In der jungen welt zeigt Frank Brendle (auch DFG-VK Landesgeschäftsführer des LV Berlin-Brandenburg) den aktuellen Umgang mit dem Widestand im Militär der Nazis heute auf.
Wer nach Auffassung der Nazis »Feindbegünstigung« beging, gilt heute noch als vorbestraft. Führende Militärhistoriker fordern in einer neuen Studie die Rehabilitierung der im Faschismus Verurteilten
In den kommenden Monaten entscheidet der Bundestag, ob Wehrmachtssoldaten, die im Faschimus wegen Kriegsverrats verurteilt worden waren, endlich rehabilitiert werden. Auf dieses Delikt stand im Zweiten Weltkrieg, der vor 68 Jahren von Deutschland vom Zaun gebrochen wurde, ausnahmslos die Todesstrafe. Bis heute rangieren die »Täter« offiziell in der Kategorie »Verbrecher«. Eine Initiative der Linksfraktion will das ändern und stützt sich auf eine jetzt erschienene Studie der Militärhistoriker Wolfram Wette und Detlev Vogel aus Freiburg im Breisgau.
Der Widerstand von Soldaten ist in der BRD niemals in seiner Gänze gewürdigt worden. Während die Hitlergenerale das Kommando in der Bundeswehr übernahmen, trugen Deserteure und »Wehrkraftzersetzer« den Vermerk »vorbestraft«. Erst 1998 wurden mit dem »Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile« Verurteilungen wegen Wehrkraftzersetzung und Kriegsdienstverweigerung pauschal aufgehoben. Deserteure sollten sich hingegen einer »Einzelfallprüfung« durch die Staatsanwaltschaft unterziehen. 2002 wurden dann auch sie – gegen die Stimmen von Union und FDP – rehabilitiert.
Kriegsverrat blieb hiervon jedoch ausgenommen. Das 1872 in das neu geschaffene Militärstrafgesetzbuch (MStGB) aufgenommene Delikt bezog sich auf Landesverrat, der von Soldaten während eines Krieges begangen wurde. Auf Handlungen »mit dem Vorsatze, einer feindlichen Macht Vorschub zu leisten oder den deutschen oder verbündeten Truppen Nachtheil zuzufügen«, stand »Zuchthaus nicht unter zehn Jahren«. Für zwölf im einzelnen bezeichnete Handlungen war im Kaiserreich die Todesstrafe vorgesehen, beispielsweise das Zerstören von Wegen oder Telegraphenanstalten oder das Verraten von Parolen.
Diese konkreten Beschreibungen, die den Tatbestand Kriegsverrat definierten, wurden von den Nazis ersatzlos gestrichen. 1934 hieß es nur noch lapidar (Paragraph 57 MStGB): »Wer im Felde einen Landesverrat nach Paragraph 91b des Strafgesetzbuches begeht, wird wegen Kriegsverrats mit dem Tode bestraft.« Besagter Paragraph 91b wiederum war ein Gummiparagraph: Er enthielt die bereits erwähnte Wendung, »der feindlichen Macht Vorschub zu leisten oder der Kriegsmacht des Reiches oder seiner Bundesgenossen einen Nachteil zuzufügen.« Ab 1940 wurde auch die »Nichtanzeige eines Kriegsverrats« mit dem Tode bestraft.
Willkürparagraph
Diese unpräzisen Formulierungen ermöglichten es der Wehrmachtsjustiz, alles als »Kriegsverrat« zu bestrafen, was der nazistischen »Weltanschauung« zuwiderlief. Hierunter fiel politischer Widerstand, das Verfassen von Flugblättern, das Überlaufen zu Partisanen oder die Weitergabe kriegswichtiger Informationen an die Alliierten. Schon eine falsche Gesinnung, die Unterstützung von Kriegsgefangenen und die Hilfe für Juden konnten Todesurteile nach sich ziehen.
