Interview mit Rainer Schmid, evangelischer Pfarrer, DFG-VK-Mitglied und Initiator der Initiative zur Abschaffung der Militärseelsorge
Du hast im Herbst 2012 die bundesweite „Ökumenische Initiative zur Abschaffung der Militärseelsorge“ mit gegründet. Wie kam es dazu?
Ich war Pfarrer am Bodensee. Dort gibt es viele Rüstungsfirmen. Meine schmerzhafte Erfahrung war: Die beiden großen Kirchen lehnen die Herstellung von Kriegswaffen nicht grundsätzlich ab. Sie reden zwar viel vom Frieden, vor allem an Weihnachten und in fast jedem Gottesdienst. Aber sogar in der „Friedensdenkschrift“ der Evangelischen Kirche in Deutschland von 2007 heißt es, dass man Kriege führen darf, wenn vorher ein paar Bedingungen erfüllt sind.
Jesus hat aber die völlige Gewaltlosigkeit gelehrt und gelebt. Er war außerdem das Opfer der römischen Machtpolitik. Bis ins dritte Jahrhundert haben die Christen alles Militärische abgelehnt.
Welches sind eure zentralen Kritikpunkte an der Militärseelsorge?
Die Soldaten denken: Wenn sogar ein Pfarrer uns begleitet, dann kann das, was wir hier in Afghanistan oder Afrika tun, nicht ganz falsch sein.
Die „Dienststelle Blank“, der Vorläufer des Bundesministeriums für Verteidigung, hat schon 1954 gefordert, die Militärseelsorge wieder einzuführen: „Der Staat selbst hat an der Militärseelsorge ein echtes Eigeninteresse. Denn der Wert seiner Streitkräfte hängt vom Charakter und seelischen Einstellung der Soldaten nicht weniger ab als vom waffentechnischen Ausbildungsstand. Diese Eigenschaften werden aber bei den meisten Menschen von der religiösen Grundhaltung bestimmt.“ Auf diese Weise ist die Militärseelsorge bis heute ein gut funktionierendes Zahnrad im militärischen Getriebe, vergleichbar mit der Militärmusik und der Wehrmedizin. Wenn ein Pfarrer sein Büro in der Kaserne hat, wenn er vom Militär bezahlt wird, wenn er Dienstwagen der Bundeswehr fährt und im Ausland und auf Kriegsschiffen militärische Kleidung trägt, dann ist er nicht mehr unabhängig.
Auf welche Resonanz seid ihr als Initiative bei den Kirchenleitungen gestoßen?
Unsere Initiative spricht ein Problem an. Wir treffen einen wunden Punkt. Wir wollen Reformen. Das verursacht Unruhe. Alle Vorgesetzten dieser Welt wünschen sich in ihrem Verantwortungsbereich aber Ruhe.
Die Zahl der Kirchenmitglieder geht seit Jahrzehnten zurück, nur noch ungefähr die Hälfte der Bevölkerung gehört einer der beiden großen Kirchen an, der kirchliche Einfluss auf die Politik ist gesunken. Braucht der Staat wirklich (noch) den ?kirchlichen Segen? und die Militärpfarrer, um seine kriegerische Politik zu betreiben?
Ja. Um Kriege zu führen, braucht man in Deutschland immer noch den Segen der Kirche. Oder zumindest ihre stillschweigende Duldung, so wie jetzt beim Einsatz in Afrika.
Welches Interesse haben die Kirchen, an der Militärseelsorge in der bisherigen Form festzuhalten?
Vielleicht hat die Kirche Angst, ihren Einfluss und ihren Wohlstand zu verlieren. Außerdem ist es Gewohnheit. Es gibt die Zusammenarbeit von Militär und Kirche seit 1700 Jahren. Das ist ein gut eingespieltes Team.
Hältst du die seelsorgerliche Betreuung von Soldaten grundsätzlich für richtig, und wie sollte diese gegebenenfalls organisiert werden?
Jesus Christus hat sich dem Ausbeuter Zachäus zugewendet, ohne ihn moralisch zurechtzuweisen. Das heißt: Die Kirche soll sich weiterhin um alle gesellschaftlichen Gruppen kümmern, z.B. um Suchtkranke, um Gefangene, um Arme – und selbstverständlich auch um Soldaten.
Unser Reformvorschlag, wie er seit 1956 von Gegnern der Militärseelsorge immer wieder gemacht wird: Normale Gemeindepfarrer sollen sich „nebenbei“ auch um diejenigen Soldaten kümmern, die in ihrem Bereich stationiert sind. Auch in Afrika und Asien gibt es deutsche Gemeindepfarrer, an die sich die Soldaten wenden können. Ziel ist, die Soldaten zu begleiten und ihnen beim Ausstieg zu helfen.
