Einige hatten es schon immer geahnt, andere verbannten Aussagen wie die folgende nur allzu gerne in das Reich von Verschwörungstheoretikern:
„Der Export von Abertausenden von Sturmgewehren an korrupte und menschenrechtsverletzende Sicherheitskräfte in verbotenen Unruheprovinzen Mexikos konnte gelingen, weil deutsche Rüstungsexport-Kontrollbehörden diese Kriegswaffentransfers geduldet und bei deren Abwicklung weggeschaut hatten – und weil sie in bestimmten Fällen gar an solchen Waffendeals mitwirkten.“
Ein derart drastisch formulierter Vorwurf bezüglich der Machenschaften von Beschäftigten der Rüstungsindustrie und Beamten in den Aufsichtsbehörden muss fundiert belegt sein. Denn der Vorwurf krimineller Verflechtungen von waffenproduzierenden Firmen und vermeintlich exportunterbindenden Behörden – welche einen Kontroll- und nicht einen Förderungsauftrag haben – wäre als Fehlbehauptung bzw. Falschaussage juristisch verfolgbar. Er würde in Ermangelung von Beweisen Unterlassungsverfügungen und im Fall der Wiederholung extrem hohe Zahlungsverpflichtungen nach sich ziehen.
In diesem Artikel verfolge ich die Spur der Lieferung zwischen 10 000 und 19 000 Sturmgewehren – die reale Zahl muss angesichts widersprüchlicher Aussagen staatlicherseits erst noch ermittelt werden – des Typ G36 der Oberndorfer Waffenschmiede Heckler & Koch (H&K) an Polizeieinheiten in Mexiko. Ausgeliefert wurden G36-Sturmgewehre ungeachtet der Tatsache, dass sich mexikanische Polizisten seit Jahren schwerster Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben und weiterhin machen. Und sie erfolgten trotz des Tatbestands, dass eben solche Polizisten in Korruption verstrickt eng mit Mörderbanden der Drogenmafia zusammenarbeiten – was den Tod zahlreicher Menschen durch den Einsatz deutscher G36-Gewehre nach sich zieht.
Die Spur führt auch in mexikanische Unruheprovinzen, in die in Deutschland produzierte Kriegswaffen angesichts des Exportverbots des Bundesausfuhramtes (Bafa) bzw. des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) und angesichts massiver Menschenrechtsbedenken des Auswärtigen Amtes (AA) niemals hätten gelangen dürfen.
Die folgenden Ausführungen basieren auf den Aussagen, die mehrere Whistleblower – unter ihnen vormalige Beschäftigte von H&K – mir gegenüber getroffen und dokumentiert haben. Sie gründen maßgeblich auf Vor-Ort-Ermittlungen von Daniel Harrich und seinem Rechercheteam. Und sie beruhen auf Abertausenden von Dokumenten, die Insider aus der Rüstungsindustrie dem Münchener Filmemacher übergeben haben.
Die folgenden Ausführungen stellen ein erstes Exzerpt des topaktuell erschienenen Buches „Netzwerk des Todes. Die kriminellen Verflechtungen von Waffenindustrie und Behörden“ dar. Das Enthüllungsbuch wurde von der Journalistin Danuta Harrich-Zandberg, dem Filmemacher Daniel Harrich und mir als Erstatter mehrerer Strafanzeigen und Buchautor („Schwarzbuch Waffenhandel“; München 2013) gemeinsam verfasst.
Sie befassen sich an dieser Stelle vorrangig mit den Machenschaften von Heckler & Koch. Im Netzwerk-Buch werden auch die Geschäfte der Waffenhersteller Sig Sauer und Carl Walther kritisch beleuchtet.
Strafanzeigen stellen, Anklage
erheben, Täter verurteilen und inhaftieren
Wir sind bei unseren Recherchen viel weiter gekommen, als wir anfangs zu hoffen gewagt hatten. Die Einblicke in höchst vertrauliche Dokumente werfen zentrale Fragen auf. Fragen, die das Unternehmen wie auch bundesdeutsche Behörden betreffen.
Wer trägt die Verantwortung dafür, dass Abertausende von H&K-G36-Sturmgewehren widerrechtlich in verbotene Unruheprovinzen Mexikos exportiert werden konnten? Haben die Rüstungsexport-Kontrollbehörden Bafa und BMWi illegale Waffentransfers durch Duldung oder gar aktives Mitwirken ermöglicht? Hat das vermeintlich rüstungsexportkritische Auswärtige Amt (AA) bei den Waffendeals weggeschaut und damit die dunklen Machenschaften erst ermöglicht? Und wie verhält es sich mit den augenscheinlich illegalen Pistolenexporten von Sig Sauer und Carl Walther ins Bürgerkriegsland Kolumbien? Liegt der massiven Zunahme von Kleinwaffenexporten in Krisen- und Kriegsgebiete nicht das Totalversagen des bislang so hoch gelobten deutschen Rüstungsexport-Kontrollregimes zugrunde?
Einige dieser Fragen können politisch bewertet, andere müssen auf juristischer Ebene geklärt werden. Genau deshalb habe ich, beginnend im April 2010 teilweise als Einzelperson, teilweise mit Christine Hoffmann und Paul Russmann, den anderen beiden SprecherInnen der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“, sowie zuletzt mit meinem Rechtsanwalt Holger Rothbauer mehrere Strafanzeigen gestellt. Diese Anzeigen gegen H&K, Carl Walther und Sig Sauer führten in allen Fällen zu staatsanwaltschaftlichen (Vor)Ermittlungen in Baden- Württemberg und in Schleswig-Holstein.
