Im Kampf gegen die Taliban versagt das Militär. Kriegsgegner Thomas Carl Schwoerer beschreibt Alternativen zum konventionellen Kampf und verweist auf ein historisches Vorbild.
Vor 60 Jahren, am 30. Januar 1948, starb der Mahatma Gandhi – erschossen in Neu-Delhi von dem Hindu-Fanatiker Nathuram Godse. Ausgerechnet der Mann, der Formen des gewaltlosen Widerstands entwickelte und ab 1920 letztlich erfolgreich gegen die britische Herrschaft in Indien umsetzte, kam durch ein terroristisches Attentat ums Leben. Dem vorausgegangen waren die Spaltung Indiens in die beiden Teilstaaten Indische Union und Pakistan, ihre Entlassung aus der britischen Herrschaft am 15. August 1947 und Massenfluchtbewegungen von rund 12 Millionen Flüchtlingen vorausgegangen. Etwa 500.000 von ihnen starben.
60 Jahre nach dem Attentat stellt der Terrorismus in Deutschland die wichtigste Begründung für den Afghanistan-Krieg dar – Deutschlands Sicherheit würde auch am Hindukusch verteidigt, begründete der frühere Verteidigungsminister Peter Struck das deutsche Interesse am Anti-Terror-Kampf. Man dürfe dem islamistischen Terror keine regionale Operations- und Rückzugsbasis überlassen, die zu Anschlägen weltweit ermuntern würde. Wer so argumentiert, setzt allerdings die Bekämpfung des Terrorismus mit einem konventionellen Krieg gleich. Terroristen sind aber Zivilisten, die meistens nicht dort anzutreffen sind, wo sich Soldaten gerade aufhalten. Und sie treten nicht in Heerscharen auf, sondern in kleinen Gruppen, die von jedem Ort auf der Welt aus arbeiten können und auf eine weitflächige Operationsbasis nicht angewiesen sind. Man braucht kein ganzes Land, um Terrorist zu sein – ein paar Zimmer reichen aus.
Wer in den Kategorien konventioneller Kriege denkt, spielt Terroristen in die Hände: Mit jedem Bombardement und jedem Tod von Zivilisten, der unweigerlich im Afghanistan-Krieg stattfindet, macht sich der Westen Feinde und führt den Terroristen Rekruten zu. Rekruten, die der Rachegedanke antreibt – eines der drei Motive von Terroristen, die die Harvard-Professorin und Sicherheitsexpertin Louise Richardson in ihrem Buch «Was Terroristen wollen» beschreibt. Indem der Westen den Terroristen den Krieg erklärt, verhilft er ihnen zudem zu mehr Größe, als ihnen eigentlich zusteht. So wird das Bedürfnis nach Ruhm, ein zweites Motiv, befriedigt.
Terroristen isolieren
Dass der Afghanistan-Krieg nicht effektiv den Terrorismus bekämpft, haben die Niederlande bereits erkannt, die ihren Rückzug bis Weihnachten 2010 unwiderruflich angekündigt haben, gefolgt von der kanadischen Opposition im Falle ihres diesjährigen Wahlsiegs. Dies erkennt auch die überwiegende Mehrheit der deutschen Bevölkerung, von der gemäß einer Umfrage vom letzten Oktober nur noch 29 Prozent den Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan gutheißen. Die Anzahl der Befürworter dürfte weiter abnehmen, nachdem es für die Bundeswehr kein Halten mehr in Richtung Kampftruppen gibt und die Bundesregierung auf die Stärkung des Militärs setzt, auch indem sie sechsmal so viel dafür ausgibt wie für den zivilen Aufbau Afghanistans.
Die Ausbreitung islamistischen Terrors zu verhindern, ist ein politisches und kein militärisches Ziel. Es geht darum, Terroristen von der sie unterstützenden Gemeinschaft zu isolieren und potentielle Rekruten davon abzuhalten, sich ihnen anzuschließen. Im Afghanistan-Krieg gibt es aber keine erkennbare politische Strategie. Sie müsste auf Verhandlungen setzen, auch mit den Taliban. Diese sind kein einheitlicher Akteur – einige von ihnen haben vermutlich verhandelbare Ziele, andere nicht. Selbst mit den Terroristen der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) hat die britische Regierung ab Anfang der 70er Jahre Verhandlungen geführt – nur dadurch konnte der IRA-Terrorismus beendet werden.
Selbst wenn die Taliban, die Paschtunen sind, im Zuge solcher Verhandlungen wieder an die Macht kommen, wird das wahrscheinlich nicht münden in eine Neuauflage der lupenreinen islamistischen Paschtun-Regierung der Jahre 1996 – 2001. Auch die Taliban werden über ihren Platz in einer traditionelleren afghanischen Regierung, die ein Gleichgewicht zwischen den diversen ethnischen Gruppen darstellt, verhandeln müssen. Das Afghanistan nach dem Ende der Besatzung wird nicht westlichen Wunschvorstellungen entsprechen, aber es wird dem Rest der Welt vermutlich wenig Plagen bereiten, einschließlich jener des Terrorismus. Und wenn Seymour Hersh, einer der weltweit angesehensten investigativen Journalisten, Recht hat, dass der Afghanistan-Krieg zum Scheitern verurteilt ist, wird es besser sein, jetzt zu verhandeln als zu einem aussichtsloseren Zeitpunkt.
Thomas Carl Schwoerer ist Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, der ältesten und einer der wenigen bundesweiten Friedensorganisationen. Zudem ist er Verleger des Campus Verlags Frankfurt/New York.
Zur Person: Mahatma Gandhi
Am 2. Oktober 1869 kam Mohandas Karamchand Gandhi zur Welt – als jüngstes von fünf Kindern in der vierten Ehe seines Vaters Karamchand Gandhi mit Putali Bai. Sein Vater war langjähriger Diwan (Premierminister) in Porbandar (im heutigen Westgujarat). Gandhi zeigte der Welt, dass soziale und politische Veränderungen nicht nur durch Gewalt und Terror, sondern auch durch Liebe und Mitleid erreicht werden können. Er führte Indien aus der kolonialen Abhängigkeit in die politische Unabhängigkeit. Aber er erkämpfte nicht nur politische Rechte, sondern setzte sich besonders auch für soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit ein. Er stritt und kämpfte für seine Überzeugungen und Ziele, aber stets mit friedlichen und gewaltfreien Methoden. Er war kompromissbereit und beharrlich, wenn es um die Bürger- und Menschenrechte ging.
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