Der Entwurf des Koalitionsvertrags zwischen CDU/CSU und SPD offenbart eine massive Aufrüstung und Militarisierung. Die „Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen“ (DFG-VK) kritisiert, dass der Vertrag Militär zum zentralen Mittel der Außen- und Sicherheitspolitik macht – die Friedensorganisation beleuchtet dazu sieben Punkte des Koalitionsvertrags.
Rüstungsexporte: Neue Rekorde absehbar
Der Export von Kleinwaffen (Gewehre und Pistolen) ist in der letzten Großen Koalition um 47 Prozent gestiegen, deutsche Waffenexporte an die besonders problematischen Drittländer – also an nicht EU- oder NATO-Staaten – wurden massiv auf über 60 Prozent ausgeweitet. Tödliche Exporte, deren dramatische Folgen gerade deutlich beim Vorgehen der türkischen Armee gegen die Kurden in Nordsyrien mit von Deutschland gelieferten „Leopard 2“-Kampfpanzern zu sehen sind, werden nicht dauerhaft unterbunden. Stattdessen sollen sogar noch Altaufträge an aktuelle Kriegsparteien wie Saudi-Arabien und weitere Staaten, die Krieg gegen den Jemen führen, umgesetzt werden. Rüstungsexperte und DFG-VK-Sprecher Jürgen Grässlin ist empört: „Mit diesem Koalitionsvertrag hat die Große Koalition von CDU, CSU und SPD die Chance verspielt, einen Richtungswechsel in der deutschen Rüstungsexportpolitik einzuleiten.“ Für den Koalitionsvertrag findet er deutliche Worte: „Wird dieser Vertrag umgesetzt, dann schreitet das Massenmorden mit deutschen Kriegswaffen auf den Schlachtfeldern der Welt nahezu ungebremst voran.“ Als Mitglied des Trägerkreises der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“ fordert die DFG-VK ein im Grundgesetz festzuschreibendes Verbot aller Waffenexporte.
Auslandseinsätze: Teure Kriegseinsätze ohne Ziel
Die Bundeswehr-Einsätze in Mali und Afghanistan sollen laut Koalitionsvertrag fortgeführt werden, die Mission im Nord-Irak wird sogar als erfolgreich betitelt – dabei steht zwar die Terror-Organisation „Islamischer Staat“ aktuell kurz vor dem Kollaps, dafür hat sich der Krieg zwischen anderen Konfliktparteien aber intensiviert. Dazu der DFG-VK-Bundessprecher Thomas Carl Schwoerer: „Der Krieg gegen den Terror ist gescheitert und führt nur zu einem Fortgang der Spirale der Gewalt.“ Ein nachhaltiger Frieden sei militärisch nirgendwo zu erzielen: „Zwar wollen die Koalitionsparteien auch für zivile Konfliktlösung und Entwicklungszusammenarbeit mehr Geld ausgeben, im Vergleich zu den Milliarden für das Militär ist das aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, so Schwoerer. Das geistlose Paradigma des militärischen Vorgehens werde in dem Vertrag manifestiert.
Aufrüstung: Immer mehr Geld fürs Militär
Das von der NATO geforderte Militärbudget von zwei Prozent des BruttoInlandsProdukts wollen die Koalitionäre erfüllen: „Das heißt für Deutschland nahezu eine Verdoppelung der Militärausgaben“, so DFG-VK-Bundessprecherin Katharina Müller. Bereits heute seien die Verteidigungsausgaben mit über 37 Milliarden Euro der zweitgrößte Einzelposten im Bundeshaushalt: „Während im Sozialen- und im Bildungsbereich seit Jahren gespart wird, darf sich das Militär über immer neue Milliarden freuen und weiß gar nicht mehr wohin mit dem Geld“, so Müller. Die Steigerung des Militäretats bedeute zudem eine heimliche Subventionierung der Rüstungsindustrie.
Drohnen: Ein Schritt zur Bewaffnung
Im Rahmen der „Europäischen Verteidigungsunion“ möchten die Koalitionäre die Entwicklung einer möglicherweise bewaffnungsfähigen „Euro-Drohne“ fortsetzen. Als „Übergangslösung“ sollen nicht-bewaffnete Drohnen des Typs „Heron TP“ geleast werden, deren nachträgliche Bewaffnung nur „nach ausführlicher völkerrechtlicher, verfassungsrechtlicher und ethischer Würdigung“ des Einsatzes dieses umstrittenen Waffensystems durch den Bundestag bewilligt werden darf. „Durch eine Verfügbarkeit von Killerdrohnen wäre die Hemmschwelle zum Töten und damit in Konflikte einzutreten gesenkt“, erklärt dazu Elsa Rassbach, Vertreterin der AG Kampfdrohnen in der DFG-VK: „Eine Beschaffung von bewaffnungsfähigen Heron TP Drohnen vor der erforderlichen grundsätzlichen Prüfung durch den Bundestag wäre unsinnig und verschwenderisch.“ Sie fügt hinzu, dass die nochmals im Koalitionsvertrag von 2018 bestätigte „kategorische“ Ablehnung von völkerrechtswidrigen Drohnen-Tötungen „konsequent zur sofortigen Beendigung und zur juristischen Verfolgung jeder Beihilfe dabei im deutschen Hoheitsgebiet führen muss. Fluchtursachen bekämpfen heißt Drohnenkrieg bekämpfen“, so Rassbach.
