Ukrainischer Journalist sitzt seit neun Monaten wegen Aufrufs zu Kriegsdienstverweigerung in U-Haft. Ein Gespräch mit Hannelore Tölke
Hannelore Tölke ist Sprecherin der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Nordrhein-Westfalen, die in einer Solidaritätskampagne für Ruslan Kotsaba mitwirkt
Der ukrainische Journalist Ruslan Kotsaba sitzt jetzt seit neun Monaten in Untersuchungshaft. Was wird ihm zur Last gelegt?
Ruslan Kotsaba wird Landesverrat und »Behinderung der gesetzlichen Tätigkeit der Streitkräfte«, d. h. Wehrkraftzersetzung, vorgeworfen. Im Januar hatte er in einer Videobotschaft an den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko erklärt, er werde einer Einberufung zum Militärdienst nicht folgen. Und er rief darüber hinaus zur Verweigerung des Kriegsdienstes auf.
Kotsaba hat die Maidan-Proteste unterstützt und nach eigenem Bekunden voriges Jahr Poroschenko gewählt – wieso geht die Staatsanwaltschaft so massiv gegen ihn vor?
Er war als einziger ukrainischer Journalist auf beiden Seiten der Front akkreditiert. Er kennt die Situation gut und spricht von einem Bürgerkrieg. Er berichtet, dass die sogenannten Separatisten eben nicht russische Soldaten sind, sondern normale Bürger aus Donezk und Lugansk. Kotsaba fordert Verhandlungen und eine friedliche Lösung des Konflikts und prangert das sinnlose Blutvergießen, Waffenschieberei und Kriegsgewinnler an. Außerdem kritisiert er, dass Russland öffentlich als Aggressor dargestellt wird, während die Eliten in der Ukraine im verborgenen schwunghaften Handel mit Russland treiben.
Am Freitag vergangener Woche hat es eine neuerliche Anhörung gegeben. Was kam dabei heraus?
Eine solche gerichtliche Anhörung gibt es jeden Monat. Dabei werden jeweils nur drei bis vier Zeugen vernommen. Auch der Termin am vergangenen Freitag verlief nach diesem Muster. Kotsabas Anwältin Tatjana Montjan geht davon aus, dass er nicht vor dem Prozess freikommen wird, weil für die Delikte, derer er beschuldigt wird, zwingend Untersuchungshaft angeordnet wird. Das Gericht lässt sich viel Zeit mit der Eröffnung eines Prozesses. Wann das geschehen wird, ist derzeit überhaupt nicht abzusehen. Bei einer Verurteilung muss er mit einer Haftstrafe von zwölf bis 15 Jahren rechnen.
Nach ukrainischem Recht ist Kriegsdienstverweigerung nur bei Mitgliedern religiöser Minderheiten legal. Welche Optionen haben da Männer, die nicht zum Militär wollen?
Nach meiner Kenntnis ist Kotsaba der einzige, der offen den Kriegsdienst verweigert hat. Zigtausende Ukrainer haben sich aber einer Einberufung entzogen. Wehrdienstvermeidung wird mit Gefängnis von ein bis drei Jahren bestraft. Bis Ende Januar wurden gegen mehr als 7.500 Personen Strafverfahren eingeleitet.
Sie wollen eine Solidaritätskampagne für den Journalisten starten. Was kann eine solche Aktion aus dem Ausland bewirken?
Es ist zum einen wichtig, die Isolation des Gefangenen in der Haft zu durchbrechen. Wir rufen deswegen dazu auf, zum 1. Dezember, dem »Tag der Gefangenen für den Frieden«, Ruslan Postkarten ins Gefängnis zu schicken. Der Verein Connection e. V., der große Erfahrung in der Betreuung von bedrohten Kriegsdienstverweigerern hat, wird in Kürze eine Onlineaktion starten, bei der man ihm auch via Internet schreiben kann. Connection leitet die Nachrichten an ihn weiter.
Letztlich ist die Freilassung des Gefangenen Ziel der Solidaritätskampagne, deshalb wollen wir bei der ukrainischen Regierung, beim Bundeskabinett und bei der Europäischen Union gegen die Inhaftierung protestieren. Europa hält viel auf seine Werte. Amnesty International dagegen sieht in Ruslans Verfolgung eine dreiste Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und hat ihn auf die Liste der politischen Gefangenen gesetzt. Es kann doch nicht sein, dass unter den Augen der EU ein Journalist, der seine Arbeit macht, für Jahre hinter Gefängnismauern verschwindet und mundtot gemacht wird.
Zuerste veröffentlicht in der Tageszeitung jungen Welt am 18.11.2015
Interview: Frank Brendle