Beitrag von Stefan Philipp für die ZivilCourage – Mitgliederzeitung der DFG-VK 5/2009
Nach Abzug von Urlaub, Lehrgang und Einarbeitungszeit würden Zivis nur noch drei bis vier Monate zur Verfügung stehen. Der damit verbundene Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Nutzen dieser Zeit“, klagte der Memminger Diakonie-Chef Alexander von der Marwitz Ende November in seiner Heimatzeitung. Solche Klagen waren in den letzten Wochen landauf, landab aus den Wohlfahrtsverbänden zu vernehmen. Auslöser war ein kleiner Satz im vollmundig „Wachstum. Bildung. Zusammenhalt.“ überschriebenen 133-seitigen Koalitionsvertrag. Darin hatten die beiden Christenparteien mit der Westerwelle-Truppe vereinbart: „Die Koalitionsparteien halten im Grundsatz an der allgemeinen Wehrpflicht fest mit dem Ziel, die Wehrdienstzeit bis zum 1. Januar 2011 auf sechs Monate zu reduzieren.“
Schaut man sich die Ausgangsvoraussetzungen an, dann ist diese beabsichtigte Dienstzeitverkürzung auf den ersten Blick ein seltsames Ergebnis.
Im gemeinsamen Wahlprogramm „Wir haben die Kraft. Gemeinsam für unser Land“ von CDU und CSU war die Wehrpflicht als notwendig „für die Sicherheit unseres Landes“ bezeichnet worden. Sie „verbinde Bundeswehr und Gesellschaft“, allerdings solle sie „attraktiver gestaltet“ werden, und auch für „mehr Wehrgerechtigkeit“ wolle man sorgen. Den Zivildienst, der „große sozial- und jugendpolitische Bedeutung“ habe, „wollen wir als Ersatzdienst erhalten.“
Ganz anders der Wunsch-Koalitionspartner FDP. Der hatte in seinem „Deutschlandprogramm“ festgestellt: „Die Wehrpflicht ist nicht mehr zu begründen.“ Sie sei „in ihrer Ausgestaltung zutiefst ungerecht und für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr mittlerweile sogar kontraproduktiv.“ Die Schlussfolgerung: Die Wehrpflicht „muss schnellstens ausgesetzt werden.“
Bei der Aushandlung einer Koalitionsvereinbarung trafen also zwei Positionen aufeinander, die schlechterdings nicht miteinander vereinbar waren. Wer hatte sich nun also durchgesetzt und mehr Anteile der eigenen Position erreicht?
Dirk Niebel, der frühere FDP-Generalsekretär und nunmehrige Entwicklungsminister (und damit Chef des Ministeriums, das er zuvor hatte abwickeln wollen), behauptete am 7. November: „Die Verkürzung auf sechs Monate sehen wir als Einstieg in den Ausstieg.“ Gewinnerin die FDP also?
Niebels neue Chefin widersprach ihm vier Tage später bei der Abgabe ihrer ersten Regierungserklärung sogleich: „Die neue Bundesregierung hat entschieden, die Wehrpflicht auf sechs Monate zu verkürzen. Sie hat nicht beschlossen, die Wehrpflicht abzuschaffen – aus guten Gründen nicht. Jetzt geht es darum, die sechs Monate Wehrpflicht so effizient wie möglich auszugestalten, damit diese Verkürzung kein Einstieg in den Ausstieg aus der Wehrpflicht wird. Damit das gelingt, wollen wir natürlich auch Maßnahmen ergreifen, die dann zu mehr Wehrgerechtigkeit als heute führen. Dazu sind wir entschlossen.“
„Auf die Kanzlerin kommt es an“, gibt ihr das Grundgesetz doch die Richtlinienkompetenz und ist sie auch die Repräsentantin des größeren Partners in der Regierung. Und die beabsichtigte Verkürzung der Dienstzeit um drei auf dann sechs Monate? Fauler Kompromiss oder Glücksfall? Will man diese Frage seriös beantworten, muss man einen Blick auf die Rahmenbedingungen werfen.
Der SPD-Mann Peter Struck hat sich zwar aufs Altenteil zurückgezogen, aber eine Aussage von ihm wird uns lange erhalten bleiben. Als fürs Militär von 2002 bis 2005 zuständiger Minister prägte er den legendären Satz: „Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt.“
Dafür wird er noch heute auf der Homepage des Kriegsministeriums () gefeiert, wenn es heißt, dass diese These seine Amtszeit „wohl am besten charakterisiert.“ Der nächste Satz dort lautet: „In seine Zeit fällt die Transformation der Bundeswehr zur Armee im Einsatz.“
Hinter dem harmlosen Wörtchen „Transformation“ verbirgt sich ein grundlegender Umbau des deutschen Militärs. Legt das Grundgesetz in Artikel 87a fest, dass „der Bund … Streitkräfte zur Verteidigung“ aufstellt, so war nach der Intention des verfassungsändernden Gesetzgebers 1956, als dieser Artikel ins Grundgesetz eingefügt wurde, gemeint, dass das Territorium der Bundesrepublik Deutschland gegen einen Angriff von außen militärisch verteidigt werden sollte. Klassische Landesverteidigung also; gegebenenfalls im Bündnis der Nato auch das Territorium eines anderen Mitgliedsstaates, weil nach dem Nato-Vertrag der Angriff auf ein Land als Angriff gegen die ganze Allianz verstanden würde.
Die während der 1990er Jahre zunehmenden Auslandseinsätze der Bundeswehr haben dieses Verständnis aufgeweicht – unterstützt durch die katastrophale Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1994, das die Nato, ein klassisches Bündnis gegen andere, zu einem „System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ im Sinne des Artikels 24 Grundgesetz umdeutete und damit den „Out of area“-Einsätzen den rechtlichen Segen gab.
Bis Struck galt aber: Kernaufgabe der Bundeswehr ist die Landesverteidigung, die aber weit verstanden werden kann. Seit Struck gilt hingegen: Landesverteidigung brauchen wir nicht, ist überflüssig! Nachzulesen in der offiziellen Militärdoktrin, den so genannten Verteidigungspolitischen Richtlinien vom Mai 2003. Dort heißt, dass die Strukturen für die „Landesverteidigung gegen einen konventionellen Angriff nicht länger benötigt“ werden, lediglich die „Befähigung zur Landesverteidigung gegen einen Angriff mit konventionellen Streitkräften innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens – Rekonstitution -“ müsse „gewährleistet sein.“
Entsprechend wurde die Bundeswehr umstrukturiert und alle Soldaten, egal ob Grundwehrdienstleistender, Freiwillig länger Wehrdienstleistender oder Zeitsoldat, absolvieren dieselbe dreimonatige „Allgemeine Grundausbildung“. An diese schließt sich eine ebenfalls in der Regel dreimonatige „verwendungs- und funktionsbezogene Dienstpostausbildung“ an, anschließend machen die allermeisten wehrpflichtigen Soldaten bis zu ihrer Entlassung faktisch „Gammeldienst“. In Einheiten, die für Auslandseinsätze eingeplant sind, kommen Grundwehrdienstleistende nicht.
Truppenteile, die speziell für die klassische Landesverteidigung im Sinne von Heimatverteidigung aufgestellt sind, gibt es nicht mehr, weil das „nicht länger benötigt“ wird. Für die Bundeswehr gibt es den „Verteidigungsfall“ – im Sinne von Artikel 115a GG: „Die Feststellung, dass das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht (Verteidigungsfall), trifft der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates.“ – faktisch nicht mehr. Auch deshalb werden z.B. seit Jahren keine Reservisten mehr zu Wehrübungen zwangsweise einberufen.
Im Übrigen würde der klassische „V-Fall“ von der Gesetzeslage her nicht funktionieren können. Nach § 11 Absatz 2 Nr. 3 Wehrpflichtgesetz sind Wehrpflichtige auf Antrag zwingend vom Wehrdienst zu befreien, wenn sie verheiratet oder eingetragene Lebenspartner sind. Bei drohendem Krieg würden die Standesämter überrannt werden. Die genannte Regelung gilt sogar für diejenigen, die bereits – sowohl in Friedens-, wie auch in Kriegszeiten – Soldat sind, sie wären auf Antrag zu entlassen. Also: Im Verteidigungsfall sagt der Soldat A zum Soldat B: Wir lassen uns als Lebenspartner eintragen. Dann stellen sie einen Antrag auf Entlassung und klagen diese notfalls gerichtlich ein.
