Die Bundeswehr hat Verstärkung für ihre Besatzungstruppen am Hindukusch auf den Weg gebracht: Mit großem Pomp führten Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) und der Generalinspekteur der Bundeswehr Wolfgang Schneiderhan am Dienstag abend im nordrhein-westfälischen Lemgo einen öffentlichen Appell durch. Anlaß war die Entsendung von 200 Soldaten einer Schnellen Eingreiftruppe (Quick Reaction Force), die vor allem im deutsch besetzen Nordsektor Afghanistans zur Rebellenbekämpfung vorgesehen sind. Sie gehören größtenteils zum Panzergrenadierbataillon 212 der Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne in Augustdorf. Sie sollen ab dem 1. Juli einsatzfähig sein und eine norwegische Einheit ablösen.
Jung kündigte im ZDF-Morgenmagazin an, der Krieg in Afghanistan werde noch mindestens ein Jahrzehnt dauern: »Die Zielorientierung umfaßt die nächsten zehn bis 15 Jahre, bis die selbsttragende Sicherheit gewährleistet ist«, d. h. bis die afghanische Armee den Besatzern die Arbeit abnehmen kann. Der Minister räumte ein, daß sich die Sicherheitslage für die Besatzer verschärft hat. Weil »die Situation sich derzeit so darstellt, daß wir im Norden auch eine Verschärfung haben, gehe ich davon aus, daß auch die Schnelle Einsatzgruppe im wesentlichen im Norden eingesetzt wird«, erklärte Jung. Stationierungsorte sind Masar-i-Sharif, Kundus und Faisabad. Einsätze im Süden können von Jung bewilligt werden.
Ebenfalls gestern übernahm mit David McKiernan ein neuer Befehlshaber das Oberkommando über den NATO-geführten ISAF-Einsatz. Der US-General war 2003 Kommandeur der Invasionstruppen im Irak. Obwohl er schon dort bei der Rebellenbekämpfung kaum erfolgreich war, geizte er bei der Kommandoübernahme nicht mit kernigen Sprüchen: »Wir werden uns die Aufständischen, die ausländischen Kämpfer, Kriminelle und andere vorknöpfen, die unserer Mission im Wege stehen«, zitierte die Agentur AP McKiernan.
Der »taktischen Eingreifreserve« der Bundeswehr kommt bei der Aufstandsbekämpfung eine wichtige Rolle zu. Gleichsam als »militärische Feuerwehr« soll sie kurzfristig eingreifen, wenn andere Einheiten in Bedrängnis geraten. Die norwegische Vorgängertruppe ist in zwei Jahren 26mal ausgerückt. Daß es um einen eindeutigen Kampfauftrag geht, bestreitet auch Jung nicht. Der Einsatz sei gefährlich, so der Minister, der gestern einmal mehr darauf hinwies, daß am Hindukusch bereits 26 deutsche Soldaten »gefallen« sind.
Mit gegenwärtig 3470 Soldaten hat die Bundeswehr ihre vom Bundestag beschlossene Mandatsobergrenze von 3500 Mann nahezu ausgeschöpft. Bis Anfang Juli will Jung mitteilen, wie viele Soldaten er in Zukunft braucht. Die meisten Beobachter gehen davon aus, daß das Mandat aufgestockt wird. Der Gesamtumfang der ISAF-Truppen hat sich seit einem Jahr von 36000 auf nun rund 50000 erhöht.
In Zusammenhang mit der Entsendung der Kampfeinheit wies Jung stolz darauf hin, daß nun der 250000. Bundeswehrsoldat ins Ausland geschickt wird. Insofern betonte er zu Recht: »Die Einsätze prägen mittlerweile das Bild der Bundeswehr nach innen und nach außen.« Der Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK), Monty Schädel, sagte gegenüber junge Welt, dieser Anlaß motiviere erst recht zum Protest. In Lemgo demonstrieren am Dienstag Antifaschisten und Friedensaktivisten gegen Jungs Abendappell.
Frank Brendlehttp://www.jungewelt.de/2008/06-04/070.php