Mögliche Veränderungen der US-Außen-, Sicherheits- und Militärpolitik ab 2021.
von Andreas Zumach
Wer erinnert sich noch an den ersten Präsidentschaftswahlkampf von Donald Trump im Jahr 2016? Trotz seines Sexismus und Rassimus´, die der New Yorker Immobilienhai schon damals ganz unverblümt demonstrierte und trotz seiner aggressiven Töne gegenüber China hielt so mancher Beobachter in Europa – auch in der Schweiz – Trump damals aus friedensbewegter/politischer Sicht für die bessere Option als seine Gegenkandidatin Hillary Clinton. Denn diese hatte in der Vergangenheit mehrfach Kriege und militärische Interventionen der USA befürwortet: darunter 2003 als Senatorin in Washington den völkerrechtswidrigen Irak-Krieg von Präsident George Bush und 2011 als Außenministerin von Barak Obama die militärische Intervention in Libyien.
Trump hingegen, der 2016 erstmals überhaupt nach einem politischen Amt strebte, versprach im Wahlkampf, als künftiger Präsident auf weitere militärische Interventionen zu verzichten, die USA „aus den Händeln dieser Welt“ herauszuhalten und die amerikanischen Truppen aus den Kriegen und Besatzungsmissionen in fernen Ländern nach Hause zu holen. Das kam auf beiden Seiten des Atlantiks sowohl bei Linken und Friedensbewegten gut an wie auch bei isolationistisch gestimmten Rechten innerhalb wie außerhalb der Republikanischen Partei der USA. Trumps seit Juli 2016 wiederholte Erklärungen, die NATO sei „obsolet“ , die europäischen Verbündeten müssten selber für ihre Sicherheit sorgen und könnten sich nicht mehr auf die (nukleare) Beistandsgarantie der USA verlassen, schürten bei manchen Gegnern und Kritikern der Militärallianz sogar die Hoffnung auf ihren baldigen Zerfall.
Die Realität seit Trumps Amtsantritt am 21. Januar 2017 sah dann sehr anders aus. Der Präsident entpuppte sich als Wolf im Schaftspelz.
Einen neuen heißen Krieg hat Trump zwar bis zum Redaktionsschluss dieses Artikels am 25. November 2020 nicht begonnen. Und die Zahl der in Auslandseinsätzen im Irak, Afghanistan und Syrien befindlichen US-Soldaten hat er zumindest reduziert. Zugleich wurde die Zahl der in Saudi-Arabien und anderen sunnitischen, mit Iran verfeindeten Golfstaaten stationierten US-Soldaten allerdings erhöht – worüber das Pentagon seit 2017 keine öffentlichen Angaben mehr macht. Doch von der Führung neuer Kriege und der Zahl der in Auslandseinsätzen befindlichen US-Soldaten abgesehen hat die Trump-Administration auf fast allen Feldern der internationalen Beziehungen der USA – Außen-, Sicherheits-, Militär-, Rüstungs-, Handels- und Umweltpolitik – eine gefährliche Linie der Konfrontation und Konfliktverschärfung betrieben. Und dies unter massiver Verletzung und Missachtung von Völkerrecht, multilateralen Verträgen und Institutionen sowie von Normen und Regeln internationaler Kooperation. Das gilt unter anderem für sämtliche Maßnahmen der Trump-Administration mit Blick auf den Konflikt Israel/Palästina; für die „sekundären Sanktionen“ gegen Unternehmen und Banken in Drittstaaten, die Wirtschaftsbeziehungen mit Iran unterhalten sowie für die Sanktionen und entsprechenden Drohungen gegen Unternehmen, die am Bau der Nord-Stream-2-Pipeline beteiligt sind; für Trumps „Nukleares Feuer“-Vernichtungsdrohung gegen Nordkorea in einer Rede vor der UN-Generalversammlung; für die Drohungen gegen Staatsanwälte und Richter des Internationalen Strafgerichtshofes, um diese von Ermittlungen und Verfahren zu Kriegsverbrechen von US-Soldaten und Geheim(dienst)agenten abzuhalten; für die Blockade der Neubesetzung von Richterposten für die Schiedsverfahren bei der Welthandelsorganisation (WTO).
