Liebe Freundinnen und Freunde,
unsere derzeit größte Herausforderung ist Donald Trumps Kündigung des Atomabkommens mit dem Iran, die hierzulande unisono abgelehnt wurde. Es steht nicht fest, ist aber zu befürchten, dass die USA Sanktionen ergreifen gegen die europäischen Unternehmen, die nach einer Übergangsfrist weiterhin Geschäfte mit dem Iran tätigen. Trump wird außerdem möglicherweise dieses Thema verknüpfen mit der Erhöhung der Stahl- und Aluminiumzölle, die bis Ende dieses Monats ausgesetzt sind. Zwar macht die Mehrzahl der im Iran tätigen Unternehmen keine Umsätze in den USA und ist daher nicht anfällig für diese Sanktionen, aber die Großkonzerne sind es sehr wohl. Vor die Wahl gestellt, werden sie sich eher für ihre amerikanischen als für ihre viel kleineren iranischen Umsätze entscheiden. Das Weiterbestehen, ja die Ausweitung dieser iranischen Geschäfte ist wiederum das Einzige, was den Iran dazu motivieren könnte, das Abkommen weiterhin mit Leben zu erfüllen. Wir sollten Folgendes fordern, auch um die Reformer im Iran gegen die dortigen Hardliner zu unterstützen: Deutschland sollte vor der Welthandelsorganisation klagen wegen Verstoßes gegen die Handelsregeln. Es sollte den im Iran tätigen Unternehmen weiterhin Hermes-Bürgschaften erteilen sowie eine Kreditvergabe über die Europäische Investitionsbank und die Umsetzung der EU-Abwehrverordnung fordern. Und Europa sollte gemeinsam mit China mit den USA verhandeln über ein Handelsabkommen unter Einschluss des Atomabkommens: Wenn Trump die bisherigen Handelsbeziehungen für unfair hält, lässt sich vielleicht eine beidseitig faire Beziehung definieren.
Die Sicherheit Israels ist entgegen Bibi Netanjahus Behauptung durch diese Kündigung geringer, nicht größer geworden. Seitdem besteht die Gefahr eines Krieges zwischen Israel und dem Iran auf syrischem Boden, der uns in innenpolitisch heikle, aber dann notwendige Diskussionen bringen würde.
Als weiteres Thema bleiben die drei schädlichsten Auslandseinsätze der Bundeswehr: in Mali, Afghanistan, Syrien und Irak. Ich schlage vor, dass wir parallel zu den Gesprächen des BundessprecherInnenkreises mit Abgeordneten in Berlin einzelne Frankfurter Bundestagsabgeordnete auffordern, künftig gegen die Verlängerungen dieser Einsätze zu stimmen und endlich Verhandlungen für Waffenstillstände und politische Lösungen nach den Vorbildern Kolumbiens und Nordirlands einzuleiten, damit nicht weitere Tausende von Menschenleben geopfert werden. Nur Verhandlungen schützen uns vor dem Terror. Der seit 17 Jahren geführte und gescheiterte Krieg gegen den Terror zeigt, dass es keine Alternativen zu Verhandlungen auch mit den Dschihadisten in den jeweiligen Ländern gibt. Die stattdessen angewendete Doktrin von Härte und Gnadenlosigkeit etwa durch Bombardements führt nur zu neuen Rekruten für den Terror und zu Anschlägen auch in Europa. Carl Friedrich von Weizsäcker hat diese Gewaltspirale so beschrieben: „Man kann zwar Gewalt durch Gewalt eindämmen, man wird aber immer die Folgen zu tragen haben, dass man sich dem Prinzip, das man bekämpfte, unterworfen hat…Die Meinung…, man könne gewissermaßen zum letzten Mal Gewalt anwenden und – weil die Gewalt für das Gute ausgeübt wird – danach werde dann das Gute herrschen und nicht die Gewalt, ist einer der gefährlichsten Irrtümer und eine der Hauptquellen mörderischer Kriege.“
Um den virulentesten Bundeswehreinsatz herauszugreifen: Die Bundesregierung hat 875 Soldaten nach Mali entsendet; bis zu 200 weitere sollen folgen. Die dortige UNMission zur Sicherung eines Waffenstillstands gilt weltweit als gefährlichste »Peacekeeping«-Operation, mit 150 bisher getöteten Blauhelmsoldaten. Darunter könnten künftig auch deutsche Soldaten sein.
