Erfahrungen bei der größten Computerspiel-Messe
Von Lena Hantelmann (für ZivilCourage – Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus – 4/2010)
Die diesjährige Gamescom fand vom 18. bis 22. August in Köln statt, die Bilanz: 5 Tage, 505 Aussteller, 254.000 Besucher. Unter den Ausstellern waren sowohl Vertreter der Spielerhersteller als auch beispielsweise der Kinderschutzbund, die USK (Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle), die Bundesagentur für Arbeit und die Bundeswehr. Hieraus resultiert eine erste Frage: Aus welchem Grund sind auf einer Spielemesse Unternehmen vertreten, die zumindest auf den ersten Blick nichts mit Spielen zu tun haben? Doch dazu später.
Ansprechpartner? Fehlanzeige!
Bei unseren Gesprächen mit den Unternehmensvertretern hatten wir verschiedene Argumente im Hinterkopf, die hier kurz vorgestellt werden sollen. Innerhalb der so genannten Medienwirksamkeitsforschung werden die Auswirkungen gewaltbeinhaltender Computerspiele sehr kontrovers gesehen. Die Debatten drehen sich vor allem um vier Theorien:
Laut der Inhibitionstheorie erzeugen Computerspiele Angst, wodurch die Aggressionsbereitschaft des Spielers sinkt.
Positive Auswirkungen beschreibt auch die Katharsistheorie, nach der während des Spiels Spannungen abgebaut werden, so dass ebenfalls die Gewaltbereitschaft sinkt.
Einen unterschiedlichen Ansatz verfolgt die Habitualisierungstheorie. Vertreter dieser Theorie nehmen an, gewaltbeinhaltende Spiele wirkten abstumpfend, die Gewalt werde zunehmend als normal empfunden, und als Konsequenz sinke die Hemmschwelle zur Gewaltausübung.
Auch bei der Stimulationstheorie wird davon ausgegangen, dass die Aggressionsbereitschaft der Spieler durch die Spiele gefördert wird.
Zu den Vertretern der beiden letztgenannten Theorien gehört unter anderem der Wissenschaftler Manfred Spitzer. In seinem Buch „Vorsicht Bildschirm!“ beschreibt er die Gefahr, dass das Gehirn im Lernprozess nicht zwischen Realität und virtuellem Spiel unterscheidet, und dass das Spielen von Egoshootern dazu dienen kann, gewalttätiges Verhalten aktiv zu trainieren und zu imitieren.
Bei der Gamescom war der größte Teil der Messehallen für alle Besucher geöffnet. Hier wurden neue Spiele ausgestellt und beworben, teilweise konnten diese auch getestet werden. Ansprechpartner gab es hier leider so gut wie keine. Diese hielten sich meist in dem Teil der Messe auf, zu dem nur Fachbesucher und Journalisten Zutritt hatten. Doch auch hier war es nicht einfach, einen Gesprächspartner zu finden, da Interviews nur nach Terminabsprache gegeben werden, und die meisten Unternehmen bereits am ersten Tag ausgebucht waren.
Sehr interessant war eine Szene, die wir in der Business Area beobachten durften: Dort standen ca. zehn Stühle, auf denen erschöpfte Reporter und andere Fachbesucher saßen, welche massiert wurden. Auf Nachfrage erfuhren wir, dass die Masseure zu der Firma Massage Division gehörten mit Sitz in Großbritannien sowie Österreich. Sie erhalten von der Firma keinen Lohn und bieten die Massagen kostenfrei an. Sie erhalten lediglich ein Trinkgeld, über dessen Höhe die Kunden frei entscheiden können. Eine der Masseurinnen meinte, sie verdiene ganz gut.
Zuhause ist, wo der Krieg ist
Um ein Interview mit einem Vertreter des Spieleherstellers EA (Electronic Arts GmbH) zu führen, wurden wir von einem zum nächsten geschickt, so richtig zuständig war anscheinend keiner. Allerdings konnten wir eine Handynummer hinterlegen, und bekamen so am folgenden Tag die Möglichkeit zu einem Gespräch mit einem PR-Director und Jugendschutzbeauftragten von EA, welcher sich erfreulicherweise Zeit für uns genommen hat, obwohl er offensichtlich noch einen anderen Termin hatte.