Das Produktionswerk von Sig Sauer in Eckenförde musste nach dem daraufhin von den Kontrollbehörden verfügten Exportverbot schließen, die Kriegswaffenproduktion wurde in Deutschland eingestellt. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaften dauern bis zum heutigen Tag an und sollten – so meine Hoffnung – letztlich zu Anklageerhebungen und den gerechten Bestrafungen führen.
Wie die Kontrollbehörden
den Mexiko-Deal ermöglichten
Mit legalen und womöglich auch illegalen Mitteln – letzteres wird die deutsche Justiz zu klären haben – ist es den drei führenden deutschen Kleinwaffenherstellern in den vergangenen Jahrzehnten gelungen, die lukrativen Waffenmärkte in Mexiko und Kolumbien (und in vielen weiteren Ländern) mit unzähligen Pistolen, Maschinenpistolen und Sturmgewehren zu bedienen.
Dabei stehen die beiden lateinamerikanischen Staaten pars pro toto für das völlige Versagen der deutschen Rüstungsexportkontrolle. Endverbleibserklärungen (EVE/Enduser Certificates) sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind. Je nach Bedarf wurden im Fall Mexiko die aufgrund der Menschenrechtslage nicht belieferbaren Bundesstaaten kurzerhand gewechselt. In kürzester Zeit wurden Bundesstaaten Mexikos ausgetauscht, die zuvor auf dem Index standen.
Zentrale Voraussetzung für die Exportbewilligung war – neben der Gewährleistung des Endverbleibs in „sicheren“ Bundesstaaten – die Verschrottung von Altwaffen in gleicher Anzahl gemäß dem Prinzip „Neu für Alt“. Angesichts der mehr als 10 000 gelieferten Neuwaffen (G36 u.a.) hätten in Mexiko auch 10 000 Altwaffen zerstört werden müssen, so das vom Auswärtigen Amt und der Bundesregierung geforderte Prinzip. Allerdings, so das ernüchternde Ergebnis unserer Recherchen, wurden in Mexiko lediglich in einem Fall (2006) rund 1 300 Altwaffen (unbrauchbare Pistolen, nichtbenötigte Kalaschnikows etc.) zerstört. H&K stellte diese Verschrottungsaktion gegenüber Behörden und Ministerien als Regelfall dar, was man behördenseits dankbar aufgriff. Vor-Ort-Kon- trollen in Mexiko seitens des AA, Bafa oder BMWi gab es nicht. Offensichtlich fanden keinerlei weitere Waffenverschrottungen statt. Ein schweres Versäumnis.
Und noch ein schier unglaublicher Deal des Bundesausfuhramtes und des Bundeswirtschaftsministeriums mit H&K: Im Jahr 2007, als bereits G36-Sturmgewehre in großer Zahl illegal in Unruheprovinzen gelangt waren, benötigte die mexika- nische Polizei aufgrund des dortigen Waffeneinsatzes mehr Ersatzteile. H&K forderte die Genehmigung an und erhielt Sonderkonditionen: Der zuständige BMWi-Ressortleiter urteilte: „… die Argumentation von H&K ist in der Tat überzeugend – daher keine Bedenken im Fall von H&K den Wert auf 30 % hochzusetzen“. H&K sollte jedoch dazu vergattert werden, diese Einzelfallentscheidung „nicht im großen Kreis hinauszuposaunen“. In den zuständigen Behörden wurde ohne weitere Diskussion die als bezeichnete Regelung „Lex Heckler & Koch“ schriftlich mit Datum vom 3. Dezember 2007 genehmigt und abgezeichnet. Eine spätere Verlängerung um weitere drei Jahre wurde gleichsam bewilligt. Diese E-Mail-Korrespondenz ist ein weiterer eklatanter Beweis für die unlauteren Machenschaften zwischen dem Waffenhändler und seinem Netzwerk in den Ministerien und Ämtern.
All die Defizite und Tricksereien – die sich an dieser Stelle weitaus umfänglicher aufzeigen ließen – führten jedoch nicht dazu, dass weitere Gewehrlieferungen von H&K an die zuständige Abteilung DCAM im mexikanischen Verteidigungsministerium unterbunden und bereits gelieferte Kleinwaffen von der Bundesregierung zurückgeordert wurden (was rechtlich durchaus möglich ist – § 7 Kriegswaffenkontrollgesetz).
Vielmehr verzichteten die deutschen Behörden auf Vor-Ort-Kontrollen, vertrauten auf die Aussagen von H&K-Mitarbeitern und – kaum zu glauben – belohnten die Oberndorfer Rüstungsexporteure mit der Genehmigung weiterer Waffentransfers.
Derlei Machenschaften haben Tradition in Deutschland. Allen voran mit der Zustimmung zu Kleinwaffenexporten gossen die Bundesregierungen der vergangenen Jahre aus CDU/CSU/SPD/FDP/Grünen durch ihre Rüstungsexport-Genehmigungspolitik Öl ins Feuer der Kriege und Bürgerkriege in Afrika, dem Nahen und Mittleren Osten und in Lateinamerika. Sie leisteten damit Beihilfe zum Morden und Massenmorden in vielen menschenrechtsverletzenden und kriegführenden Staaten.