Die von Wolfram Wette und Detlev Vogel herausgegebene Dokumentation bestätigt eindrücklich, daß die NS-Militärrichter weder Gesetz noch gar Gerechtigkeit als oberste Richtschnur sahen, sondern den Willen des »Führers«. Das Gesetz sei lediglich die »vornehmste Form des Führerbefehls«, schrieb der Leiter der Wehrmachts-Rechtsabteilung, Rudolf Lehmann, 1940 in der Zeitschrift für Wehrrecht.
Besondere »Verdienste« um die Terrorjustiz erwarb sich der Strafrechtsprofessor Erich Schwinge als führender Kommentator des Militärstrafgesetzbuches. Sein Standardwerk erlebte zwischen 1936 und 1944 sechs Auflagen, und es geriet umso blutrünstiger, je »totaler« der Krieg wurde. Immer mehr unangepaßte Handlungen galten als Kriegsverrat. So beziehe sich »Feindbegünstigung« nicht nur auf »die eigentliche Kriegsmacht des Feindes«, sondern auf »alle dem Gegner zu Gebote stehenden Mittel« militärischer, wirtschaftlicher oder propagandistischer Art. Kriegsverrat sei es auch, wenn die Wehrmacht »durch pazifistische Propaganda, durch Erregung öffentlicher Unruhen und Störungen des Wirtschaftslebens geschwächt wird.« 1944 hielt Schwinge fest: »Seit dem Krieg mit Rußland genügt jegliche Unterstützung der Ziele des Bolschewismus.« Schwinge setzte nach 1945 seine Karriere als Rektor der Marburger Universität fort.
Wie viele Soldaten »Kriegsverrat« begangen haben, kann nicht genau angegeben werden. Weder das Gesetz noch die Richter nahmen eine klare Abgrenzung zu benachbarten »Delikten« wie Fahnenflucht und Wehrkraftzersetzung vor. Hinzu kommt, daß das Überlaufen zu alliierten Armeen oder Partisanenverbänden häufig nicht erkannt wurde und die Militärjustiz in der Regel keine Prozesse in Abwesenheit veranstaltete. Schließlich ist die Aktenlage mehr als schwierig: So sind die Unterlagen der Feldkriegsgerichte erst seit zwei Jahren zugänglich. 180000 Akten, angehäuft in 926 Metern Aktenordnern, warten im Bundesarchiv-Militärarchiv (BA-MA) in Freiburg noch darauf, erschlossen zu werden.
In einem ersten, systematischen Anlauf hat nun Wette 39 Verfahren gegen 68 Soldaten analysiert. Dabei wird deutlich, daß mit dem Kriegsverrats-Paragraphen »die unterschiedlichsten Erscheinungsformen von abweichendem und widerständigem Handeln« verfolgt worden sind. Häufig war damit bewußter politischer Widerstand verbunden. Mitunter, so Wette, war es auch einfach der Drang, Menschlichkeit zu zeigen oder »auf irgendeine Weise etwas zur Beendigung des Krieges« beizutragen.
Kriegsverrat als Widerstand
Urteil über zwei »Verräter«, das sofort vollstreckt wird (Deutsches Reich 1945, ohne Ortsangabe)
Zu den bekanntesten Widerstandsgruppen zählt die zur »Roten Kapelle« gehörende Schulze-Boysen/Harnack-Organisation, die von 1933 bis 1942 vor allem in Berlin wirkte. Ihr gehörten Ministerialbeamte, Künstlerinnen und Künstler sowie Studierende, aber auch Soldaten und Offiziere der Wehrmacht an. Eines ihrer führenden Mitglieder war Harro Schulze-Boysen, Oberleutnant der Luftwaffe.
