Die Friedensbewegung hat keine Ideen zum Syrienkrieg?
Falsch, hier ist eine von DFG-VK-Bundessprecher Thomas Carl Schwoerer.
Vergangene Woche warf Elias Perabo in der ZEIT der Friedensbewegung vor, sich weniger um Friedenslösungen für Syrien zu kümmern als um Kritik an westlichen Militäreinsätzen. Das stimmt nicht. Unser Verband hat sich nicht nur schon Anfang 2012 dafür ausgesprochen, gewaltlose syrische Oppositionelle mit Satellitentelefonen, Laptops, Stromgeneratoren und Medizin zu unterstützen. Wir geben auch inhaltliche Impulse: Wer Frieden will, muss mit seinen Feinden verhandeln, nicht nur mit seinen Freunden. Das setzt Mut voraus. Konkret: Verhandlungen auch mit dem IS.
Eine politische Lösung des Syrienkriegs ist möglich, denn alle beteiligten Staaten sind interessiert daran, darunter, wie sich im Zuge der Wiener Konferenzen zeigte, auch Saudi-Arabien. Deutschland sollte sich mit ganzer Kraft für diese Diplomatie einsetzen. Wenn aber alle Beteiligten an den Tisch gehören, warum dann nicht auch der IS? Wie soll es ohne ihn beispielsweise einen Waffenstillstand geben? Darauf antworten manche: Der IS profitiere vom Syrienkrieg, denn nur durch ihn könne er Kämpfer gewinnen und sein »Kalifat« über Syrien und den Irak hinaus ausdehnen. Über dieses Ziel wolle der IS gar nicht verhandeln.
Aber können wir uns da sicher sein? Es gibt in der langen Geschichte von Terrorgruppen wie etwa der IRA in Nordirland oder den Taliban in Afghanistan das immer wiederkehrende Argumentationsmuster: Sie seien so übel, dass man nicht mit ihnen verhandeln könne; und außerdem wollten sie das auch gar nicht. Schließlich kam es dann doch stets zu Verhandlungen, allerdings erst nach dem unnötigen Tod vieler Menschen. Nur, ist der IS nicht doch etwas anderes?
Er ist die erste Terrorbewegung, die mit brutaler Gewalt einen Staat gegründet hat. Zudem schließen seine Taten Völkermord ein, an Jesiden und Schiiten. Allerdings ist auch für die militanten Dschihadisten – wie seinerzeit für die IRA – Terrorismus nicht das Ziel, sondern lediglich Mittel zum Zweck der Nationsbildung. Wahrscheinlich besteht die Priorität des IS darin, einen regulären Staat zu gründen und zu konsolidieren. Der IS will im Gefolge der territorialen Eroberung den sunnitischen Teil der Bevölkerung hinter sich bringen, etwa durch die Ausbesserung von Straßen, die Organisation von Suppenküchen und die Herstellung von Blutsverwandtschaften mittels erzwungener Eheschließungen zwischen den Kämpfern des IS und sunnitischen Frauen.
Verhandlungen mit ihm sind dennoch nicht so abwegig, wie es auf den ersten Blick erscheint. Wenn das vorrangige Ziel der religiösen Extremisten tatsächlich darin besteht, einen eigenen Staat zu festigen, ließen sich auf dem Verhandlungsweg Zugeständnisse erzielen.
Gewiss kann man sich fragen, ob der Irak und Syrien als Reststaaten noch lebensfähig wären, wenn der IS sich auf einem Teil von deren Territorium etablierte. Und wäre den Kurden eine eigene Staatsgründung dann noch möglich? Das ist allerdings in Anbetracht der türkischen Antikurdenpolitik auch ohne den IS schwer denkbar. Drittens stellt sich die Frage, ob es möglich wäre, den Iran als Erzgegner des IS in die Verhandlungen mit einzubeziehen. Viertens hat der IS, anders als die IRA, bisher keine politischen Forderungen gestellt (betrachtet man das Gerede von einem globalen Kalifat einmal als Propaganda-Fantasie).
Aber was hindert uns daran, ihn danach zu fragen? Verhandlungen mit dem IS wären, um den Terror innerhalb und außerhalb seines Gebietes zu beenden, zielführender und weniger schädlich als Waffenlieferungen und Bombardements – seien es russische oder solche von Nato-Staaten. Auch deshalb muss Deutschland seine Rüstungsexporte an Saudi-Arabien ebenso einstellen wie die an die Kurden und an Katar; die Kampfpanzer, die jüngst an das Emirat geliefert wurden, werden sehr sicher im Jemenkrieg zum Einsatz kommen.
Es gibt keine militärische Lösung des Terrorismus, wie die Erfahrungen mit Gruppen wie der IRA und vierzehn Jahren »Krieg gegen den Terror« zeigen. Es gibt auch keine militärische Lösung des Syrienkrieges. Jeder getötete Zivilist – die es zuhauf in jedem Krieg gibt – löst Rachegefühle bei seinen Angehörigen aus und steigert deren Bereitschaft, sich Terroristen anzuschließen. Wir empfinden tiefes Mitgefühl, wenn Krankenhäuser und Schulen in Rakka durch Bomben zerstört werden sowie für die Toten von Ankara, Bamako, Beirut, Paris, Suruç und Tunis.
Auch in Mali steht eine politische Lösung noch aus. Die Vereinbarung, die dem dortigen Waffenstillstand zugrunde liegt, ist extrem wackelig und kurzfristig angelegt. Die Bevölkerung im Norden, wo die Bundeswehr stationiert wird, hat ursprünglich einen unabhängigen Staat gefordert. Aber nicht einmal föderale Strukturen, die Anerkennung ihrer kulturellen Eigenständigkeit und der Zugang zu grundlegenden Sozialleistungen stehen zur Diskussion. Solange es keine politische Lösung gibt, die diese Anliegen der Bevölkerung berücksichtigt, sind ein Waffenstillstand und seine militärische Sicherung reine Ersatzhandlungen.