Militärisch ist die Wehrpflicht völlig obsolet geworden. Bei der Verteidigung Deutschlands am Hindukusch“ werden Wehrpflichtige nicht eingesetzt, und da es in Planung und Struktur der Bundeswehr keine klassische Heimatverteidigung mehr gibt, können sie auch dafür nicht benötigt werden.
Warum also halten CDU/CSU so eisern am Kriegsdienstzwang fest? Die Antwort ist einfach: Wäre er erst einmal abgeschafft, dann wäre es nicht so einfach, ihn für den unwahrscheinlichen Eventualfall wieder einzuführen.
Wehrpflicht heißt ja auch: Es gibt eine riesige Bürokratie, nämlich die zivile Wehrverwaltung mit den Kreiswehrersatzämtern und anderen Behörden. Abgesehen davon, dass man für die dort Beschäftigten neue Jobs schaffen müsste, ist diese Verwaltung die notwendige Grundlage für ein Rekrutierungssystem. Einmal weg, wahrscheinlich für immer weg.
Und, vermutlich bedeutsamer: Die Wehrpflicht ist der Transmissionsriemen zwischen Militär und Gesellschaft – so ja auch nachzulesen im CDU/CSU-Wahlprogramm. Aktuell werden jedes Jahr an die 400.000 Haushalte mit der Bundeswehr konfrontiert, weil Söhne, Brüder, Enkel, Freunde zur Musterung geladen werden. Die Politik beklagt jetzt schon, dass sich die Gesellschaft nicht für das Militär interessiere und sich nicht „um unsere Jungs in Afghanistan“ kümmere. Dieses Desinteresse wäre ohne das Wehrpflichtsystem vermutlich noch sehr viel größer.
Diese innere Militarisierung ist es also, auf die CDU/CSU als die Regierung dominierende Kraft nicht verzichten wollen.
Damit beantwortet sich die Frage danach, ob die geplante Dienstverkürzung ein fauler Kompromiss oder ein Glücksfall ist, so:
Für CDU/CSU ist sie eine gute Lösung. Sie hält an der Wehrpflicht im Grundsatz fest und behält sie als Instrument der inneren Militarisierung.
Die Bundeswehr kann gut damit leben. Der Frust, der bei vielen Rekruten durch den Gammeldienst in den letzten drei Monaten der neunmonatigen Dienstzeit entstanden ist und der das Bild des Militärs bei den Betroffenen und ihrem sozialen Umfeld geprägt hat, fällt weg. Und, um es mit den Worten des Politologen Ralf Siemens von der Berliner Arbeitsstelle Frieden und Abrüstung ketzerisch zu formulieren: Wahrscheinlich werden die Offiziere am meisten über die Dienstzeitverkürzung jammern, weil: Die zukünftig für Ordonanzdienste abgestellten Rekruten wechseln nun häufiger. Das ist so unangenehm wie im Zivildienst, wo sich nun die Behinderten und zu Pflegenden öfter auf neue Assistenten einstellen müssen.
Die FDP hat objektiv verloren. Sie wird aber weiterhin ihre Niederlage schönreden als „Einstieg in den Ausstieg“.
Seltsamerweise war in der öffentlichen (bzw. veröffentlichten) Diskussion von den hier dargestellten Argumenten nichts zu hören. Dominiert war diese von der Frage, welche Folgen eine Dienstzeitverkürzung vermittelt durch den Zivildienst für den Sozialbereich hat. Daraus ergeben sich zwei Fragestellungen:
Wo sind die gesellschaftlichen Kräfte, die eine klare antimilitaristische und menschenrechtlich orientierte Argumentation gegen die Wehrpflicht als Indienstnahme freier Menschen zum verbrecherischen Zweck des Kriegführens vernehmbar formulieren können? Die Antwort lautet leider: Es gibt sie im Moment nicht. Hier liegt eine Aufgabe für die DFG-VK, wieder Diskussionsprozesse zu initiieren und antimilitaristische Bewusstseins- und Bildungsarbeit zu leisten. Das ist mühsam, denkt man nur an die Zivildienstleistenden, von denen mittlerweile viele schon der Ansicht sind, sie leisteten ihren Dienst ja quasi freiwillig – „Ich hätte mich ja ausmustern lassen können!“ – oder die am meisten über die Dienstzeitverkürzung jammern, weil … „die armen Behinderten“, „die armen zu Pflegenden“!