Schulze-Boysen wurde zusammen mit dem Schützen Kurt Schumacher und dem Funker Horst Heilmann am 19. Dezember 1942 vom Reichskriegsgericht »wegen Vorbereitung zum Hochverrat, Kriegsverrats, Zersetzung der Wehrkraft und Spionage« zum Tode verurteilt. Das gleiche Urteil erging am 18. Januar 1943 gegen den Unteroffizier Heinz Strehlow und den Schützen Friedrich Rehmer. Die Urteilsbegründung ist, wie in allen dokumentierten Fällen, in einem geifernden Ton gehalten. Die von der Gruppe vertriebenen Flugblätter seien »eine einzige Aufforderung zum Widerstand gegen die Anordnungen der Staatsregierung und zum offenen Aufruhr«.
In Anerkennung dieses Widerstandes hatte die Nationale Volksarmee der DDR eine ihrer Kasernen nach Schulze-Boysen benannt – eine Entscheidung, die von der Bundeswehr 1990 sofort aufgehoben wurde.
Der Wiener Stabsarzt Adalbert von Springer hatte für die Kommunistische Partei Österreichs Flugblätter verfaßt. Darin hieß es etwa: »Österreichische Frauen, schreibt euren Söhnen und Männern, sie sollen sich der Roten Armee ergeben (…) Österreichische Arbeiter: Sabotiert Hitlers Kriegsproduktion, wo ihr nur könnt.« Mit der Frage, ob diese Aufrufe tatsächlich die Wehrmacht schädigten, hielt sich das Reichskriegsgericht nicht auf. »Ein jeder, der jetzt noch die Ziele des Kommunismus unterstützt und sich hochverräterisch betätigt, macht sich auch der Feindbegünstigung schuldig«, heißt es im Urteil vom 7. Juli 1943. Springer wurde enthauptet.
»Feindbegünstigung« in Form von Gesprächen wurde dem Grenadier Michael Fries vorgeworfen. Fries war Kommunist und lernte im besetzten Frankreich einen kommunistischen Emigranten kennen, mit dem er den Plan erörterte, mittels Flugblättern in der Wehrmacht zu agitieren. Obwohl diese Besprechungen keine praktischen Folgen hatten, weil Fries‘ Einheit verlegt wurde, verurteilte ihn das Reichskriegsgericht am 18. Mai 1944 zum Tode. Bezeichnend ist folgender Satz aus der Urteilsbegründung: »Wer sich als ehemaliger Kommunist und nunmehriger Soldat des jetzigen Krieges noch Ende 1942/Anfang 1943 mit einem kommunistischen deutschen Emigranten in Unterhaltungen und Erörterungen einläßt wie der Angeklagte, weiß oder nimmt zum mindesten in Kauf, daß hierdurch dem Deutschen Reich ein Nachteil zugefügt und den Feindmächten, vor allem Sowjetrußland, Vorschub geleistet wird.«
Kontakte zu Kriegsgefangenen
Der Gefreite Robert Albrecht wurde hingerichtet, weil er Kriegsgefangene unterstützt hatte. Albrecht war Dolmetscher in einem Gefangenenlager in Berlin und gehörte dem Jesuitenorden an. 1942 nahm er Kontakt zur Young Men’s Christian Association (YMCA) auf und schilderte die Pläne der Wehrmachtführung, englische Kriegsgefangene »arabischen Volkstums« als Spione zu werben. Es müsse »für die armen Teufel, die für nichts ihr Leben riskieren, doch etwas geschehen«. Dem YMCA-Vertreter schlug er vor, mit der Schutzmacht Schweiz Kontakt aufzunehmen, um die völkerrechtswidrige Behandlung der Gefangenen zu verhindern. Im Urteil vom 5. August 1942 heißt es hierzu: Albrecht habe erwirken wollen, »daß Deutschland durch die Araber keine Unterstützung erfuhr, und er wollte den Feinden Deutschlands auf diese Weise Nutzen bringen«. Als weitere »Verfehlung« führten die Richter an: »Abschließend sprach der Angeklagte dann noch von der beklagenswerten Lage der russischen Kriegsgefangenen, die so wenig zu essen bekämen, daß viele umkämen.«