Besonders interessiert hat uns seine Meinung zu Computerspielen, die Gewalt beinhalten. Auf die USK angesprochen, welche für die Alterseinstufung von Computerspielen zuständig ist, lobte der Jugendschutzbeauftragte deren „hervorragende Arbeit“. Solange man sich an die Altersvorgaben halte, habe er keine Bedenken. Es gebe im Leben nun mal nicht nur schöne Dinge, und daher könnten die Medien diese Bereiche nicht einfach ausblenden, zumal in allen Medien Gewalt vorkäme. Der Staat gebe jedoch, unter anderem über das Grundgesetz, Grenzen vor, weswegen beispielsweise gewaltverherrlichende Spiele verboten seien.
Die Theorien des erwähnten Wissenschaftlers Spitzer kannte er. Allerdings würden Spiele, in denen Gewalt aktiv antrainiert wird, Altersbeschränkungen unterliegen. Es sei Aufgabe der Eltern, darauf zu achten, welche Spiele ihren Kindern zugänglich sind. Auf die Frage, ob er die Gefahr von schädlichen Auswirkungen der Computerspiele auch in Bezug auf Erwachsene sehe, antwortete der PR-Director, es seien zwar gewisse Effekte messbar, diese seien im Vergleich zu anderen Einwirkungen auf das menschliche Verhalten jedoch gering. Er war der Meinung, dass Computerspiele für Bildungszwecke genutzt werden können, allerdings dienten die Spiele von EA lediglich der Unterhaltung. Diese Spiele würden daher nicht dazu beitragen, dass ihre Spieler bessere bzw. schlechtere Menschen würden.
Weniger Glück hatten wir bei unserem Wunsch nach einem Gespräch mit dem amerikanischen Spielehersteller Trion Worlds. Als wir unsere Bitte vortrugen, einige Fragen zu ethischen und politischen Themen zu stellen, machten sie bereits den Eindruck, nichts sagen zu wollen bzw. zu dürfen. Trotzdem gab man uns eine Visitenkarte und den Hinweis, am nächsten Tag nochmal anzurufen. Am Telefon wurde uns dann mitgeteilt, dass sie jetzt doch nichts sagen wollten, da es keinen geeigneten Ansprechpartner gäbe. Der so genannte Lokalisierungsmanager sei nicht auf der Messe, und die Vertreter auf der Messe seien stärker auf die USA als auf Deutschland fokussiert.
Bigpoint produziert vor allem Browsergames, also Spiele, die übers Internet gespielt werden. Dass Altersbeschränkungen hier nur bedingt durchgesetzt werden können, gab ein junger PR-Manager zu. Es werde allerdings an einem Sperrverfahren gearbeitet, und solange wäre es die Aufgabe der Eltern, darauf zu achten, welche Spiele ihre Kinder konsumieren. Auffallend an dem Stand von Bigpoint war, dass hier anscheinend weniger mit den Spielen als mit Hilfe anderer Dinge geworben wird. Vor dem Eingang sowie auf einer Bühne posierten und tanzten leichtbekleidete junge Frauen. Außerdem wurden an das Publikum Spielzeugwaffen verteilt. Auf Nachfrage, ob dies nicht bedenklich sei, reagierte der Manager amüsiert und unbesorgt.
Die Firma THQ stellte mit Hilfe eines Films ihr neues Spiel Homefront vor. Dieses wurde durch die USK ab 18 freigegeben. Inhaltlich geht es darum, dass Nordkorea verschiedene Gebiete erobert und schließlich in die USA einmarschiert, wobei die Amerikaner sich natürlich zu wehren wissen. An der Außenwand des Standes war zu lesen „Obey the great leader“ und im Abspann des Films wurde folgender Spruch eingeblendet „Home is where the war is“. Dies bedarf wohl keinerlei Kommentars.
Pädagogik am Rande
Neben den Spieleherstellern gab es verschiedene Stände, an denen sich mit Medienpädagogik beschäftigt wird. Hierzu zählen beispielsweise Medienkompetenz aus NRW, Eltern LAN, der Deutsche Kinderschutzbund, die Bundeszentrale für politische Bildung bpb, die Kommission für Jugendmedienschutz KJM und die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle USK.
