Stoppt Drohnenkrieger!
Eine Neue Form des Krieges
Von Arno Neuber
Großes Gedränge herrschte im letzten Herbst bei der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) in Berlin. Die Veranstalter hatten erstmals eine eigene Ausstellungsfläche für Groß-Drohnen eingerichtet. Zu besichtigen waren in Originalgröße Modelle der Predator von General Atomics, der israelischen Heron, der Talarion von EADS oder der Eurohawk von Northrop Grumman. Die Veranstalter zeigten sich absolut begeistert von den „Unmanned Aircraft Systems“ (UAS), die sie als das „derzeit dynamischste Segment“ in der Luftfahrt betrachten, das eine „hohe Akzeptanz in der Zielgruppe internationaler militärischer Entscheider“ besitze.
Wenige Wochen zuvor hatte Verteidigungsminister Thomas de Maizière die Debatte um die Beschaffung bewaffneter Drohnen mit einer Provokation in die Öffentlichkeit getragen: „Ethisch ist eine Waffe stets als neutral zu betrachten.“
So überrascht der ministerielle Vorstoß in den meisten Medien aufgenommen worden war, hatte er doch eine längere Vorgeschichte. Schon im Jahr 2011 hatte ein wissenschaftliches Gutachten im Auftrag des Deutschen Bundestages ergeben, dass insbesondere die Luftwaffe, aber auch Marine und Heer den Einsatz von unbemannten Systemen planen. Bei der Luftwaffe ginge es danach um „Lufttransport, Luftbeladung und Luftkampf“. „Unbemannte Luftfahrzeuge“ sollten künftig „gegnerische Flugplätze mit ihren Einrichtungen und dort stationierten Luftkriegsmitteln“ zerstören, war der Frankfurter Rundschau vom 2. August 2012 zu entnehmen. Mit anderen Worten: Drohnen sollen für Angriffsoperationen zur Zerstörung von gegnerischen Flugzeugen und Flugplätzen eingesetzt werden.
Im Rahmen des Programms „Forschung für zivile Sicherheit“ hat das Bundesministerium für Forschung und Bildung in den Jahren 2007 bis 2012 rund 279 Millionen Euro für Forschungsprojekte ausgegeben, die sich in der Grauzone zwischen zivilen und militärischen Anwendungsmöglichkeiten bewegen: Sprengstoffsensoren, biometrische Gesichtserkennung – und Drohnen. Die Gelder flossen auch an erste Adressen der Rüstungsindustrie wie Diehl, Rheinmetall, Thales und EADS.
Bundeswehr will Kampfdrohnen
„Der Appetit der Politik wird abnehmen, solche Einsätze wie Afghanistan zu wiederholen“, führt der Chef der Luftwaffe, Generalleutnant Karl Müllner, laut den Badischen Neuesten Nachrichten vom 31. August 2012 als Grund für die Notwendigkeit an, dass die Bundeswehr sich bewaffnete Drohnen zulegen soll, und sagte: „Das ist militärisch sinnvoll.“
Anstatt Bilanz zu ziehen und sich auf den Verteidigungsauftrag des Grundgesetzes zu besinnen, will die Bundeswehrführung der Politik ein Instrumentarium offerieren, das Kriegseinsätze in aller Welt ermöglicht, ohne dass eigene Opfer zu Debatten in der Öffentlichkeit führen.
Luftwaffenchef Müllner setzt dazu auf den Umbau seiner Truppe in Richtung Kriegsführungsfähigkeit. Wegfallende Dienstposten „wollen wir auch in neue Aufgaben investieren: Für die Einführung von unbemannten Luftfahrzeugen der Hale- und Male-Klasse oder für bessere Fähigkeiten zur Planung und Führung von Luftoperationen“, sagte er im Interview mit der Fachzeitschrift Europäische Sicherheit und Technik im September 2012.
Für diejenigen, die der Ausrüstung der Bundeswehr mit Kampfdrohnen das Wort reden, ist ausgemacht, dass die Bundeswehr künftig immer häufiger in Einsätze zur Sicherung von Handelsrouten und strategischen Rohstoffen, zur Durchsetzung geopolitischer Interessen geschickt wird.
