Jahrgang 1892 – Zur Geschichte der ältesten deutschen Friedensorganisation
Gründungsjahre
1914
Zäsur 1. Weltkrieg
Verbote und Gefängnis
Nach 1945
Der Zusammenschluss
Neue Schwerpunkte
Gründungsjahre
Am 9. November 1892 gelang es den beiden Österreichern und späteren Friedensnobelpreisträgern Bertha von Suttner und Alfred Herrmann Fried nach langjährigen Bemühungen, in Berlin die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG) zu gründen.
Angesichts der gesellschaftlich-politischen Situation des deutschen Kaiserreiches kann es nicht überraschen, dass sich der Verband sofort scharfen Angriffen seitens reaktionärer Kräfte ausgesetzt sah: In einer politisch immobilen Gesellschaft, die im Einklang mit einem militanten Nationalismus kolonialimperialistisch auf einen „Platz an der Sonne“ drängte und dem Militär eine bevorzugte Position im gesellschaftlichen und politischen Leben einräumte, musste die Gründung einer Friedensgesellschaft als ein Anachronismus erscheinen, der zentral gegen das Selbstverständnis der herrschenden Kräfte gerichtet war.
Obwohl sich die DFG zunächst als eine humanitär unpolitische Vereinigung verstand, die sich im Einklang mit dem Fortschritt wusste und die vernunftwidrige Institution des Krieges durch Aufklärung der Öffentlichkeit und Appelle an die Mächtigen abzuschaffen bestrebt war, zwangen die Zeitereignisse die Pazifisten seit der Jahrhundertwende zunehmend zu politischen Stellungnahmen. So wandte sich die DFG jetzt entschieden gegen die nationalimperialistischen Exzesse sowie gegen die Erziehung der Jugend in chauvinistischem Geiste und verurteilte scharf die Unterdrückung der nationalen Minderheiten im deutschen Reich. Im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten standen freilich die Bemühungen um die Verwirklichung ihres Programms eines „konstruktiven“ Pazifismus, das die zwischenstaatliche Anarchie durch den Aufbau des Völkerrechts beseitigen wollte und mit den Begriffen Verständigung, Schiedsgerichtsbarkeit und Abrüstung umrissen werden kann. An die Stelle des Kampfes der Nationen gegeneinander sollte eine internationale Rechtsgemeinschaft treten, die Konflikte mittels Schiedsgerichtsurteilen gewaltlos löste. Fried baute diese Programmsätze nach dem enttäuschenden Verlauf der 1. Haager Konferenz zu einer eigenständigen Theorie des „organisatorischen Pazifismus“ aus, die bis zum Ende des Kaiserreichs die bestimmende Ideologie der DFG blieb.
1914: 10.000 Mitglieder
Nicht erfasst wurden von der Politisierung der DFG allerdings zwei wesentliche Elemente, die ihr Bild bis zum 1. Weltkrieg bestimmten: nationale Gesinnung und sozialkonservative Einstellung. Im Fall Elsaß-Lothringen etwa bezogen die Pazifisten im wesentlichen die Position der Reichsregierung; das Recht zum Verteidigungskrieg wurde einstimmig bejaht, während man die Kriegsdienstverweigerung (KDV) ebenso entschieden ablehnte. In gesellschaftspolitischer Hinsicht zeichneten sich die Pazifisten durch Abstinenz aus. Ihr Friedensbegriff war bis zum Weltkrieg rein außenpolitisch bestimmt; die sozialen Voraussetzungen des Friedens blieben ausgespart. Die mangelnde Gesellschaftsanalyse war auch der Grund dafür, dass die Pazifisten ihre Chancen zu optimistisch einschätzten. Trotz ihrer nationalen und sozialkonservativen Einstellung war die DFG gesellschaftlich weitgehend isoliert. Auch zu den politischen Parteien gab es kaum Kontakte, da sich die Linksliberalen immer stärker zurückzogen und die Sozialdemokratie in der Friedensbewegung trotz einzelner gemeinsamer Forderungen letztlich einen systemstabilisierenden Faktor sah. Die soziale Basis der DFG blieb bis zum ersten Weltkrieg weitgehend auf das Kleinbürgertum beschränkt; politisch standen etwa 85 % der rund 10.000 Mitglieder (1914) im Lager des Linksliberalismus und der bürgerlichen Demokratie. Die Deutsche Friedensgesellschaft war so im Kaiserreich eine Vereinigung mit Honoratiorencharakter.