Hier sind zwei Punkte anzumerken. Erstens sollte es positiv beurteilt werden, dass überhaupt Themen wie der richtige Umgang mit Medien durch Kinder und Jugendliche angesprochen werden. Zweitens ist jedoch auffällig, dass die genannten Organisationen alle in derselben Halle konzentriert waren. Wer nicht zufällig hier vorbeikam, lief also Gefahr, diesen kritisch-reflexiven Ansätzen völlig zu entgehen. Eine Vertreterin des Deutschen Kinderschutzbundes berichtete, ihr Verein böte Kurse über Medienkompetenz für Eltern und Erziehende an. So wie auch der Vertreter der bpb meinte sie, ob Spiele schädliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche haben, hänge von verschiedenen Aspekten ab und könne nicht pauschal beantwortet werden. Eine ähnliche Aussage erhielten wir – als persönliche Meinung – bei der Vertreterin der Bundesagentur für Arbeit. Diese sei im übrigen auf der Gamescom präsent, um Jugendliche sowie – als potenzielle Arbeitgeber – die Fachvertreter anzusprechen.
Vertreter von politischen Parteien waren nicht anzutreffen, mit einer Ausnahme: Es gab einen Stand des Vereins Pirate Gaming sowie der Jungen Piraten, der Jugendorganisation der Piratenpartei. Diese setzen sich für die Rechte von Spielern sowie gegen ein Verbot von Shooter-Spielen ein. Spitzers Theorien waren den Jugendlichen nicht bekannt. Sie meinten, es gebe keinen kausalen Zusammenhang zwischen Computerspielen und real ausgeübter Gewalt.
Bundeswehrstand auf der Messe
Einen weiteren erwähnenswerten Stand gab es noch, den der Bundeswehr. Jugendliche sollten hier mit einem Gewinnspiel sowie Popcorn angelockt werden. In einem ausliegenden Faltblatt wird mit dem Spruch geworben: „Die Bundeswehr: Fordernde und sichere berufliche Perspektiven im verantwortungsvollen Dienst – für die Zukunft!“
Auf die Frage nach einem Interview wurde uns erstmal ein Platz angeboten, nach einer Weile wurde uns mitgeteilt, dass der eigentliche Ansprechpartner gerade nicht da sei, aber wir mit einem der anderen Offiziere sprechen können. Dieser war überraschend nett und offen. Er selber sei zur Bundeswehr gekommen, da ihn die Kameradschaft, die körperliche Herausforderung und die variierenden Aufgaben ansprachen. Die Bundeswehr sei auf der Gamescom vertreten, um Öffentlichkeitsarbeit zu leisten und das Bild des Soldaten in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Hiermit wollten sie auch gegen gefährliches Halbwissen vorgehen. Auf die Frage, warum es am Bundeswehrstand eine Popcornmaschine gebe, wurde uns geantwortet, „weil Popcorn lecker ist“. Gewaltbeinhaltende Spiele könnten bei unkontrolliertem Konsum schädliche Auswirkungen haben, wobei diese stark von der jeweiligen Person abhingen. Die Theorien von Spitzer waren dem Offizier nicht bekannt, er fand diese jedoch bedenkenswert.
Zum Thema Afghanistan wollten wir wissen, ob er Bedenken bezüglich der demokratischen Legitimation des Bundeswehreinsatzes habe, da je nach Umfrage ca. 70 Prozent der Deutschen den Einsatz ablehnten. Hierauf erwiderte er uns, der Einsatz sei demokratisch durchs Parlament beschlossen worden. Zum Auftrag in Afghanistan zählte er den Wiederaufbau sowie Unterstützung beim Aufbau einer Regierung und bei der Ausbildung von Polizei und Soldaten.
Die Frage, ob seiner Meinung nach Probleme durch körperliche Gewalt lösbar seien, verneinte er. Daher fragten wir nach, ob dies in Auseinandersetzungen zwischen Staaten anders wäre. Diese Frage brachte den Offizier offensichtlich in Bedrängnis. Er betonte, dies sei seine persönliche Meinung, als er sagte, er wäre froh, seinen Beruf aus dem Grund zu verlieren, dass es möglich ist, ohne Gewalt auszukommen.
