Vom Kriegseinsatz der Reservisten über Streikbruch bis zum Einsatz gegen Demonstranten
Die Aussetzung der Wehrpflicht wurde in den Medien groß behandelt. Doch dies Datum spielte in den Medien und Ministerreden nie eine Rolle: Am 17. Februar 2005 wurde das „Gesetz über die Neuordnung der Reserve der Streitkräfte und zur Rechtsbereinigung des Wehrpflichtgesetzes“ beschlossen. Der Kern des Gesetzes ist die Anhebung des Alters von 45 auf 60 Jahre, bis zum dem Reservisten einberufen werden können, und der Einsatz von Reservisten im Krieg und im Inneren des Landes. Ohne mündliche Aussprache – und fast ohne Berichterstattung der Medien – ging die Beschlussfassung im Bundestag über die Bühne. Ihre Auswirkung: Die Bundeswehr wird mit der Aussetzung der Wehrpflicht nicht kleiner, sondern größer.
Von Ulrich Sander (Sprecher der VVN-BdA)
Das Datum 3. Januar 2011 wurde in den Medien ausführlich behandelt. Zum letzten Mal wurde ein Kontingent von 12.000 jungen Männern als Wehrpflichtige einberufen. Ohne Wehrpflichtige soll die Bundeswehr von 240.000 auf 185.000 Soldaten schrumpfen. „Historisch“ wurde die Abschaffung der Wehrpflicht genannt, obwohl es nur eine Aussetzung ist. Die Wehrpflicht ist jederzeit rückholbar.
Seit 1957 haben 8,5 Millionen Männer den Kriegsdienst mit der Waffe geprobt. So sie noch keine 60 Jahre alt sind können sie jederzeit erneut zur Fahne gerufen werden – sollte der Verteidigungsfall es erfordern. Ein solcher Verteidigungsfall war der Eintritt Deutschlands in den Afghanistan-Krieg; es wurden jedoch keine wehrpflichtigen Reservisten in diesen Krieg gesandt, sondern nur freiwillige Wehrpflichtige und freiwillige Reservisten, die sich zu Einsätzen, nicht nur zu Übungen, verpflichtet haben. Von derartigen Reservisten gibt es rund 1,2 Millionen. Für 94.000 von ihnen ist ständig ein „Arbeitsplatz“ bei der Bundeswehr vorhanden. Somit sinkt die Zahl der Soldaten nicht auf 185.000, sondern sie steigt auf rund 280.000. Doch darüber wird nicht berichtet.
Denn dies Datum spielte in den Medien und Ministerreden nie eine Rolle: Am 17. Februar 2005 wurde das „Gesetz über die Neuordnung der Reserve der Streitkräfte und zur Rechtsbereinigung des Wehrpflichtgesetzes“ beschlossen. Der Kern des Gesetzes ist die Anhebung des Alters von 45 auf 60 Jahre, bis zum dem Reservisten einberufen werden können, und der Einsatz von Reservisten im Krieg und im Inneren des Landes. Ohne mündliche Aussprache – und fast ohne Berichterstattung der Medien – ging die Beschlussfassung im Bundestag über die Bühne.
Petra Pau (eine der beiden PDS-MdB, die es damals gab), führte in ihrem schriftlich eingereichten Debattenbeitrag aus: „Reservistinnen und Reservisten sollen in den Umbau der Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zu einer weltweit agierenden Interventionsarmee aktiv einbezogen werden. … Hinzu kommt: Mit § 6c des vorliegenden Gesetzentwurfes wollen Sie den Einsatz der Bundeswehr im Inneren der Bundesrepublik Deutschland vorbereiten. Sie weisen Reservistinnen und Reservisten entsprechende Aufgaben zu.“
Über zwei Jahre später meldet die Bundeswehrzeitschrift „Y“: „Seit Jahresbeginn stellt sich die Bundeswehr in der Fläche der Republik neu auf.“ Sie zitiert den damaligen Minister Franz Josef Jung: „Die flächendeckende Einführung der Zivilmilitärischen Zusammenarbeit im Inland stellt sicher, dass die Bundeswehr in unsrer Heimat jederzeit und an jedem Ort unseres Landes Hilfe und Unterstützung leisten kann.“ Diese Zivilmilitärische Zusammenarbeit im Inland ist vollkommen eine Sache der Reservisten. Künftige Oder- und Elbfluteinsätze werden somit Sache von Arbeitern und Angestellten sein, die kurzfristig abkommandiert werden. Und auch für den Ersatz streikender Fachleute (Fluglotsen mit Wutpotential gibt es nicht nur in Spanien) steht ZMZ Inneres bereit. In den Computern des Streitkräfteamtes sind alle Reservisten mit ihren Fähigkeiten erfasst.
