DFG-VK-Mitglied Zeynettin Er permanent von Abschiebung in die Türkei bedroht
Von Gerit Ziegler
Selten wird der 15. Mai, der internationale Tag der Kriegsdienstverweigerung, zum Anlass für große Kundgebungen und Veranstaltungen genommen. Und dies wahrscheinlich deshalb, weil wir denken, dass wir die Bedeutung der KDV bereits erkannt haben und die ihr ihrer würdige Stellung in unserer Verfassung längst gewährleistet wurde. Ist es nicht gerade dieser scheinbare Fortschritt, der einen ursprünglich radikal emanzipatorischen Ansatz zu einem Privileg verkommen lässt und ein Land nicht daran hindert, Kriege zu führen? Dies ist eine Tatsache, die wir vielleicht nicht in aller Deutlichkeit sehen können.
So wollte der Initiativkreis Deserteurdenkmal in Bernau an diesem Tag mit einer Kundgebung und einem Podiumsgespräch die Beweggründe der Verweigerer aus verschiedenen Armeen und Konflikten der Welt darstellen und dabei auch nach unserer Verantwortung für Frieden und Gerechtigkeit fragen. Zu dem Podiumsgespräch eingeladen waren Zeynettin Er von der DFG-VK, ein Totalverweigerer aus Deutschland und Ulrike Laubenthal von der Sichelschmiede Rossow.
16 Jahre sind es mittlerweile her, seitdem Zeynettin hierher floh und Asyl beantragte. In der Türkei als engagierter Kurde verfolgt und zum Militärdienst gezwungen, in Deutschland dagegen als Flüchtling unerwünscht, lebt Zeynettin mit seiner Familie in ständiger Angst, eines Tages in seinem Briefkasten die Mitteilung von der Ausländerbehörde zu finden, die ihn auffordert, das Land zu verlassen. Resigniert ist er aber trotzdem nicht. „Meine ganze Jugend ist in diesem Land verflossen; ich habe nicht die Absicht, mir eine neue Heimat zu suchen“, sagt der kurdische Kriegsdienstverweigerer entschlossen.
In Bernau, kaum eine Stunde entfernt von Berlin, stehen ein Kriegerdenkmal und ein Deserteurdenkmal im krassen Gegensatz fast nebeneinander. Die deutlich spürbare Abneigung der BewohnerInnen gegenüber AusländerInnen und die Erzählungen einer kurdischen Einwohnerin, die wir zufällig kennenlernten, bestätigten zuerst das Klischee über die neuen Bundesländern. Auch die seit Anfang der 1990-er Jahre registrierten Überfälle auf Nichtdeutsche sowie die regen Neonazi-Aktivitäten seit 2000 ließen keinen Zweifel daran, dass sich Bernau von den restlichen Klein- und mittelgroßen Städten im Osten nicht viel unterscheidet. Aber auch hier gibt es glücklicherweise Menschen, die leidenschaftlich versuchen, etwas zum Positiven zu bewegen. Schon 1998 bildet eine Gruppe von antimilitaristisch und sozial engagierten Jugendlichen eine Initiative, um ein Denkmal zu errichten, das die Erinnerung an das bittere Los der Deserteure und Kriegsdienstverweigerer im Faschismus wach halten soll. Es soll aber auch die zeitlose moralisch-politische Pflicht zum Widerstand gegen den Krieg und die Wehrpflicht deutlich machen.
Der Kundgebung, die auch mit der Beteiligung des Bürgermeisters Hubert Handke vor dem Denkmal stattfand, folgten die Beiträge der Gäste in der St.-Marien-Kirche. In seinem Beitrag machte Zeynettin die TeilnehmerInnen auf die Lage der türkisch-kurdischen Kriegsdienstverweigerer in Deutschland und in der Türkei aufmerksam. Während in der Türkei der Staat und das Militär die KDV nicht anerkennen, akzeptiert Deutschland sie nicht als Grund, um einem Asylsuchenden Zuflucht zu gewähren. So musste sich Zeynettin von der Ausländerbehörde einige Male anhören, dass die Wehrpflicht etwas Normales sei und dass es sie in jedem Land gäbe.
Trotz der Unmöglichkeit, sich dem Militärdienst legal zu entziehen, gibt es in der Türkei schätzungsweise über 200.000 Fahnenflüchtige, die aus verschiedensten Gründen keinen Militärdienst ableisten wollen. Die Illegalität und ein Leben am Rande der Gesellschaft sind die Folge ihrer Entscheidung. Viele von ihnen werden früher oder später gefasst oder sehen irgendwann selbst keine andere Alternative, als den Militärdienst abzuleisten, um ein einigermaßen normales Leben führen zu können. Denn ein Alterslimit für die Wehrpflicht gibt es nicht, sagt Zeynettin. Auch ein 60-Jähriger ist wehrpflichtig, wenn er bis dahin keinen Militärdienst abgeleistet hat. Den Kriegsdienst öffentlich zu verweigern sowie die Wehrpflicht und das Militär zu kritisieren – wie er selbst es tat -, führen zudem zur strafrechtlichen Verfolgung.
Aber auch der historisch zentralistisch ausgeprägten Staatsgewalt zu trotzen, hat in der Türkei eine sehr lange Tradition: Schon im 18. Jahrhundert gab es zahlreiche Deserteure, die nicht in die nicht endenden Kriege ziehen wollten, in den bergigen Gebieten umherzogen, gar teilweise Banden bildeten, die nach eigenen Gesetzten lebten. Gruppen von Kriegsdienstverweigerer und Antimilitaristen allerdings tauchen in der Öffentlichkeit erst in den 1980-er Jahren auf, in denen der Krieg zwischen der PKK und dem türkischen Militär tagtäglich Opfern zu fordern begann und das Land in eine bürgerkriegsähnliche Situation hineinzog. Heute gibt es neben aktiven antimilitaristischen Gruppen in den Großstädten wie Istanbul, Izmir oder Ankara auch verstreut einzelne AktivistInnen türkischer oder kurdischer Herkunft, die für die Abschaffung der Wehrpflicht kämpfen und dabei die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen wollen. So gründete Zeynettin in der DFG-VK die Initiative der kurdisch-türkischen KDVer, berät auch mittlerweile seit über zwei Jahren die Verweigerer aus der Türkei und gibt ihnen seine Erfahrungen weiter. Ob er eines Tages in diesem Land auch Anspruch auf das Menschenrecht auf KDV haben wird? Die Antwort hängt ein großes Stück von uns ab.
Gerit Ziegler ist aktiv im DFG-VK-Landesverband Berlin-Brandenburg.http://www.connection-ev.de