Da die Bundesregierung einen neuen „Fortschrittsbericht“ veröffentlicht und eine Beschlussvorlage für das neue Afghanistan-Bundeswehr-Mandat vorgelegt hat, gibt es dieser Tage wieder eine mediale Märchenstunde zu Afghanistan. Obwohl die Bundesregierung klar sagt, dass auch nach 2014 Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan stationiert sein sollen, fabulieren die meisten Medien etwas vom „Truppenabzug“. Im Fortschrittsbericht heißt es klipp und klar: „Auch nach 2014 sollen internationale Soldaten in Afghanistan stationiert bleiben…Die Bundesregierung hat sich bereit erklart, sich an diesem Einsatz zu beteiligen.“
In Wirklichkeit soll also nur die Zahl reduziert werden. Neu sind die vorgelegten Zahlen: Bis Februar 2014 soll die Truppenstärke von 4.400 auf 3.300 reduziert werden, aber man beachte das Kleingedruckte: „soweit die Lage dies erlaubt und ohne dadurch unsere Truppen oder die Nachhaltigkeit des Übergabeprozesses zu gefährden“. Der GRÜNE MdB Frithjof Schmidt schließt messerscharf: „…wenn im März 2014 noch 3300 Soldaten in Afghanistan sind, ist ein Abzug der Kampftruppen bis Ende 2014 nicht umsetzbar. Die Truppen werden nicht abgezogen, sie werden einfach ab 2014 in eine neue NATO-Mission überführt. Schwarz-Gelb plant bisher eine unbegrenzte Laufzeitverlängerung des Afghanistaneinsatzes.“ Vor einer solchen Laufzeitverlängerung bis 2024 hatten bereits im Vorfeld der letzten Mandatsverlängerung im Januar 2012 224 GRÜNE Mitglieder in einer taz-Anzeige gewarnt.
Bezüglich der Zahlen nach 2014 schweigt man sich im Kabinett weiter aus. Das werde gerade noch in der NATO diskutiert. In den informierten Medien wird von 35.000 NATO-Soldaten ausgegangen, darunter 1.500 Bundeswehr-Soldaten. Damit wird die Mission auf ein Drittel reduziert – mehr nicht. Darüber wurde in den letzten 12 Monaten schon mehrfach auf der Website www.gruene-friedensinitiative.de informiert.
Dass es um den NATO-Krieg seit Jahren nicht so gut steht, wie regierungsseitig bisher behauptet wird (aber auch von der Mehrheit des Bundestages), belegt die Veröffentlichung von Bundeswehr-Einsatzberichten durch die WAZ. Diese Dokumente sind mit „VS – nur für den Dienstgebrauch“ gestempelt und waren bisher nur dem Bundestagsabgeordneten des Verteidigungsausschusses bekannt. Nur wenige dieser MdBs haben sich trotz Kenntnis dieser Berichte kritisch zum Afghanistankrieg geäußert, geschweige denn bei den diversen Bundeswehr-Mandatsverlängerungen mit NEIN gestimmt. Die WAZ resümiert: „Wöchentlich werden hunderte Anschläge und Angriffe protokolliert, in allen Teilen des Landes. Es gibt Berichte über schwere Sprengstoffanschläge auf deutsche Militärfahrzeuge, über verlorene Drohnen der Bundeswehr, über Kämpfe und Verluste. Nicht einmal die wichtigste Strasse rund um Afghanistan ist sicher zu nutzen. Damit ist klar: Selbst die später weicher formulierten Kriegziele der militärischen ISAF-Führung werden nicht erreicht. Es ist nicht gelungen, eine effektive Regierung und verlässliche Institutionen in Afghanistan zu schaffen.“
Ein Indiz, dass der Afghanistan-Krieg nicht erfolgreich beendet werden wird, sind auch die Evakuierungspläne für Afghanen, die aktuell für deutsche Hilfsorganisationen oder die Bundeswehr als Übersetzer, Fahrer, Köche etc. arbeiten. Minister de Maizère stellte klar, dass Deutschland hier eine Schutzpflicht habe. Der GRÜNE MdB Omid Nouripour schätzt die Zahl der zu Evakuierenden auf 3.000, mit engeren Familienangehörigen an die 10.000. Er gesteht auch ein, „dass wir viele, viele Ziele, die wir uns gesteckt haben, überhaupt nicht erreicht haben“. Das liegt selbstverständlich nicht daran, dass der Einsatz an sich falsch war, sondern er glaubt, „dass das in erster Linie auch daran liegt, dass wir wahnsinnig viele Fehler gemacht haben.“
Aber warum wird das NATO- bzw. das Bundeswehrkontingent reduziert, obwohl die Kriegsziele bisher nicht erreicht wurden? Die erste Antwort ist, dass inzwischen über einen anderen Waffenmix der Krieg mit weniger Personal zu führen ist. In anderen Worten: Der vermehrte Einsatz von Drohnen macht es möglich. Es ist schließlich nicht so, dass der Krieg wirklich beendet werden soll. Außerdem sollen die afghanischen Hilfstruppen stärker in die Pflicht genommen werden.
