Über die demokratische Verfasstheit der Europäischen Union, über die Beteiligungsmöglichkeiten des Parlaments und über die grundsätzlichen Reformperspektiven muss intensiv diskutiert werden.
Doch lohnt sich auch ein Blick in das parlamentarische Tagesgeschäft: Zur heutigen Abstimmung über den von ihr verfassten und eingereichten Bericht über die aktuelle politische Situation in Afghanistan erklärt Sabine Lösing, Koordinatorin der linken Fraktion im Auswärtigen Ausschuss und im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung:
„Seit ich vor einigen Monaten meinen Bericht eingereicht habe, versuchten Mitglieder der neoliberalen Mehrheit im Parlament unter Leitung des Ausschussvorsitzenden (EPP) mir den Bericht zu entziehen. Wohlwissend, dass dieses Vorgehen nicht von den parlamentarischen Regularien legitimiert ist, versuchte der Ausschussvorsitzende mehrmals eine Abstimmung unter den Obleuten der Fraktionen zu erzwingen, um mir den Bericht wieder zu entziehen. Dies scheiterte jeweils einzig daran, dass sich der Widerspruch unserer Fraktion als legal erwies, führte aber nicht dazu, von diesem Ansinnen Abstand zu nehmen.
Die heutige Abstimmung im Ausschuss erwies sich als eine dunkle Stunde der Demokratie: Die neoliberale Mehrheit stimmte trotz massiven Einspruchs der Berichterstatterin und vieler Gegenstimmen bzw. Enthaltungen der Grünen und der Sozialdemokraten für eine Abstimmung en bloc über alle Änderungsanträge auf einmal, mit dem erfolgreichen Ziel, diese Anträge sowie den gesamten Antrag abzulehnen. Klappe zu und schwarz!
Kein Abgeordneter hatte nunmehr die Möglichkeit über einen einzigen der eingereichten Anträge abzustimmen, was neben dem eklatanten Angriff auf die Demokratie, auch an Absurdität nicht zu überbieten ist – denn somit stimmte eine große Anzahl von Abgeordneten auch gegen die eigenen eingereichten Anträge. Dieses bislang einzigartige Vorgehen kann ein übler Präzedenzfall für zukünftige Debatten und Berichte werden.“
Worum geht es?
Die Vizepräsidentin im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung weiter: „Nach 13 Jahren der militärischen Intervention in Afghanistan wurden bis heute die vorgebrachten Ziele nicht oder nur geringfügig erreicht. Afghanistan ist weiterhin ein Land zwischen Besatzung, Bürgerkrieg und fragiler Staatlichkeit, der Ausblick auf die Zukunft ist ernüchternd. Diese Ansicht wurde von vielen Abgeordneten geteilt, was sich in den Änderungsanträgen wie auch daran zeigte, dass sowohl von Seiten der Grünen als auch der Sozialdemokraten eine weitgehende Zustimmung zu der Darstellung meines Berichtes bekundet wurde. Doch waren die Ansichten in vielen Fraktionen, auch im Rahmen des neoliberalen Spektrums, überaus widersprüchlich, was die Schlussfolgerung nahelegt, den Prozess einer demokratischen Meinungsbildung fördern zu müssen.
Doch das sollte und durfte nach Meinung des Ausschussvorsitzenden und der Mehrheit der Abgeordneten nicht sein. Über die Motive desjenigen Liberalen, dessen Änderungsanträge zwar eine besonders kritische Sicht auf die Situation in Afghanistan reflektierten, der aber dennoch als Wortführer für die Abstimmung en bloc auftrat, kann ich nur spekulieren.
Fakt ist jedoch: Es soll keinen Bericht geben, der ein Weiter-So in Afghanistan auch nur ein wenig in Abrede stellt! Objektive Analysen stören da nur. Selbstverständlich wird meine Fraktion alle möglichen rechtlichen Schritte gegen dieses Vorgehen einleiten,“ so Sabine Lösing abschließend.
Sabine Lösing ist Mitglied des Europäischen Parlament und Mitglied der DFG-VK
Mehr Informationen: http://www.sabine-loesing.de/