Damit ist man bei der zweiten Fragestellung: Welche Rolle spielt der Zivildienst rechtlich, tatsächlich und in der Wahrnehmung.
Die aufgeregte Debatte über die sozialen Folgewirkungen der (Zivil-) Dienstzeitverkürzung verkennt völlig: Der Zivildienst ist ganz kategorisch und ausschließlich Ersatz für den verweigerten Bundeswehrdienst. Darin liegt sein Grund, in nichts anderem. Die Verfassungslage ist eindeutig: Artikel 12a Absatz 1 GG eröffnet dem Staat die Möglichkeit, „Männer vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften“ zu verpflichten.
Dass es für diese Kann-Option eine eigenständige Begründung geben muss, eine solche Pflicht also – die rechtlich eine Ausnahme von der in Artikel 12 GG garantierten Berufsfreiheit und dem Verbot von Zwangsarbeit ist – nicht willkürlich eingeführt oder beibehalten werden kann, sei hier nur am Rande bemerkt.
Der vormalige Verfassungsgerichtspräsident Roman Herzog hat in seiner Amtszeit als Bundespräsident bereits 1995 bei einer Kommandeurtagung der Bundeswehr korrekt darauf hingewiesen, dass die Wehrpflicht ein so tiefer Eingriff in die individuelle Freiheit ist, „dass ihn der demokratische Rechtsstaat nur fordern darf, wenn es die äußere Sicherheit des Staates wirklich gebietet. (…) Ihre Beibehaltung, Aussetzung oder Abschaffung und ebenso die Dauer des Grundwehrdienstes müssen sicherheitspolitisch begründet werden können.“ Dass es an der „sicherheitspolitischen Erfordernis“ mangelt, ist weiter oben dargestellt.
Wenn der Staat also die Wehrpflicht-Option sicherheitspolitisch begründet ergreifen muss, dann hat er nach Artikel 12a Abs. 2 GG die Möglichkeit, Kriegsdienstverweigerer zu einem Ersatzdienst zu verpflichten. Ob er das tun muss, kann an dieser Stelle nicht diskutiert werden, wobei man im Blick auf die Freiheitsrechte Zweifel daran haben kann oder sogar muss. An irgendwelchen positiven Zuschreibungen dieses Ersatzdienstes oder einer eigenen Zielbestimmung fehlt es im Grundgesetz jedenfalls. Der Ersatz-/Zivildienst ist Ersatz – und sonst gar nichts. Letztlich hat er damit den Charakter einer Bestrafungsmaßnahme für diejenigen, die nach Artikel 4 Abs. 3 GG nicht gegen ihr Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden dürfen.
Die Realität hat sich weit von dieser Verfassungslage entfernt. In der Erklärung der Zentralstelle KDV (siehe Kasten) ist es so formuliert, „dass der Zivildienst ein Opfer seines eigenen Images geworden ist.“ Ein Wunder ist das nicht.
Als die Wohlfahrtsverbände erst einmal begriffen haben, dass ihnen der Staat mit den Zivildienstleistenden hoch subventionierte und für sie billige Arbeitskräfte zur Verfügung stellt, haben sie begierig zugegriffen. Und werden das so lange tun, wie es diese Möglichkeit gibt bzw. sie sich betriebswirtschaftlich noch rechnet. Darüber, welche verheerenden Folgen der massenhafte Einsatz von Zwangsverpflichteten für die Arbeitsbedingungen und das Berufsbild professioneller Kräfte im Sozialbereich hat, können kein frommes Gesäusel von den Kirchen oder sozialpädagogische und entwicklungspsychologische Argumente von nichtkonfessionellen Wohlfahrtsverbänden hinwegtäuschen. Dass die Gewerkschaften dieses Thema praktisch nicht beachten, ist ein gravierendes Versäumnis.