Was die Reduktion des Bundeswehrkontingents aber auch zeigt, ist, dass dieser Militäreinsatz von Entscheidungen Anderer abhängt. Weil die USA ihr Engagement herunterfahren, reduziert Deutschland ebenfalls. Ein wichtiges deutsches Motiv ist eben, den eigenen Einfluss im NATO-Bündnis durch Mitmachen zu bewahren bzw. zu stärken. Der Krieg wird nicht um Menschenrechte und Mädchenschulen geführt, sondern ist im Kern ein „Bündniskrieg“. Man ist „gemeinsam rein gegangen“ und bleibt jetzt erst mal „gemeinsam drin“. Ob es zu einem „gemeinsam raus“ kommt, werden erst die nächsten Jahre zeigen. Das Kalkül, durch militärische wie finanzielle Beiträge Einfluss auf die Ordnungspolitik in Zentralasien zu nehmen, ist für Deutschland insoweit aufgegangen, als es immer mal wieder Afghanistankonferenzen ausrichten darf und die Afghanistan-Kontaktgruppe leitet – wie der aktuelle Fortschrittsbericht des Regierung betont: „Deutschland“ ist „Koordinator der Kontaktgruppe, fu¨hrt den Vorsitz in ihren Sitzungen und entwirft deren Tagesordnung.“ (Fortschrittbericht, S. 6)
Für einen Versöhnungsprozess in Afghanistan gelten laut Bundesregierung folgende Vorbedingungen: „der Bruch mit dem internationalen Terrorismus, der Verzicht auf Gewalt und die Anerkennung der afghanischen Verfassung einschließlich ihrer Gebote zum umfassenden Schutz der Menschenrechte.“ (Fortschrittsbericht, S.5) Da die gegenwärtige Verfassung nur von einer Bürgerkriegsseite ausgearbeitet wurde, wird hier also der Kompromiss in der Unterwerfung der anderen Bürgerkriegspartei gesehen. Das kann natürlich nicht funktionieren. Der Shorish-Friedensplan, der von mehreren afghanischen Stammesführern getragen wird und auch von den Aufständischen zu 95% unterstützt wird , sieht hingegen den „Entwurf einer neuen Verfassung“ vor, „die durch die traditionelle Loya Jirga beraten und beschlossen wird“ . Außerdem bedarf es nach diesem Plan einer Übergangsregierung, d.h. also der Absetzung des gegenwärtigen Karsai-Regimes. Der Truppenabzug der NATO soll über direkte Gespräche zwischen ISAF und den Aufsta¨ndischen geregelt werden.
Aus alledem folgt, dass auch bei der nächsten Abstimmung im Bundestag im Januar 2013 keinen Grund gibt den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr zu verlängern. Denn die NATO ist in Afghanistan Teil des Problems, nicht der Lösung.
Uli Cremer
1.12.2012
Quelle: http://www.afghanistankampagne.de