„Eine andere Welt ist möglich.“
Davon ist Jürgen Grässlin fest überzeugt, der bei einer Friedensgala im voll besetzten Stuttgarter Theaterhaus am 10. Dezember 2016 den Stuttgarter FriedensPreis entgegen nahm. Grässlin hob hervor, dass er den Preis zwar alleine erhalten habe, dass seine Arbeit aber durch das Engagement von vielen Menschen anderen unterstützt werde.
Grässlin sagte: „Ich bin nicht alleine, ich bin ein Netzwerker. Ich glaube fest daran, dass wir zusammen diese Welt ändern können. Und wir werden sie ändern“. Er unterstrich, dass er den Preis auch als eine Auszeichnung für die Kampagne gegen die Rüstungs- und Waffenindustrie verstehe. Grässlin kritisierte die Waffenlieferungen in den Irak, die am Ende auch in den Besitz des Islamischen Staates gelangten, als „Beihilfe zum Mord“.
Wir freuen uns, dass der Stuttgarter FriedensPreis der AnStifter an Jürgen Grässlin verliehen wird, der auch einer der Bundessprecher der DFG-VK ist. Wir verstehen das auch als eine Auszeichnung des Engagements der Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!, bei der die DFG-VK eine Trägerorganisation ist.
Laudatio von Ute Scheub
In ihrer Laudatio würdigt die Publizistin Ute Scheub Grässlins unermüdlichen Elan und mutiges Engagement für die Sache des Friedens unter anderem durch das Schreiben von Büchern, darunter das jüngste: „Netzwerk des Todes – Die kriminellen Verflechtungen von Waffenindustrie und Behörden“. Aus der Laudatio geben wir die Passage wieder, die die wesentliche Aussagen des Buchs zusammenfasst (Zwischenüberschriften DFG-VK).
Das Buch schrieb Jürgen Grässlin „zusammen mit Daniel Harrich und Danuta Harrich-Zandberg. Es erschien 2015 parallel zur ARD-Dokumentation ‚Tödliche Exporte‘ und macht exemplarisch seine investigative Vorgehensweise deutlich. Das Gesamtprojekt wurde mit dem Grimme-Preis für besondere journalistische Leistungen ausgezeichnet.
Die Täter: Heckler&Koch, Sig Sauer, Carl Walter und Fritz Werner
In diesem Buch finden sich jede Menge vertrauliche Dokumente, die den Rechercheuren offenbar von gewissensgepeinigten Insidern zugespielt wurden, über die Exportpraktiken der vier bedeutendsten deutschen Waffenhersteller: Sig Sauer in Eckernförde, Carl Walther in Ulm und Arnsberg, Fritz Werner in Geisenheim und Heckler&Koch in Oberndorf.
Sie zeigen, wie deren Produkte in Regionen landen, in die sie laut Gesetz wegen andauernder Menschenrechtsverletzungen nicht geliefert werden dürfen.
Tausende von Sig-Sauer-Pistolen tauchten jedoch im Bürgerkriegsland Irak auf. Fritz Werner und Heckler&Koch bauten eine G3-Sturmgewehrfabrik in Myanmar auf, damals noch Militärdiktatur. Die Generäle ließen mit den G3 1988 Tausende protestierender Studierender erschießen. In der sudanesischen Hauptstadt Khartum wurde eine ähnliche Fabrik gebaut, deren Produkte bis heute die Kriege in ganz Ostafrika befeuern. In der sudanesischen Provinz Darfur terrorisierten Janjaweed-Reitermilizen die Bevölkerung mit G3-Gewehren. Ein ähnliches Bild ergibt sich in Kolumbien, wo der blutige Bürgerkrieg jahrzehntelang auch mit deutschen Waffen ausgetragen wurde. Oder in Mexiko, dessen mit der Drogenmafia und der organisierten Kriminalität verbandelte korrupte Polizei mit Waffen made in Oberndorf ausgestattet wurde.
Illegale Gewehrlieferungen nach Mexiko mit Unterstützung deutscher Behörden
Eine der vielen schrecklichen Folgen: Im September 2014 wurden 43 junge Lehramtsstudierende in der mexikanischen Stadt Iguala durch Polizisten und Kriminelle verschleppt und massakriert. Ein weiterer Student, Julio César Mondragón, wurde später mit schwersten Folterspuren tot aufgefunden – offenbar mit einem Gewehr von Heckler&Koch erschossen. Und noch einer, Gutiérrez Solano, wurde von Polizeischüssen am Kopf getroffen und liegt seitdem im Koma. Er wird nunmehr durch das renommierte European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) anwaltlich vertreten. Der Ausgang ist offen.