Der künftige Präsident Joe Biden unterscheidet sich heute zumindest in seinem Stil und Umgangston deutlich und wohltuend von seinem Vorgänger. Dasselbe gilt für seine Vizepräsidenten Kamala Harris im Vergleich zum bisherigen Vizepräsidenten Mike Pence, dem gefährlichsten Ideologen in der Trump-Administration. Dass Biden im Vorwahlkampf der demokratischen Präsidentschaftsbewerber im Jahr 2008 seinen damaligen Rivalen Barack Obama in rassistischer, Trump-ähnblicher Manier als „den ersten gewaschenen, artikulationsfähigen und im Kopf mal hellen Mainstream-Afroamerikaner“ verhöhnte, scheint längst vergessen. Im Kontrast zu Trump wird Biden in vielen medialen Erzählungen dieser Tage unter Verweis auf seine Zeit als Senator in Washington (1973-2009) sowie als Vizepräsident von Barak Obama (2008-2016) als Brückenbauer zwischen verschiedenen politischen Lagern beschrieben, als kompromissfähig sowie als Befürworter multilateraler Kooperation mit anderen Staaten. In diesem Bild des künftigen US-Präsidenten fehlen allerdings wichtige Puzzle-Teile: Biden unterstützte – ebenso wie Hillary Clinton – den völkerechtswidrigen Irak-Krieg von 2003. Erst 2007 distanzierte er sich von dieser Position. Und als Vizepräsident warb Biden im März 2011 bei seinem Chef Obama für eine militärische Intervention in Libyien. Auch Bidens damaliger Sicherheitsberater Anthony Blinken, der jetzt Außenminister werden soll, vertrat diese Linie, ebenso wie der für den Posten des nationalen Sicherheitsberaters vorgesehene John Sullivan, der 2011 Chef des Planungsstabes von Außenministerin Clinton war.
Bei der von ihm befürworteten multilateralen Kooperation beansprucht der künftige US-Präsident allerdings die „Führungsrolle“ für die USA, wie er in einem Fernsehinterview am 24. November nach der Ernennung seiner KandidatInnen für die wichtigsten außenpolitischen Posten seiner Administration unmissverständlich deutlich machte. Das heißt – unabhängig davon, wie realitätstauglich ein solcher Führungsanspruch angesichts der sich ändernden globalen Machtverhältnisse noch ist -, dass Biden nicht bereit ist, die multipolare Wirklichkeit der heutigen Welt anzuerkennen
Konkrete Prognosen, wie sich die USA unter der Biden/Harris-Administration gegenüber dem „Rest der Welt“ verhalten werden, sind nur sehr begrenzt möglich. Denn da im Wahlkampf außenpolitische Themen fast überhaupt keine Rolle spielten und die KandidatInnen dazu auch von den Medien fast nie befragt wurden, mussten sie sich dazu kaum äußern. Nur zu einigen wenigen Entscheidungen und Maßnahmen der Trump-Administration auf dem Gebiet der internationalen Politik hat Biden im Wahlkampf oder seit seinem Sieg am 3. November Korrekturen angekündigt oder zumindest für möglich erklärt. Zu Themen, zu denen der künftige US-Präsident bislang nicht öffentlich Position bezogen hat, sind zunächst nur Vermutungen möglich auf Basis seiner aus früheren Jahren bekannten Haltung zu diesen Fragen. Gewissen Aufschluss über die künftige Politik bieten auch die Meinungen gewichtiger PolitikerInnen der Demokratischen Partei im Kongress sowie die Namen der Personen, die in Washington bislang für führende Positionen in der Biden-Administration gehandelt werden.
Im einzelnen:
Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Corona
Biden hat angekündigt, er werde den von Trump nach Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 angedrohten und im Juli dann vollzogenen Austritt der USA aus der WHO am 21. Januar 2021 – seinem ersten Arbeitstag im Weißen Haus – wieder rückgängig machen. Das ist die konkreteste aller Ankündigungen, die der neue US-Präsident vor und seit seiner Wahl überhaupt gemacht hat. Die 90 Millionen US-Dollar Beitragsgelder, die die Trump-Administration der WHO bereits im laufenden Haushaltsjahr 2020 verweigert hatte, will Biden nachzahlen. Und die Kooperationsprojekte zwischen den USA und der WHO, die Trump durch den Abzug fast aller US-amerikanischen GesundheitsexpertInnen und ÄrztInnen zum Erliegen gebracht hatte, sollen wieder aufgenommen werden.