Zäsur 1. Weltkrieg
Von ihrer anfänglichen Lähmung zu Beginn des Krieges erholte sich die DFG rasch; die Mitgliederzahl sank allerdings bis Kriegsende auf 6.000. Zwar wurde die Tätigkeit der Gesellschaft durch Verbotsmaßnahmen der Militärbehörden stark eingeschränkt, doch sicherte die Gründung der Ersatzorganisation „Zentralstelle Völkerrecht“ den Pazifisten weiterhin einen gewissen Handlungsspielraum. Die DFG betrachtete den Krieg als einen dem Reich aufgezwungenen Notwehrakt, wandte sich aber sofort gegen alle Annexionspläne und bemühte sich, Kaiser und Regierung zu einem Verständigungsfrieden zu bewegen. Oberstes Ziel ihrer Friedensbemühungen war die Schaffung einer konfliktvorbeugenden und –vermeidenden Rechtsgemeinschaft der Völker. Die starr auf einen Siegfrieden abzielende Haltung des Reiches ließ die Pazifisten freilich erkennen, dass eine Verwirklichung ihrer Friedenskonzeption ohne die Zerschlagung des preußischen Militarismus und eine Demokratisierung im Innern scheitern musste; Weltfriede und Demokratie wurden jetzt miteinander verknüpft.
Nach dem Krieg erlebte die DFG zunächst einen starken Aufschwung. Die Mitgliederzahl stieg bis 1927 auf 30.000. Die von Fritz Küster herausgegebene Wochenzeitung „Das Andere Deutschland“ erreichte zeitweise eine Auflage von 42.000 Exemplaren. Der Beitritt ehemaliger Generale (Freiherr von Schönaich), bekannter Literaten (Ossietzky, Tucholsky, Berthold von Deimling) und Sozialdemokraten (Ströbel, Siemsen, Seger, Löbe) führte der DFG einen Teil der sozialdemokratischen Wählerschaft zu und brachte eine Annäherung von DFG und SPD mit sich. Ideologisch untermauert wurde diese Entwicklung durch die Herausbildung des „radikalen Pazifismus“, der durch Zweifel an der Wirksamkeit des organisatorischen Pazifismus sowie die Erkenntnis geprägt war, dass erst die Wehrpflicht dem Krieg seinen totalen, massenmordenden Charakter gegeben hatte.
Grundlegend für diesen radikalen Pazifismus, dessen Konstitution Techniken wie Kriegsdienstverweigerung, Arbeitsverweigerung in Rüstungsbereichen und Generalstreik bildeten, waren das Prinzip der Gewaltlosigkeit und die Grundsätze der Heiligkeit des menschlichen Lebens sowie des Urrechts des Einzelnen auf Leben. Die radikalen Pazifisten orientieren sich stark an sozialistischen Vorstellungen. Dagegen blieb das Friedenskonzept der organisatorischen Pazifisten in der DFG, die Kriegsdienstverweigerung als politisches Konzept weiterhin ablehnten, auch jetzt vor allem außenpolitisch bestimmt.