Kampfdrohnen sind für den Militärsoziologen Detlef Buch „die logische Konsequenz aus den vielen konzeptionellen Vorgaben und Papieren, die in und um die Bundeswehr in den letzten 20 Jahren verfasst wurden. Die Bundeswehr soll eine moderne Einsatzarmee werden, die am Hindukusch und überall auf der Welt kämpfen kann. Das ist die Realität im Jahr 2013!“
Wer diese Einsätze nicht in Frage stellt, tut sich leicht damit, Bedenken gegen Kampfdrohnen vom Tisch zu wischen.
Die Opfer sind für die Drohnenbefürworter kein Thema. Beispielsweise Jochen Bittner, der in der Zeit vom 7. Februar schrieb: „Bewaffnete Drohnen können, das muss man sich mal vorstellen, Leben retten.“ Gemeint ist das der eigenen Soldaten im Kampfeinsatz. Es gilt der militaristische Grundsatz, wonach die zweitbeste Waffe rausgeschmissenes Geld ist.
Wer Waffen als „ethisch stets neutral“ betrachtet, hat dabei glatt „übersehen“, dass seit Jahrzehnten ein beharrlicher Kampf um die Ächtung bestimmter Waffengattungen geführt wird – und das mit Recht: Streubomben, Uran-Munition, Antipersonen-Minen, chemische Waffen, Atomwaffen.
Die Verharmlosung von Kampfdrohnen ist bei de Maizière durchgängiges Muster. Ihre Aufgabe sei es, die eigenen Soldaten zu schonen und den Gegner „auf Abstand“ zu halten. „Schon Pfeil und Bogen dienten diesem Ziel“, sagte er laut rp-online vom 10. April.
Vieles, was Thomas de Maizière über Drohnen äußert, erinnert an Konrad Adenauer – der wollte im April 1963 die Bewaffnung der Bundeswehr mit Atomwaffen durchsetzen und erklärte: „Die taktischen Atomwaffen sind im Grunde nichts anderes als eine Weiterentwicklung der Artillerie.“ Deshalb sei es völlig selbstverständlich, „dass unsere Truppen jetzt auch bei uns – das sind ja besondere normale Waffen in der normalen Bewaffnung – die neuesten Typen haben und die neueste Entwicklung mitmachen.“
Die neuesten Waffen entwickeln, besitzen und dann auch einsetzen – darauf läuft das Statement des Verteidigungsministers Ende Januar im Bundestag hinaus: „Bei dieser Zukunftstechnologie muss Deutschland dabei sein. Wir können nicht sagen, wir bleiben bei der Postkutsche, während alle anderen die Eisenbahn entwickeln. Das geht nicht.“
Gesenkte Hemmschwelle
„Bug Splat“ nennt sich ein Videospiel, das sich bei Kindern einiger Beliebtheit erfreut. Ziel ist es, möglichst viele krabbelnde Käfer abzuschießen. „Bug Splat“, zu Deutsch „Käfer klatschen“, lautet auch „der Begriff der US-amerikanischen Behörden für die erfolgreiche Tötung von mutmaßlichen Militanten durch drohnengestützte Hellfire-Raketen“, wie Jutta Weber in ihrem Beitrag „Vorratsbomben im Himmel“ in dem Sammelband „Kriegsmaschinen. Roboter im Militäreinsatz“ schreibt (herausgegeben von Hans-Arthur Marsiske; Hannover 2012).
Die Kontrollteams von Kampfdrohnen befinden sich in einer Szenerie, die eher an ein Computerspiel als an ein Schlachtfeld erinnert. Senkt das die Hemmschwelle zum Einsatz? Ist es leichter, Menschen zu töten, wenn die Szenerie sich am Bildschirm und nicht in der Realität abspielt? Wenn die eine Hand dabei einen Joystick bedient und die andere vielleicht gerade in der Chips-Tüte steckt?
