
Es sind gerade die weniger schlagzeilenkräftigen Tendenzen, die einen Eindruck davon geben, welche Auswirkungen eine zweite Amtszeit von Donald Trump langfristig auf Friedensfragen auch in Europa haben wird.
An anderer Stelle ist schon viel Richtiges und Wichtiges zu den direkten friedenspolitischen Folgen von Trumps Wiederwahl geschrieben worden, dies muss nicht alles wiederholt werden. So hat beispielsweise Simon Bödecker für „Ohne Rüstung Leben“ die großen Linien skizziert, die sich aus dem „Masterplan“ des sogenannten „Project 2025“ ersehen lassen. Atomare Aufrüstung und Atompolitik bis hin zum Bruch des Teststopp-Vertrags oder gar des Nichtverbreitungsvertrags, massiver Fokus auf Systemkampf gegen China inklusive der fortschreitenden Militarisierung des Pazifiks, seine auf Druck beruhende Zwangspolitik der Militarisierung für Europa durch angedrohten Truppenabzug, die Konsequenzen seines absehbaren Isolationismus für den Multilateralismus und so weiter (siehe: Artikel von Ohne Rüstung Leben). Katastrophal allemal.
„Parasitärer Pazifismus“ als Kampfvokabel des post-hegemonialen Militarismus
Mir geht es aber um die anderen Folgen – die, die schleichend kommen werden und vor allem mit der hiesigen Politik zu tun haben und weniger mit Trump: die neuen Denkbarkeiten, die entfachte „strategische-Autonomie“-Debatte, die entfesselten Autoritären, die neu begründete Legitimität des Backlash.
Beispiel für die neuen Denkbarkeiten: Aus dem angedrohten Bruch der NATO entsteht in Europa eine „Panik“ in transatlantischen Sicherheitspolitik-Kreisen, den möglicherweise „fehlenden“ US-Support durch eigene Systeme ersetzen zu „müssen“. Das mag ein Anlass für die Mittelstreckenraketenstationierungsentscheidung gewesen sein. Es stachelt aber auch dazu an, dass lautstark aus einigen Think Tanks geunkt wird, „wir“ bauten unsere Sicherheit ohnehin nur auf einem „parasitären Pazifismus“ auf, einem eben, der sich nur so lange aufrechterhalten lasse, wie die USA die „harten Entscheidungen“ übernähmen.
Hier wird nun offen darüber spekuliert, eine transeuropäische Abschreckungs- und Militarisierungsunternehmung zu beginnen oder voranzutreiben. Die Projekte sind schon da: Raketenabwehrschirm, nukleare Teilhabe umorganisieren, strategische „Abschreckung“, Aufrüstung und Rüstungsindustrieförderung und so weiter. Alternativen einer „defensiven Verteidigung“, wenn schon keiner totalen Demilitarisierung, werden noch nicht mal von vermeintlich zentrisch-liberalen Kräften benannt.
Warum mich das so besorgt? Weil es über Trump hinausragt. Er wird nur vier Jahre haben, vielleicht auch nur 28 Monate, je nach Kräfteverhältnissen in den Parlamentskammern. Doch die Übernahme seiner Narrative oder der Angst, die er schürt, wird bleiben und Prozesse in Gang setzen oder beschleunigen, die uns weit über seine Amtszeit hinaus beschäftigen werden.
Trump ist ein Brandbeschleuniger der „Zeitenwende“, seine Amtszeit wird die Verfestigung und Vertiefung des europäischen Rüstungskomplexes vorantreiben, ganz aus „neu gedachten freien Stücken“ der hier politisch Verantwortlichen. Der Begründungsmythos dafür wird der „parasitäre Pazifismus“ sein, seine vorgebliche Katharsis die „Kriegstüchtigkeit“.
Strategische Autonomie und die gruselige EU-Kommission
Ganz ähnlich gelagert sind meine Sorgen vor dem hausgemachten Problem einer ultrakonservativen EU-Kommission, die das Kuscheln mit den Faschisten salonfähig gemacht hat. Darin steckt auch friedenspolitisch Bedenkliches: Die seit Jahren schwelende Debatte um eine „strategische Autonomie“ der EU, die bislang vor allem ein Jammern über das diplomatische Leichtgewicht EUropa umfasste, wird nun durchgehend militarisiert. Die Besetzung eines Kommissars für Rüstungspolitik mit aktivem Beschaffungsauftrag macht deutlich, wohin die Reise gehen soll: hin zu einer eigenständig hochgerüsteten EU, deren „Autonomie“ so verstanden wird, dass sie autonom nach Herzenslust intervenieren kann.
Was das alles mit Trump zu tun hat? Der Trump’sche Isolationismus („America First“) trifft in konservativen Kreisen in Europa, so meine Lesart, auf zweifache Zustimmung: indem er das unterschwellige Argument des – so das rechte Schlagwort dazu – „Ethnopluralismus“ bedient – alle kümmern sich um ihre eigenen Belange, die sie rassistisch konnotiert von „Anderen“ freihalten (der weiße Suprematismus in konservativem Gewand). Und indem er die Notwendigkeit für egoistische Abwehrpolitik nicht nur begründet („Europe First“), sondern gezielt militarisiert (siehe oben).
Sicherlich, Trump ist nicht ursächlich für diese Entwicklungen, diese liegen ganz klar hierzulande. Doch die Ankündigungen von Trump treiben diese Entwicklungen als Reaktion voran, sind Wasser auf die Mühlen der Konservativen. Die sogenannte „Mitte“ bewegt sich zunehmend nach Rechts. Es wird vor dem Hintergrund eines US-Präsidenten Trump selbst der Mitte zunehmend leichtfallen, die vorgeblichen Notwendigkeiten einer solchen „strategischen Militarisierung“ zu betonen. Dies zementiert eine friedenspolitisch hochgefährliche Entwicklung über Jahre.
Politischer Backlash turbogeladen
Nicht zuletzt bleibt die globale Attraktivität des Autoritären. Wohl kaum eine Figur steht so symbolisch für den öffentlich zelebrierten regressiven toxischen Maskulinismus wie Trump. Interessant finde ich, wie sowohl in den konservativen Stimmen der Bewunderung für Trump als auch in denen der konservativen Ablehnung seiner Politik oder seiner Person zunehmend autoritäre Narrative dominieren. Die einen, die ihm recht geben (und ihm gefallen wollen, Beispiel Orbán) und so ihren (gesellschafts-)politischen Backlash begründen. Die anderen, die in Abgrenzung zu Trump ihre „sittlichen“ Grenzen mit einem rassistisch untermalten Backlash markieren (von der CDU bis zur AfD).
Auch hier ist Trump keineswegs ursächlich – aber er liefert die Begründungsfolie für die scheinbare Notwendigkeit eines politischen Backlash. Stimmen, die eine selbstbewusst nichtautoritäre Gesellschaftspolitik suchen, werden von der Verlustangst derjenigen übertönt, die den Status quo sichern wollen, oder die einen noch viel regressiveren Status erschaffen wollen.
Trump lässt sich von hier aus nicht verhindern – die hier angesprochenen Herausforderungen, die sich einzuschleichen drohen und vor dem Hintergrund von „Trump 2.0“ verstärkt werden, allerdings schon. Innenpolitisch, außenpolitisch, EU-politisch – das nimmt uns in Verantwortung.
David Scheuing
Erschienen in der ZivilCourage 1/2025