Ziele der DFG waren in der Weimarer Zeit vor allem die Verständigung mit Frankreich, die Revision des Versailler Vertrages (bei Anerkennung zumindest der Mitschuld Deutschlands am Kriege), die Verwirklichung der Abrüstung und der Eintritt Deutschlands in den Völkerbund, den es zu einer demokratisch strukturierten internationalen Rechts- und Kulturgemeinschaft auszubauen galt. Vorrang hatte für die DFG jedoch der Kampf um die Erhaltung der Republik, die gegen die militanten Kampfverbände der Nationalisten und gegen den aufkommenden Faschismus verteidigt werden musste. Die Folgen dieses kämpferischen Einsatzes waren wiederholte Versammlungssprengungen, Überfälle, Misshandlungen sowie die Ermordung einzelner Pazifisten.
Verbote und Gefängnis
Den besonderen Zorn der politischen Reaktion erregte der mutige Kampf der Pazifisten gegen die illegale Rüstung (Schwarze Reichswehr), die sie in ihren Zeitungen und in Eingaben an Regierung und Reichstag öffentlich anprangerten. Die Antwort waren wiederholte Verbote pazifistischer Zeitschriften und eine Vielzahl von Landesverratsverfahren: Musste der DFG-Vorsitzende Ludwig Quidde (Friedensnobelpreis 1927) 1924 nach heftigen Protesten des Auslandes noch freigelassen werden, so wurden Küster/Jacob, Röttcher und Ossietzky zu Festungshaft und Gefängnis verurteilt.
Das Ende der Republik erlebte die DFG stark geschwächt (5.000 Mitglieder 1932), nachdem sich radikale und organisatorische Pazifisten 1929 endgültig entzweit hatten und auch die Wirtschaftskrise zu großen Mitgliederverlusten führte. Dennoch stemmte sich die Gesellschaft bis zu letzt gegen den Sieg des Nationalsozialismus, blieb aber mit ihrem Vorschlag einer Einheitsfront ohne Resonanz. Die DFG wurde 1933 zerschlagen. Das Schicksal ihrer leitenden Mitglieder hieß Emigration, Freitod und Konzentrationslager.
Im antifaschistischen Widerstand spielten die Pazifisten nur vereinzelt eine Rolle. Zerschlagen wurde 1933 auch der „Bund der Kriegsdienstgegner“ (BdK), der 1919 entstanden war und als deutscher Zweig der War Resisters´ International (WRI) auf dem Boden der Gewaltlosigkeit stand. Ziel des BdK, dessen Mitglieder mehrheitlich zum Sozialismus neigten, war es, durch umfassende Nichtbeteiligung den Ausbruch eines Krieges und seine Vorbereitung zu verhindern und durch gewaltfreien Kampf zur Errichtung einer gerechten Gesellschaftsordnung beizutragen. Der Bund bekämpfte besonders intensiv die Pläne für eine Arbeitsdienstpflicht und alle Vorstöße zur Wiedereinführung der Wehrpflicht, lehnte jeglichen Kolonialismus entschieden ab und unterstützte aktiv die Volksbegehren gegen die Fürstenabfindung und gegen den Panzerkreuzerbau. Zahlenmäßig kam der BdK, dessen herausragende Persönlichkeit Helene Stöcker war, über 3.000 Mitglieder (1926) nicht hinaus.
Nach 1945
Schon bald nach Kriegsende wurde die DFG in den Westzonen neukonstituiert. In der Sowjetischen Besatzungszone bzw. später der DDR wurden die Anträge auf Zulassung nicht bewilligt.
Nach 1945 knüpfte die DFG, die weitgehend auf Mitglieder aus der Weimarer Zeit zurückgreifen konnte, an ihre Tradition eines politischen Pazifismus an. Kernpunkte der ersten Nachkriegsprogramme waren die Forderungen nach völliger Vernichtung von Militarismus und Faschismus, nach der Garantie demokratischer Grundrechte und nach einer Weltregierung; die letzte Forderung wurde allerdings bald als illusionär aufgegeben. Der Schwerpunkt der Aktivitäten lag in den 50er und 60er Jahren in dem Bemühen um die Durchsetzung der friedlichen Koexistenz und der Forderung nach allgemeiner und vollständiger Abrüstung (Manifest der DFG zur allgemeinen Abrüstung von 1960).
