Von Inge Höger für Zivilcourage 1/2010 –
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Mitgliedermagazin der DFG-VK
Wer ist verantwortlich für das Blutbad, das in der Nacht vom 3. auf den 4. September 2009 auf einer Sandbank im Kundus-Fluß stattfand? War es das Fehlverhalten einzelner Soldaten, oder trägt die damalige rot-schwarze Koalition die alleinige Verantwortung? Haben Verteidigungs- und Außenminister sowie die Kanzlerin sehr schnell gewusst, dass bei dem Bombardement zahlreiche Zivilisten ums Leben gekommen sind? Und haben sie dennoch bewusst die Öffentlichkeit belogen, um nur ja im Bundestagswahlkampf keine zusätzliche schlechte Presse zu bekommen? All diesen Fragen geht seit kurzem ein Untersuchungsausschuss des Bundestags nach.
Auch wenn es für jeden halbwegs kritischen Menschen klar sein wird, dass alle oben aufgeworfenen Fragen mit „ja“ zu beantworten sind, könnte der Untersuchungsausschuss noch allerhand politischen Sprengstoff ans Tageslicht bringen. So hat sich bereits beim ersten Termin gezeigt, wie eng Bundeswehr und Geheimdienste zusammenarbeiten und wie schwierig im Nachhinein die Kontrolle dieser Grauzone ist – einmal abgesehen davon, dass die Trennung von Bundeswehr, Polizei und Geheimdiensten eine der wichtigen Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg war.
Für die parlamentarische Untersuchung wurde der Verteidigungsausschuss zum Untersuchungsausschuss erklärt. Da der Verteidigungsausschuss in der Regel nicht öffentlich tagt, werden nun große Teile der Ermittlungsarbeit hinter verschlossenen Türen stattfinden, und es hängt stark am fortgesetzten Interesse der Medien, ob die Ergebnisse der Untersuchungsarbeit auch tatsächlich öffentlich wahrgenommen werden.
In den ersten Sitzungen werden verschiedene am Einsatz beteiligte Bundeswehrsoldaten gehört, und ab Ende März wird auch die politische Ebene, also Kanzlerin, Minister und Staatssekretäre vor dem Untersuchungsausschuss Rede und Antwort stehen müssen. Die CDU/CSU hatte verbissen versucht, zuerst sämtliche Zeugen aus der Bundeswehr zu hören, bevor die verantwortlichen Politiker als Zeugen geladen werden – die Absicht dahinter ist klar: Die Union versuchte, die politisch schwierigen Termine erst nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen stattfinden zu lassen. Dass dies nicht der Fall ist und die politisch Verantwortlichen sich, im Gegensatz zu den Soldaten, nun doch im ausnahmsweise öffentlich tagenden Verteidigungsausschuss verantworten müssen, ist sicher ein wichtiges Ergebnis von Oppositionsarbeit im Parlament, gekoppelt mit öffentlichem Druck.
Da dennoch wesentliche Aspekte hinter verschlossenen Türen verhandelt werden, ist es für mich als überzeugte Antimilitaristin wichtig, so viele der kritischen Punkte aus dem Untersuchungsausschuss wie möglich in die öffentliche Debatte zu bringen.
Die Arbeit im Ausschuss wird durch vieles massiv erschwert: Es fehlen schon jetzt wichtige Unterlagen, und Verantwortliche haben auffällige Gedächtnislücken. Der gesamte Apparat der Bundeswehr, ihr Einsatzführungskommando in Potsdam und das Verteidigungsministerium verteidigen sich gegen Anschuldigungen und Ermittlungen durch Öffentlichkeit und Ausschuss beinahe so strategisch durchdacht und gut abgestimmt wie gegen einen militärischen Feind. Doch auch wenn dieser ganze Apparat „mauert“, so stärkt dies doch meine und unsere Antikriegsposition.
Formal ist die Bundeswehr eine Parlamentsarmee, doch wenn der Bundestag keine ausreichenden Informationen über wesentliche Entscheidungen und Aktionen der Bundeswehr hat, dann ist diese parlamentarische Kontrolle eine Farce. Wenn es nicht oder nur extrem schwierig möglich ist, für dieses größte Blutbad durch deutsche Soldaten seit Ende des Zweiten Weltkriegs die tatsächlich Verantwortlichen zu identifizieren, dann ist es klar – zumindest für diejenigen, die diesen Beweis noch gebraucht haben – dass eine Armee nicht demokratisch kontrollierbar ist, dass sie früher oder später eine verschworene Gemeinschaft ist, deren Aufgabe schlussendlich im Töten und Getötet-werden besteht. Die Delegitimierung sowohl des Krieges, als auch der dafür eingesetzten Armee ist für mich ein wichtiges politisches Ziel der Ausschussarbeit.
So tragisch die Vorfälle in Kundus auch sind, sie erhöhen doch den öffentlichen Druck auf die Regierung, den Afghanistaneinsatz zu beenden. Damit wenigstens nicht noch mehr Menschen durch deutsche Soldaten oder auf Befehl deutscher Soldaten sterben müssen, ist es die Aufgabe der Friedensbewegung und von linken Antikriegs-ParlamentarierInnen, die Antikriegsstimmung in der Bevölkerung in unübersehbaren Protest zu verwandeln.
Inge Höger ist DFG-VK-Mitglied und Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion. Sie ist eine von vier Mitgliedern der Linken im Verteidigungsausschuss.http://www.afghanistankampagne.de