeit zu haben, mitzudiskutieren ist (uns) aber wichtig – und kann Proteste auf breite Beine stellen. Für die für den 3. Oktober 2024 in Berlin geplante Demonstration war dies leider nicht der Fall. Auch hat sich der Organisationskreis mit der schnellen Veröffentlichung des Aufrufes diesen für uns notwendigen Diskussionen entzogen.
Drei inhaltliche Kritikpunkte
Wir haben uns daher proaktiv am 28. Juni mit einer E-Mail an den Organisationskreis gewandt und drei Forderungen gestellt, die unserer Meinung nach in dem Aufruf für den 3. Oktober enthalten sein sollten:
Schutz und Asyl für alle Menschen, die dem Krieg entfliehen wollen – insbesondere brauchen Kriegsdienstverweiger*innen und Deserteur*innen aus Russland, Belarus und der Ukraine Schutz und Asyl in Deutschland und der EU.
Für uns heißt „internationale Solidarität“ auch Menschen zu unterstützen, die unter dem Krieg leiden – und ihnen hierzulande Schutz zu gewähren. Die Lage für Kriegsdienstverweigerer*innen und Deserteur*innen in Russland und Belarus ist schon seit langer Zeit sehr schlecht – die für ukrainische verschärft sich immer weiter. Wir begrüßen es, dass die Forderung „Recht auf Kriegsdienstverweigerung überall! – Keine Zwangsrekrutierung!“ im Aufruf für die 3. Oktober-Demo enthalten ist. Sie ist aber nicht weitgehend genug: Kriegsdienstverweigerung ist bereits Menschenrecht – es gilt diejenigen zu unterstützen, denen dies nicht eingeräumt wird. Wir finden das Fehlen der Forderung nach Schutz und Asyl für die vom Krieg betroffenen Menschen gerade in Zeiten des politischen Rechtsrucks bedauerlich. Uns überrascht das Fehlen der Forderung allerdings auch nicht, da an der Organisation der Demonstration nicht wenige Mitglieder und Sympathisant*innen der Partei Sahra Wagenknechts beteiligt sind, die sich schon häufig gegen die Unterstützung Asylsuchender ausgesprochen hat. Womöglich wird Wagenknecht selbst auf der Demonstration auch wieder eine Bühne gegeben werden. Als DFG-VK setzen wir uns aus tiefster Überzeugung für „Schutz und Hilfe“ für Kriegsdienstverwerigerer*innen sowie im weitesten Sinne gegen Nationalismus ein, so wie es auch unsere Satzung vorsieht (§ 2 Zweck und Ziele). Wir sind für politisch rechte Positionen nicht offen.
Der Krieg in der Ukraine hat eine Vorgeschichte, in der auch die NATO eine negative Rolle spielt – diese Vorgeschichte kann jedoch nicht den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands rechtfertigen: Russland kann die Kampfhandlungen jederzeit einstellen und damit diesen Krieg beenden.
Auch diese zweite Forderung von uns wurde von den Organisator*innen der 3. Oktober-Demonstration leider nicht aufgenommen. Im gesamten Aufruf wird „Russland“ überhaupt nur an einer Stelle erwähnt: „Statt sich für Frieden einzusetzen, liefert der Westen – einschließlich der Bundesregierung – immer mehr Waffen und beschleunigt die Eskalation durch die Erlaubnis, diese auch gegen russisches Gebiet einzusetzen.“ Auch wenn wir den Satz inhaltlich mittragen, darf es nicht sein, dass im einzigen Satz des Aufrufs, in dem Russland vorkommt, das Land auch noch in Schutz (vor ukrainischen Angriffen) genommen wird. Es fehlt ein Satz, der die Ukraine in Schutz vor russischen Angriffen nimmt. Auch wir haben scharfe Kritik am Verhalten der NATO wie auch allgemein der „westlichen Staatengemeinschaft“ – etwa an der „Osterweiterung“ und den teilweise sogar völkerrechtswidrigen Interventionen in andere Länder. All das kann den großangelegten Angriff Russlands seit Februar 2022 – und bereits die Annexion der Krim 2014 – aber nicht rechtfertigen. Nichts kann das. Eine Demonstration, mit der für Frieden gestritten wird, muss alle Kriegstreiber*innen klar benennen und verurteilen – sonst sollte sie die Bezeichnung „Frieden“ nicht tragen dürfen. Als Friedensbewegte in Deutschland sollten wir zudem nicht vergessen, dass es letztlich Wladimir Putin war, der der deutschen Regierung überhaupt die Legitimation für die militärische „Zeitenwende“ – die ganze Aufrüstung – lieferte. Friedensdemonstrationen zum Ukraine-Krieg in Berlin sollten daher auch Russland bzw. konkret die zentral gelegene russische Botschaft adressieren.
Für Gruppen und Menschen aus dem nationalistischen, antidemokratischen oder rechtsextremen Spektrum und solchen, die mit ihnen zusammenarbeiten, ist auf der Aktion kein Platz – wir streiten für eine Welt, in der alle Menschen frei, friedlich und in Sicherheit leben können!