Georg Mascolo, mittlerweile Ex-Chefredakteur des Spiegel, erinnerte in der letzten vom ihm verantworteten Ausgabe am 8. April in seinem Kommentar „Maschinenkrieg“ an die Situation vor dem Kunduz-Massaker, bei dem weit mehr als hundert Menschen ihr Leben verloren, die meisten von ihnen Zivilisten, auch Kinder: „Fünfmal fragen die Kampfpiloten, ob sie ihre Waffen tatsächlich einsetzen sollen; sie wollen nicht. Abwerfen, lautet dann der Befehl eines deutschen Obersts. Er schaut, weit entfernt vom Schlachtfeld, im deutschen Feldlager auf einen Computerschirm. Wie die Controller im Drohnen-Krieg.“
Philip Alston, Juraprofessor an der New-York-University spricht mit Blick auf den Drohnenkrieg der CIA in Pakistan von einer „Playstation-Metalität“.
Für Drohnen-Befürworter in Deutschland ist das kein Argument. Wer so etwas behaupte, der müsse dann auch dafür eintreten, „die Panzerung von Patrouillenfahrzeugen abzuschrauben. Die senkt nämlich auch die Hemmschwelle zum Ausrücken“ – so Jochen Bittner am 7. Februar in der Zeit.
In der Bundestagsdebatte über Drohnen ließ sich Verteidigungsminister de Maizière beim Thema „gezielte Tötungen zu dieser unsäglich verharmlosenden Polemik hinreißen: „Ich sage Ihnen jetzt einmal eines: Jeder Polizist und jeder Soldat lernt in seiner Grundausbildung, gezielt zu treffen. Der Sinn des Zielens ist, dass man das trifft, was man treffen will, und nicht das, was man nicht treffen will. Wir Deutschen wissen, was Flächenbombardements sind.“ Bei so viel nassforscher Verniedlichung und Geschichtsklitterung stockt einem der Atem.
Der Drohnen-Krieg der USA
Obwohl die US-Regierung ihren Drohnen-Krieg weiterhin in einen Nebel von Geheimhaltung, Vertuschung und Beschönigung hüllt, ist inzwischen bekannt, dass es in den USA zwei Varianten der tödlichen Operationen gibt.
Unter der Präsidentschaft von George W. Bush wurden die so genannten „personality strikes“ eingeführt. Mit ihnen sollten Führungspersonen von Terrorgruppen getötet werden, denen man die Gefährdung der nationalen Sicherheit der USA vorwarf.
Sein Nachfolger, der Friedensnobelpreisträger (!) Barack Obama, ließ die Drohneneinsätze massiv ausweiten und um „signature strikes“ ergänzen. Dabei werden verdächtige Menschenansammlungen unter Feuer genommen. Um in Verdacht zu geraten, genügt es, einem bestimmten zuvor erstellten Profil zu entsprechen, das die Gruppe irgendwie in einen Zusammenhang mit vermuteten terroristischen Aktivitäten bringt. Wie schwammig diese Vorgabe ist, illustriert ein Scherz, der in US-Regierungskreisen kursieren soll. Danach geht die CIA von einem „Trainingscamp für Terroristen“ aus, „sobald sie drei Leute sieht, die Purzelbäume schlagen.“ Bei solchen Aktionen gibt es nach offiziellen Verlautbarungen nie zivile Opfer. Alle Getöteten im waffenfähigen Alter gelten einfach als „feindliche Kämpfer“.
Die von der CIA verantworteten Tötungsaktionen mit Drohnen werden seit 2004 in Pakistan, im Jemen und in Somalia durchgeführt. An ihnen sind offenbar auch private Söldnerfirmen beteiligt. Im Januar 2012 bestätigte der US-Präsident erstmals offiziell die Existenz des Drohnen-Programms.
Amtliche Zahlen, wie viele Killer-Drohnen die CIA im Einsatz hat, gibt es nicht. Eine aktuelle Schätzung in der April-Ausgabe von Europäische Sicherheit und Technik geht von rund 35 Stück der Typen Reaper und Predator aus.