Wegen aufmunternder Gespräche mit gefangenen Sowjetarmisten wurde der Obergefreite Adolf Hermann Pogede zum Tode verurteilt. Pogede, der von 1928 bis 1933 Bezirksverordneter der KPD in Berlin-Wedding war, unterhielt sich Anfang 1944 »bei Gelegenheit seiner Kraftfahrertätigkeit im Stadtmagazin Frankfurt (Oder) wiederholt mit dort beschäftigten russischen Kriegsgefangenen«, wie die Urteilsschrift vermerkt. Er steckte den Gefangenen Tabak und Zigaretten zu und gab sich als Kommunist zu erkennen, der nicht an den »Endsieg« glaubte. Einer der Gefangenen war ein V-Mann. Das Gericht entwickelte eine abenteuerliche Argumentationskette: Pogede habe mit seinen Reden bei den Gefangenen die Hoffnung »auf ein baldiges Ende ihrer derzeitigen Lage in Verbindung mit einem Triumph des Bolschewismus« geweckt und damit ihren Widerstandswillen gestärkt. Hierdurch sei »wiederum eine vermehrte und verschärfte Überwachung und Beaufsichtigung erheischt« worden. Darin sei »ein Nachteil für die Kriegsmacht des Reichs und damit notwendig ein Vorteil für die mit Deutschland im Kriege befindlichen Mächte zu erblicken.«
Kooperation mit Partisanen
»Nutzlose Opfer vermeiden«: Brief an Soldaten der Ostfront (undatiert)
Wegen des erfolgten oder beabsichtigten Überlaufens zu Partisanengruppen wurden mehrfach Todesurteile ausgesprochen. So etwa gegen den Obergefreiten Johann Schwetz, der sich im September 1944 slowakischen Partisanen anschloß. Nachdem deren Gruppe aufgerieben wurde, sah sich Schwetz gezwungen, sich »von Hunger und Kälte getrieben bei einer Dienststelle der deutschen Wehrmacht« zu stellen, wie es im Urteil des Reichskriegsgerichts vom 21. März 1945 heißt.
Kontakte zu Partisanen waren vor allem bei den 999er-Bewährungsbataillonen keine Seltenheit, in denen politisch »unzuverlässige« Soldaten dienten. Am 4. Juni 1944 verurteilte das Gericht der 41. Festungsdivision in Griechenland gleich sechs Soldaten zum Tode. Die Hauptangeklagten, Hermann Bode und Franz Scheider, hatten in ihrer »Bewährungseinheit« in Griechenland das Flugblatt einer Partisanengruppe weitergereicht, das die Aufforderung enthielt, gruppenweise überzulaufen. Die beiden erklärten ihre Absicht, sich im Falle eines Feindangriffs nicht zu wehren. Die Militärrichter befanden: »Die Weitergabe des Flugblattes und das Aussprechen der vorbezeichneten Gedanken im Kameradenkreis erfüllen für sich allein bereits den Tatbestand des Vorschubleistens.« Der Kriegsverrat sei damit »vollendet worden«. Vier weitere Angeklagte wurden wegen »Nichtanzeige eines Kriegsverrates« ebenfalls zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde zwei Tage später vollstreckt.
General Walther von Seydlitz-Kurzbach hatte nach seiner Gefangennahme bei Stalingrad führende Positionen im Nationalkomitee Freies Deutschland und dem Bund Deutscher Offiziere übernommen. NKFD wie BDO riefen die Wehrmachtssoldaten zum Rückzug und zur Rebellion auf und betrieben damit, in den Worten der Nazis, eine »planmäßige Zersetzung der Wehrmacht und der Heimat«. Auf direkte Intervention Hitlers und offenbar zur demonstrativen Abschreckung verurteilte das Reichskriegsgericht Seydlitz am 16. April 1944 in Abwesenheit zum Tode.