Aber auch die DFG-VK und andere Friedensorganisationen sind da nicht frei von Verantwortung. Der Irrglaube, eine hohe Zahl staatlich anerkannter Kriegsdienstverweigerer sei ein Kriegsverhinderungsinstrument (als ob nicht ausschließlich der Staat bestimme, wen – und wie viele – er als Kriegsdienstverweigerer anerkennt), führte dazu, dass zwar die Kriegsdienstverweigerung nach Artikel 4 Abs. 3 GG propagiert wurde, die grundsätzliche Kritik am Zivildienst aber sehr viel leiser formuliert wurde, manchmal hingegen sogar das Phantasiegebilde „Zivildienst als Friedensdienst“ beschworen wurde.
Wie absurd die Situation im Zivildienst mittlerweile geworden ist, zeigt sich daran, dass nicht mehr nur die Wohlfahrtsverbände von den Zivildienstleistenden profitieren, sondern in großem Umfang privatwirtschaftliche Unternehmen, die mit Gewinnerzielungsabsicht arbeiten. Ungefähr jeder dritte „Zivi“ arbeitet heutzutage in solchen Einrichtungen. Zahlreiche früher z.B. kommunale Krankenhäuser sind im Zuge der fortschreitenden Privatisierung des Gesundheitswesen mittlerweile im Besitz von Aktiengesellschaften. Solche sind in allererster Linie ihren Aktionären verpflichtet, sie müssen Gewinne machen, Renditen erzielen.
Im Zivildienstgesetz ist zwar festgelegt, dass „im Zivildienst anerkannte Kriegsdienstverweigerer Aufgaben erfüllen, die dem Allgemeinwohl dienen, vorrangig im sozialen Bereich.“ (§ 1) Während früher nur solche Einrichtungen als Beschäftigungsstelle des Zivildienstes staatlicherseits anerkannt werden konnten, „die dem Gemeinwohl dienen“, können seit dem Jahr 2006 solche Einrichtungen Zivildienstleistende beschäftigen, „die dem Allgemeinwohl dienende Aufgaben erfüllen“. Das macht jedes Energieversorgungsunternehmen wie z.B. Vattenfall, jedes Nahverkehrsunternehmen wie die Hamburger Hochbahn, jede Arztpraxis oder Apotheke.
Zivildienst ist damit die moderne Form von Sklavenarbeit geworden.
Bleibt die Frage nach der Wahrnehmung des Zivildienstes. Noch gilt er in weiten Kreisen als positiv – zu Unrecht, wie wir gesehen haben und als Antimilitaristen auch wissen müssten.
Stefan Philipp ist Chefredakteur der
https://zivilcourage.dfg-vk.de
ZivilCourage
, stellvertretender Vorsitzender der
http://www.zentralstelle-kdv.de
Zentralstelle KDV
und kein staatlich anerkannter Kriegsdienstverweigerer. Er verweigerte in den 1980er Jahren alle sich aus der Wehrpflicht ergebenden Folgen und wurde wegen dieser Totalverweigerung zu einer fünfzehnmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt.
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Die Zentralstelle KDV hat sich auf ihrer Mitgliederversammlung am 14.11.2009 in Berlin mit den die Wehrpflicht und den Zivildienst betreffenden Teilen der Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und FDP befasst und erklärt hierzu:
Wehrpflicht abschaffen
Mit der beabsichtigten Dienstzeitverkürzung bei Wehr- und Zivildienst wird deutlich, dass die behauptete Notwendigkeit der Wehrpflicht endgültig widerlegt ist.
„Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf“ (Artikel 87a Abs. 1 S. 1 Grundgesetz). Von dieser Norm haben sich Realität und Struktur der Bundeswehr schon lange weit entfernt. Die Bundeswehr ist zu einer „Armee im Einsatz“ außerhalb Deutschlands geworden, in Europa ist Deutschland „von Freunden umzingelt“.