Das Büro für investigativen Journalismus in London wertete im August 2011 die vorliegenden Medienberichte zu Drohnenangriffen aus. Im Ergebnis sollen bei mindestens 291 Drohneneinsätzen in Pakistan seit 2004 zwischen 2.292 und 2.863 Menschen getötet worden sein. Dabei kamen zwischen 385 und 775 Unbeteiligte ums Leben, davon 164 Kinder. Bis 2012 soll die Zahl der Angriffe mit Drohnen nach Angaben des Londoner Büros auf 356 in Pakistan gestiegen sein. In Jemen sollen es zwischen 2002 und 2012 bis zu 52 gewesen sein.
Dazu kommen weitere Operationen auf Befehl des Joint Special Operations Command (JSOC) der US-Armee. Dieses Hauptquartier soll für bis zu 80 weitere „targeted killing“-Drohneneinsätze im Jemen und in verschiedenen afrikanischen Ländern verantwortlich sein.
Im September 2012 legten Wissenschaftler der rechtswissenschaftlichen Fakultäten der Stanford-University Kalifornien und der New-York-University eine international viel beachtete Studie über den Drohnenkrieg in Pakistan vor, „Living Under Drones“ (
http://www.livingunderdrones.org
www.livingunderdrones.org
). Die Autoren beschreiben darin, wie die Drohnenangriffe in Pakistans Stammesgebieten die Bevölkerung terrorisieren und radikalisieren. Die Menschen dort meiden inzwischen jegliche Versammlung. „Sie trauen sich nicht mehr, auf dem Markt einzukaufen, ihre Kinder zur Schule zu schicken oder in die Moschee zu gehen“, so der Leiter der Studie, Stephan Sonnenberg. Die Menschen wagen sich nicht mehr auf die Felder. Sie werden außerdem „daran gehindert, ihre alltäglichen Konflikte zu lösen“, erklärt er. Die Treffen der Stammesältesten, die für diese Konfliktlösungen zuständig sind, finden immer seltener statt, weil auch sie schon Ziel von Drohnenangriffen wurden.
Die US-Armee hat Kampfdrohnen u.a. in den Kriegen in Afghanistan, im Irak und in Libyen eingesetzt. Sie verfügt derzeit über rund 250 große Kampfdrohnen der Typen MQ-1, MQ-1C, MQ-9; Beschaffungspläne existieren für weitere 500. Insgesamt soll das Pentagon über 7.500 unbemannte Fluggeräte verfügen, im Jahr 2002 waren es weniger als 200. Die Ausgaben für Drohnen stiegen von 285 Millionen US-Dollar im Jahr 2000 auf vier Milliarden US-Dollar 2012. Die britische Zeitschrift Guardian meldete schon im August 2009, dass die US-Luftwaffe inzwischen mehr Drohnen-Lenker als Kampfflugzeug- und Bomberpiloten ausbilde.
In Afghanistan setzt die US-Luftwaffe immer stärker auf Drohnen. Ende 2012 waren dort bereits neun Prozent aller bewaffneten Flugeinsätze Drohnenoperationen. Nach einer Armee-Statistik vom Januar 2013, die das Büro für investigativen Journalismus dokumentierte, feuerten Kampfdrohnen im Jahr 2011 in Afghanistan 294 Raketen ab, 2012 waren es 494 und in diesem Januar bereits 44.
Um der wachsenden Kritik in den USA keine weitere Nahrung zu geben, wurde die monatliche Veröffentlichung der Einsätze in Afghanistan von der Isaf-Führung und dem US-Central Command inzwischen gestoppt.
Im Oktober 2012 wurde bekannt, dass auch die britische Armee bereits seit 2007 in Afghanistan Kampfdrohnen einsetzt. Zu den fünf vorhandenen Kampfdrohnen wurden im Herbst des letzten Jahres weitere fünf Reaper von den USA gekauft und in Dienst gestellt. Das Verteidigungsministerium gibt an, die Drohnen hätten 40.000 Flugstunden über Afghanistan absolviert und 334 Bomben und Hellfire-Raketen abgefeuert. Es wurde eingestanden, dass dabei vier Zivilisten ums Leben gekommen seien.