In Mali steht eine politische Lösung noch aus. Die Vereinbarung von 2014, die dem Waffenstillstand zwischen Tuareg-Rebellen und Regierung zugrunde liegt, ist extrem wackelig und kurzfristig angelegt. Seit den 1960er-Jahren fordern die Tuareg im Norden Malis einen unabhängigen Staat. Doch nicht einmal föderale Strukturen, die Anerkennung ihrer kulturellen Eigenständigkeit und der Zugang zu grundlegenden sozialen Leistungen stehen zur Diskussion. Solange es keine politische Lösung gibt, die diese Anliegen der Bevölkerung im Norden berücksichtigt, sind ein Waffenstillstand und seine militärische Sicherung völlig unzulängliche Ersatzhandlungen.
Dschihadisten wie Al-Qaida im islamischen Maghreb dürfen auch in Mali nicht am Verhandlungstisch sitzen. Wie will man weitere Anschläge von Al-Qaida wie jene auf die Hotels in der Hauptstadt Bamako und der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou oder die Tötung von Blauhelmsoldaten verhindern, solange sich das nicht ändert?
In Syrien herrscht seit Beginn des Krieges trotz des allseitigen Eingreifens internationaler Truppen Chaos. Nach der militärischen Niederlage des Islamischen Staates hat sich dort die Khorasan Miliz gebildet, die US-Geheimdienste für noch gefährlicher halten als den IS. Es ist wie die Hydra: Schlägt man ihr einen Kopf ab, wachsen an dessen Stelle zwei neue. Im Irak ist der IS noch lange nicht ausgelöscht und hat immer noch einen beträchtlichen Rückhalt unter den Sunniten. Auch in Libyen, Syrien und Afghanistan konnten die Dschihadisten nicht vollständig verdrängt werden. Warum also sollte eine Strategie, die in diesen Ländern versagt hat, in Mali funktionieren? Eine politische Lösung unter Einbeziehung aller beteiligten Parteien, also auch der Dschihadisten, wäre für die Bevölkerung besser. Die umfangreichen Gold-, Phosphat-, Öl-, Gas- und Uranvorkommen in Mali könnten durch Verständigung und Verhandlungen dann zum Vorteil aller Akteure statt unter dem Druck militärischer Mittel abgebaut werden.
Dieses Thema verdeutlicht zwei grundlegende Elemente einer pazifistischen Friedenspolitik. Es genügt nicht, Missstände festzustellen. Wir brauchen positive Visionen wie „Verhandeln statt schießen“ mit allen Kriegsparteien, auch mit Dschihadisten, weil sich unsere Adressaten politische Alternativen vorstellen müssen, um den Wunsch zu entwickeln, dorthin aufzubrechen.
Zudem ist der politische Pazifismus keine Politik des Zuschauens, sondern setzt auf politische Initiativen und gewaltlose Konfliktbearbeitung gerade durch die Bundesregierung. Pazifismus ist nicht Widerstandslosigkeit gegenüber dem Bösen, sondern Widerstand ohne Gewalt (nach Martin Luther King). Auch die pazifistische Einstellung ist nicht frei von moralischen Dilemmata, aber das geringere Übel im Vergleich zu den Tausenden von Opfern, die Kriege fordern.
Oder wie der amerikanische Schriftsteller und Weltkriegsveteran Norman Mailer sagte: »Krieg zu führen, um wieder etwas in Ordnung zu bringen, taugt genauso viel wie ein Bordellbesuch, um eine Geschlechtskrankheit zu kurieren.«
Rüstungsexporte sind das zweite zentrale Thema der Deutschen Friedensgesellschaft -Vereinigten KriegsdienstgegnerInnen als Verband des Politischen Pazifismus. Deswegen nehmen wir nächste Woche teil am Staffellauf gegen Rüstungsexporte und finanzieren diesen kräftig mit. Der Norden Malis gilt als Rückzugsraum für islamistische Terroristen und als Durchgangsroute für den internationalen Waffenschmuggel. Dazu haben deutsche Firmen beigetragen, die beide Seiten im Libyenkrieg mit Rüstungsgütern belieferten. Diese sind anschließend in den Norden Malis gelangt.
Deutschland sollte endlich seine Rüstungsexporte an Saudi-Arabien und anderswo einstellen, statt Waffen dorthin zu liefern und sogar Leopard-Kampfpanzer an die andere Regionalmacht Katar, die das Emirat im blutigen Jemen-Krieg einsetzt. Die Türkei wiederum setzt sie in ihrem Angriffskrieg gegen die syrischen Kurden ein. Waffen an Kriegsparteien zu liefern, ist wie Öl ins Feuer zu gießen. Sie verlängern den Krieg nur und geraten unweigerlich über kurz oder lang in die falschen Hände. Z.B. stammen die Waffen des IS größtenteils aus den USA und Russland und wurden von der irakischen und syrischen Armee gestohlen. Deutschland zählt leider zu den vier größten Rüstungsexporteuren weltweit, mit einem Drittel seiner Exporte in die Krisenregion Nahost/Nordafrika.
In diesem Zusammenhang haben wir durch unsere Proteste gegen die Militär- und Waffentechnik-Messe ITEC erreicht, dass die Messen Köln und Stuttgart der ITEC für 2018 bzw. 2019 Absagen erteilt haben. Und Heckler & Koch sowie Rheinmetall leiden gerade unter den negativen Schlagzeilen, die wir initiiert haben.
Die Deutsche Friedensgesellschaft als älteste deutsche Friedensorganisation hat dazu beigetragen, dass eine Mehrheit unserer Bevölkerung für das Verbot von Atomwaffen ist. Als der Friedensnobelpreis an die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen Ican ging, war die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen gewissermaßen Mit-Preisträgerin. Denn wir arbeiten schon lange mit Ican zusammen, die ein Bündnis von verschiedenen Organisationen und Initiativen ist, und sind neuerdings Mitglied bei Ican. Ican hat maßgeblich das bei den UN beschlossene Verbot von Atomwaffen erreicht. Wir fordern in Zusammenarbeit mit den vielen Bürgermeistern für den Frieden die Bundesregierung auf, dem Verbotsvertrag beizutreten und die in Büchel lagernden US-Atomwaffen endlich abziehen zu lassen.
Was den Brandherd Nordkorea anbetrifft, haben sich Sanktionen als unwirksam erwiesen, Präventivschläge wären verhängnisvoll. Am 12. Juni finden direkte Verhandlungen zwischen den USA und Nordkorea statt. Die USA sollten dabei klarstellen, dass nicht ein Sturz des Regimes, sondern das Einfrieren und dann die Verringerung von Nordkoreas Atomwaffenprogramm ihr Ziel sind. Diese Ziele werden sich nur im Tausch gegen Garantien für Nordkoreas Sicherheit und seine ökonomische Entwicklung, die Absage der US-Militärmanöver mit Südkorea und einen Friedensvertrag erreichen lassen.
Der besagte UN-Verbotsvertrag ist ein wichtiger Schritt hin zu einer atomwaffenfreien Welt. Ebenso wichtig sind Verträge zum Verbot von militärischen Drohnen und autonomen Waffensystemen. Wir fordern von der Bundesregierung, keine Kampfdrohnen anzuschaffen und zu entwickeln und eine internationale Ächtung dieser Waffensysteme zu erwirken. Dieses Thema ist leider gerade sehr aktuell, die Weichen werden jetzt gestellt, und bietet zusammen mit den anderen genannten Themen mehr als genug Stoff für Gespräche mit Frankfurter Abgeordneten.
Die Nato, die Union und die FDP fordern, 2% des Bruttoinlandprodukts für Rüstung auszugeben. Was so harmlos klingt, wäre in Wirklichkeit die massivste Aufrüstung seit dem 2. Weltkrieg und eine irrsinnige Verschwendung von Steuergeldern für völlig unproduktive Zwecke. Es geht um 34 Milliarden mehr und damit fast eine Verdoppelung des Bundeswehr-Haushalts. Unser Mitglied Margot Käßmann hat in ihrer hervorragenden Rede auf unserem Bundeskongress zu Recht gefragt, warum das Heil weiter im Militär gesucht wird, wenn wir doch alle wissen, dass mehr Rüstung nicht mehr Frieden bringt, sondern Krieg wahrscheinlicher macht?
Aus diesen Mitteln finanziert die Bundeswehr ihre penetrante Propaganda zur Rekrutierung neuer Soldatinnen und Soldaten als Kanonenfutter. Schon jetzt tut die Bundeswehr-Werbung so, als wäre der Einsatz dort wie das Raufen auf einem Abenteuerspielplatz. Wir halten dagegen und stoßen in die offene Wunde der Bundeswehr, dass die Rekrutierung Minderjähriger, ihre Anwerbung an Schulen und ihre Ausbildung an der Waffe nicht mit der Kinderrechtskonvention gegen Kindersoldaten vereinbar sind. Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes und die Kinderkommission des Bundestags haben sich für ein Ende der Rekrutierung Minderjähriger ausgesprochen.
Die Ausweitung des Rüstungsetats ist um so widersinniger, als Russland parallel seinen Etat senkt. Wir sollten weiterhin eine Entspannungspolitik mit Russland statt Eskalation fordern. Und die Devise aus Christa Wolfs Kassandra praktizieren, nicht den eigenen Regierenden zu trauen, sowie parallel den gleichen Abstand zu den westlichen Mächten wie zu Russland wahren.
Lasst uns die jährliche Internationale Aktionswoche gegen die Militarisierung der Jugend im November nutzen als medialen Aufhänger für Aktionen, auch in Abwesenheit der Bundeswehr. Wir vernetzen uns international etwa in der War Resisters‘ International und lernen so vom Widerstand in Großbritannien gegen das Militär in Schulen und die Rekrutierung Minderjähriger und in Südkorea gegen Waffenmessen. Wir unterstützen Friedensgruppen in der Türkei, die für ein Ende der dortigen Gewaltspirale zwischen Kurden und Türken eintreten. In vielen Ländern ist Kriegsdienstverweigerung noch nicht erlaubt. Die Wehrpflicht wird in Skandinavien und im Nahen Osten wiedereingeführt bzw. ausgedehnt.
Die Deutsche Friedensgesellschaft war Teil der gewaltfreien Bewegung, die Anfang der 1970er Jahre das Ende des Vietnamkrieges durchsetzte. Auch heute sehen wir uns als Teil einer weltweiten Bewegung gegen Krieg und Rüstung: Frieden ist ein Menschheitsprojekt. Nur in einer friedlichen Welt lassen sich die Zukunftsprobleme der Menschheit, der Klimawandel, die Umweltzerstörung, die Fluchtbewegungen und die wirtschaftliche und soziale Ungleichheit lösen.
Lasst uns mit Margot Käßmann schließen und darauf insistieren, dass Friedenspolitik und politischer Pazifismus weitaus realistischer sind als die sogenannte „Realpolitik“. Vielen Dank für eure Langmut.
Thomas Carl Schwoerer