Hilfe für Juden
Solidarität mit verfolgten Juden wurde dem Soldaten Henry Landes als Kriegsverrat ausgelegt. Landes, Mitglied der NSDAP, trat 1943 einem illegalen Sparverein in Luckenwalde bei, dessen Zweck die Unterstützung von im Untergrund lebenden Juden war. Seine Mitglieder wollten nach einem Sturz des Naziregimes die Verwaltung der Gemeinde übernehmen. Die Klageschrift des Oberreichsanwalts am Volksgerichtshof enthält Vorwürfe wie diesen: »Der Angeschuldigte Landes bewirtete die beiden Juden und gab dem (Juden) Scharff Wurst mit.« Außerdem habe seine Tätigkeit »in der Beschaffung von Ausweisen für Juden« bestanden. Hierfür habe er aus seiner Dienststelle, dem Wehrmeldeamt, Wehrpässe entwendet und Aufenthaltsbescheinigungen besorgt. Der Reichsanwalt sah hierin eine »Feindbegünstigung«. Der auf den 23. April 1945 angesetzte Prozeß fand nicht mehr statt, alle Angeklagten überlebten.
Ein namentlich ungenannter Soldat versuchte am 3. Mai 1944, mit einem Wehrmachts-LKW 13 Juden über die ungarisch-rumänische Grenze zu bringen. In einer Bekanntmachung der Wehrmacht heißt es: »Der Fahrer wurde durch Urteil vom 9.5.1944 wegen Kriegsverrats zum Tode und zum Verlust der Wehrwürdigkeit verurteilt. Der Oberbefehlshaber des Heeres hat das Urteil bestätigt und Vollstreckung angeordnet.«
Bei einigen Fällen von Kriegsverrat ist, zumindest nach Aktenlage, keine widerständische Motivation zu erkennen, wohl aber ein Nichtfunktionieren im Sinne der Nazis. So wollte der Gefreite Heinz Knopf im Dezember 1943 zwei Pistolen auf dem Schwarzmarkt in Krakau gegen Damenfilzstiefel tauschen. Dabei geriet er an V-Männer der deutschen Polizei. Die Richter des Reichskriegsgerichts erklärten im Urteilsspruch vom 28. August 1944, die in der Hand von Polen befindlichen Waffen hätten »eventuell gegen Deutschland zur Anwendung kommen« können – das reichte bereits für ein Todesurteil.
Ausgerechnet Angst vor der Roten Armee veranlaßte sechs sowjetische Kriegsgefangene zum Kriegsverrat. Sie hatten als »freiwillige Legionäre« in der Wehrmacht gedient. Das Näherrücken der Sowjetarmee versetzte sie in die naheliegende Sorge vor schwerer Bestrafung. Mit Hilfe slowenischer Partisanen bereiteten sie ihre Flucht vor, wobei sie Waffen mitnehmen wollten, wurden aber verraten. Das Reichskriegsgericht verurteilte die Überläufer am 9. März 1945 zum Tode. Da sie zum Wehrmachtsgefolge gehörten, unterlägen sie dem Militärstrafgesetzbuch.
Als der Bundestag im Jahr 2002 Deserteure rehabilitierte, wurden die Kriegsverräter gezielt ausgenommen. Die Begründung der SPD-Grünen-Koalition war skandalös: »Es finden sich eine ganze Reihe von Straftatbeständen, bei denen die Aufhebung des Urteils ohne Einzelfallprüfung nicht verantwortbar erscheint. Beispielhaft seien hier der Kriegsverrat, die Plünderung, die Fledderei sowie die Mißhandlung von Untergebenen genannt.« (Bundestagsdrucksache 14/8276). Damit wurden die Kriegsverräter auf eine Stufe mit Plünderern, Leichenfledderern und anderen Verbrechern gestellt. Ein Änderungsantrag der PDS-Fraktion wurde von allen anderen Fraktionen abgelehnt.
