Verfassungsgericht weist Grünen-Klage gegen Bundeswehreinsatz in Heiligendamm ab. Fraktionsinnenexperte Wieland nennt Entscheidung »völlig paradox«
Von Frank Brendle
Inlandseinsätze der Bundeswehr unterliegen engen Verfassungsvorschriften – aber wenn die Bundesregierung sie verletzt, kann das Parlament nichts dagegen tun. Die am Dienstag ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Verwendung der Bundeswehr in Heiligendamm zeigt gravierende Defizite bei der Kontrolle von Militäreinsätzen auf.
Die Grünen-Bundestagsfraktion hatte nach dem G-8-Gipfel 2007 im mecklenburg-vorpommerschen Heiligendamm Verfassungsbeschwerde eingelegt. Im Unterschied zur Bundesregierung sah sie die Aufbietung von über 2000 Soldaten nicht als harmlose »technische Amtshilfe«, sondern als verfassungswidrig an. In der Kritik stand vor allem die Unterstützung der Bundeswehr für die Polizei etwa mit Hilfe von »Tornado«-Jagdflugzeugen, die über die Camps der Protestbewegung flogen und Bilder anfertigten. Spähpanzerbesatzungen hatten Posten entlang wichtiger Straßen bezogen, um auffällige Bewegungen sofort an die Polizei zu melden. Damit begünstigte die Bundeswehr zumindest indirekt das Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten. Diese zusätzlich einzuschüchtern, war wohl auch das Kalkül bei der Beteiligung Hunderter bewaffneter Feldjäger.
Solche Repressivmaßnahmen sind vom Grundgesetz nicht gedeckt. Es erlaubt militärische Inlandseinsätze während Friedenszeiten nur anläßlich von Naturkatastrophen. Die Grünen-Fraktion hatte vor Gericht argumentiert, die Regierung hätte beim Bundestag die Zustimmung für diesen verfassungswidrigen Einsatz einholen müssen. Die Richter wiesen die Klage jedoch aus formalen Gründen ab. Selbst wenn der Einsatz verfassungswidrig gewesen wäre – was das Gericht offen ließ – hätte »auch durch eine vorherige Zustimmung des Deutschen Bundestages in Form eines einfachen Beschlusses ein verfassungskonformer Zustand nicht hergestellt werden können«. Eine Parlamentsabstimmung hätte den Verfassungsverstoß »nicht geheilt, sondern allenfalls vertieft«. Außerdem sei ein Organstreitverfahren nicht dazu da, Regierungshandeln auf seine Verfassungsmäßigkeit zu prüfen, sondern nur, die Rechte von Verfassungsorganen zu wahren. Dem Bundestag fehle hier aber gerade das Recht zur Mitsprache: Anders als bei Auslandseinsätzen sei seine Zustimmung bei »Verwendungen der Bundeswehr im Inland, seien es bewaffnete oder unbewaffnete Verwendungen«, vom Grundgesetz nicht vorgesehen.
Im Klartext bedeutet das: Ein Inlandseinsatz der Bundeswehr beispielsweise gegen Demonstranten ist zwar verboten. Wird er aber dennoch durchgeführt, kann der Bundestag nichts dagegen machen. Ein Beschwerderecht haben nur die direkt Betroffenen, also die Demonstranten. Grünen-Rechtspolitiker Wolfgang Wieland beklagt in einer Presseerklärung die Situation als »völlig paradox und unbefriedigend«. Auch die Linken-Politikerin Ulla Jelpke ist unzufrieden: Die Entscheidung bedeute, »daß der Bundestag keine Handhabe hat, verfassungswidrige Einsätze, die unter dem Label der Amtshilfe durchgeführt werden, zu stoppen«, erklärte sie.
Der Berliner Rechtsanwalt Sönke Hilbrans vertritt derzeit drei Aktivisten, die während eines »Tornado«-Überflugs im Protestcamp Reddelich waren. Sie klagen vor dem Verwaltungsgericht Schwerin gegen den Militäreinsatz, weil sie ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und die Versammlungsfreiheit verletzt sehen. Hilbrans sagte gegenüber jW, durch den Einsatz der Jagdflugzeuge »war die rote Linie zur Machtausübung mit militärischen Mitteln überschritten«.
Quelle:http://www.gipfelsoli.org