Im Buch ist detailliert nachzulesen, wie diese Waffendeals eingefädelt und trotz menschenrechtlicher Bedenken am Ende von den zuständigen deutschen Ministerien erlaubt wurden. Weil das Auswärtige Amt fürchtete, dass deutsche Waffen in mexikanischen Unruheprovinzen wie Chiapas auftauchen könnten, wurden auf dem Papier ‚ruhige‘ und ‚friedliche‘ Bundesstaaten konstruiert, in die man bedenkenlos Kriegszeugs liefern könne.
Entsprechende „Endverbleibsvermerke“ für die Gewehre wurden in Mexiko einfach gefälscht – unter den fest zugedrückten Augen deutscher Behörden. Hauptsache, der angebliche Endverbleib einer Waffe stimmt auf dem Papier. Was in der Realität passierte, interessierte dann offenbar niemanden mehr. Vor-Ort-Kontrollen gab es jedenfalls keine.
Die unerträgliche Langsamkeit der Justiz
Jürgen Grässlin hat deshalb schon 2010 zusammen mit seinem Tübinger Anwalt Holger Rothbauer 15 Personen von Heckler&Koch und den zuständigen Bundesbehörden angezeigt. Der Ehrgeiz der Stuttgarter Staatsanwaltschaft, mögliche illegale Aktivitäten im Wahlkreis des mächtigen CDU-Bundestagsfraktionschefs Volker Kauder vor den Kadi zu bringen, hielt sich jedoch sehr in Grenzen, um es vornehm auszudrücken.
Im ersten Halbjahr 2017 soll der Prozess nun wohl beginnen. Die Ermittlungen dauerten sechseinhalb Jahre – warum? Angeklagt sind meines Wissens jetzt nur noch fünf Mitarbeiter des Rüstungskonzerns, mögliche Straftaten von Bundesbeamten sind jetzt verjährt. Was für ein Zufall!“
Rüstungsexport = Beihilfe zum Mord
Die Laudatorin ging auch auf einen aktuellen Artikel von Grässlin in unserer Zeitschrift ein. „Rüstungsexport ist oft Beihilfe zum Mord“, schreibt die DFG-VK in ihrer Zeitschrift „Zivilcourage“ und bildet die „Neuner-Bande“ des Bundessicherheitsrates auf dem Cover ab: Merkel und ihre MinisterInnen Gabriel, Schäuble, Steinmeier, von der Leyen, de Maizière, Maas, Müller und Altmaier. In der Titelgeschichte erinnert unser Preisträger daran, dass Vizekanzler Gabriel 2013 mit dem Versprechen antrat, Rüstungsexporte von der Menschenrechtslage im Empfängerland abhängig zu machen. Resultat: Sie wurden massiv erhöht. Kriegsgerät geht an solche Menschen- und Frauenfreunde wie Saudi-Arabien, Algerien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Irak und die Türkei – und von dort aus weiter auf die Schlachtfelder in Syrien, Jemen und dem kurdischen Teil der Türkei.“
Die Laudatorin vergisst es nicht zu erwähnen, dass Grässlins Erfolge auch dem Mitmachen zahlreicher anderer Menschen zu verdanken sei. Ihre Rede beschließt sie mit einem Appell Jürgen Grässlin auch in Zukunft als FriedenskämpferInnen zu unterstützen.
Fotos von der Preisverleihung: Harald Thomas, RüstungsInformationsBüro e. V.
Die ZivilCourage erhalten Mitglieder unenentgeltlich; ansonsten kann sie im DFG-VK-Online-Shop bestellt werden.
Medienecho
Stuttgarter Friedenspreis für Jürgen Grässlin: Den Opfern eine Stimme geben, stuttgarter-zeitung.de, 11.12.2016
Freiburger Jürgen Grässlin mit Friedenspreis geehrt, badische-zeitung.de, 11.12.2016
Stuttgarter Friedenspreis Grässlin – im steten Kampf gegen Waffenexport, swr.de, 10.12.2016
Freiburger Jürgen Grässlin mit Friedenspreis geehrt, schwaebische.de, 10.12.2016
Für eine andere Welt eintreten
Es bedarf unterschiedlichster Formen des Engagements, um eine andere Welt zu erreichen. Eine davon ist die Petition Stoppt Kleinwaffen, die online auf der Webseite von Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel! noch bis Januar 2017 unterschrieben werden kann.
Presseerklärung der AnStifter mit der Begründung für die Preisverleihung
Stuttgarter FriedensPreis 2016 geht an den Rüstungsgegner Jürgen Grässlin
„Rückenwind für Engagement gegen menschenverachtende Rüstungsexportpolitik“
Der Rüstungsgegner Jürgen Grässlin erhält den mit 5000 Euro dotierten Stuttgarter FriedensPreis 2016 der AnStifter. Dies ist das Ergebnis nach zwei Abstimmungsrunden unter den Mitgliedern der Stuttgarter AnStifter. Auf den weiteren Plätzen folgen: Theodor Bergmann (Zeitzeuge), Seawatch (Geflüchtete in Seenot), Ärzte ohne Grenzen und Leyla Zana (kurdische Menschenrechtsaktivistin).