Der schöne Schein und das Scheitern des Sigmar Gabriel
Diese menschenverachtende Politik sollte nach der Bundestagswahl 2013 ein Ende finden mit dem neuen Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. In flammenden Statements hatte der Sozialdemokrat den BürgerInnen in Deutschland versprochen, dass unter seiner Ägide ein grundlegender Politikwechsel vollzogen werde. Menschenrechtsverletzende Staaten würden keinerlei Rüstungsgerät mehr erhalten. Kriegswaffenexporte seien, so Gabriel, „kein Mittel der Wirtschaftspolitik“. Deshalb wolle er die Rüstungsexportpolitik der Bundesrepublik restriktiver gestalten. Eine vielversprechende Aussage des Mannes, in dessen Aufgabenbereich die Rüstungsexportkontrolle fällt.
Immerhin erweckte der Rüstungsexportbericht 2014, der erste, den Gabriel verantwortet, den Anschein einer Wende. So halbierte sich 2014 unter Gabriels Führung der Wert der Kleinwaffenausfuhr auf 47,43 Millionen Euro – allerdings ausgehend vom Rekordwert des Vorjahres.
Gemäß den Berechnungen des Stockholm International Peace Research Institutes ist Deutschland angesichts rückläufiger Exportzahlen seit 2013 hinter den USA, Russland und nun China auf den vierten Platz zurückgefallen. Klingt gut, ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Denn in Wirklichkeit stieg der Gesamtwert abgelehnter Rüstungsexportanträge unter Ga- briels Ägide lediglich von 9,72 auf 10,04 Millionen Euro. Die Einbußen der deutschen Rüstungsindustrie sind marginal. Schlimmer noch: Mit 60,5 Prozent werden selbst nach offiziellen Angaben weit mehr als die Hälfte aller Rüstungsexportgüter in Staaten exportiert, die weder zur Europäischen Union noch zur Nato zählen.
Bestens funktionierendes Netzwerk
Die blutige Realität sieht so aus, dass in zahlreichen Empfängerländern deutscher Kriegswaffen bewaffnete innere Konflikte toben. Bei Konflikten oder Kriegen an den Landesgrenzen werden vielfach deutsche Waffen eingesetzt – häufig beiderseits der Front. Die Belieferung dieser sogenannten „Drittländer“ mit Waffen hat in den vergangenen Jahren ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Rechtlich betrachtet sind Waffenexporte in sogenannte Drittstaaten allenfalls in begründeten Ausnahmenfällen zum Wohle deutscher Interessen erlaubt. Dessen ungeachtet bricht die Bundesregierung permanent deutsches Recht, indem sie den Ausnahme- zum Regelfall macht.
Der legale Waffenhandel wird weitgehend in regierungsamtlichen Rüstungsexportberichten und neuerdings auch in Veröffentlichungen zu den Exportgenehmigungen des Bundessicherheitsrats publiziert. Ganz anders der illegale Transfer von Kriegswaffen. Hier drohen gemäß Kriegswaffenkontroll- und Außenwirtschaftsgesetz bei Bekanntwerden mehrjährige Haftstrafen. Kein Wunder also sollen illegale Waffendeals jenseits der Öffentlichkeit im Verborgenen stattfinden.
Immerhin brachte die Entwicklung der vergangenen Monate etwas Licht ins Dunkel. Nachdem offenbar qualitativ geminderte Gewehre in hoher Stückzahl an die Bundeswehr und in die Welt verkauft worden waren, wurden Kritiker der damit verbundenen Gefahren bespitzelt. Sie sollten möglichst mundtot gemacht werden.
Auf den Punkt gebracht schreiben wir im Buch „Netzwerk des Todes“: „Von Bestechungsgeldern an Amtsträger im In- und Ausland ist die Rede. Von deutschen Waffenschmieden, die Exportgenehmigungen mit manipulierten Endverbleibszertifikaten erhalten. Von Regenten fragwürdiger Empfängerstaaten, die der Bundesregierung garantieren, deutsche Waffen nicht weiterzuverkaufen, und die sich nicht an die Abmachungen halten. Von deutschen Waffen, die in den Händen von Terrormilizen, Todesschwadronen, von der Mafia beeinflussten Polizisten und Militärs landen.“
Und jetzt wird alles anders? Bundeswirtschaftsminister Gabriel kündigte an, aus der nimmer enden wollenden Skandalchronik Konsequenzen ziehen zu wollen. Gemäß dem Vorbild der USA und der Schweiz sollen zukünftig sogenannte „Post-Shipment“-Kontrollen vor Ort prüfen, ob gelieferte Rüstungsgüter beim vermeintlichen Endempfänger verblieben sind. Diese Aufgabe sollen Angehörige deutscher Botschaften übernehmen. Wird dies genügen? Und sind tatsächlich gefälschte Endverbleibserklärungen die Wurzel des Übels?
Die Fragen müssen tiefgründiger gestellt werden: Wie konnten und können Kriegswaffen ungehindert in Kriegsgebiete, in miteinander verfeindete Staaten, in Länder mit Jahrzehnte währenden Bürgerkriegen geliefert werden? Die Antwort liegt in einem Netzwerk von Rüstungsindustrie, Rüstungsexport-Kontrollbehörden und Politikern, die – wie der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder – gerne im Hintergrund agieren. Das Netzwerk funktioniert seit 2005 in der Ära der Bundeskanzlerin Angela Merkel bestens, daran hat auch der Wechsel im Bundesministerium von den FDP-Politikern Rainer Brüderle und Philipp Rösler hin zum Sozialdemokraten Sigmar Gabriel nichts Grundlegendes geändert.