Unabdingbarer Gegner der Wiederaufrüstung, sah die DFG die Aufgabe Deutschlands in einer Haltung der aktiven Neutralität. Bereits 1955 führte die Gesellschaft erste Gespräche mit dem Deutschen Friedensrat der DDR und entwickelte in der 1957 eingerichteten „Deutschlandkommission“ verschiedene Vorschläge für die Lösung der Berlin- und Deutschlandfrage, deren Grundlage bis in die 60er Jahre das Ziel der Wiedervereinigung auf einer Verständigungsbasis bildete. Staatlicherseits wurde die DFG daraufhin als kommunistische Tarn- und Hilfsorganisation diffamiert.
Mehr als diese Verdächtigungen machte der Gesellschaft jedoch der Nachwuchsmangel zu schaffen. Da die DFG nach dem Krieg der Idee der Massenkriegsdienstverweigerung skeptisch gegenüberstand, Pazifismus und KDV in der Bundesrepublik aber weitgehend zu Synonymen wurden, schlossen sich junge Menschen vorwiegend den KDV-Verbänden an, so dass die Mitgliederzahl von etwa 7.000 in den ersten Nachkriegsjahren auf wenige hundert 1968 zurückging. 1947 konstituierte sich in Hamburg in der Nachfolge des BdK die „Internationale der Kriegsdienstgegner“ (IdK), die ganz an die Tradition der radikalen Kriegsdienstgegnerschaft anknüpfte und unter dem Einfluss ihres Vorsitzenden Theodor Michaltscheff, eines Exilbulgaren, einen stark weltanschaulichen Grundsatzpazifismus vertrat, der eine gewisse Politikferne implizierte. Aktiven Anteil hatte die IdK allerdings an der gesetzlichen Verankerung 1947/48, während sie den Wortlaut des Artikel 4,3 GG bereits frühzeitig wegen der in ihm enthaltenen Restriktionsmöglichkeiten kritisierte.
Der Kampf um ein verfassungsgerechtes Ausführungsgesetz zu Artikel 4,3 GG stand in Verbindung mit dem aktiven Widerstand gegen die Remilitarisierung (spektakuläre Verbrennung des Generalvertrags 1952) auch im Mittelpunkt der Aktivitäten in der ersten Hälfte der 50er Jahre. Zur gleichen Zeit wurde die Organisation politischer: ein großer Teil der aktiven Gruppen unterstützte die Neutralisierungsbestrebungen der Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP) Gustav Heinemanns und setzte sich für Gespräche mit den übrigen östlichen Staaten ein.
Gespräche mit dem Deutschen Friedensrat oder mit dem Weltfriedensrat lehnte die IdK allerdings ab, doch setzte sie sich in der Bundesrepublik entschlossen für die unbedingte Respektierung der demokratischen Grundrechte ein und verurteilte das Verbot der KPD und anderer, angeblich kommunistischer, Organisationen.
1953 entstand in Köln die Gruppe der Wehrdienstverweigerer (GdW), die eher pragmatisch ausgerichtet war und sich die Bekämpfung der Wehrpflicht, die Propagierung der KDV und die Interessenvertretung der KDVer zur Aufgabe gemacht hatte. Die GdW stützte sich vor allem auf Arbeiter und Angestellte, die den Gewerkschaften und sozialdemokratischen Jugendverbänden nahestanden. Aufgrund unkonventioneller Werbemethoden (Autokorso, Spuckzettel) konnte sie bis 1957 ca. 5.000 Mitglieder gewinnen.