Seit 2014 gibt es Versuche politisch rechter Kräfte, Friedensproteste zu unterwandern. Zudem springen zunehmend Anhänger*innen aus dem Spektrum der „Corona-Leugner*innen“ die oft antisemitischen und nationalistischen Verschwörungsmythen anhängen, auf das Thema „Frieden“ auf und versuchen es für sich zu vereinnahmen. Auch dies war bereits auf der Demonstration des „Nie wieder Krieg“-Kreises 2023 zu beobachten. Mindestens eine Person aus dem Organisationskreis der 3. Oktober-Demonstration hat mehrfach den Schulterschluss zu Gruppen aus dem Spektrum der Corona-Leugner*innen gesucht – und auch schon öffentlich für eine gemeinsame Front geworben. Im Aufruf ist die Forderung „Keine Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit!“ enthalten. Diese ist – natürlich – nicht falsch, ist aber vor allem aus dem Spektrum der Anhänger*innen von Verschwörungsmythen zu hören und soll diese ansprechen. Eine Abgrenzung nach Rechts – gegen Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, usw. – fehlt in dem Aufruf. So etwas wurde erst – aber immerhin – einige Wochen nach Veröffentlichung des Demonstrations-Aufrufs als Erklärung des Organisationskreises auf die Website gestellt. Darin grenzt man sich von „Rassismus, Antisemitismus und Faschismus“ ab – was wir sehr begrüßen. Dass dies nicht schon beim Aufruf mitgedacht wurde – und nach wie vor kein Teil des Aufrufs ist – ist dennoch irritierend. Es ist zu befürchten, dass sich politisch rechte Kreise sowie Anhänger*innen von Verschwörungsmythen von der Demonstration angezogen fühlen (eben weil auch die schon angesprochene Forderung nach „Schutz und Asyl“ fehlt). Dies zeigte schon eine Online-Konferenz zur geplanten Demonstration, an der wir neben rund 250 weiteren Personen am 30. Juni 2024 teilgenommen haben. Nach einem sehr guten Input unseres Mitglieds Margot Käßmann haben uns in der anschließenden Diskussion viele Aussagen entsetzt: Man solle Wladimir Putin nicht verurteilen – er habe keinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg begonnen; die Friedensbewegung müsse endlich mit politisch rechten Kräften zusammengehen; Teilnehmende der großen Anti-AfD-Demonstrationen am Anfang des Jahres seien vom Staat finanziert worden. Und das waren nur einige der in der Runde unwidersprochenen Aussagen. Wir waren fassungslos.
Bauchschmerzen mit der Demonstration
Der Aufruf zur Demonstration am 3. Oktober ist nicht per se falsch. An einigen entscheidenden Stellen fehlt aber etwas. Und da einige der Einzelpersonen aus dem Initiativkreis teils Jahrzehnte in der deutschen „Friedensbewegung“ aktiv sind und sicherlich ein enormes Wissen über Friedenspolitik haben, müssen wir davon ausgehen, dass das Fehlen gewisser Inhalte weniger ein Versäumnis als vielmehr beabsichtigt ist. Da nicht nur wir als DFG-VK Bundesverband Kritik am Aufruf und der Organisation der Demonstration haben, hat der Organisationskreis am 22. August 2024 rund ein Dutzend Gruppen-Vertreter*innen zu einem Online-Meeting eingeladen. Diese Gesprächsbereitschaft fanden wir gut. Wir haben unsere Kritik am undemokratischen Aufruf-Verfahren sowie unsere drei inhaltlichen Punkte beim Treffen angesprochen. Am Aufruf wollte man keine Änderungen mehr machen – die nach Rechts abgrenzende Erklärung wurde immerhin präsenter unter den Aufruf gestellt.
Zudem wurde vom Organisationskreis die Möglichkeit angeregt, eigene Aufrufe zu der 3. Oktober-Demonstration zu verfassen. Dies werden wir nicht wahrnehmen: Wir werden unsere Mitglieder nicht zu einer Demonstration mobilisieren, zu der Menschen vielleicht mit einem inhaltlich ganz anderen Aufruf mobilisiert wurden – und sie später doch als Gesamtmasse unter dem mangelhaften Hauptaufruf subsumiert werden. Wir wollen keine Leute zu einer Demonstration herbeischaffen, die wir inhaltlich nicht mitgestalten konnten und deren Aufruf geprägt vom Fehlen von für uns elementaren Inhalten und Forderungen ist. Denn auch bei den Redner*innen herrscht Intransparenz und die zehn Einzelpersonen entscheiden darüber. Wir erinnern aber auch an unsere Satzung (§ 7 Gliederungen des Verbandes), laut der DFG-VK-Gruppen ihre Angelegenheiten selbstständig regeln und daher selbst entscheiden, auf welche Demonstration sie gehen oder nicht. Allen Mitgliedern, die am „Tag der Deutschen Einheit“ nach Berlin fahren, empfehlen wir ein wachsames Auge darauf zu haben, mit wem sie demonstrieren und was auf Transparenten und Schildern gefordert wird sowie genau zuzuhören was auf der Bühne gesagt wird (und was nicht). Auch fordern wir unsere Mitglieder auf, bei rechten oder verschwörungsideologischen Parolen oder Inhalten laut zu sein und dagegen auch innerhalb der Demonstration zu protestieren.
Zum Schluss wollen wir aber auch darauf aufmerksam machen, dass Friedensproteste tatsächlich jederzeit und überall möglich sind! Es gibt – von uns mitgestaltete – Kampagnen gegen den Krieg in der Ukraine, für Schutz und Asyl für alle vom Krieg betroffenen, gegen eine Reaktivierung der Wehrpflicht und viele, viele, viele, viele mehr. Wir stellen Friedensgruppen Aktionssets zur Verfügung und kommen mit unserem Friedenstransit zu euch. Und zahlreiche Flyer, Transparente und weitere Materialien für Aktionen findet ihr teilweise kostenlos, teilweise zum Selbstkostenpreis bei uns im Shop. Macht überall Friedensaktionen – benennt alle Kriegstreiber*innen und seid empathisch mit den Opfern!
Der Bundessprecher*innenkreis der DFG-VK und das restliche DFG-VK Team (Michi Schulze von Glaßer, Elvin Çetin, Yannick Kiesel), Stuttgart am 28. August 2024