Du bist Pfarrer in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Der schwäbische Pietismus ist ja berüchtigt und die württembergische Kirche eine besonders konservative. Macht dir deine Kirche Schwierigkeiten, dass du den christlichen Auftrag des Friedenstiftens radikaler ernst nimmst als viele deiner Kollegen?
Ursprünglich war der Pietismus nicht schlecht. Man hat selbständig in der Bibel gelesen und gefragt: Was würde Jesus heute tun und sagen? Wer weiß, vielleicht kommt daher ja auch die relative Stärke der DFG-VK hier im „Ländle“?! Und hier in Baden-Württemberg gab es immer eine hohe Zahl an Kriegsdienstverweigerern.
Meine Kirche macht mir verhältnismäßig wenig Schwierigkeiten. Man darf nicht vergessen: Es gab in Württemberg immer ausgesprochene Friedenspfarrer, zum Beispiel hier in Stuttgart Otto Umfrid (1857-1920); der war 20 Jahre lang stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Friedensgesellschaft und hat nur wegen des gerade begonnenen Ersten Weltkriegs 1914 den Friedensnobelpreis nicht bekommen.
Wie erträgst du es, dass du als christlicher Pazifist eine Minderheitenposition in deiner Kirche vertrittst?
Die Mehrheit der Christen weiß, dass der Glaube an Jesus Christus „eigentlich“ nicht mit Gewalt zusammenpasst. Jeder kennt das Gebot der Nächsten- und der Feindesliebe. Aber es gibt wenige, die sagen: Das gilt auch für die Beziehung zwischen den Völkern. Man kann mit der Bergpredigt Politik machen, auch wenn das leider wenige sagen.
Wir sollten immer die historischen Perspektiven mit im Auge behalten: Auch die ersten US-Amerikaner, die die Sklaverei abschaffen wollten, waren Außenseiter.
Worauf setzt du deine Hoffnung, dass Staat, Kirche und Gesellschaft sich von Krieg, Militär und Gewalt abwenden?
Entweder muss es – so schrecklich es ist – in Deutschland nochmals Krieg geben, damit die Menschen endlich erkennen, dass Militär der falsche Weg ist. Oder aber – und besser – die Erkenntnis setzt sich schon vorher durch: Gewaltfreie Methoden sind nachhaltiger, effektiver und fordern weniger Todesopfer als militärische Methoden. Außerdem könnte man die 30 Milliarden Euro im Jahr, die der Staat jetzt für Rüstung, Militär und Krieg ausgibt, viel sinnvoller verwenden.
Wann und wodurch bist du zum ersten Mal mit der Militärseelsorge in Berührung gekommen?
Auf den Kirchentagen. Die Militärseelsorge ist dort immer vertreten. Sie wirbt dort um Verständnis für das Militär. Und bei der Vorbereitung des Runden Tisches „Rüstungsindustrie am Bodensee“ im vorletzten Jahr. Da rief mich ein Militärdekan aus Berlin an, und zwar im Auftrag eines Managers einer großen deutschen Rüstungsfirma – der hatte Angst vor fliegenden Eiern und ähnlichem.
War die enge Verbindung von „Thron und Altar“ für dich und deine MitstudentInnen während des Theologiestudiums ein Thema?
Nein, wir sind damals davon ausgegangen, dass diese Verbindung von Staat und Kirche seit 1918 beendet war. Erst nach 18 Dienstjahren habe ich erkannt: Sie besteht zum Teil weiter.
Warst du als Theologiestudent von der Dienstleistung befreit oder hast du den Kriegsdienst verweigert?
Ich habe den Kriegsdienst verweigert und Zivildienst gemacht. Meine Entscheidung zum Theologiestudium fiel erst danach.
Anfang August soll in Konstanz im Rahmen der Hundertjahrfeier des Internationalen Versöhnungsbundes, in dem du ebenfalls Mitglied bist, ein ?Weltweites Ökumenisches Netz zur Abschaffung der Militärseelsorge? gegründet werden. Ist irgendwo eine solche Abschaffung bereits gelungen?
Nein, noch nicht – aber es wird gelingen! Es ist ein weltweites Problem. In allen Ländern der „christlichen Welt“ gibt es Militärpfarrer. Deshalb gehen wir dieses Problem mit einer weltweiten Initiative an.
Der Beitrag ist der Zivilcourage 1-2014 im Februar 2014 entnommen