Fatale Rüstungsexportpraxis
Nach dem deutschen Sondermodell entscheidet der geheim tagende Bundessicherheitsrat über die Bewilligung von besonders brisanten Waffenexportanträgen. Sollten Zweifel an dem vom Empfängerstaat garantierten Endverbleib bestehen, müsste das Gremium den Antrag ablehnen. Vorher werden die Genehmigungsanträge einschließlich Endverbleibs- erklärung von den zuständigen Bundesministerien geprüft.
Die Praxis sieht in vielen Fällen anders aus: Vielfach werden Ausfuhranträge bereits im Vorbereitungsausschuss auf Staatssekretärebene beschieden – so zumeist auch bei den Mexiko-Gewehrdeals. Bedenken von Mitarbeitern in den Behörden, allen voran wegen eklatanter Menschenrechtsverletzungen im jeweiligen Empfängerland, werden wieder fallen gelassen. Argumente werden umgedreht, unbequeme „Bedenkenträger“ diskreditiert und in die Schranken gewiesen, Ausfuhrgenehmigungen werden auf Zuruf erteilt.
Das Buch „Netzwerk des Todes“ deckt ein System auf, das über Jahre und Jahrzehnte hinweg die vermeintlich undurchlässigen Grenzen für illegale Kriegswaffenexporte in die ganze Welt geöffnet hat. Dabei legen uns vorliegende interne Protokolle und Dokumente nahe, dass Beteiligte auf allen Ebenen von den dubiosen Waffenexporten nach Mexiko wussten. „Zugleich widerlegen die Akten die Annahme, Rüstungsfirmen müssten sich problematische Ausfuhrgenehmigungen erschleichen. Im vorliegenden Fall haben alle mitgewirkt: die Ministerien, die Ämter und die Waffenhersteller“, so das Autorentrio Harrich, Harrich-Zandberg und Grässlin im Netzwerk-Buch.
Chancen des neuen Buches und der Filme
Was kann ein Enthüllungsbuch wie das „Netzwerk des Todes“ erreichen? Wir hoffen, mit diesem Buch aufzurütteln und zu erreichen, dass die Kontrollbehörden Waffenhandel endlich strikt überwachen, besser noch konsequent unterbinden. Staatsanwaltschaften müssen ernsthaft ermitteln und bei Rechtsbruch schnellstmöglich Anklage erheben. Dass die Stuttgarter Staatsanwaltschaft bei eindeutiger Informationslage fünfeinhalb Jahre bislang ohne Ergebnis ermittelt, ist ein Skandal für sich. Rechtsbrecher müssen von Gerichten zeitnah bestraft werden.
Das sind die Ziele dieses Buches mit den darin publizierten brisanten Dokumenten, des Spielfilms „Meister des Todes“ und der TV-Dokumentation „Tödliche Exporte – Wie das G36 nach Mexiko kam“ von Daniel Harrich, gesendet am ARD-Themenabend und in zahlreichen Wiederholungen.
In der ersten Ergänzung meiner Strafanzeige gegen H&K (wegen der widerrechtlichen G36-Lieferungen in mexikanische Unruheprovinzen vom 19. April 2010) forderte Rechtsanwalt Holger Rothbauer am 26. November 2012 die Ausdehnung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Diese sollten ausgedehnt werden auf weitere Beschuldigte der zuständigen Abteilungen im Bundeswirtschaftsministerium in Berlin sowie im Bundesausfuhramt in Eschborn wegen Prüfung der vorsätzlichen, rechtswidrigen und schuldhaften Beihilfe durch Unterlassen bezüglich Exportgenehmigungsauflagen sowie Endverbleibsprüfung.
Zurzeit erwägen wir weitere juristische Schritte – diesmal auch gegen Beamte in Behörden. Wir wollen den verhängnisvollen Teufelskreis durchbrechen, in dem sich Regierungen bewegen, die Waffen in eine Region liefern, ohne zu wissen, bei wem diese letztendlich landen.
Noch immer kann der militärisch-industriell-politische Komplex seinen Einfluss geltend machen. Anstatt zumindest den Ausgang der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen abzuwarten oder – noch sinnvoller – sämtliche Geschäftskontakte zum Unternehmen zu kappen, kauft die Bundesregierung weiterhin im Hause H&K ein. Im Einzelplan 14 des Bundeshaushalts sind für das Jahr 2016 beachtliche 16 Millionen Euro für neue Gewehre eingestellt. Ohne weitere Zustimmung des Haushaltsausschusses kann das BMVg auf diese Mittel zugreifen. So wird die Bundeswehr im nächsten Jahr 5 870 neue G36-Gewehre erwerben.
Und das obwohl Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen erst vor einigen Wochen die Ausmusterung eben dieser Sturmgewehre für die Bundeswehr beschlossen hat. Brisant ist diese Tatsache, zumal zuvor mehrere Untersuchungsberichte eben seitens Verteidigungsministerin von der Leyen wegen Treffbildabweichung des G36 bei Erhitzung (Außentemperatur und/oder Dauerfeuer) in Auftrag gegeben wurden. Deren Ergebnisse liegen zurzeit noch nicht vor – bestellt wird dennoch. Das Netzwerk des Todes funktioniert bis heute.
