Weitgehend unbeachtet von der hiesigen Öffentlichkeit greift die Türkei wieder einmal kurdische Gebiete im Nordirak und in Nordsyrien an. Am 17. April 2022 startete die türkische Armee ihre Großoffensive „Claw-Lock“, die sich nach offiziellen Angaben der türkischen Regierung gegen PKK-Stellungen richtet. Wie bereits in der Vergangenheit wird aber auch die kurdische Zivilbevölkerung getroffen.
Angriffe nicht weiter dulden
Die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) fordert von der Bundesregierung, die völkerrechtswidrigen Angriffe der Türkei endlich öffentlich scharf zu verurteilen.
Türkische Angriffe treffen Zivilist*innen
Seit mehr als zwei Wochen greift die türkische Armee kurdische Gebiete im Irak und in Syrien mit schwerer Artillerie und Drohnen aus der Luft an. Am 18. April 2022 marschierte sie mit Bodentruppen in den Irak ein. Insbesondere in Nord- und Ostsyrien werden nicht nur Stellungen der kurdischen PKK getroffen, auch die Zivilbevölkerung leidet massiv unter den Angriffen, Zivilist*innen werden verwundet oder sterben.
Statements des Auswärtigen Amts unzureichend
Dessen ungeachtet vermeldete das Auswärtige Amt auf der Bundespressekonferenz vom 20. April 2022 lediglich, dass es die türkischen Angriffe zur Kenntnis genommen habe. In Bezug auf die Lage im Nordirak rufe das Auswärtige Amt nach eigenen Angaben alle Konfliktparteien regelmäßig zur Zurückhaltung und zur Achtung des humanitären Völkerrechts auf.
„Die bisherigen Stellungnahmen der Bundesregierung und des Auswärtigen Amtes zur türkischen Offensive haben mit einer werteorientierten Außenpolitik, wie sie sich die neue Außenministerin Annalena Baerbock auf die Fahne geschrieben hat, nichts zu tun,“ beklagt Kathi Müller, Bundessprecherin der DFG-VK.
Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages schafft Fakten
Sprecher*innen des Auswärtigen Amtes und der Bundesregierung weisen immer wieder auf das Selbstverteidigungsrecht gemäß Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen hin, auf das sich die Türkei bei ihren Angriffen berufe. „Deutschland und auch andere NATO-Staaten dulden damit sowohl die systematischen Angriffe auf Kurd*innen als auch die Verletzung der Souveränität des Iraks und Syriens,“ erklärt Müller weiter.
In einem Papier über zwei vorangegangene Militäroperationen der Türkei gegen PKK-Stellungen im Irak vom 8. Juli 2020 stellte der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages fest, dass keine Selbstverteidigungslage für die Türkei zu erkennen sei. Zu der gleichen Einschätzung kam der Wissenschaftliche Dienst bei der Betrachtung völkerrechtlicher Aspekte der türkischen Militäroperation in Syrien ein Jahr zuvor.
Bundesregierung übernimmt türkische Sichtweise unkritisch
In ihrer Antwort auf eine mündliche Anfrage der Abgeordneten Gökay Akbulut im Bundestag erklärte Staatsministerin Dr. Anna Lührmann, dass der deutschen Regierung zu den derzeit keine Erkenntnisse vorlägen, die eine genauere völkerrechtliche Bewertung der türkischen Militäroperation erlaubten. Immer wieder übernahm sie dabei unkritisch das Wording der türkischen Regierung und sprach von einem „militärischen Vorgehen der Türkei gegen die Terrororganisation PKK“.
Türkische Angriffe mit deutschen Waffen
Hinzu kommt, dass bei den völkerrechtswidrigen Angriffen der Türkei auf die kurdischen Gebiete auch deutsche Kriegswaffen und Rüstungsgüter zum Einsatz kommen. Laut einem Bericht des Bonn International Center for Conversion (BICC), lag das Gesamtvolumen der Rüstungsexporte aus Deutschland in die Türkei im Jahr 2020 bei 22,9 Mio. Euro. Außerdem ist deutsche Sensortechnologie des Rüstungskonzerns Hensoldt über ein südafrikanisches Tochterunternehmen eine wichtige Komponente vieler türkischer Bayraktar TB2-Drohnen. Die Bayraktar TB2 wird im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine seitens der Ukraine militärisch eingesetzt und darüber hinaus in viele Staaten exportiert und tödlich eingesetzt.
Abschiebestopp für kurdische Friedensaktivist*innen
„Wir fordern, dass die Bundesregierung endlich Klartext redet und die Angriffe des NATO-Partners Türkei als das bezeichnet was sie sind: als einen klaren Bruch des Völkerrechts,“ so die DFG-VK Bundessprecherin und ergänzt: „Unsere Solidarität gilt den Kurd*innen, die derzeit unter der türkischen Offensive im Nordirak und in Nordsyrien leiden, aber auch kurdischen Friedensaktivist*innen hier in Deutschland.“ Trotz der bedrohlichen Lage für Kurd*innen und der anhaltenden Militäroffensive werden in Deutschland lebende Kurd*innen weiter in die Türkei abgeschoben. Die DFG-VK fordert einen Stopp der Abschiebungen in das Land, in dem Aktivist*innen und Menschenrechtler*innen Folter und Inhaftierung drohen.
Kontakt
Katharina Müller
Bundessprecherin der DFG-VK
mueller@dfg-vk.de
Pressemitteilung des Bundessprecher*innenkreises der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) vom 05.05.22
Weiterführende Links
Wissenschaftlicher Dienst zur türkischen Militäroperation im Irak vom 08.07.20 Weiterleiten
Wissenschaftlicher Dienst zur türkischen Militäroperation in Syrien vom 17.10.19 Weiterleiten