Die Bundeswehr kommt uns also beim Einsatz im Innern durch die Hintertür und auf leisen Sohlen. Ein Heimatschutz nach amerikanischem Vorbild wird bzw. wurde aufgebaut und den zivilen Behörden in Stadt und Land „zur Seite gestellt“. Im Artikel 35 des Grundgesetzes ist für den Einsatz der Bundeswehr im Innern nur vorgesehen: „Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall“ (Artikel 35, Absatz 2). Von Hilfe bei Polizeiaufgaben und „Großereignissen“ ist im Grundgesetz nicht die Rede, wohl aber in Einsatzplänen der Behörden. Die Regierung arbeitet mit dem schwammigen Begriff „Terroranschläge“, bei denen die Reservisten zu Hause in Massen zur Waffe greifen sollen.
Spätestens am 29. August 2009 wäre folgende Schlagzeile in den Medien fällig gewesen – sie unterblieb jedoch: „Bundesregierung will mit Bundeswehr Streiks bekämpfen“. Eine Antwort der Bundesregierung an die LINKE im Bundestag vom 28.8.09 besagte eindeutig, dass die Kampfbedingungen der Gewerkschaften erheblich eingeschränkt werden. Zumindest im öffentlichen Dienst steht Streikbruch mittels Bundeswehr auf der Tagesordnung. Denn in der Antwort der Bundesregierung an den Bundestag schließt das Bundesverteidigungsministerium nicht aus, dass die ZMZ-Kommandos bei Demonstrationen zum Einsatz kommen. Dies obliege allein den Landesbehörden. Selbst der Militäreinsatz anlässlich von Streiks im Transport-, Energie- oder Gesundheitswesen sowie bei der Müllabfuhr wird nicht ausgeschlossen – eine Entscheidung darüber sei „dem jeweiligen Einzelfall vorbehalten“. (laut BT-Drucksache 16/13847 und Pressemitteilung von Ulla Jelpke vom 1. September 2009).
Die Bundestagsabgeordnete der LINKEN Ulla Jelpke dazu: „Die Bundesregierung hält sich damit alle Optionen für den Militäreinsatz im Inneren offen. Die ZMZ-Kommandos wirken gleichsam als militärische Vorauskommandos, die schleichend in die zivilen Verwaltungsstrukturen einsickern. Das Konzept der ZMZ läuft damit letzten Endes auf einen offenen Verfassungsbruch hinaus.“
Als verheißungsvoll wird die Änderung der Wehrpflichtgesetzgebung seit 2005 vom Reservistenverband aufgenommen. 123.000 der willigsten und aktivsten Militaristen sind hierin – gesponsert von der Bundeswehr – vereinigt. Sie versichern, „sich militärisch, körperlich und geistig fit zu halten“, um sich jederzeit in den Streitkräften zu engagieren, ob im In- oder Ausland. Der Reservistenverband hat sich in den ZMZ-Inneres-Kommandos der Bundeswehr verankert, die es in allen Landkreisen und Kreisfreien Städten gibt. Sie haben darin eine Hausmacht, und mit ihnen viele rechtslastige Kader. Diese Kommandos mit rund 5.500 Reserveoffizieren, sind innerhalb einer Stunde einsatzbereit. Doch davon sprach niemand am „historischen“ 3. Januar 2011.
Quelle: http://www.nrw.vvn-bda.de