Und es funktionierte in der nahen Vergangenheit – da womöglich sogar im Bereich der Grenzlegalität bin hin zur Illegalität. In den kommenden Wochen sind eine Vielzahl von Fragen zu klären, die den G36-Waffenlieferzeitraum von 2003 bis 2008 betreffen und somit zwei Bundesregierungen. Dabei geht es um Fragen der Verwicklung und Verantwortung von Geschäftsführern und Hauptgesellschafter bei H&K, hohen Beamten in den Kontrollbehörden, von Staatssekretären und Ministern bis hin zu Kanzlern.
Wie hoch reichten bzw. reichen diese Machenschaften beim Mexiko-Waffendeal? Was wussten die zahlreichen Geschäftsführer und was der damalige wie heutige Hauptgesellschafter von Heckler & Koch, Andreas Heeschen? Welche Rolle spielten die früheren Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement und Michael Glos? Welche Rollen kamen den früheren Bundesverteidigungsministern Peter Struck und Franz Josef Jung zu? Welche den früheren Bundesaußenministern Joschka Fischer und Frank-Walter Steinmeier (zugleich der amtierende)? Was wussten die damaligen Staatssekretäre im Verteidigungs-, Außen- Wirtschaftsministerium, und unterstützten sie die illegalen Machenschaften im Mexikodeal? Was wusste Volker Kauder, Wahlkreisabgeordneter in Rottweil (dem H&K-Wahlkreis) und als CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender im Bundestag rechte Hand von Frau Merkel? Und welche Rolle spielten Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundeskanzlerin Angela Merkel, damals und heute Vorsitzende des Bundessicherheitsrates? Die richtigen Fragen sind gestellt. Soll ten die Antworten ausbleiben, müssen die Oppositionsparteien Linke und Grüne reagieren: Dann ist die Zeit gekommen für einen Untersuchungssausschuss im Deutschen Bundestag. Thema: Heckler-Gate – H&K im Netzwerk des Todes von Rüstungskontrollbehörden und Politik.
Handeln gegen Waffenhandel
„Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ hat die Problematik der Kleinwaffen zum Themenschwerpunkt der Kampagne bis zur Bundestagswahl 2017 gemacht. Zum Tag der Deutschen Einheit 2015 startete die Aufschrei-Kampagne ihre neue Unterschriftenaktion. Dabei fordern die mehr als 100 Mitgliedsorganisationen im Aktionsbündnis und im Trägerkreis – dem auch die DFG-VK, dort vertreten durch Stephan Möhrle, maßgeblich angehört – die Bundesregierung auf, den Export von Kleinwaffen und Munition einzustellen.
„Gerade jetzt, wo das Leid der Flüchtlinge uns so nahe kommt, müssen wir uns der politischen Verantwortung Deutschlands für Fluchtursachen stellen. Denn Deutschland ist weltweit einer der führenden Exporteure von Kleinwaffen und Munition. Kleinwaffen wie Pistolen, Maschinenpistolen und Gewehre sind weltweit für mehr Tote, Verletzte und Flüchtlinge verantwortlich als jede andere Waffenart“, kritisierte die Kampagnen-Sprecherin Christine Hoffmann. „So trägt die Bundesregierung direkt zur Verschärfung von Kriegen und gewaltsam ausgetragenen Konflikten bei – genau das ist aber eine der Hauptursachen für Flucht und Vertreibung.“ Pax christi-Generalsekretärin Christine Hoffmann kündigte am 1. Oktober an, Abertausende Unterschriften „gegen diese falsche Politik“ zu sammeln. Denn „wir wollen ein Land mitgestalten, das friedliche Konfliktlösungsmethoden exportiert, der Handel mit Kleinwaffen bewirkt das Gegenteil.“
„Die Grenzen für Kleinwaffen müssen endlich geschlossen werden“, sagte Paul Russmann, Geschäftsführer von Ohne Rüstung Leben und Kampagnensprecher. Russmann forderte im Namen der Kampagne die Bundesregierung auf: „Initiieren Sie ein gesetzliches Verbot für den Export von Kleinwaffen und der zugehörigen Munition. Initiieren Sie ein gesetzliches Verbot für die Vergabe von Lizenzen zum Nachbau von Kleinwaffen und der zugehörigen Munition. Widerrufen Sie bereits erteilte Lizenz-Genehmigungen. Organisieren Sie Rückruf- und Verschrottungsaktionen für bereits gelieferte Kleinwaffen.“
Für die DFG-VK wies ich darauf hin, dass es in Mexiko, Sudan, Kolumbien und vielen weiteren Staaten zu Polizeigewalt, Mafiakriegen und blutigen Konflikten kommt. Was aber hat Deutschland damit zu tun? Genau in diesen Ländern finden sich erschreckend oft die Produkte deutscher Kleinwaffenhersteller wie H&K, Carl Walther und Sig Sauer im Einsatz. Die Zahl der Opfer ist immens hoch. Allein durch eine Kugel aus dem Lauf einer Waffe von H&K stirbt durchschnittlich alle 14 Minuten ein Mensch.