Der klare Wahlsieg Adenauers 1957 und die unerwartet geringe Zahl von KDVern bei den ersten Musterungen ließen eine Fusion der GdW und der etwa 4.000 Mitglieder zählenden IdK geboten erscheinen. Die Verhandlungen scheiterten jedoch 1959 vor allem daran, dass die strikt antikommunistisch ausgerichtete GdW, die ihre Ziele durch Einflussnahme auf SPD und Gewerkschaft zu verwirklichen hoffte, die Einfügung einer antikommunistischen Unabhängigkeitsklausel in die Satzung verlangte. Nur wenige IdK-Gruppen bildeten daraufhin am 4. Mai 1958 mit der GdW den Verband der Kriegsdienstverweigerer (VK), dessen Aktivitäten sich in den folgenden Jahren vor allem auf die KDV konzentrierten.
Der Zusammenschluss
Erst in den 60er Jahren weitete der VK seinen Arbeitsbereich auf friedenspolitische Aktionen aus: er beteiligte sich in starkem Maße an der Ostermarschbewegung, die aus einer Initiative von IdK- und VK- Mitgliedern entstanden war, bekämpfte aktiv die Notstandsgesetze und die US- Intervention in Vietnam und setzte sich für Abrüstung sowie die Anerkennung der Oder- Neiße-Grenze und für Verhandlungen mit der DDR ein. Die Praxis von VK und IdK war in den 60er Jahren weitgehend identisch, wobei allerdings die IdK, die 1958 Pastor Martin Niemöller – seit 1957 Präsident der DFG – zu ihrem Präsidenten gewählt hatte, im Gegensatz zum VK auch Gespräche mit dem Deutschen Friedensrat führte. An der Gründung der Hilfsaktion Vietnam 1965 war sie mit der DFG entscheidend mitbeteiligt.
Zu vorübergehenden Erschütterungen führte die Gründung der Friedensunion (DFU) Ende 1960, da mit Prof. Renate Riemeck und Pfarrer Werner Bundesvorstandsmitglieder der IdK auch in der DFU führende Positionen übernahmen und verschiede Gruppen die neue Partei im Wahlkampf aktiv unterstützten, während andere auf die parteipolitische Unabhängigkeit der Organisation pochten. Erst mit der Wahl Helmut Michael Vogels zum Vorsitzenden 1964 kehrte wieder Ruhe in die IdK ein.
1966 nahmen IdK und VK, die beide etwa 5.000 Mitglieder zählten, erneute Fusionsverhandlungen auf, die 1967 jedoch wiederum scheiterten und 1968 schließlich zur Entstehung der Deutschen Friedensgesellschaft-Internationale der Kriegsdienstgegner (DFG-IdK) durch den Zusammenschluss von DFG und IdK führten. Verursacht wurde der neuerliche Fehlschlag vor allem durch die Artikulation linkssozialistischer Vorstellungen durch führende VK-Vorstandsmitglieder, die auf einen sozialistischen Verband abzielten, während die IdK am Bündnischarakter der Organisation festhielt.
