Von René Heilig für Neues Deutschland
Am Donnerstag werden die Generatoren abgestellt. Die in der Türkei stationierten Patriot-Flugabwehrstaffeln werden nach drei Jahren von ihrem operativen Einsatz entbunden.
Aufatmen. Weder die deutschen bei Kahramanmaras stationierten Soldaten noch die für ihren Einsatz verantwortlichen Politiker in Berlin waren mit einem Ernstfall konfrontiert. So soll es bleiben. Nichts wie nach Hause – bevor die Regierung in Ankara russische Luftraumverletzungen zu einem NATO-Bündnisfall aufblasen kann.
Seit Januar 2013 sind bis zu 400 deutsche Soldaten mit zwei »Patriot«-Luftverteidigungsstaffeln samt Unterstützungseinheiten an der Operation »Active Fence« (aktiver Zaun) beteiligt. 250 sind derzeit noch in der Gazi-Kaserne stationiert. Warum? Die Deutschen sollten helfen, ein Übergreifen des syrischen Bürgerkrieges auf türkisches Territorium zu verhindern. Die Türkei hatte im November 2012 das NATO-Bündnis um Schutz ihrer Bevölkerung gebeten. Die NATO beschloss den Einsatz zur Abwehr möglicher syrischer Raketenangriffe im Dezember 2012. An ihm beteiligten sich neben den deutschen auch US-amerikanische und niederländische »Patriot«-Mannschaften mit ihrem Gerät. Ende vergangenen Jahres waren die Niederländer abgezogen, spanische Einheiten übernahmen ihre Aufgaben. Mitte August hatte dann die Bundesregierung erklärt, dass sie das noch bis zum 31. Januar 2016 gültige Mandat auslaufen lassen will.
Damit folgte sie der NATO-Einschätzung, laut der die Bedrohung für das türkische Territorium durch ballistische Raketen aus Syrien »sehr niedrig« ist. War das je anders?
Kaum. Außer ein paar mehr oder weniger verirrten Artilleriegranaten, deren Absender nie ermittelt wurden, ließ sich keine Bedrohung aus Syrien ausmachen. Umgekehrt schon, denn die türkische Regierung unterstützte jahrelang Freischärler, die gegen das Regime von Baschar al-Assad kämpften.
Wie bedroht war der Bündnispartner Türkei wirklich? Exakte Auskünfte über registrierte Raketenstarts gibt es vonseiten der NATO nicht und auch die Bundeswehr schweigt darüber, denn die »Patriot«-Staffeln seien Teil des Integrierten NATO-Luftverteidigungssystems. Was die Radarsoldaten also tatsächlich auf dem Schirm hatten, müsse daher geheim bleiben.
Redet man mit beteiligten Soldaten, so erzählen die, dass anfangs mehrfach pro Woche Starts syrischer ballistischer Raketen registriert wurden. Doch die Ursache für jeweils erhöhte Adrenalinzufuhr hielt nicht lange vor. Erstens weil die Raketen nie in Richtung Türkei flogen, zweitens weil solche Alarmzustände bald fast völlig ausblieben.
Dennoch sollten sich die mandatsgebenden Bundestagsabgeordneten wenigstens im Nachhinein für die wahren Ursachen des Einsatzes interessieren. Die »Patriot«-Raketen sind keine Waffe zur Raumdeckung. Sie haben nur einen begrenzten Wirkungsraum, dienen also der Objektverteidigung. Und welches Objekt war das in der Türkei?
Inmitten der »Patriot«-Wirkungszone liegt der Luftwaffen-Stützpunkt Incirlik. Der ist nur ein paar Flugminuten von der Grenze zu Syrien entfernt. Als die NATO noch die Einrichtung einer sogenannten Flugverbotszone über Syrien plante, war klar, dass Incirlik dafür eine geeignete Ausgangsbasis wäre – und damit auch ein mögliches Ziel für syrische Raketen. Fachleute erinnern sich an die Flugverbotszone, die die USA 2003 gegen Irak verhängt hatten. Damals war das türkischen Diyabakir Stationierungsort für US-Jets – eine niederländische »Patriot«-Batterie übernahm deren Deckung.
Doch Incirlik hat noch eine Besonderheit. Wie der deutsche Fliegerhorst in Büchel liegen auf dem Stützpunkt US-Atomwaffen. Derzeit unternimmt man gerade Anstrengungen, um die entsprechenden Shelter, in denen bis zu 84 nukleare Waffen gelagert werden können, zusätzlich zu sichern. Man wolle verhindern, dass rebellische Kurden auf falsche Gedanken kommen.
Inzwischen sind die USA selbst präsent auf dem Stützpunkt. Washington und Ankara haben im Juli ein entsprechendes Abkommen geschlossen. Nun fliegen F16-Jets von Incirlik aus Angriffe gegen Milizen des Islamischen Staates in Irak und Syrien.
Im Verlaufe des Dezembers werden die deutschen Luftwaffensoldaten nun in ihre heimischen Standorte zurückkehren. Nebst »Mucki-Bude« und Speisesaal werden sie in der Gazi-Kaserne noch manch andere Neuerung hinterlassen, die den Dienst der türkischen Kameraden angenehmer werden lassen.
Quelle: Neues Deutschland vom 15.10.2015