Auch bei der Frage nach gezielten Tötungen, ein Thema, welches durch die Internetplattform Wikileaks in die Nachrichten gelangte, fiel ihm eine klare Antwort sichtlich schwer und er betonte erneut, seine persönliche Meinung wiederzugeben. Gezielte Tötungen seien definitiv nicht zulässig. Dies sei ein „schweres Thema“ und die Frage „gemein“. Tötungen würden eher im Zuge der Selbstverteidigung erfolgen.
Zum Thema Wehrpflicht meinte der Offizier, er persönlich sei auf Grund der Wehrgerechtigkeit der Auffassung, die Wehrpflicht müsse mindestens ausgesetzt werden. Der dann wegfallende Zivildienst dürfe kein Argument zur Beibehaltung der Wehrpflicht sein, wäre jedoch ein Problem. Persönlich favorisiere er deshalb eine Art soziales Jahr für Männer und Frauen.
Im Weißbuch 2006 steht, „Die Sicherheitspolitik Deutschlands wird von dem Ziel geleitet, den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstandes zu fördern“ Als wir den Offizier hierauf ansprachen, meinte er, er würde hierzu nichts sagen.
Insgesamt war er angetan von unserem Gespräch, und meinte, er würde sich mehr öffentliche Diskussionen wünschen.
Am Freitag gab es eine unangemeldete Protestaktion am Stand der Bundeswehr. Auf Nachfrage sagte einer der Soldaten, nicht die Bundeswehr, sondern die Regierung entscheide über Einsätze. Als Hintergrund der Aktion vermutet er Unzufriedenheit. Ein anderer Soldat meinte, die Aktion sei in Ordnung, da sie sich gegen die Institution Bundeswehr und nicht gegen einzelne Menschen gerichtet habe.
Ich habe ca. 40 willkürlich ausgewählte Messebesucher gefragt, was sie darüber denken, dass die Bundeswehr einen Stand auf der Gamescom hat. Der Mehrheit war dies egal bzw. sie hatten keine Meinung dazu. Ein weiterer großer Teil hat sich negativ über den Bundeswehrstand geäußert. Vor allem wurde kritisiert, dass die Bundeswehr nichts mit einer Spielemesse zu tun habe, und – unabhängig von der persönlichen Einstellung zum Militär – dies einfach der falsche Ort für Werbung durch die Bundeswehr sei. Nur sehr wenige äußerten sich eher positiv, nur eine Frau meinte, der Stand der Bundeswehr sei eine gute Sache.
Ähnlich äußerte sich die Vertreterin der Bundesagentur für Arbeit. Sie begrüße den Stand der Bundeswehr, da hier die Möglichkeit existiere, den Eindruck von der Bundeswehr zu verbessern und den Unterschied zwischen der Bundeswehr und Computerspielen zu verdeutlichen. Der Vertreter der bpb reagierte leicht empört und hielt meine Frage, ob es in Ordnung ist, dass die Bundeswehr auf der Gamescom ist, für „unzulässig“. Schließlich sei die Bundeswehr grundgesetzlich verankert und könne ihren Stand haben, wo sie will.
„Wenig Bedenken“
Insgesamt habe ich den Eindruck gewonnen, dass ein Großteil der Fachvertreter viel Wert auf Gesetze sowie die Alterseinstufungen legt. Ganz nach dem Motto, da nicht sein kann, was nicht sein darf, äußerten sie wenig Bedenken an gewaltbeinhaltenden Computerspielen, solange Kinder und Jugendliche sich an die Altersfreigaben hielten. Etwaige Auswirkungen hingen immer von verschiedenen Aspekten ab, unter anderem der Persönlichkeit der Spieler. Spitzers Theorien waren größtenteils bekannt.
In Bezug auf den Stand der Bundeswehr ist zu sagen, dass dieser bei vielen Besuchern auf Abneigung oder Desinteresse stößt. Ansonsten wurde auch hier auf Gesetze verwiesen, die Bundeswehr sei im Grundgesetz verankert und ihre Einsätze durchs Parlament legitimiert.
Lena Hantelmann war Praktikantin bei der DFG-VK.
http://www.schulfrei-fuer-die-bundeswehr.de