Der VK geriet 1968 denn auch in starkem Maße in den Sog der Studentenbewegung; 1969 war der Gegensatz zwischen Pazifisten und militanten Sozialisten so stark geworden, dass der Verband faktisch lahmgelegt war. Erst Anfang der 70er Jahre gelang die Konsolidierung. Gemeinsam mit der DFG-IdK kämpfte der VK jetzt für die Ratifizierung der Ostverträge und für das Zustandekommen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Mit der Wahl eines neuen Vorstandes unter Klaus Mannhardt 1973 waren die Voraussetzungen für erneute Fusionsverhandlungen geschaffen, die am 24. November 1974 mit der Konstituierung der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK) erfolgreich abgeschlossen wurden. Das Programm der DFG-VK zeichnete sich durch den Versuch aus, die Tradition der radikalen Kriegsdienstgegnerschaft und des politischen Pazifismus in einer fruchtbaren Synthese zu verbinden. Folgerichtig zielten die Aktionen schwerpunktmäßig auf die Abschaffung des Prüfungsverfahren für KDVer und die möglichst starke Ausweitung der KDV sowie auf substantielle Abrüstungsschritte und eine europäische Friedensordnung ab. Höhepunkte dieser Aktivitäten waren die Internationale Abrüstungsstaffette Helsinki-Belgrad, die 1977 zusammen mit internationalen Partnerorganisationen durchgeführt wurde, und die zahlreichen Aktionen gegen die Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen Anfang der 80er Jahre. Im September 1987 veranstaltete die DFG-VK gemeinsam mit dem Friedenskomitee der CSSR, dem Friedensrat der DDR und der Österreichischen Friedensbewegung den Olof-Palme-Friedensmarsch, dessen Kernforderung auf die Schaffung eines 300 Kilometer breiten atomwaffenfreien Korridors entlang der Demarkationslinie abzielte. Bei dieser ersten Block überschreitenden gemeinsamen Aktion gelang es der DFG-VK durch Vereinbarungen sicherzustellen, dass in der DDR erstmals unabhängige Friedensgruppen mit eigenen Losungen und Transparenten teilnehmen konnten.
Faktisch seit der Fusion 1974 gab es innerhalb der DFG-VK stellenweise scharfe Auseinandersetzungen zwischen denjenigen, die für eine radikal antimilitaristische, oft gleichzeitig sozialistisch-anarchistisch gefärbte Profilierung der Organisation eintraten und einer (auf Bundeskongressen und im Bundesvorstand sich durchsetzenden) Mehrheitsströmung, die der DFG-VK eine wichtige Rolle bei der Schaffung eines breiten Friedensbündnisses zuerkannte. Gleichzeitig kam es immer wieder zu Kontroversen über die Rolle von KommunistInnen in der Organisation, und über die Einschätzung der Militärpolitik der Warschauer Pakt-Staaten. Tatsächlich zeigte die DFG-VK in der breiten Anti-Raketenbewegung Anfang der 80er Jahre wenig eigenständiges Profil, obwohl sie als organisatorischer Kern und Initiator mancher Initiativen (z. B. der Kampagne „Machen wir unser Land atomwaffenfrei – Straße für Straße, Stadt für Stadt“) eine wichtige Rolle spielte. Die Folge war ein anhaltender Mitgliedsrückgang, der durch finanzielle Fehler beim Kauf eines Hauses in Velbert (Sitz der Bundesgeschäftsstelle) noch verschlimmert wurde.
Auf dem Bundeskongress 1989 in Bremen benannte sich die Organisation in „Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen“ um und dezentralisierte ihre Satzung, so dass jetzt alle Gliederungen (Basis- und Ortsgruppen, Regionalverbände, Landesverbände und Bundesverband) ihre Angelegenheiten selbständig regeln. Außerdem können sich eigenständige Jugendgruppen, KDV-Initativgruppen, Friedensinitiativen und Gesprächskreise dem Verband als korporative Mitglieder anschließen.
Im Frühjahr 1990 wurde bekannt, dass der DFG-VK – ohne Wissen des überwiegenden Teils der Verbandsgremien – jahrelang von Seiten der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) finanzielle Zuwendungen zugeflossen waren, ohne dass die Organisation allerdings finanziell oder ideologisch abhängig gewesen wäre. Die DFG-VK hat daraufhin personelle Konsequenzen gezogen und institutionelle Sicherungen eingebaut, um verdeckte finanzielle Zuwendungen künftig zu verhindern.
