von Rainer Schmid, DFG-VK
Im März berichtete die Badische Zeitung über eine Kirche In Russland: Das russische Verteidigungsministerium baut westlich von Moskau eine gigantische Kathedrale. Die Altarstufen werden aus erbeutetem Kriegsgerät gegossen. Die vier Seitenflügel werden den Schutzheiligen der vier russischen Teilstreitkräfte gewidmet. Jedes Detail des Kirchenbaus soll an die Siege Russlands über Deutschland erinnern.

„Die spinnen mal wieder, die Russen.“ So ähnlich wird mancher gedacht haben, als er diese Meldung gelesen hat. Mancher wird ein ungutes Gefühl gehabt haben, denn man erinnert sich: Die Verschmelzung von religiösem, militärischem und nationalem Denken hat selten zu etwas Gutem geführt.
Anders offenbar die Selbsteinschätzung vieler Russinnen und Russen. Russland will aufgrund seiner Geschichte nichts sehnlicher als den Frieden. Das russische Heer erhebt das Schwert immer nur zum Schutze des eigenen Vaterlandes. In der russischen Seele und Kultur ist die Religion tief verwurzelt. Deshalb ist Gott auf der Seite Russlands.
Ähnlich die Selbsteinschätzung vieler US-Amerikanerinnen und -Amerikaner: Die USA wollen den Frieden und die Freiheit für möglichst viele Menschen. Gott ist ein Gott des Friedens und der Freiheit. Deshalb ist Gott auf der Seite der USA. Die amerikanischen Soldaten sind im Allgemeinen gute Jungs.
Strukturell ähnlich die positive Selbsteinschätzung der Islamisten. Wir sind die Guten. Wir wollen nur Frieden und Gerechtigkeit. Wir wollen Menschen schützen. Wir handeln nur aus Notwehr.
Eine ähnliche, positive Selbsteinschätzung findet man in vielen Ländern, von der Schweiz bis Israel – gerne verstärkt durch religiöse Gedanken oder andere „höchste Werte“.
Aus der Ferne betrachtet sieht jedes Kind die drei Fehler: Wenn Gott beispielsweise auf der Seite Russlands gegen die USA steht, wie kann Gott dann zugleich auf der Seite der USA gegen Russland stehen? Wenn jedes Land angeblich nur aus Notwehr zur Waffe greift, warum gibt es dann Kriege? Wenn die Soldaten aller Länder – nach der Selbsteinschätzung der jeweiligen Länder – gute Jungs sind, warum gibt es dann Kriegsverbrechen?
Aus der Ferne betrachtet sieht fast jeder Mensch den Fehler: Die positive Selbsteinschätzung der Länder ist unrealistisch. Ebenfalls unrealistisch ist, dass Gott auf der Seite nur eines Landes oder einer Kultur steht.
Aus der Ferne sieht man es deutlich. Aus der Nähe ist man blind.
Beispiel Deutschland. Südwestlich von Berlin, in Potsdam, wird derzeit eine große Militärkirche wiederaufgebaut, die Garnisonkirche. Es gibt erstaunliche Parallelen zur Moskauer Militärkirche. Beide Kirchen werden eine ähnliche Höhe haben: 90 bzw. 95 Meter. Beide Kirchen entstehen nahe der Hauptstadt, beide werden durch Spenden finanziert, beide stecken voller religiös-national-militärischer Symbole und beide sollen – so die jeweilige Propaganda – ein Mahnmal für den Frieden sein.
Aber nicht nur beim Wiederaufbau der Garnisonkirche arbeiten deutsche Kirchen, Militärs und konservative Kreise zusammen. Es gibt weitere Beispiele: (1.) In Deutschland werden pro Jahr etwa 100 Bundeswehr-Konzerte in evangelischen und katholischen Kirchen durchgeführt, davon sind etwa die Hälfte Adventsmilitärkonzerte. (2.) Auf allen deutschen Kriegsschiffen, Panzern und Militärflugzeugen sieht man das Kreuz. Es geht zurück auf den Deutschen Orden, der an den Kreuzzügen des Mittelalters beteiligt war. Keine deutsche Kirchenleitung hat jemals gegen den Missbrauch des Kreuzes für militärische Zwecke protestiert. (3.) In zahlreichen kirchlichen Bildungseinrichtungen und auf den Kirchentagen werben Bundeswehr-Vertreter um Verständnis für die Bundeswehr. (4.) Etwa 200 Militärgeistliche begleiten die deutschen Soldaten in Mali und Afghanistan, auf Kriegsschiffen und in Manövern, auf Militärwallfahrten und Kirchentagen. Die Militärgeistlichen benutzen Fahrzeuge der Bundeswehr, sie haben ihre Büros in Kasernen, sie tragen im Ausland militärische Kleidung, sie werden von der Bundeswehr organisiert und bezahlt. Militärgeistliche sind Bundesbeamte auf Zeit, oft auch auf Lebenszeit. Diese militärische Umgebung färbt ab. Es ist in über 60 Jahren Bundeswehr nur ein einziger Fall bekannt geworden, in dem ein Militärpfarrer seinen Soldaten geraten hat, die Waffen niederzulegen und nach Hause zu gehen.
Zum Schluss möchte ich Sie einladen. Ich lade Sie zu einem Experiment ein. Stellen wir uns für einen Moment vor, wir würden aus der Ferne auf Deutschland schauen. Stellen wir uns vor, wir würden in Russland oder in einem arabischen Land wohnen und auf Deutschland schauen. Aus der Ferne betrachtet: Wie friedfertig ist Deutschland wirklich? Wie friedfertig sind die Kirchen in Deutschland?
Weiterführende Informationen: