IMI-Standpunkt 2011/053
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Die Bundeswehr ist kein Gesprächspartner, auch nicht in der Schule
Die Militarisierung der Schulen durch die Charmeoffensive der Bundeswehr an der Heimatfront dauert nun schon einige Jahre. Sie führte nicht nur zu einer quantitativ stärkeren Präsenz von Jugendoffizieren und Wehrdienstberatern in den Klassen, einer höheren Anzahl von Besuchen bei der Truppe und einer größeren Akzeptanz der zivilmilitärischen Kooperation zwischen Bundeswehr und Bildungseinrichtungen unter den Lehrern und Schulleitern[1], sondern auch zu 8½ Kooperationsabkommen[2].
Auch wenn sie bislang noch schwach sind, gab und gibt es erste zaghafte Ansätze und Organisationsversuche, um zumindest diesem Teil der zivilmilitärischen Zusammenarbeit als Herzstück der „vernetzten Sicherheit“ bzw. des „umfassenden Sicherheitsansatzes“ in der Bundesrepublik[3] Einhalt zu gebieten: neue Kampagnen wie „Schulfrei für die Bundeswehr“ (Baden-Württemberg)[4] oder Bündnisse wie „Bildung ohne Bundeswehr“ (Hamburg)[5] wurden gegründet, während bereits bestehende das Thema aufgriffen und Aktivitäten entfalteten. Einzelne Schulkonferenzen erklärten, dass sie die Bundeswehr nicht zu sich an die Schulen einladen würden[6], während einige Landesverbände der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) verhältnismäßig eindeutige Positionen gegen das Vordringen der Bundeswehr an die Schulen beschlossen.[7]
Trotz der überwiegend akzeptierten Forderung, dass die Bundeswehr aus den Schulen vollständig zu verschwinden habe, hält sich in einigen Teilen der Friedens- und Antikriegsbewegung und auch darüber hinaus hartnäckig die Auffassung, die Indoktrinations- und Rekrutierungseinsätze – um nichts anderes geht es – seien nicht grundsätzlich abzulehnen, sondern nur dann, wenn kein Vertreter der Friedensbewegung die „Kontroversität“ des Unterrichts gewährleisten könne. Die GEW argumentiert auf Bundesebene so[8], Bündnis 90/Die Grünen[9], aber auch Gruppen und Organisationen der Friedensbewegung.[10]
Auch wenn es gut gemeint ist, zumindest ein kleines, wenn auch marginales Gegengewicht im Kampf um die Klassen bilden zu wollen, indem man die Friedensbewegung als Widerpart zu Schulbesuchen schickt, ist es dennoch grundsätzlich falsch. Ohne es vielleicht zu wollen, spielt man der Bundeswehr damit politisch sogar in die Hände.
Denn erstens ändert sich durch die Teilnahme von Friedensorganisationen nichts am Auftrag oder gar am politischen Zweck des Einsatzes der Jugendoffiziere. Ihr Ziel ist weiterhin die Indoktrination und Akzeptanzbeschaffung für die neoimperialistischen Kriege der Bundesrepublik unter Jugendlichen, die Rekrutierung von Nachwuchs für die Bundeswehr, ein Beitrag zur Bevölkerungskontrolle an der Heimatfront, die Informationsbeschaffung über die Lage daheim, die zivilmilitärische Zusammenarbeit zwischen militärischen und zivilen Strukturen usw. Die Bundeswehr bezeichnet dies selbst als die andere Seite des Auslandseinsatzes, es ist die „friedliche“ Seite der Kriegsführung.[11] Wer also die Kriege der Bundesregierung ablehnt, ist auch gezwungen, seine Vorbereitung, Absicherung und Legitimation abzulehnen. Dazu zählen die Schulbesuche der Bundeswehr.
Das Handbuch der Jugendoffiziere sagt zudem eindeutig, dass die Jugendoffiziere die Meinung des Bundesverteidigungsministeriums und der Bundeswehr wiedergeben muss.[12] Das Kontroversitätsgebot des Beutelsbacher Konsens‘ wird vielleicht durch die Beteiligung von Vertretern der Friedensbewegung eingehalten. Die anderen Verstöße – Indoktrination und Bevormundung der SchülerInnen – können aber dadurch nicht ausgeglichen werden.
Zweitens kann die Friedensbewegung den strukturellen Vorteil der Bundeswehr schlicht nicht kompensieren – selbst wenn sie es wollte. Die Einheit der Bundeswehr besteht fast seit der Wiederbewaffnung der Republik. Sie verfügt also über reichhaltige Erfahrungen und über eine professionelle Ausbildung, die von der Akademie für Information und Kommunikation – früher Akademie für psychologische Verteidigung – organisiert wird. Darüber hinaus werden die Jugendoffiziere vom Bundesverteidigungsministerium finanziell hervorragend ausgestattet. Zudem ist die Personaldichte und -stärke für die Friedensbewegung unerreichbar. Auf einen Jugendoffizier, der bei einer Diskussion mit Vertretern der Friedensbewegung den Kürzeren zieht, kommen etliche, denen ihre Arbeit vorzüglich gelingt.[13]
Drittens unterstützt man die Jugendoffiziere bei der erfolgreichen Umsetzung ihrer Arbeit und legitimiert den Tabubruch. Denn die Bundeswehr befürwortet mittlerweile sowohl die Teilnahme von Menschen aus der Friedensbewegung an ihren Schulbesuchen und den Abschluss von Kooperationsvereinbarungen mit der Friedensbewegung. Das klingt paradox, ist aber wahr und geht z.B. aus dem aktuellen Bericht der Jugendoffiziere hervor.[14]
Auf den zweiten Blick ist das auch gar keine Überraschung, sondern im Gegenteil innerhalb des Konzeptes, das die Bundeswehr derzeit verfolgt, vollkommen schlüssig. Denn ähnlich wie z.B. in Afghanistan bildet die „zivile Konfliktbewältigung“ eine Säule in der vernetzten Sicherheitspolitik der Bundesrepublik – neben der militärischen. Die Bundeswehr und die Bundesregierungen haben gar nichts dagegen, friedliche Mittel ebenfalls anzuwenden – im Gegenteil. Aber sie sind der Meinung, dass diese um militärische ergänzt werden müssen. Um diesen komplementären Zugang auch in den Klassen glaubwürdig und informativ vermitteln zu können, ist es für die Jugendoffiziere sogar „wünschenswert“, dass die Friedensbewegung mit ihnen vor Klassen internationale Konflikte und ihre Lösungen diskutiert. Auch gegenseitige Kritik wird dabei sehr wohl einkalkuliert.
Darüber hinaus werden die Schulbesuche der Jugendoffiziere implizit durch die Teilnahme von Personen aus der Friedensbewegung anerkannt. Die Aufhebung der ohnehin brüchigen Trennung von zivilem und militärischem Leben wird dadurch aktiv legitimiert und die zivilmilitärische Kooperation gefördert.
Der Gesellschafstheoretiker Herbert Marcuse hat einmal vor vielen Jahren geschrieben, dass Toleranz pervertiert worden ist, wenn sie „in erster Linie dem Schutz und der Erhaltung einer repressiven Gesellschaft dient, „wenn sie dazu herhält, die Opposition zu neutralisieren und die Menschen gegen andere und bessere Lebensformen immun zu machen“. Die Toleranz, die „hinsichtlich der etablierten Politik zum Zwangsverhalten“ geworden ist, ist repressiv, weil sie von uns die Duldung von Maßnahmen, Bedingungen und Verhaltensweisen abverlangt, „die nicht toleriert werden sollten, weil sie die Chancen, ein Dasein ohne Furcht und Elend herbeizuführen, behindern, wo nicht zerstören“.[15] Die Schulbesuche der Bundeswehr zählen zu diesen Maßnahmen. Es ist daher an der Zeit, die repressive Toleranz abzulegen und die Bundeswehr nicht mehr als legitimen Gesprächspartner an Schulen anzuerkennen. Wir brauchen eine Haltung befreiender Intoleranz gegen jene, die die Kriege des neuen Imperialismus fördern.
Anmerkungen:
[1] Im bislang einzigen öffentlich zugänglichen Bericht der Jugendoffiziere aus einem Bundesland (NRW 2009) heißt es: „Die Unterzeichnung der Kooperationsvereinbarung zwischen dem Ministerium für Schule und Weiterbildung und der Bundeswehr hat sich bei der Arbeit der Jugendoffiziere als positiv erwiesen. Im Bereich der Akquise in den Schulen war es hilfreich, auf diese Vereinbarung hinzuweisen. Vor allem den Schulleitern nahm diese offizielle Billigung der Zusammenarbeit mit der Bundeswehr einige anfängliche Bedenken.“ S. 36
[2] Es handelt sich um 8½ Abkommen, weil acht Abkommen offiziell abgeschlossen wurden, während die Landesregierung in Schleswig-Holstein ein solches Abkommen nicht abschließen musste. Denn die „Bundeswehr ist bereits in die Aus- und Fortbildung eingebunden. Die Zielsetzung des Bundesministeriums der Verteidigung ist in Schleswig-Holstein gängige Praxis.“
[3] Dass dies keineswegs ein Argument ist, das der Phantasie einiger friedensbewegter Ideologen entspringt, sondern sehr wohl den Tatsachen entspricht, dokumentiert ein fraktionsübergreifender Brief (mit Ausnahme der LINKEN) des Unterausschusses für zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit – namentlich Edelgard Buhlmann (SPD), Kerstin Müller (Bündnis 90/Die Grünen), Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) und Joachim Spatz (FDP) – an den Präsidenten der Kultusministerkonferenz, Bernd Althusmann, in dem die Bundestagsabgeordneten ausdrücklich erklären, dass die von den Jugendoffizieren der Bundeswehr geleisteten „Bildungsarbeit an den Schulen eine besondere Bedeutung“ bei der Vermittlung der vernetzten Sicherheit und der zivilmilitärischen Zusammenarbeit zukomme.
[4]
[5]
[6] Die bekanntesten Beispiele sind das Robert-Blum-Gymnasium in Berlin () und die Käthe-Kollwitz-Schulen in Offenbach ( ).
[7] Der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern z.B. hat seine Position in einem Brief an die Landesbildungsminister klar formuliert:
[8]
[9] In NRW z.B. lehnten die Grünen die Rücknahme der Kooperationsvereinbarung ab:
[10] Auf die Spitze wurde diese Position getrieben, als sich in Rheinland-Pfalz jüngst sogar einige Friedensgruppen in die Falle tappten und sich auf ein Kooperationsabkommen mit dem Landesbildungsministerium einließen, das der Vereinbarung mit der Bundeswehr ähnelt. Vgl.:
[11] www.streitkraeftebasis.de/…/BasisInfo_ZMZ_I.pdf
[12]
[13]
[14] S. 16
[15] Alle Zitate aus: Herbert Marcuse: Repressive Toleranz. In: ders.: Schriften. Band 8. Springe 2004. S. 136-166
Christian Stache
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