Im neuen Enthüllungsbuch „Netzwerk des Todes. Blutiger Handel – Die kriminellen Verflechtungen von Waffenindustrie und Behörden“ decken wir drei AutorInnen die skandalösen Verwicklungen der deutschen Kontrollbehörden Bundesausfuhramt und Bundeswirtschaftsministerium in illegale Lieferungen von G36-Sturmgewehren nach Mexiko auf. Fälle wie diese belegen die Dringlichkeit unserer Unterschriftenaktion.
Dabei wird immer offensichtlicher: Das Netzwerk des Todes lässt sich nicht durch das Herumdoktern an unwirksamen Kontrollmechanismen durchbrechen, wie das die Bundesregierung in ihren neuen Kleinwaffen-Grundsätzen plant. Denn sind Kleinwaffen und Munition exportiert, dann ist deren Kontrolle unmöglich, wie meine Recherchen über „das Wandern“ der Waffen in der Türkei, Somalia, Kenia und anderen Staaten zeigen.
Mexiko wird in die Annalen der deutschen Rüstungsexporthistorie eingehen als das Land, in dem die Rüstungsexport-Kontrollpolitik restlos versagt hat. Ein halbes Jahrhundert lang folgten die Rüstungsexportgenehmigungen der Vorgabe: Ein Land ist waffen-belieferungsfähig oder nicht. Mexiko war der Testfall einer Erweiterung: Darf ein – aufgrund der Menschenrechts- und Sicherheitslage – eigentlich nicht belieferbares Land wie Mexiko dennoch Kriegswaffen erhalten? Der Trick: Einzelne Bundesstaaten wurden als sicher erklärt, hier sollten die G36-Sturmgewehre verbleiben. Inzwischen stehen die Waffentransfers in das mittelamerikanische Land und die Weiterlieferungen in verbotene Provinzen als das Beispiel schlechthin für das totale Scheitern einer neuen Form des Waffentransfers und seiner Endverbleibskontrolle. Dabei wird offenzulegen sein, wie die Endverbleibskontrolle in anderen Ländern funktionierte. Die Antwort liegt auf der Hand: gar nicht!
Die Schlussfolgerung der Aufschrei-Kampagne: De facto hilft deshalb einzig und allein ein völliges Exportverbot von Kleinwaffen und Munition. Alle anderen politischen Maßnahmen sind politische Schaumschlägerei. Barbiturat fürs Volk, das stillhalten und eben nicht aufschreien soll. Genau deshalb setzt die Aufschrei-Kampagne auf einen völligen Exportstopp von Kleinwaffen und Munition.
Jürgen Grässlin ist DFG-VK-Bundessprecher und Mitautor des Buchs „Netzwerk des Todes“.
Der Artikel erschien in der ZivilCourage 4-2015
Kurze Chronologie des illegalen G36-Deals mit Mexiko
- Beginnend im Jahr 2002 wollte H&K eine neue Generation von Maschinenpistolen und Sturmgewehren auf dem mexikanischen Markt einführen. Die Rahmenbedingungen für die lukrativen Waffendeals waren günstig. Schließlich waren mexikanische Polizisten und Soldaten in dem mittelamerikanischen Land seit Jahrzehnten mit der „Waffenfamilie“ von H&K bestens vertraut.
- Das H&K-Schnellfeuergewehr G3 wird bereits seit 1979 in Lizenz bei der Fábrica de Armas, der einzigen Waffenfabrik Mexikos, nachgebaut, die Maschinenpistole MP5 seit 1980. Drei Jahre danach folgte der Vertrag zur Fertigung des Maschinengewehrs HK21, im Folgejahr der Lizenzvertrag für die Pistole P7. Seither zählen die vier Waffentypen zur Standardausrüstung der mexikanischen Sicherheitskräfte.
- Aus Sicht der Oberndorfer Waffenschmiede war Mexiko ein attraktiver Markt, immerhin stand die Volkswirtschaft von Mexiko 2002 auf Platz 10 der Weltrangliste. Das Land ist mit seiner Wirtschaftskraft das führende Land Lateinamerikas. Unter der Führung des damaligen Präsidenten Vincente Fox soll mit harter Hand (mano dura) gegen den Drogenhandel und die Drogenkartelle vorgegangen werden. Der landesinterne Krieg gegen die organisierte Kriminalität spitzt sich zu, die Bekämpfung der Drogenkartelle findet in nie da gewesener Intensität statt.
- In diesen Jahren sollen die mexikanischen Streitkräfte mit hochmodernen Waffen ausgerüstet werden. Für H&K ein idealer Zeitpunkt für Waffenverkäufe an das Verteidigungsministerium. Dort ist die Sedena, die staatliche Beschaffungsstelle für Waffen und Munition, allein zuständig für Waffenimporte, Verkäufe und die Waffenproduktion innerhalb Mexikos.
- Bestellt und gekauft wird bei der Sedena, Abteilung DCAM. Diese verfügt über ein Verkaufszentrum in der Zona Industria Militar, wo die Waffen vor dem Kauf besichtigt werden können. Staatlich ist auch die zum Verteidigungsministerium gehörende Fábrica de Armas.
- Das Problem der Korruption ist in Mexiko auf allen Ebenen verbreitet. Besagte Monopolstellung macht Ministerien und Behörden wie Sedena und DCAM für Bestechung besonders anfällig. Insofern überraschen auch die Korruptionsvorwürfe eines H&K-Insiders gegen General Humberto Aguilar, den damaligen Chef der Waffenbeschaffungsstelle DCAM, und gegen H&K wenig.