Für Biden ist die Mitgliedschaft in der WHO aktuell besonders wichtig mit Blick auf die Bekämpfung der Corona-Pandemie, die er zu seiner wichtigsten innenpolitischen Priorität erklärt hat und die zumindest sein erstes Amtsjahr im Weißen Haus wesentlich bestimmen dürfte. Unklar ist bislang allerdings, ob die USA auch der internationalen Impfstoffplattform COVAX beitreten, deren Ziel die gemeinsame Entwicklung, Herstellung und global gerechte Verteilung eines Covid-19-Impfstoffs ist. An der gemeinsam von der WHO und der internationalen Impfallianz GAVI geführten COVAX sind bislang rund 110 Staaten beteiligt. Auf dem virtuellen G-20-Gipfel am 21./22. November hatte Trump einen Beitritt der USA noch einmal ausdrücklich ausgeschlossen und mit Blick auf eine global gerechte Verteilung von ab Mitte Dezember möglicherweise zur Verfügung stehenden Impfstoffen der beiden US-Pharmakonzerne Pfizer und Moderna noch einmal seine „America First“-Politik betont.
Globale Erwärmung/Klimaschutz/Pariser Abkommen
In einer zweiten konkreten Ankündigung hat Biden die Rückkehr der USA zum 2018 von Trump aufgekündigten Pariser Klimaschutzabkommen zugesagt. Zwar bislang ohne konkreten Termin, aber in Washington wird damit gerechnet, dass er diesen Schritt in den ersten Wochen seiner Amtszeit vollziehen wird. Auch die von Trump betriebene Verstümmelung der nationalen Umweltschutzbehörde EPA (Enviromental Protektion Agency) durch die Bestellung eines Lobbyisten der Kohleindustrie zum Behördenchef sowie durch den Entzug von Kompetenzen, Personal und Finanzen will Biden rückgängig machen. Zudem hat er in Aussicht gestellt, die Genehmigungen für umweltpolitisch besonders fragwürdige Pipelineprojekte (zum Beispiel die Alaska-Pipeline) wieder aufzuheben.
Entscheidend für die umweltpolitische Bilanz der Biden/Harris-Administration nach den nächsten vier oder auch acht Jahren dürfte aber sein, ob sie auch die erforderlichen Maßnahmen ergreift zur Umsetzung der Ziele des Pariser Klimaabkommens und ob sie vom Kongress die dafür erforderlichen finanziellen Mittel erhält.
Konflikt mit Iran/Nuklearabkommen
Biden hat den Wiederbeitritt der USA zu dem Abkommen zur Begrenzung des iranischen Nuklearabkommen auf zivile Ziele in Aussicht gestellt, aus dem die Trump-Administration im Mai 2018 ausgestiegen war. Als Vizepräsident unter Barak Obama war Biden neben Außenminister John Kerry an den inoffiziellen geheimen Vorsondierungen zwischen Washington und Teheran und den offiziellen Verhandlungen beteiligt, die dann im Juli 2015 zu dem gemeinsam mit Russland, China, Frankreich, Großbritannien und Deutschland vereinbarten Nuklearabkommen führte. Biden ist der Überzeugung, dass dieses Abkommen die beste Gewähr bietet, eine Entwicklung von Atomwaffen im Iran zu verhindern. Den Wiederbeitritt der USA hat Biden allerdings davon abhängig gemacht, dass Iran zuvor alle bislang bekannt gewordenen Verstöße gegen das Abkommen einstellt. Die Führung in Teheran hatte vergeblich gehofft, sie könne mit begrenzen, schrittweisen Verletzungen des Abkommens die anderen Vertragsstaaten dazu bewegen, effektiv gegen die Sanktionen vorzugehen, mit denen die Trump-Administration inzwischen die iranischen Ölexporte drastisch reduziert und dem Land eine schwere Wirtschaftskrise beschert hat. Zugleich betonte die iranische Führung immer wieder ihren Willen zum Festhalten an dem Nuklearabkommen. Außenminister Sharif erklärte nach nach Bidens Wahlsieg, Teheran sei „verhandlungsbereit“ und wolle alle Verstöße gegen das Abkommen rückgängig machen – allerdings erst nach Aufhebung der „illegalen“ Sanktionen der USA. Ob die Biden-Administration bereit sein wird, den ersten Schritt zu tun, ist bislang nicht absehbar. Erschwerend kommt hinzu, dass es auch unter Kongressmitgliedern und Sicherheitspolitikern der Demokraten Sympathien gibt für die einst von der Trump-Administration erhobene Forderung, das Nuklearabkommen zu erweitern um ein Verbot ballistischer (konventioneller) Raketen. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron sowie kürzlich der bundesdeutsche Außenminister Heiko Maas signalisierten Unterstützung für diese Forderung. Doch die iranische Führung lehnt eine Erweiterung des Nuklearabkommens strikt ab. Sie wäre zwar bereit zu Verhandlungen über Rüstungskontrollbeschränkungen oder gar ein totales Verbot für ballistische Raketen in der gesamten Nahost-Region – unter Beteiligung aller Staaten, die derartige Waffen heute schon haben oder derzeit ihre Entwicklung bzw. Anschaffung betreiben (darunter Israel, Saudi-Arabien, Ägypten und die Türkei). Doch ein selektives Verbot von ballistischen Raketen lediglich im Iran kommt für die Führung in Teheran nicht in Frage.
Der von der Trump-Administration über Jahre systematisch eskalierte Konflikt mit Iran birgt auch für die noch verbleibenden Wochen bis zur Amtsübergabe im Weißen Haus am 20. Januar gefährliche Sprengkraft. Am 12. November suchte Trump bei Beratungen mit seinem Vize Mike Pence, Außenminister Mike Pompeo, dem kurz zuvor neu berufenen Pentagonchef ChristopherMiller sowie dem Oberkommandierenden der Streitkräfte, General Mark Milley, die Zustimmung zu Luftschlägen gegen Iran – darunter gegen die unterirdische Nuklearanlage Natanz. Seine Gesprächspartner rieten ihm ab. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass Trump in seiner wachsenden Verzweiflung über das bevorstehende Ende seiner Präsidentschaft und in dem Bestreben, seinem Nachfolger das Regieren so schwer wie möglich zu machen und das Nuklearabkommen mit Teheran endgültig zu zerstören, noch einen Militärschlag gegen Iran anordnet. Dann wird es darauf ankommen, ob die militäischen Kommandeure die Courage haben, einen solchen Befehl des Präsidenten zu verweigern.
Israel/Palästina
Bei keinem anderen außenpolitischen Thema hat die Trump-Administration so viel Schaden angerichtet mit nachhaltigen fatalen Auswirkungen wie mit Blick auf den Konflikt Israel-Palästina.
Biden hat bislang lediglich in Aussicht gestellt, seine Administration werde wieder zur erklärten, von Trump 2018 aber aufgekündigten Zielsetzung einer Zweistaaten-Lösung zurückkehren und damit zur offiziellen Sprachregelung aller US-Regierungen seit 1967. Zudem wird die Biden-Administration voraussichtlich die von Trump eingestellten Zahlungen an das UNO-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNWRA) wieder aufnehmen. Keine Hinweise gibt es bislang, dass Biden die in der Trump-Administration von dessen Vize Pence betriebene Verlagerung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem wieder rückgängig machen wird. Und offen ist bislang auch, ob die USA unter Biden zu der seit 1967 international gültigen und in vielen hundert UNO-Resolutionen, völkerrechtlichen Dokumenten und Verträgen verankerte Bezeichnung der Westbank, des Gazastreifens und Ostjerusalems als „Occupied Palestinian Territories“ (OPT; besetzte palästinensische Gebiet) zurückkehren wird. Trumps Außenminister Pompeo hatte diese Bezeichung im Sommer 2018 aus allen US-Regierungsdokumenten getilgt und durch den Begriff „disputed territories“ (umstrittene Gebiete) ersetzt. Und bei seinem