Drohnenkrieger pfeifen auf Recht und Moral
Während das Weiße Haus die Drohneneinsätze verteidigt und behauptet, „diese Einsätze sind legal, sie sind ethisch und klug“ – so der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney, laut der Welt vom 6. Februar -, ist für Juristen wie Prof. James Cavallaro von der Standford-University klar: „Viele der Angriffe mit bewaffneten Drohnen sind nicht vereinbar mit dem Völkerrecht. Und für Angriffe, die wissentlich oder absichtlich gegen das Völkerrecht verstoßen, dafür gibt es einen Begriff: Kriegsverbrechen.“
Die Befürworter der gezielten Tötungen berufen sich auf das Selbstverteidigungsrecht von Staaten, das ihnen die UN-Charta einräumt. Sie sehen die USA im Krieg „gegen den Terrorismus“ und behaupten, Drohnenangriffe gelten lediglich feindlichen Kämpfern.
Für Armin Krishnan ist schon die Verwendung des Begriffes „gezielte Tötung“ eine reine Vertuschungsstrategie, die versucht, Legalität oder zumindest Legitimität vorzutäuschen, wo Willkür herrscht. „Gezielte Tötungen sind nur schwer vom politischen Mord oder Attentat abzugrenzen.“ Das liegt nicht nur daran, dass die Definition von „Terrorismus“ in der Regel politisch willkürlich eingesetzt wird, um den Gegner zu stigmatisieren, sondern auch daran, dass die Ausführenden solcher Tötungsaktionen (Geheimdienste, Spezialkommandos, Söldnerfirmen) auch in politische Attentate verwickelt sind.
Im Mai 2012 schmiss deshalb der US-Botschafter in Islamabad, Cameron Munter, seinen Job hin. Begründung: Er habe nicht gewusst, dass seine Aufgabe als Vertreter der USA „vor allem darin besteht, Leute umzubringen.“
Und der konservative Kolumnist der Washington Post, Charles Krauthammer, nennt den Drohnenkrieg „Mord per Fernbedienung“. Bei der Auswahl von Zielpersonen helfen offenbar Informanten aus der lokalen Bevölkerung. „Deren Glaubwürdigkeit dürfte aber gering sein. Wir gehen davon aus, dass Spione auch schon mal jemanden wegen persönlichen Zwists verleumdet haben“, erläutert Stephan Sonnenberg.
Bei einer Bundestags-Anhörung im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe bezeichneten Experten Ende Februar die US-Praxis der gezielten Tötungen mit Hilfe von Drohnen als Selbstermächtigung und klaren Verstoß gegen das Völkerrecht. Bislang hält man sich in der Bundesregierung mit offizieller Kritik an den Praktiken der USA allerdings zurück. Dabei gerät Berlin zunehmend in den Ruch der Komplizenschaft. Selbst die regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und Politik warnt, dass Informationen deutscher Nachrichtendienste von der CIA zum Aufspüren und Töten von Terrorverdächtigen genutzt werden könnten.
Im Oktober 2010 wurde ein deutscher Staatsbürger in Pakistan als Terrorverdächtiger durch eine US-Drohne getötet, im März 2012 traf es einen weiteren Bundesbürger in Süd-Waziristan.
Inzwischen sind auch die Vereinten Nationen alarmiert. Im letzten Sommer forderten sie die US-Regierung auf, ihre Regelungen und Verfahrensweisen zu erläutern, die sicherstellen sollen, dass gezielte Tötungen im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht und den Menschenrechten stehen, und darzulegen, wie eine unabhängige öffentliche Untersuchung bei Verstößen möglich ist. Im Oktober wurde eine Untersuchungsgruppe im Rahmen der Sonderverfahren des UN-Menschenrechtsrates gebildet. Ende Januar kündigte Ben Emmerson, UN-Sonderberichterstatter zu Terrorbekämpfung und Menschenrechten, die Untersuchung von 25 Drohnenangriffen an, die in Pakistan, im Jemen, Somalia, Afghanistan und dem Westjordanland dokumentiert sind.