- 2005 ging es weniger um Direktexporte aus Oberndorf, vielmehr reiste eine Delegation des mexikanischen Verteidigungsministeriums zu diesem Zeitpunkt auf den Oberndorfer Lindenhof und ließ sich die Waffenfabrik zeigen. Positiv bilanzierte der Abschlussbericht der Mexikaner zum Firmenbesuch in Deutschland: „H&K ist das Beste.“ Allerdings, und das war und ist spannend, wollten die Mexikaner primär „das G36 zum Selberbauen“. Eine Lizenz also statt der Rüstungsexporte. Entsprechend profitabel war das Auftragsvolumen für H&K in Höhe von mehr als 60 Millionen Euro plus Fertigwaffenverkäufe.
- Die Anzahlung des mexikanischen Verteidigungsministeriums betrug umgerechnet 1,2 Millionen Euro. H&K bestreitet den Erhalt der Anzahlung. Doch die Verhandlungen über die Lizenzproduktion gestalten sich schwierig und langwierig und scheitern letztlich. In den Folgejahren werden dennoch Zehntausende von Sturmgewehren des Typs FX 05 mit Hilfe deutscher Techniker und womöglich H&K-Knowhow in Mexiko gebaut. Wegen des Verdachts des „nicht genehmigten Technologietransfers (G36/FX 05)“ hat Rechtsanwalt Holger Rothbauer am 21. Februar 2014 in meinem Namen eine weitere Strafanzeige gestellt
Jürgen Grässlin
Korruption, Mord und Menschenrechtsverletzungen in Mexiko – deutsche G36-Gewehre und 43 LehramtsstudentInnen als Opfer
26. September 2014. Der Tag beginnt wie jeder andere am Lehrerseminar von Ayotzinapa. In entlegenen Dorfschulen im mexikanischen Bundesstaat Guerrero absolvieren Studenten Praktika. Dabei gehören das Kapern von Bussen, Demonstrationen, provokante Parolen und Wandschmierereien zum Protestritual der jungen Menschen, auch gegen die staatliche Bildungspolitik. Das Bussekapern ist Aufgabe der Erstsemester, wie der Berliner Journalist Wolf-Dieter Vogel, einer der versiertesten Mexiko-Kenner in Deutschland, berichtet. Vogel verweist auf die besondere Lage in dem lateinamerikanischen Land.
Die Situation ist nicht vergleichbar mit der Deutschlands. In vielen mexikanischen Regionen zählt staatliche Ordnung wenig. Gemäß Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen arbeiten mehr als 70 Prozent aller Gemeinden mit Drogenkartellen zusammen. Selbst Polizisten töten im Auftrag der Mafia, korrupte Politiker erhalten Schmiergelder von Kartellen.
An diesem 26. September sammeln sich etwa hundert 17- bis 22-Jährige am Busbahnhof der Provinzstadt Iguala, sie nehmen drei Reisebusse in ihre Gewalt. Gegen 21 Uhr 30 Uhr fahren die Studenten in den drei gekaperten Bussen durch Iguala. Auf dem dortigen Hauptplatz besuchen sie eine politische Veranstaltung. Die Ehefrau des Bürgermeisters, María de los Ángeles Pineda Villa, hält eine Rede. Die Polizei stoppt die Busse, kesselt die jungen Leute mit sechs Einsatzfahrzeugen ein. Sofort eröffnen die Polizisten das Feuer auf die Studenten. Vier unbeteiligte Passanten sterben, darunter ein Kind und ein alter Mann.
Mit Gewehren im Anschlag dringen Polizisten in die Busse ein. Einigen der Studenten gelingt die Flucht. Andere weigern sich, die Busse zu verlassen. Sie werden verhaftet. In dem Chaos verlagert sich der Tatort an eine Straßenkreuzung im nördlichen Iguala, wo zwei der Studenten von Personen in Zivil erschossen werden. Die spätere Auswertung der Ermittlungsakten ergibt, dass sowohl lokale Polizei als auch Militär und Bundespolizei an der Erschießung von Studenten beteiligt gewesen sind.
Am zweiten Tatort, der Straßenkreuzung, verliert sich die Spur von 43 Studenten des Lehrerseminars von Ayotzinapa. Sie sind von Polizisten verschleppt worden. Gemäß Generalstaatsanwaltschaft tragen der Bürgermeister von Iguala und dessen Ehefrau die Verantwortung für diese Tat. So habe der Bürgermeister José Luis Abarca die örtliche Polizei und Mitglieder des Drogenkartells „Guerreros Unidos“ angewiesen, die Studenten abzufangen. Pro Monat zahlten die Guerreros Unidos dem Bürgermeister von Iguala umgerechnet 50000 Euro Schmiergeld. Damit haben sie Herrschaft über die mexikanische Stadt.
Die Ehefrau des Bürgermeisters, Pineda Villa, soll selbst aus einer Drogenhändlerfamilie stammen und die örtliche Chefin der „Guerreros Unidos“ sein.
Der Bürgermeister, seine Frau und der Sicherheitschef von Iguala sollen untergetaucht sein. Gegen sie werden Haftbefehle erlassen. 52 Polizisten, Verwaltungsmitarbeiter und Bandenmitglieder sind festgenommen worden.