jüngsten Besuch in der Westbank Mitte November machte Pompeo deutlich, dass er und Trump dieses Gebiet inzwischen sogar nicht mehr als „umstritten“ einstufen, sondern – genauso wie zuvor schon im Jahr 2018 die besetzten syrischen Golanhöhen – in krasser Missachtung des Völkerrechts als integralen Bestandteil des israelischen Staatsterritoriums betrachten. Auch Produkte aus diesen Gebieten mit der falschen Herkunftsbezichnung „aus Israel“ sollen laut Pompeo künftig in die USA exportiert werden können. Wird die Biden-Administration diese flagrante Verletzung des Völkerrechts wieder rückgängig machen? Wird sie den von Trump im Frühsommer präsentierten sogenannten „Friedensplan“ für Nahost, der zumindest auf eine Teilannexion bislang besetzter Gebiete hinausläuft, für obsolet erklären? Mit den Debatten zur Nahostpolitik vertraute ExpertInnen in Washington sind eher skeptisch. Sie verweisen darauf, dass Biden für lange Zeit mit der Bewältigung der Corona-Pandemie und anderen großen innenpolitischen Herausforderungen beschäftigt sein wird. Zudem könne Biden und mit ihm die Demokratische Partei mit einem Engagement für eine gerechte Friedensregelung des israelisch-palästinensischen Konflikts innenpolitisch mit Blick auf künftige Wahlen nur wenig gewinnen.
Atomwaffen/INF und New Start-Abkommen
Bereits unter der Obama-Administration hatten die USA ein umfangreiches und sehr kostspieliges Programm zur Erneuerung und „Modernisierung“ des Atomwaffenarsenals beschlossen. Darunter fällt unter anderem die im Herbst 2019 bereits vollzogene „Modernisierung“ der US-Atombomben, die noch in den NATO-Staaten Deutschland, Niederlande und Belgien stationiert sind. Im Rahmen der sogenannten „nuklearen Teilhabe“ innerhalb der NATO können diese Atombomben im Fall eines Krieges von den USA auch an die Luftstreitkräfte der drei Stationierungsländer zum Einsatz übergeben werden.
Über diese bereits unter Obama begonnenen „Modernisierungs“- und Aufrüstungsmaßnahmen hinaus hat die Trump-Administration drei weitere problematische atomare Neuentwicklungen eingeleitet. Zum einen die Entwicklung von sogenannten „Mininukes“ mit vergleichsweise geringer Sprengkraft (bis zu einer Kilotonne). Diese sollen in Europa landstationiert werden, um eine laut Trump angeblich bestehende „Abschreckungslücke“ gegenüber Russland zu schließen. Und zweitens begann das Pentagon unter Trump mit der Entwicklung neuer, mit Atomsprengköpfen ausrüstbarer Raketen zur Stationierung auf Kriegsschiffen und U-Booten der USA in den nordatlantischen Gewässern. Mit diesen seegestützten Raketen mittlerer Reichweite könnten die USA die Ziele in Russland erreichen, gegen die nach den bisherigen NATO-Planungen im Fall eines Kriegs Kampflugzeuge mit den in Deutschland, Belgien und den Niederlanden stationierten Atombomben eingesetzt würden. Damit würden die USA die „nukleare Teilhabe“ ihrer europäischen Bündnispartner aushebeln und könnten künftig alleine über den Einsatz von Atomwaffen in Europa entscheiden. Drittens hat der Kongress auf Antrag der Trump-Administration bereits 2017 erste Haushaltsmittel zur Entwicklung einer neuen landgestützten Mittelstreckenrakete mit Reichweiten von bis zu 5.500 Kilometern bewilligt. Die tatsächliche Produktion und Stationierung derartiger Raketen würde gegen den 1987 zwischen den USA und der Sowjetunion vereinbarten INF-Vertrag, den Trump Anfang 2019 vorsorglich gekündigt hat – mit der bis heute nie bewiesenen (aber von der Regierung Putin auch nie eindeutig widerlegten) Begründung, der Vertrag würde bereits von Moskau verletzt.