Anfang dieses Jahres wurde öffentlich bekannt, dass die US-Regierung sich auch die Tötung von US-amerikanischen Staatsbürgern im Ausland vorbehält, die im Verdacht stehen, Führungsmitglied von Al-Kaida oder verbündeter Gruppen zu sein; dabei muss nicht einmal ein konkreter Anschlagsverdacht bestehen.
Im Juli 2012 wurde in den USA eine Klage gegen die Tötung von US-Staatsbürgern im Jemen eingereicht. Dort wurden am 30. September 2011 die US-Staatsbürger Imam Anwar al-Awlaki und Samir Khan durch eine Drohne getötet. Den Befehl hatte der US-Präsident persönlich erteilt. Am 14. Oktober 2011 wurden überdies bei einem weiteren Drohnenangriff zwei Kinder, darunter der 16jährige, in Colorado geborene Sohn von al-Awlaki getötet. Eingereicht wurde die Klage, die sich gegen den damaligen US-Verteidigungsminister Panetta, CIA-Direktor Petraeus und zwei Kommandeure von Spezialeinheiten richtet, von der American Civil Liberties Union (ACLU) und dem Center for Constitutional Rights (CCR) im Namen von Angehörigen der Getöteten.
Drohnenbefürworter gebrauchen gerne die Vokabeln „präzise“ und „chirurgisch“, wenn sie über Kampfeinsätze reden. John Brennan, Obamas Berater für Terrorismusbekämpfung und seit dem 8. März Direktor der CIA, behauptet, dass es seit August 2010 „nicht einen einzigen zivilen tödlichen Kollateralschaden“ bei Drohnenangriffen der USA gegeben habe.
Nach einer Studie der Universität Stanford sollen unter den Drohnen-Opfern dagegen mindestens 20 bis 30 Prozent unschuldige Zivilisten sein. Lediglich zwei Prozent seien hochrangige Mitglieder von Terrorgruppen.
Im April 2013 gab das US-Medienhaus McClatschy bekannt, dass man im Besitz von Geheimdienstmaterial über Drohneneinsätze im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet sei. Die Dokumente erstrecken sich auf die Jahre 2006 bis 2008 und 2010 bis 2011. Sie zeigen, dass bei den Einsätzen die öffentlich vom US-Präsidenten genannten Einsatzkriterien für Drohnenangriffe in der Praxis keine maßgebliche Rolle spielen. Behauptet die US-Regierung, dass die Ziele stets sorgfältig ausgewählt würden, so heißt es in den Geheimdienstberichten immer wieder, dass die Männer, die die Drohnen steuerten, „nicht immer sicher waren, wen sie töteten.“
Neue Form des Krieges
Die Praxis der „gezielten Tötungen“, die US-Geheimdienste und das Militär anwenden, werden in der Regel als Reaktion auf die Aktivitäten terroristischer Gruppen dargestellt. Tatsächlich handelt es sich beim Drohnen-Krieg um eine neue Form des Krieges, die einem viel universelleren Ansatz folgt. Der Krieg wird nicht gegen eine gegnerische Armee geführt, sondern gegen Individuen. „Das moderne Gefechtsfeld ist voll von Zivilisten und fast leer in Bezug auf Kombattanten“, bringt es der Autor des Buches „Gezielte Tötung“ (Berlin 2012), Armin Krishnan, auf den Punkt.
In diesen Kriegen, in denen es um den Zugang zu Rohstoffen, die Beherrschung von geostrategisch wichtigen Gebieten, die Eindämmung des Einflusses konkurrierender Mächte geht, werden nicht mehr ganze Länder besetzt. Es genügt häufig, den entsprechenden Luftraum zu überwachen, zu kontrollieren und zu beherrschen.
Drohnen liefern rund um die Uhr Überwachungsergebnisse und feuern bei Bedarf Raketen auf identifizierte Gegner ab. Gezielte Tötungsaktionen sind dabei Teil von Aufstandsbekämpfungskonzepten, mit denen der Widerstand der Menschen in den Regionen gebrochen werden soll, die die westlichen Interventionsmächte als strategisch bedeutsam ansehen.