Zwei Wochen nach dem Verschwinden der 43 Studenten meldet die Ermittlungsbehörde, die Polizei habe nahe Iguala Massengräber mit 28 Leichen der vermissten Studenten entdeckt. Doch Rechtsmediziner widerlegen die Behauptung: Unter den Toten finden sich Kinder und alte Leute. Bei den Toten handelt sich unter anderem um eine vermisste Familie aus Iguala.
Darauf behauptet der Generalstaatsanwalt, die entführten Studenten seien auf der Müllhalde von Cucula verbrannt worden. Tatsächlich wurden verbrannte Leichenteile gefunden und zur Analyse an das Gerichtsmedizinische Institut in Innsbruck geschickt werden. Mittels eines Zahnes kann die Identität eines Studenten von Ayotzinapa bestätigt werden. Der 19-jährige Alexander Mora Venancio hatte im dritten Reisebus gesessen. Seine Identität konnte als einzige bisher glaubhaft geklärt werden. Neuere Erkenntnisse zur Tat liegen nicht. Die Ermittlungen sind ins Stocken geraten. Daran hat auch der Wechsel in der Generalstaatsanwaltschaft nichts geändert. Heute erinnern 43 leere Stühle im Lehrseminar Ayotzinapa an die 43 Studenten.
Interview mit dem Rechtsanwalt Alejandro Ramon
Für das Buch „Netzwerk des Todes“ erzählt Alejandro Ramon, Rechtsanwalt und Vertreter der Menschenrechtsorganisation in Tixtla (im Bundesstaat Guerrero) dem Filmemacher Daniel Harrich: „In der Nacht vom 26. auf den 27. September 2014 hat die Staatspolizei in Iguala auch deutsche Waffen benutzt. Sie sind aber verboten in Guerrero.“ Ramon weiß, dass diese Waffen nicht in Bundesländern mit sozialen Unruhen benutzt werden dürfen. „Nichtsdestotrotz steht in der Akte, dass diese Waffen in Guerrero sind. Und dass die Stadtpolizei 56 dieser deutschen Waffen hatte. Einige davon in der Nacht vom 26. auf den 27.“
Nachweislich schossen mindestens zwei der verhafteten Polizisten mit deutschen Waffen. Außerdem gebe es vier weitere Polizisten, die mitgemacht haben und diese Waffen bei sich hatten. Noch kann man nicht beweisen, dass die organisierte Kriminalität – in Iguala die Guerreros Unidos – deutsche Waffen benutzen. Aber es sei „üblich, dass wenn diese Waffen in Mexiko eingeführt wurden, sie dann auch in den Händen der organisierten Kriminalität sind“. In einem anderen Fall in Pechaquillas nahm die Kommunalpolizei Fusdeg einem Mitglied der organisierten Kriminalität die Waffen weg. „Und es war eine dieser deutschen Waffen. Das heißt, dass die organisierte Kriminalität auch diese Art von Waffen hat. Deutsche Waffen“, bestätigt Rechtsanwalt Ramon. Sein Resümee: „Das Massaker an den 43 Lehramtsstudenten von Ayotzinapa ist weit mehr als ein Verbrechen. Es zeigt der Welt einmal mehr die folgenschwere Verbindung zwischen korrupten Politikern, Sicherheitskräften und Kriminellen.“
Immerhin: Mittlerweile hat die Generalstaatsanwaltschaft von Guerrero die Ermittlungen wegen der Tötung von sechs Personen in Iguala aufgenommen. Und die Bundesanwaltschaft in Mexiko-Stadt hat die Suche nach den 43 Studenten übernommen. Fortschritte gibt es noch keine. Vom Einsatz deutscher Waffen gegen die Studenten in Iguala will die oberste Ermittlungsbehörde in Mexiko-Stadt nichts erfahren haben. Und das obwohl die Akten zweifelsfrei belegen: unter den bei der lokalen Polizei in Iguala sichergestellten Asservaten der Staatsanwaltschaft befinden sich 38 G36-Sturmgewehre.
Jürgen Grässlin ist Bundessprecher der DFG-VK
weitere Informationen und Kontakte zu Vortragsreisen u.a. über http://www.juergengraesslin.com/
„Netzwerk des Todes“
Neues Buch enthüllt die kriminellen Verflechtungen
von Rüstungsindustrie, Behörden und Politik
Von Jürgen Grässlin
Der Politthriller „Netzwerk des Todes“ von Jürgen Grässlin, Daniel Harrich und Danuta Harrich-Zandberg (zur TV-Dokumentation „Tödliche Geschäfte“ von Daniel Harrich) kann ab sofort im Buchhandel bezogen werden (Heyne-Verlag; 384 Seiten; 16,99 Euro). Das Buch birgt angesichts der Hintergrundrecherchen und publizierten Faksimiles (u.a. vertrauliche Dokumente von H&K und den Rüstungsexport-Kontrollbehörden; die in diesem Artikel abgedruckten Dokumente und Faksimiles sind dem Netz-werk-Buch entnommen) jede Menge politischen Sprengstoff.
Die drei AutorenInnen stehen für Filmvorführungen mit Diskussion und für Buchlesungen zur Verfügung. Zahlreiche Vorführungen und Lesungen sind bereits vereinbart. Kontakt zum DFG-VK-Bundessprecher Jürgen Grässlin: Telefon 0761- 767 82 08, Mobil 0170-611 37 59, E-Mail graesslin@dfg-vk.de; weitere Informationen im Internet www.juergengraesslin.com
Stefan Philipp