von Roman Deckert
Im Sudan herrscht seit einem halben Jahrhundert Bürgerkrieg, nur von 1972 bis 1983 gab es einen fragilen Frieden. Zwei Kriege im Süden haben 2,5 Millionen Zivilisten das Leben gekostet, der seit langem schwelende Konflikt in der Westregion Darfur hat bis zu 300.000 Menschen den Tod gebracht. Trotzdem wurde der Vielvölkerstaat bis vor wenigen Jahren mit deutschem Kriegsgerät vollgepumpt. Wie kam es dazu?
Für die Strategen des „Kalten Krieges“ hatte der größte afrikanische Flächenstaat, der 1956 als zweites Land des Kontinents die Unabhängigkeit erlangte, hohe geostrategische Bedeutung. Dies vor allem als „Hinterhof“ Ägyptens, da der Nil auf seiner längsten Strecke durch den Sudan fließt. Vor diesem Hintergrund wurde die Bundesrepublik Deutschland bald ein Hauptpartner des sudanesischen Militärs und der Polizei- und Geheimdienste. Dokumente aus deutschen, britischen und amerikanischen Archiven beweisen, dass die Bonner Verantwortlichen dabei keineswegs als Handlanger der Alliierten agierten, sondern aus rein deutschlandpolitischen Motivenvollkommen eigenständig vorgingen. Die Aktivitäten waren so umfangreich, dass hier nur die wichtigsten Stationen skizziert werden können:
Bereits 1959, kurz nach dem Putsch der sudanesischen Militärs, errichtete die bundeseigene Firma Fritz-Werner (Geisenheim) bei Khartoum eine Munitionsfabrik für das NATO-Kaliber 7,62 mm.
Ende 1961 bewilligte das Verteidigungsministerium unter Franz-Josef Strauss ein Hilfspaket im Rekordumfang von DM 120 Mio. Die sudanesischen Streitkräfte wurden komplett neu ausgerüstet: von Noten für Marschmusik über Stahlhelme, Pistolen, Maschinenpistolen, G3-Sturmgewehre von Heckler & Koch (12.165 Stück), Bazooka-Panzerfäuste, Maschinengewehre MG42 von Rheinmetall, Mörser, Gebirgshaubitzen, die dazugehörige Munition, fast 1.200 Fahrzeuge (v.a. Mercedes-Benz-LKW, Unimogs) bis hin zu Dornier-Flugzeugen einschließlich entsprechender Ausbildungsprogramme. 1963 schenkte die Hardthöhe der sudanesischen Junta darüber hinaus noch 97 britische Spähpanzer.
Auch nach dem Sturz der Militärdiktatur und dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen von 1965 wurde weitergeliefert, so z.B. 10.000 G3 und 1.000 MG42. Fritz-Werner durfte Hunderte Tonnen Munition exportieren, selbst als der Sudan 1969 als erstes afrikanisches Land die DDR dauerhaft anerkannte. Nicht minder skrupellos verhielten sich die Ost-Berliner Machthaber. Bis 1971 versorgte die Stasi die sudanesischen Militärs mit 3.600 Handfeuerwaffen und massenhaft Munition.
Kurz darauf erreichte die Militärkooperation zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Sudan einen neuen Höhepunkt mit der Lieferung weiterer G3-Arsenale und Hunderter Magirus-LKW. Offiziell wurden die Waffenexporte zwar 1977 gestoppt, weil der Sudan eritreische Rebellen unterstützte. Aber die Bonner Rüstungsexportkontrolleure ignorierten geflissentlich, dass G3 als Bausätze und aus saudischer Lizenzproduktion in den Sudan gelangten. 1980 erhielt die sudanesische Polizei zwanzig MBB 105 Hubschrauber, die offenbar in „Gunships“ umgerüstet wurden. Ein Bundeswehr-Team leitete den Aufbau einer zentralen Armee-Werkstatt in Khartoum, auch nachdem Diktator Nimeri 1983 eine brutale Form des Islamrechts eingeführt hatte und der zweite Bürgerkrieg im Südsudan ausgebrochen war. Während 1984/85 in Darfur eine verheerende Hungersnot wütete, verhandelte der Ost-Berliner KoKo-Chef Alexander Schalck-Golodkowski gleichzeitig mit der Regierung in Khartoum und den südsudanesischen SPLA-Rebellen über Waffendeals. Obwohl sich auch nach Nimeris Sturz die Menschenrechtslage katastrophal entwickelte, setzten die Bonner Militärs die Kooperation fort. Die Hardthöhe verlängerte das Engagement selbst nach dem Putsch der islamistischen Militärs von 1989 mehrmals und stellte es erst 1993 ein. Außerdem lieferte der Iran 1991 50.000 G3-Gewehre aus eigener Lizenzproduktion in den Sudan, Daimler-Benz verkaufte 1992 100 Militär-Unimogs dorthin, und Fritz-Werner versorgte die Munitionsfabrik bis zur Verhängung eines EU-Waffenembargos 1994 weiter.
Alle Bundesregierungen haben systematisch das wahre Ausmaß dieser Aktivitäten gegenüber den Bürgern verschleiert. Die Politik und die Öffentlichkeit müssen sich bewusst machen, dass Deutschland eine massive Mitverantwortung an dem sudanesischen Elend trägt. Dies ist um so dringender, als sich die Bundeswehr an den aktuellen Einsätzen von Afrikanischer Union und Vereinten Nationen im Sudan beteiligt.
(geschrieben etwa 2005/2006)
Roman Deckert ist Mitglied der DFG-VK und Vorstand des Rüstungsinformationsbüro Freiburg (RIB e.V.)
Er forschte an der Uni Bochum über die deutsch-sudanesischen Beziehungen von 1945 bis 1990, arbeit zum Thema Kleinwaffen in der DFG-VK und beim http://www.bits.de