Wird die Biden-Administration den unter Obama eingeleiteten und unter Trump verschärften Kurs der atomaren Aufrüstung fortsetzen oder korrigieren? Dazu gibt es bislang von Biden oder aus seinem Umfeld überhaupt keine Aussagen. Es gibt lediglich die vage Absichtserklärung Bidens, den New-Start-Vertrag zur zahlenmäßigen Begrenzung der strategischen Atomwaffen und ihrer Trägersysteme (U-Boote, Fernbomber und landgestützte Interkontinentalraketen) zu retten. Dieses letzte noch bestehende Rüstungskontrollabkommen zwischen Washington und Moskau läuft am 21. Februar 2021 aus. Bislang haben beide Seiten nicht ernsthaft über ein Nachfolgeabkommen verhandelt. Russlands Präsident Putin schlug im Oktober vor, den New-Start-Vertrag für zunächst einmal zwölf Monate weiterlaufen zu lassen, um Zeit für Verhandlungen zu gewinnen. Doch auf diesen Vorschlag hat sich die Trump-Administration nicht eingelassen. Biden wird das voraussichtlich tun. Doch in Washington gibt es – auch unter Sicherheitspolitikern der Demokratischen Partei – einflussreiche Stimmen, die verlangen, dass in künftige Abkommen über Atomwaffen und ihre Trägersysteme China mit eingebunden werden müsse. Das lehnt Peking bislang kategorisch ab.
Rüstungsausgaben/Konventionelle Rüstung/Rüstungsexporte
In den vier Jahren der Trump-Administration erfolgten erhebliche Steigerungen des Militäretats auf zuletzt 738 Milliarden US-Dollar für 2020. Unter den Demokraten in den beiden Kongresskammern leisteten nur wenige nennenswerten Widerstand. Im Senat wurden die Budgets jeweils mit großer Mehrheit der demokratischen Mitglieder verabschiedet. Einige von Bidens KonkurentInnen im Vorwahlkampf der Demokraten kritisierten diese hohen Militärausgaben scharf und stimmten in Senat und Abgeordnetenhaus dagegen. Biden legte sich in dieser Frage bislang zumindest öffentlich nicht fest.
Trump bescherte der US-Rüstungsindustrie nicht nur mit den Beschaffungsvorhaben für die eigenen Streitkräfte eine glänzende Auftragslage, sondern auch durch milliardenschweren Rüstungsexporte.Allein bei seiner ersten Auslandsreise im Präsidentenamt,die ihn im Mai 2017 nach Riad führte, vereinbarte Trump Waffenlieferungen an die islamistische Diktatur im Wert von über 250 Milliarden US-Dollar. Es wird in Washington zwar damit gerechnet, daß Biden die saudische und andere Diktaturen nicht mehr so vorbehaltlos unterstüzten wird, wie Trump das getan hat. Aber ob das auch zu mehr Zurückhaltung der USA bei Rüstungsexporten führen wird, bleibt abzuwarten.
Wie sollen die USA mit dem Konkurrenten China umgehen?
Wie sich die Rüstungsanstrengungen – im konventionellen wie atomaren Bereich – der global im relativen Machtabstieg befindlichen USA unter der Biden-Administration und darüber hinaus entwickeln, hängt wesentlich von der bislang in Washington (und auch in europäischen Hauptstädten) ungeklärten künftigen Strategie gegenüber dem aufstrebenden Weltmachtkonkurrenten China ab.
