Berlin 2013; 52 Seiten; 4 Euro von Stefan Philipp
„Der Staat selbst hat an der Militärseelsorge ein echtes Eigeninteresse. Denn der Wert seiner Streitkräfte hängt vom Charakter und seelischen Einstellung der Soldaten nicht weniger ab als vom waffentechnischen Ausbildungsstand. Diese Eigenschaften werden aber bei den meisten Menschen von der religiösen Grundhaltung bestimmt.“ So wurde es bereits 1954 vor der Aufstellung der Bundeswehr in der Dienststelle Blank, der Vorläuferorganisation des Bundesministeriums der Verteidigung – formuliert, und dieses Interesse besteht auch noch heute; und es ist zweiseitig – vom Staat und von den Kirchen. Deshalb gibt es bei der Bundeswehr jeweils ca. 100 evangelische und katholische Militärpfarrer, Militärdekane und Militärbischöfe. Die Militärpfarrer, sämtlich Bundesbeamte, sind auch bei allen Auslandseinsätzen dabei. Bezahlt werden sie aus Steuermitteln, zwischen 30 und 40 Millionen Euro pro Jahr gibt die Bundesrepublik für die Militärseelsorge aus.
Die Internationale der Kriegsdienstgegner/innen (IDK), eine der deutschen Sektionen der War Resisters´ International, die die Militärseelsorge seit jeher kritisiert, hat nun in einer kleinen Borschüre Argumente zusammengetragen.
Im einleitenden Artikel „Zur Situation der Militärseelsorge in Deutschland“ stellt der IDK-Vorsitzende und Herausgeber Wolfram Beyer die Ergebnisse einer Parteien-Befragung dar. Im Vorfeld der Bundestagswahl hatte die IDK alle damals im Bundestag vertretenen Parteien zu deren Position zur Militärseelsorge befragt. Der ausführliche Fragenkatalog wurde von allen beantwortet, wobei Beyer feststellt, dass sich die „Antworten von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen kaum und nicht grundsätzlich“ unterscheiden. „Diese Parteien wollen nicht die Militärseelsorge abschaffen“. Lediglich „vorsichtige Reformen und Sichtweisen werden von Bündnis 90/Die Grünen angedacht. So sei die Militärseelsorge keine originäre staatliche Aufgabe und eine staatliche Finanzierung sei auch nicht zwingend erforderlich.“ Einzig Die Linke fordert die Abschaffung der Militärseelsorge.
Der freie Autor und Publizist Carsten Frerk gibt in seinem Beitrag einen Überblick über „Geschichte, Aufgaben und Finanzierung der Militärseelsorge“. Sein Beitrag wurde für die Borschüre aus dem 2010 erschienen „Violettbuch Kirchenfinanzen. Wie der Staat die Kirchen finanziert“ übernommen.
Der frühere Militärpfarrer und heutige Vorsitzende des Versöhnungsbunds Matthias Engelke setzt sich in seinem Beitrag „Der Kriegsdienst der Militärseelsorge“ damit auseinander, ich welchem Kontext die Militärseelsorger ihre Aufgabe gestalten und ob es dabei auch übergeordnete religiöse Bezüge gibt.
Im ausführlichsten Beitrag der Broschüre stellt Franz Nadler, DFG-VK-Mitglied und aktiv bei Connection e.V., unter der Überschrift „Pazifistische Kritik – Kirche und Staat, Partner für den Krieg“ die wesentlichen Argumente aus pazifistischer Sicht zusammen. Er gliedert das in die Abschnitte „Kirchen und Krieg“, „Kriegsdienstverweigerer und Kirche im III. Reich“, „Kirche und Remilitarisierung in der BRD nach 1945“, „Die evangelische Kirche und die Kriegsdienstverweigerung“, „Der Staat und die Militärseelsorge“ sowie „Streit um Reform des Militärseelsorgevertrages“ und ergänzt seine Ausführungen mit Exkursen zu „Katholische Kirche und Kriegsdienstverweigerung“, „Kirchen und Zivildienst“ und „Der Lebenskundliche Unterricht“.
Dem Beitrag ist anzumerken, dass er wohl die Überarbeitung eines Texts zu einem Kongress gegen eine staatlich getragene Militärseelsorge ist, der 1992 in Leipzig stattgefunden hat. Nicht überall ist es gelungen, den Ausgangstext auf den aktuellen Stand zu bringen, der als SPD-Bundestagsabgeordneter zitierte Thomas Krüger ist seit 2000 Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung und war nur bis 1998 Parlamentarier. Solche kleineren Fehler ändern aber nichts daran, dass die pazifistische Kritik an der Militärseelsorge und der engen Verbindung von Kirche und Staat im Kern dieselbe geblieben ist – zurecht.
Ganz auf der Höhe der Zeit ist der von Rainer Schmid verfasste Beitrag über die von ihm initiierte Ökumenische Initiative zur Abschaffung der Militärseelsorge. Schmid ist Mitglied in der DFG-VK und im Versöhnungsbund – und evangelischer Pfarrer in Württemberg. Dass er mit seiner militärseelsorge- und generell militärkritischen Position in der konservativen württembergischen Landeskirche Schwierigkeiten hat, ist nicht verwunderlich. Die Initiative richtet sich generell gegen die Zusammenarbeit von Kirche und Militär, national und international – Mitte 2014 soll in Konstanz bei der Jubiläumsveranstaltung des Internationalen Versöhnungsbundes, der vor 100 Jahren gegründet wurde, ein weltweites ökumenisches Netzwerk zur Abschaffung der Militärseelsorge geschaffen werden.
Insgesamt ist die Broschüre eine wichtige Kurzdarstellung für alle, auch und vor allem Kirchenmitglieder, die den Widerspruch von Kriegführung und christlicher Ethik auflösen wollen.
Veröffentlicht in ZivilCourage 2013/5 im Dezember 2013
von Stefan Philipp