Rekrutierung: Weiter Minderjährige an Waffen
2017 hat die Bundeswehr 2.128 Minderjährige an der Waffe ausgebildet. Die Zahl der 17-Jährigen bei der Bundeswehr hat sich damit ab 2011 mehr als verdreifacht – mittlerweile sind etwa zehn Prozent der jährlichen neuen Soldatinnen und Soldaten minderjährig. Obwohl sich die SPD-Bundestagsfraktion in einem Positionspapier im Juni 2017 für das „Straight 18“-Ziel – also die ausschließliche Ausbildung Volljähriger an Waffen bei der Bundeswehr – ausgesprochen hat, fehlt das Thema im Koalitionsvertrag komplett. Dazu Michael Schulze von Glaßer, der politische Geschäftsführer der DFG-VK: „Bereits 2014 haben die Vereinten Nationen von der Bundesregierung eine Änderung der Rekrutierungspraxis und ein Ende der auf Kinder und Jugendliche abzielenden Armee-Werbung gefordert – die Koalitionäre ignorieren das Thema einfach und treten damit die Kinderrechte und die internationalen Standards mit Füßen.“ Als Teil des „Deutschen Bündnis Kindersoldaten“ hat die DFG-VK im vergangenen Jahr über 30.000 Protest-Unterschriften für „unter 18 nie“ an Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen übergeben.
Atomwaffen: Floskeln statt Atomwaffenverbot
Als „enttäuschend“ bezeichnet Roland Blach, Landesgeschäftsführer der DFG-VK Baden-Württemberg, die Formulierungen zum Thema „Massenvernichtungswaffen“ im Entwurf des Koalitionsvertrags: „Die Passagen sind ein Inbegriff von Mutlosigkeit und absolut rückwärtsgewandt“, so Blach, der die Kampagne „Büchel ist überall – atomwaffenfrei jetzt“ betreut. In dem Papier sei mit keinem Wort der im vergangenen Jahr bei der Vereinten Nationen beschlossene Atomwaffen-Verbotsvertrag genannt: „CDU, CSU und SPD weigern sich weiterhin den Vertrag zu unterzeichnen und auch der Abzug der letzten US-Atomwaffen aus dem rheinland-pfälzischen Büchel wurde auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben.“ Statt offen Kritik an der neuen Atompolitik des US-Präsidenten Donald Trump zu äußern schieben die Koalitionäre Russland den schwarzen Peter zu: „So wird dem Wettrüsten Tür und Tor geöffnet“, bemängelt Blach. Auch wenn andere Staaten weiter an Atomwaffen festhalten würde, könnte Deutschland den wichtigen Schritt gehen und sich für eine atomwaffenfreie Welt aussprechen und einsetzen.
PESCO: Auf dem Weg zur EU-Armee
Mit den schönen Worten „Friedenssicherung, Entspannung und zivile Krisenprävention“ wird im Koalitionsvertrag der Auf- und Ausbau des EU-Militärbündnisses PESCO (Permanent Structured Cooperation) beschrieben. Dabei stehe das neue Bündnis für etwas ganz Anderes: „Die Armeen in der EU werden vereinheitlicht um europäische Interessen in Zukunft auch weltweit mit Waffengewalt durchsetzen zu können“, erklärt Ralf Buchterkirchen, DFG-VK-Bundessprecher, zum entsprechenden Abschnitt des Koalitionsvertrags. Es gehe darum die Streitkräfte in der EU zu einer „Weltpolizei“ nach Vorbild der US-Armee umzubauen: „Und zu was das führt kann man im Nahen- und Mittleren-Osten sehen, der immer wieder durch ausländische Militärinterventionen destabilisiert wird“, so Buchterkirchen.
Insgesamt zeigt sich die DFG-VK ob des neuen Koalitionsvertrags besorgt: Eine friedlichere Welt wird es mit dieser Bundesregierung nicht geben – ganz im Gegenteil.
Bei Fragen und für Interviews stehen wir gerne zur Verfügung:
Jürgen Grässlin: 01706113759; graesslin@dfg-vk.de
Thomas Carl Schwoerer: schwoerer@dfg-vk.de
Katharina Müller: mueller@dfg-vk.de
Elsa Rassbach: 01707381450; elsarassbach@gmail.com
Michael Schulze von Glaßer: 017623575236; svg@dfg-vk.de
Roland Blach: 0177-2507286; blach@dfg-vk.de
Ralf Buchterkirchen: buchterkirchen@dfg-vk.de
Deutsche Friedengesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, Stuttgart, 9. Februar 2018