Soll man trotz aller harten und zunehmenden Interessengegensätze auf Kooperation mit dem strategischen Konkurrenten setzen, zumal bei der Bewältigung globaler Herausforderungen wie der Klimakrise? Oder sind Konfrontation und der Ausbau der militärischen Präsenz der USA im Pazifik sowie im von Peking als „südchinesisch“ reklamierten Asiatischen Meer unerlässlich? Alle Debatten zwischen den Vertretern dieser beiden Positionen führten bereits in den acht Jahren der Obama-Administration zu keinem Ergebnis, wobei die Befürworter des kooperativen Ansatzes zunehmend in die Defensive gerieten, etwa nachdem die chinesische Regierung im Juli 2016 das auf eine Klage der mit den USA verbündeten Philippinen erfolgte Urteil des Internationalen Seegerichtshofes gegen Chinas Besitzansprüche auf Inseln im „südchinesischen Meer“ zurückwies. Inzwischen hat China in Dschibuti, am strategisch günstig Schnittpunkt von Europa, Afrika, dem Nahen Osten und Asien, seine erste ausländische Militärbasis errichtet – gegen den massiven, aber vergeblichen Widerstand der USA und Frankreichs. Der „Handelskrieg“ gegen China, den Trump im Wahlkampf 2016 großspurig angekündigt und dann auch mit Zöllen, Sanktionen und anderen Maßnahmen fast vier Jahre lang geführt hat, ist weitgehend gescheitert – und hat der Wirtschaft der USA mehr geschadet als der Chinas. Die weltgrößte Freihandelszone RCEP mit 15 asiatisch-pazifischen Staaten – darunter die drei US-Verbündeten Japan, Australien und Neuseeland -, die Mitte November unter Führung China besiegelt wurde, ist ein weiterer Rückschlag für die USA, für den Trump hauptverantwortlich ist. In seiner ersten Amtshandlung als Präsident am 21. Januar 2017 hatte Trump die von seinem Vorgänger Obama ausgehandelte asiatisch-pazifische Freihandelszone unter Führung der USA aber unter Ausschluß Chinas aufgekündigt.
NATO/Europa/2-Prozent Ziel bei Militärausgaben
„Die NATO ist obsolet“. Mit solchen und ähnlich abfälligen Sprüche über die Militärallianz machte Trump seit seinem Wahlkampf 2016 immer wieder Schlagzeilen. Damit lieferte er Vorwände für PolitikerInnen in Brüssel, Berlin, Paris und anderen europäischen Hauptstädten, die eine Militarisierung der EU anstreben bis hin zu einem eigenständigen, von den USA unabhängigen atomaren Abschreckungspotenzial. Doch mit den realen Interessen der USA hatten Trumps Sprüche nie etwas zu tun. Denn die NATO bleibt auch über 30 Jahre nach Ende des Kalten Krieges für die USA weiterhin das wichtigste Instrument zur Einflussnahme in und Kontrolle über Europa. Das weiß Biden sehr genau. Sprüche wie Trump wird er nicht machen. Doch der Druck aus Washington auf die europäischen NATO-Partner, innerhalb des Bündnisses einen größeren Teil der finanziellen Lasten und militärischen Aufgaben zu übernehmen, wird anhalten. Auch die Biden-Administration wird fordern, dass das 2014 von allen NATO-Staaten einstimmig beschlossene Ziel, die nationalen Militärausgaben bis 2024 auf mindestens zwei Prozent des Bruttosozialprodukts zu erhöhen, fristgemäß umgesetzt wird.
Verhältnis zu Russland
„Ich denke, die größte Bedrohung für Amerika ist aktuell Russland, was Angriffe auf unsere Sicherheit und die Spaltung unserer Allianzen angeht“, erklärte Biden in einem Interview mit dem US-Fernsehsender CBS neun Tage vor der Präsidentschaftswahl. China stufte er zugleich lediglich als „größten Wettbewerber“ der USA ein. Trumps Antwort auf die CBS-Frage nach dem zentralen Gegenspieler des Landes war unterdessen: China. „Sie sind ein Gegner, sie sind ein Wettbewerber, sie sind in vieler Hinsicht ein Feind.“
Sicher scheint: das seit langer Zeit erkennbare strategische Interesse der USA, gedeihliche kooperative Beziehungen zwischen der EU und Russland zu verhindern, wird unter der Präsidentschaft von Biden fortbestehen. Aktueller operativer Ausdruck dieses Interesses sind die massiven Drohungen und Sanktionen der Trump-Administration gegen das Nord-Stream-2- Pipeline-Projekt, die auch von einer Mehrheit der Demokraten im US-Kongress unterstützt werden. Die Biden-Administration wird möglicherweise noch eintschlossener gegen das Projekt vorgehen. Bereits als Vizepräsident kritisierte Biden die Pipeline als einen „fundamental schlechten Deal“. In einem Positionspapier Bidens zu den künftigen Beziehungen der USA mit Polen wurde diese Haltung nochmal betont: „In Fortführung der von der Obama-Biden-Regierung begonnenen Arbeit wird Präsident Biden versuchen, die Unabhängigkeit Europas im Energiebereich zu stärken.“ Daher werde er „Nord Stream 2 weiterhin als ,fundamental schlechten Deal‘ (…) ablehnen.“ Im US-Kongress haben sich das von den Demokraten dominierte Repräsentantenhaus und der mehrheitlich republikanische Senat bereits auf neue Sanktionen geeinigt. Diese zielen auf Versicherer und Zertifizierungsfirmen für die am Bau der Pipeline beteiligten Unternehmen ab und könnten noch vor Jahresende von den beiden Kammern verabschiedet werden. Die Umsetzung würde dann der neuen Biden-Administration obliegen.