Schwerpunkte KDV und zivile Konfliktbearbeitung
Heute versteht sich die DFG-VK als eine radikale pazifistische Organisation mit dem Ziel, die Institution des Krieges zu beseitigen und eine Welt sozialer Gerechtigkeit zu schaffen, in der Mensch und Natur in Einklang leben. Den Begriff der KDV versteht die DFG-VK in einem umfassenden Sinn; sie ruft nicht nur zur Verweigerung des Wehrdienstes auf, sondern zur Verweigerung jeglicher Beteiligung an Kriegsvorbereitungen (Zivilschutz, Militarisierung des Gesundheitswesens, Rüstungssteuerverweigerung). Den Zivildienst für KDVer betrachtet die Organisation aufgrund seiner Einbettung in das System staatlicher Kriegsvorbereitung und -führung skeptisch und unterstützt daher die Verweigerung aller staatlichen Zwangsdienste durch die totale Kriegsdienstverweigerung; sie fordert die Abschaffung der Wehrpflicht, wendet sich gegen die weltweiten Kriegseinsätze der Bundeswehr sowie die Militäreinsätze im Inneren der Bundesrepublik im Rahmen vorgeblichen Terrorismusbekämpfung. Die DFG-VK strebt die Abschaffung des Militärs in der Bundesrepublik Deutschland an und setzt sich darüber hinaus für die allgemeine und vollständige Abrüstung ein. Außerdem engagiert sich die DFG-VK im Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus; örtliche Gruppen und Landesverbände sowie Facharbeitskreise bearbeiten mit unterschiedlicher Intensität weitere friedenspolitische Aktionsfelder (z.B. Atomwaffenverbot und -abzug aus der Bundesrepublik, Rüstungsexport, Kleinwaffen und Landminen, „Dritte Welt“, Ökologie, Zivile Konfliktlösung, Gegenrekrutierung der Bundeswehr, …).
Einen großen Stellenwert misst die DFG-VK der internationalen Friedensarbeit bei. Sie hat in den letzten Jahren intensiv den Kampf der KDVer in Osteuropa unterstützt, hat KDVern und Deserteuren aus dem zerfallenen Jugoslawien zu helfen versucht. Ferner organisieren sich in der DFG-VK türkische und kurdische Kriegsdienstverweigerer. Weitere wichtige Arbeitsgebiete der DFG-VK sind die zivile Konfliktbearbeitung und -prävention sowie Friedenserziehung.
Die DFG-VK ist Mitglied in der War Resisters´ International (WRI), im International Peace Bureau (IPB) in Genf sowie im Sonderausschuss der Nichtregierungsorganisationen für Abrüstung bei den Vereinten Nationen in Genf und beteiligt sich an der Arbeit der Helsinki Citizens Assembly in Prag.
Literaturhinweise
- Roger Chickering, Imperial Germany and a World Without War. The Peace Movement and German Society 1892-1919. Princeton, New Jersey 1975.
- Guido Grünewald, Stimme der Völkerverständigung und der Humanität; Die Deutsche Friedensgesellschaft 1892-1933,in: Friedensanalysen für Theorie und Praxis, Bd. 10, Frankfurt a. M. 1979,S. 179-200,
- ders., Zwischen Kriegsdienstverweigerer Gewerkschaft und politischer Friedensorganisation: Der Verband der Kriegsdienstverweigerer 1958-1966, Hamburg 1977
- ders. , Die Internationale der Kriegsdienstgegner (IdK). Ihre Geschichte 1945-1968, Köln 1982;
- ders. (Hg.), Nieder die Waffen! Hundert Jahre deutsche Friedensgesellschaft 1892-1992, Bremen 1992
- Karl Holl, Pazifismus in Deutschland, Frankfurt/M. 1988.
- Karl Holl/Wolfram Wette (Hg.) Pazifismus in der Weimarer Republik, Paderborn 1981
- DFG-VK-Bundesverstand (Hg.) Im Kampf für Völkerverständigung, Abrüstung und Frieden, Essen 1979
- Dieter Riesenberger, Geschichte der Friedensbewegung in Deutschland. Von den Anfängen bis 1933, Göttingen 1985.
- Friedrich Karl Scheer, Die Deutsche Friedensgesellschaft (1892-1933) Organisation-Ideologie-Politische Ziele, Frankfurt/M, 1981.