Viele Kommentatoren haben den sechsmonatigen Wehrdienst als Militärpraktikum, als reine Beschäftigungstherapie bezeichnet. Wehrpflichtige dienen nur noch, um das Rekrutierungssystem „Wehrpflicht“ um seiner selbst willen zu erhalten. Die Wehrpflichtigen übernehmen keine Funktionsstellen in der Bundeswehr mehr, sie werden nicht mehr gebraucht. Das ist verfassungsrechtlich nicht zulässig.
Für die Bundeswehr scheinen sechs Monate Wehrdienst ein „Glücksfall“ zu sein: Zum einen bleibt die Wehrpflicht in ihrer Grundstruktur erhalten, wobei die Wehrpflichtigen aber in reine Ausbildungseinheiten ausgegliedert werden und dadurch den Betrieb der „Armee im Einsatz“ nicht weiter belasten. Zum anderen bleibt sie das zentrale Instrument zur Gewöhnung der Gesellschaft an das Militär. Dies scheint den Verantwortlichen einige Milliarden Euro wert zu sein.
Wir erneuern und bekräftigen unsere Forderung, dass die Wehrpflicht sofort abgeschafft werden sollte.
Zivildienst realistisch sehen
Die anlässlich der beabsichtigten Dienstzeitverkürzung geführte heftige öffentliche Diskussion zeigt, dass der Zivildienst ein Opfer seines eigenen Images geworden ist. Zahlenmäßig sehr kleine Arbeitsbereiche des Zivildienstes werden zur „Stütze des Sozialsystems“ erklärt. Völlig aus den Augen verloren wird dabei, was der Zivildienst von Verfassung wegen ist: Ersatz für den Wehrdienst im Rahmen der allgemeinen Wehrpflicht. Und laut Gesetz dürfen die Dienststellen Zivildienstleistende nur mit zusätzlichen Aufgaben betrauen und haben strikte Arbeitsmarktneutralität zu wahren.
Diese Ersatz-Funktion muss auch dem einzelnen, sozial engagierten Zivildienstleistenden bewusst sein, der aus seiner Sicht die Verkürzung des Zivildienstes möglicherweise für kontraproduktiv hält. Das Jugendministerium verkennt diese Ersatzfunktion, wenn es vorschlägt, einen freiwillig verlängerten Zivildienst einzuführen, um dadurch angebliche Lücken im Sozialsystem auszufüllen. Alle sozialen Einrichtungen haben die Möglichkeit und die Pflicht, alle regulären Aufgaben durch ordentliche Arbeitsverhältnisse zu erfüllen und ergänzende Aufgaben durch Freiwilligendienste zu organisieren.
Wehr- und Zivildienst fügen sich unabhängig von ihrer Dauer fast immer schlecht in die Lebensplanung der Dienstpflichtigen ein. Wir begrüßen, dass unnötige Lücken zukünftig durch die Möglichkeit einer abschnittsweisen Dienstleistung vermieden werden sollen. Weitere Möglichkeiten, diese erzwungenen Lücken zu schließen, sind außerhalb des Zivildienstes durch reguläre Beschäftigung und Anpassungen von Schul- und Semesterzeiten zu entwickeln.
Wir fordern die strikte Beachtung der Ersatzfunktion des Zivildienstes und lehnen alle Versuche, den Zivildienst freiwillig zu verlängern, entschieden ab.
Allgemeinwohlorientierung strikt einhalten
Nach § 1 Zivildienstgesetz sind im Zivildienst Aufgaben zu erfüllen, die „dem Allgemeinwohl dienen, vorrangig im sozialen Bereich.“ Mittlerweile leistet jeder dritte Zivildienstleistende, der im sozialen Bereich tätig ist, seinen Dienst in privaten oder privatisierten Einrichtungen. Diese nutzen die für sie sehr billige – weil vom Bund hoch subventionierte – Arbeitskraft, um die Gewinne der Betriebsinhaber oder die Ausschüttung an Aktionäre zu erhöhen.
Einen Einsatz von Zivis in solchen Bereichen lehnen wir strikt ab. Zivildienst muss – solange es ihn noch gibt – dem Allgemeinwohl und nicht dem Gewinninteresse Einzelner dienen.http://www.zentralstelle-kdv.de