Dabei geraten immer stärker die großen Städte auf der südlichen Erdhalbkugel in den Fokus westlicher Militärs.
„Für westliche Streitkräfte wird die asymmetrische Kriegsführung in städtischen Bereichen die größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts sein (…). Die Stadt wird die Grundlage strategischer Überlegenheit sein – wer immer sie kontrolliert, wird die Richtung zukünftiger Ereignisse in der Welt diktieren können.“ (Dickson, Keith: The war on terror: Cities as the strategic high ground. Mimeo. In. Marsiske (Hrsg.): Kriegsmaschinen. Roboter im Militäreinsatz. Hannover, 2012)
Bislang galt die Regel, dass Städte schwieriges Gelände für die modernen Armeen des Westens sind, das man am besten meidet. Im Dickicht der Städte können weder Kampfpanzer operieren, noch lässt sich die eigene Informations- überlegenheit durch Luftüberwachung oder die ausgefeilten Kommunikationsmittel ausspielen. Gleichzeitig ist die technologische Überlegenheit westlicher Armeen aber so weit fortgeschritten, dass kein Gegner sich mehr zu einer Schlacht in offenem Gelände stellt. Erfahrungen aus dem Irak-Krieg haben in den USA, in Großbritannien und in anderen Armeen inzwischen die Überzeugung reifen lassen, dass die so genannte „Revolution militärischer Angelegenheiten“ um ein Konzept des Krieges in den Städten ergänzt werden muss. Es werden Übungsgelände für den Häuserkampf eingerichtet und digitale Simulationen südlicher Städte erstellt. So wurde zum Beispiel ein acht Quadratmeilen großer Abschnitt der indonesischen Hauptstadt Jakarta im Computer dreidimensional nachgebildet samt Inneneinrichtung von 1,6 Millionen Gebäuden, beweglichen Fahrzeugen, Zivilisten und der unterirdischen Infrastruktur. Auch der Rhythmus der Stadt wurde nachgebildet: Tag und Nacht, Wochenende und Rushhours.
Der Traum, den die perversen Hightech-Krieger träumen, besteht aus einer Stadt, die vollgestopft mit Überwachungssensoren ist, die jede Abweichung von „normalen“ Verhaltensmustern melden und Ziele identifizieren, die dann von Drohnen autonom bekämpft werden. Diese Träume beziehen sich nicht auf eine ferne Zukunft und sie brauchen zu ihrer Realisierung keinen „großen Knall“ eines politischen Umbruchs. Die Entwicklung verläuft schleichend und ziemlich lautlos.
Im Februar stellte der US-Rüstungskonzern Raytheon eine neue Software vor. Das Programm mit dem Namen „Riot“ (deutsch: „Aufruhr“) „wertet öffentlich zugängliche Daten aus sozialen Netzwerken aus.“ Daraus lassen sich dann „Persönlichkeits- und Bewegungsprofile erstellen, aus denen sich sogar künftiges Verhalten vorhersagen lässt“, berichtete die Frankfurter Rundschau am 12. Februar. US-Behörden und Unternehmen haben bereits Zugang zu dem Programm.
Die ferngesteuerten Drohnen des Jahres 2013 sind nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zum autonom agierenden und entscheidenden Kampf-Roboter. Die Logik der technischen Entwicklung bringt es mit sich, dass menschliche Entscheider schon bald nicht mehr in der Lage sein werden, die Menge an Daten schnell genug zu überblicken und daraus Entscheidungen abzuleiten. Nimmt der Mensch „beim Drohneneinsatz bislang eine Position innerhalb des Entscheidungsprozesses ein (in the loop), so wird er zum bloßen Beobachter und Bestätiger einer von Maschinen festgelegten Vorgehensweise (on the loop)“, stellen Marcel Dickow und Hilmar Linnenkamp in ihrem „Plädoyer gegen die fliegenden Automaten“ fest (SWP-Aktuell Nr. 75, Dezember 2012).