Auch gegen die seit 2014 schon unter Obama verhängten Sanktionen gegen Rußland wegen des Ukraine/Krim-Konfliktes dürfte die Biden-Administration festhalten oder diese sogar noch verschärfen. Zumindest gibt es bislang keine Hinweise, dass Biden einen anderen, kooperativeren Kurs gegenüber Russland einschlagen könnte – außer vielleicht mit Blick auf ein Nachfolge-Abkommen für den „New-START-Vertrag“.
„Krieg gegen den Terrorismus“/Drohnenmorde/gezielte Tötungen
Präsident Biden wird den am 12. September 2001von seinem Vor-Vorgänger George W. Bush erklärten „Krieg gegen den Terrorimus“ mit all seinen völkerrechtswidrigen Methoden (gezielte Tötungen, Drohnenmorde, Folter etc.) uneingeschränkt weiterführen und bei (angeblichem) Bedarf auch noch verschärfen – so wie Barak Obama und Donald Trump das getan haben. Alles andere wäre eine große, positive Überraschung, für die es allerdings nicht das geringste Anzeichen gibt. Dieser seit nunmehr über 19 Jahren geführte „Krieg“ ist inzwischen längst zum Alltag geworden und aus den Schlagzeilen verschwunden. Bei den Demokraten im US-Kongress stieß er nicht nur während der acht Präsidentschaftsjahre von Obama, sondern auch unter den Republikanern Bush und Trump weitgehend auf Unterstützung. Auch die sechs linken KonkurrentInnen Bidens im Vorwahlkampf der Demokraten machten diesen „Krieg“ nicht zum Thema. Die vereinzelte Kritik europäischer Regierungen in den ersten Jahren dieses „Krieges“ – etwa an gezielten Tötungen – ist längst verstummt. Die USA werden auch ihre in Europa gelegene militärische und geheimdienstliche Infrastruktur – wie z.B. die Airbase Ramstein in Deutschland – weiterhin für Drohnenmorde nutzen können. Und auf eine Begnadigung von Edward Snowden, Julian Assange oder Chelsea Manning, die einen Teil der in diesem „Krieg gegen Terrorismus“ verübten Verbrechen von Soldaten und Geheimdienstlern der USA öffentlich gemacht hatten, ist auch unter Präsident Biden nicht zu hoffen.
Rahmenbedingungen für Biden-Administration-Blockade im Senat?
Eine große Unbekannte bleiben zumindest bis zur Nachwahl für die beiden Senatorensitze des Bundesstaates Georgia am 5. Januar 2021 die Rahmenbedingungen für die Politik der künftigen US-Regierung. Sollten die Republikaner einen oder gar beide Sitze gewinnen, hätten sie eine Mehrheit von 51 oder gar 52 Stimmen im 100-köpfigen Senat. Und dann könnten sie zahlreiche außen- wie innenpolitische Vorhaben der Biden-Administration blockieren – ähnlich wie sie das in den Jahren der Obama-Administration gemacht haben. Mitch McConnell ,der bisherige und auch künftige republikanische Fraktionschef im Senat, hat bereits angekündigt, dass er genau diese destruktive Strategie der Totalblockade erneut anwenden will, damit Biden in vier Jahren vor den WählerInnen als weitgehend gescheiterter Präsident dasteht und die Republikaner im November 2024 das Weiße Haus zurückerobern können – möglicherweise sogar erneut mit Donald Trump.
Andreas Zumach
Andreas Zumach ist DFG-VK-Mitglied und Journalist. Seit 1988 ist er Uno- und Schweiz-Korrespondent für die Taz mit Sitz in Genf. Der Artikel wurde am 25. November 2020 abgeschlossen.