Verliehen wird der 14. Stuttgarter FriedensPreis im Rahmen der FriedensGala der AnStifter am 10. Dezember 2016, 17.00 Uhr, im Theaterhaus Stuttgart.
Jürgen Grässlin, geboren 1957 in Lörrach, ist Lehrer und Friedensaktivist. Im Rahmen seiner politischen Tätigkeit veröffentlichte er zahlreiche Sachbücher zu Rüstungsindustrie und Bundeswehr. Grässlin ist Sprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) und anderer rüstungskritischer Organisationen. Grässlins Engagement, z.B. gegen die illegalen Waffenlieferungen des Unternehmens Heckler&Koch brachte ihm eine beachtliche mediale Aufmerksamkeit. Er ist in der gesamten Republik als „Lehrer“ und „Vorleser“ unterwegs und leistet seit 30 Jahren wagemutigen Widerstand gegen die deutsche Rüstungsindustrie.
Aus Anlass der Verleihung des Preises erklärte Jürgen Grässlin:
„Die Wahl zum Träger des Stuttgarter FriedensPreises 2016 freut mich wirklich sehr; ich empfinde diese Anerkennung als eine große Ehre! Von Herzen danke ich all denjenigen, die mir ihre Stimme gegeben haben und damit unser Engagement gegen die menschenverachtende Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung stärken.
Mit dem Rückenwind des diesjährigen Stuttgarter FriedensPreises will ich mich mit aller Kraft dafür einsetzen, dass der illegale G36-Waffendeal mit Mexiko seitens Heckler & Koch (H&K) in Zusammenarbeit mit dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) und dem Bundesausfuhramt (BAFA) vollständig aufgeklärt wird.
Daniel Harrich, Danuta Harrich-Zandberg und ich haben auf der Basis von Insiderdokumenten im Enthüllungsbuch ‚Netzwerk des Todes. Die kriminellen Verflechtungen von Rüstungsindustrie und Behörden’ die massive Mitverantwortung von Vertretern der staatlichen Rüstungsexportkontrollbehörden umfassend aufgezeigt und der Staatsanwaltschaft Stuttgart zahlreiche Dokumente zur Verfügung gestellt.
Das Vorgehen dieser Staatsanwaltschaft ist in doppeltem Sinne skandalös: Ungeachtet der vorliegenden Insiderdokumente wurden gegen die Mitverantwortlichen des BMWi und der BAFA nicht einmal Ermittlungen eingeleitet. Nach fünfeinhalb Jahren wurde einzig Anklage gegen vormalige H&K-Mitarbeiter erhoben. Nur wenige Monate nach Erscheinen des Netzwerk-des-Todes-Buches haben die Staatsanwaltschaft Stuttgart dagegen Vorermittlungen und die Staatsanwaltschaft München Ermittlungen gegen uns drei Buchautor/innen in die Wege geleitet. Der Vorwurf lautet auf Verdacht der Veröffentlichung verbotener Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen gemäß § 353d Strafgesetzbuch.
Nunmehr droht dem Träger des Stuttgarter FriedensPreises 2016 womöglich eine Haftstrafe. Ich verstehe die Preisverleihung als ein stärkendes Signal im Einsatz für die Gerechtigkeit der Opfer deutscher Waffenexporte und für die grundgesetzlich verbriefte Presse- und Meinungsfreiheit.“
Für den 14. Stuttgarter FriedensPreis der AnStifter waren 25 Vorschläge eingegangen. In zwei Wahlgängen wurde nun entschieden, wer die Auszeichnung in diesem Jahr erhalten soll. Bis zum 28. April hatten die Mitglieder der AnStifter zunächst Gelegenheit die drei Vorschläge mit den meisten Chancen herauszufiltern. In einem weiteren Wahlgang, der bis zum 13. Mai lief, wurde unter diesen Vorschlägen entschieden, wer den Preis erhält.
Die Forderung nach Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit, nach Gerechtigkeit, ohne die es keinen Frieden gibt: Das ist die Agenda der AnStifter, mit der sie Bürgerinnen und Bürger aufrufen, Vorschläge für den „Stuttgarter FriedensPreis“ zu machen. Ausgezeichnet werden Persönlichkeiten, Verbände oder Initiativen, die sich im Namen der Menschenwürde für Freiheit, Recht, Gerechtigkeit einsetzen, die Machtmissbrauch aufdecken, die ermutigende, motivierende Vorbilder für die Gesellschaft sind. Der Preis ist mit 5000 Euro dotiert.
Weitere Informationen zum Stuttgarter FriedensPreis:
Fritz Mielert: Telefon 0711-24869621 / E-Mail mielert@dieanstifter.de
Nachfragen an Jürgen Grässlin:
Telefon 0170 – 611 37 59
E-Mail graesslin@dfg-vk.de
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