Und Frank Rieger konstatiert in der FAZ vom 20. September 2012: „Wir stehen vor einem Wettrüsten für einen Krieg autonomer Roboter. Noch entscheiden Menschen und nicht Drohnen über Leben und Tod. Doch die Debatte darüber, was Maschinen können sollen, muss geführt werden, bevor der Fortschritt den letzten Rest Humanität kassiert.“
Drohnenkrieger unter Druck
Inzwischen entwickelt sich in Deutschland eine breite gesellschaftliche Allianz gegen die Drohnenkrieger. Der Appell „Keine Kampfdrohnen“ wurde bereits von über 100 Organisationen und Initiativen unterzeichnet. Die Kritik an den Beschaffungsplänen der Bundeswehr und der Praxis des Drohnenkrieges der USA ist nicht nur in linken Zeitungen und Publikationen der Friedens- und Menschenrechtsbewegung zu lesen, sondern auch im Spiegel und in der FAZ.
Wollte der Verteidigungsminister noch im vergangenen Jahr eine offene Debatte zu bewaffneten Drohnen haben, so heißt es jetzt „volle Deckung“. In der CDU macht man sich Sorgen, dass das Thema der Partei „im Wahlkampf auf die Füße fallen“ könnte. „Einen Zeitdruck, eine solche Entscheidung vor der Bundestagswahl abschließend zu treffen, sehe ich nicht. Sorgfalt geht vor Eile“, sagt jetzt beispielsweise Karl Lamers (CDU), der stellvertretende Vorsitzende im Verteidigungsausschuss. Und andere CDU-Abgeordnete stimmen ihm öffentlich zu.
Dagegen macht der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, für die rasche Beschaffung von Kampfdrohnen mobil. „Es kann sehr schnell zu Einsätzen kommen – siehe Mali. Und eine alte Weisheit lautet: Man zieht immer in den Krieg mit dem, was man hat, und nicht mit dem, was in der Planung ist. So einfach ist (das). Und so ist es bei den Drohnen auch.“
In einem Bericht auf Welt-online vom 1. April wird eine „wahlkampfkompatible Lösung“ angedeutet. Danach soll das Leasinggeschäft für die bisher von der Bundeswehr eingesetzten Heron-1-Drohnen bis 2016 verlängert werden. Im Anschluss soll EADS mit den israelischen Herstellern gemeinsam eine bewaffnete Version der Heron-Drohne liefern. Auf diese „Überbrückungslösung“ könnte die Beschaffung einer EU-Kampfdrohne aus deutsch-französisch-britischer Produktion folgen.
Eine parlamentarische Anfrage des Linke-Abgeordneten Jan van Aken brachte inzwischen an den Tag, dass Luftwaffenchef Karl Müllner im Februar in Israel war, um sich die bewaffnete Version der Heron-Drohne vorführen zu lassen. Bereits im letzten November hatte das Verteidigungsministerium Gespräche mit israelischen Militärs und dem Hersteller der Heron. Und der Pressesprecher des Verteidigungsministeriums stellt klar, dass es zwar vor der Bundestagswahl keine Beschaffungsentscheidung im Parlament geben soll, aber innerhalb des Verteidigungsministeriums werde die „Auswahlentscheidung“ für eine „bewaffnungsfähige Drohne“ noch vor diesem Herbst getroffen.
Arno Neuber ist Mitglied der DFG-VK, Mitarbeiter des Friedensbündnisses Karlsruhe und Beirat der Informationsstelle Militarisierung (IMI).
Der Artikel erschien in der ZivilCourage Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK 2/2013
https://www.dfg-vk.de/thematisches/drohnenkriege/2012/847
Als Material empfehlen wir das Fact-Sheet: Drohnen-Kriege der Informationsstelle Militarisierung und der DFG-VK
Aktuelle Informationen auch bei der von der DFG-VK unterstützten Drohnen-Kampagne der Antikriegs- und FRiedensbewegung unter http://www.drohnen.dfg-vk.de