Im Juni 2006 antwortete die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von Ulla Jelpke (Linksfraktion), die Frage der Rehabilitierung lasse »sich nur im konkreten Einzelfall beantworten. Dabei kommt es darauf an, ob infolge des Verrats zusätzliche Opfer unter der Zivilbevölkerung und/oder deutschen Soldaten zu beklagen waren.« (Bundestagsdrucksache 16/1849)
Dabei gibt es einen eklatanten Widerspruch zu den Offizieren des 20. Juli: Viele von diesen haben nachweislich Kriegsverbrechen begangen, »partisanenverdächtige« Zivilisten, Juden und Kommunisten umbringen lassen, Geiselerschießungen angeordnet usw., ehe sie sich zum Attentat auf Hitler entschlossen. Dennoch gelten sie als Vorbilder – ohne »Einzelfallprüfung«. Der Unterschied dürfte zum Teil wohl damit erklärbar sein, daß diese erstens Offiziere und zweitens strikt nationalistisch und antikommunistisch waren. Von widerspenstigen »gemeinen« Soldaten wollte die Bundeswehr nichts wissen.
Am 10. Mai 2007 hat der Bundestag erstmals über einen Antrag der Linksfraktion debattiert, Kriegsverräter nun endlich zu rehabilitieren. Der CDU-Abgeordnete Norbert Geis erging sich in wutschäumender Gehässigkeit gegen die angeblichen »simplen verbrecherischen Verräter«, die »oft in einer verbrecherischen Weise den eigenen Kameraden geschadet« hätten. Damit, so hetzte Geis, hätten sie sich »nach allen Maßstäben der zivilisierten Welt in höchstem Maße verwerflich verhalten«. Carl-Christian Dressel (SPD) beschwor erneut die »nicht ausschließbare Lebensgefährdung deutscher Soldaten«. Jan Korte (Linksfraktion) wollte daraufhin wissen, ob dies bedeute, »daß das Leben von Soldaten, die einen Angriffskrieg führen, höher bewertet wird als das Leben von Millionen Zivilisten, die durch den Verrat von Kriegsvorbereitungen oder –handlungen hätten gerettet werden können«. Außerhalb des Parlaments stellte Ludwig Baumann, Sprecher der Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz, die Frage: »Was ist falsch am Verrat eines Vernichtungskrieges? Kriegsverrat ist eine Friedenstat!«
»Politisch oder ethisch motiviert«
In den parlamentarischen Beratungsprozeß drängt nun die Studie von Wette und Vogel. Im Vorwort nimmt Manfred Messerschmidt, der zu den renommiertesten Militärhistorikern der BRD gehört, eindeutig Stellung: »Diese Dokumentation ist ein Appell an den Gesetzgeber« – für die Rehabilitierung der »Kriegsverräter«. Und Wette hält als Resümee seiner Arbeit fest: Ihren Kameraden haben die Kriegsverräter keinen Schaden zugefügt. »Selbst die einseitig von der Betrachtungsweise der NS-Militärrichter geprägten Quellen lassen erkennen, daß die meisten Fälle von Kriegsverrat politisch oder moralisch/ethisch motiviert waren. Wer Widerstand gegen das verbrecherische NS-Regime für legitim hält, darf die Kriegsverräter infolgedessen nicht ausgrenzen.« Möglicherweise hat Justizministerin Zypries nur auf diese Rückenstärkung gewartet: Im Juni erklärte sie anläßlich der Eröffnung einer Wanderausstellung über die Nazimilitärjustiz, man müsse »neu darüber diskutieren, ob man nicht auch die Verurteilungen wegen Kriegsverrats pauschal aufheben sollte«. Die Abstimmung über den Antrag der Linksfraktion ist noch für dieses Jahr vorgesehen.
Wolfram Wette/Detlef Vogel: Das letzte Tabu. NS-Militärjustiz und Kriegsverrat. Aufbau Verlag, Berlin 2007, 511 Seiten, € 24,95. http://www.jungewelt.de/2007/09-01/001.php